Wonach der Frühling in Moskau riecht

Dazu brauchen Anstreicher im Frühling Wasserflaschen.
Frühling ist, wenn der Bordstein frisch gestrichen wird.

Wenn in Deutschland von „Vorboten des Frühlings“ die Rede ist, dann sind damit gerne mal Schneeglöckchen gemeint, manchmal auch Zugvögel. In Moskau war der Vorbote ein Mann, der die Müllcontainer auf unserem Innenhof nach leeren Wasserflaschen durchsuchte. Nur die großen, fünf Liter, fast schon Kanister. Nicht fürs Pfand, sondern für die Farbe.

Frühling, das riecht hier in der Stadt nach Lösungsmitteln. Alles bekommt eine neue Schicht Lack: Zäune und Tore, Bordsteine, sogar die Gullideckel vor dem edlen Hotel Ukraina werden frisch versilbert.

Vorne, längs, gelb: der frisch gestrichene Blindenstreifen an der Ampel. Zum Vergleich hinten quer die alte, staubige Variante.
Vorne, längs, gelb: der frisch gestrichene Blindenstreifen an der Ampel. Zum Vergleich hinten quer die alte, staubige Variante.

Solche Streich-Aktionen sind oft gut besetzt – einmal waren es gleich sieben Leute am selben Zaun, fünf mit Pinseln und zwei Aufseher. Schließlich ist das hier Russland und Arbeitskraft so billig, dass an jeder Metro-Rolltreppe ein Rolltreppenwärter sitzt und vor der St. Andrew’s Church in der Innenstadt am Wochenende die Straßenpfosten von Hand abgewaschen werden.

Deshalb mischt sich in den Farbdunst auch noch der Geruch von Sägespänen: Cafés lassen sich jetzt ihre neuen Terrassen schreinern – die dann im Herbst wieder abgerissen werden. Kost‘ ja nichts, oder jedenfalls nicht viel.

Neu anstreichen auf Russisch, das heißt übrigens auch: Das Alte bleibt dran, da wird weder Dreck entfernt noch der aufgeplatzte Lack vom Vorjahr. Die neue Farbe kommt oben drauf, Jahr für Jahr, Millimeter für Millimeter. Mit ein bisschen Mühe könnte man also vermutlich ausrechnen, wann der Zaun vorm Haus kein Zaun mehr ist. Sondern eine Wand.

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