Doschd macht unabhängiges Fernsehen für Russland

Kein Schild an der Tür, kein Logo an der Hauswand, keine Fahnen auf dem Dach. Klar, die Adresse des unabhängigen Fernsehsenders Doschd steht auf der Homepage, sie ist kein Geheimnis. Aber das  Moskauer „Flakon“-Gelände ist groß, ein Gebäude geht über ins nächste. Zweimal müssen wir telefonieren, ehe Fatima und ich uns schließlich finden und sie mich mit ins Haus nimmt. Keine Laufkundschaft, keine Zufallsbesucher. Zu Doschd muss man wollen.

Drinnen herrscht die typischen Ästhetik, die man aus umgenutzten Industriegebäuden kennt: Hohe Decke, freiliegende Leitungen, darunter reihenweise Tische. Die meisten Menschen, die hier arbeiten, sind jung – und umgeben von einer Deko in Knallpink, wie das Doschd-Logo. Redaktion, Technik, Marketing, selbst Senderchefin Natalja Sindejewa, alle sitzen sie hier zusammen im Großraum.

Doschd Rosen

 

Gut fünf Jahre gibt es den Sender jetzt,  er hat – bei laufendem Sendebetrieb – bereits mehrere Umzüge hinter sich, oft unfreiwillig. Zwischenzeitlich kam das Programm sogar aus einer Privatwohnung. Da ist die aktuelle Adresse auf dem Gelände einer alten Glasfabrik dann doch um einiges praktischer. Demnächst, sagt Fatima, dann sogar mit Hinweisschild.

Die Positionierung des Senders ist klar: RT und Sputnik meldeten vergangene Woche Putins Rekord-Umfragewerte ohne Einordnung oder gar Kritik – bei Doschd kam zu den Zahlen auch Alexei Nawalny zu Wort, der die Werte für manipuliert hält. Wenn Putin seine jährliche Fragestunde abhält, machen Vertreter russischer Staatsmedien gerne mal den Stichwortgeber – Xenija Sobtschak, eines der bekanntesten Doschd-Gesichter, fragte ihn 2014 nach der Lage in Tschetschenien und nach Kampagnen gegen Oppositionelle. Prominente russische Politiker machen Stimmung gegen Schwule und Lesben, Homophobie ist hier inzwischen mehrheitsfähig – im Onlineshop von Doschd gibt es T-Shirts mit der Aufschrift „Alle unterschiedlich. Alle gleichberechtigt.“

Doschd Regiestühle

 

2014 musste der Sender nicht nur den Standort, sondern auch seinen Verbreitungsweg wechseln. Auf seiner Website hatte Doschd im Januar die Nutzer gefragt, ob Leningrad im Zweiten Weltkrieg hätte früher kapitulieren sollen, um die Leben der Einwohner zu retten, die während der mehrjährigen Belagerung durch Bomben, Hunger und Kälte starben.

Unter politischem Druck nahm Trikolor, der Betreiber des Senders, ihn kurz darauf aus seinem Angebot. Über Satellit ist Doschd seitdem in Russland nicht mehr zu empfangen, die meisten Zuschauer schalten nun den Livestream im Web ein, andere gucken via digitales Kabelnetz.

In der Redaktion herrscht an diesem Abend die typische Mischung aus Konzentration und Gewusel. Aus einem der Studios wird gerade gesendet, während der Werbepause läuft jemand am Greenscreen nebenan vorbei Richtung Zigarettenpause. Nur gelegentlich guckt einer von Fatimas Kollegen hoch, wenn wir an seinem Tisch entlanggehen. Besuch ist hier nichts Besonderes, für Journalistengruppen aus dem Ausland ist Doschd ein beliebtes Ziel.

Doschd Redaktion

 

Russlands Rolle in der Ukraine und in Syrien haben im Land ein Klima geschaffen, in dem Medien daran gemessen werden, ob sie „patriotisch“ sind. Der Begriff der Fünften Kolonne für Kritiker aus den eigenen Reihen ist auf einmal wieder populär. Das Staatsfernsehen kann sich über großzügige Budgets freuen, doch wer kritisch berichtet, ist auf die Buchungen seiner Werbekunden angewiesen. Eine weitere Einnahmequelle von Doschd sind die Abogebühren der Zuschauer, die für ein Jahr Webfernsehen derzeit 4800 Rubel zahlen, also knapp 70 Euro.

Noch vorbei an der Wand mit den vielen Auszeichnungen, die Doschd schon eingesammelt hat, dann stehen wir wieder an der Tür ins Freie. Ich bin nach Feierabend hierher gekommen, für Fatima und ihre Kollegen geht der Arbeitstag nach unserem Treffen noch weiter. Gleich beginnt das Finanzmagazin „Geld“, anschließend läuft die Nachrichtensendung „Hier und Jetzt“. Es ist voll im Großraumbüro, immer noch, der Abend wird lang. Wer hier arbeitet, tut das nicht wegen des Gehalts. Zu Doschd muss man wollen.

Dank F. habe ich drei Gutscheine, mit denen man das Programm von Doschd online zehn Tage umsonst gucken kann. Wer als erstes sein Interesse in den Kommentaren bekundet, kann einen haben.

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