Museums-Marathon in Moskau – diese Woche kostenlos

Über den Jahreswechsel ist Moskau diesmal doppelt eingefroren: Fast 20 Grad unter null, und dazu der Winterschlaf, der jedes Jahr um diese Zeit die Restaurants, Cafés, Theater und Bibliotheken der Stadt ergreift. Nur einige Museen verfolgen eine entgegengesetzte Strategie: Mit kostenlosem Eintritt locken sie die Moskauer aus dem warmen Wohnzimmer zum Kollektivbibbern in der Schlange am Eingang. Weil sich bei mir in der Redaktion nicht viel tut, heißt der Plan für die ersten Tage des neuen Jahres also:

kscheib Moscow Museums

Natürlich haben wir eine Liste mit angepeilten Museen. Natürlich haben wir eine Route, an der sie liegen. Aber dann mischt sich der Busfahrer ein, mit einer Durchsage. Nächster Halt:

 

„Museum für Orientalische Kunst“

Kein freier Eintritt, ganz im Gegenteil: Das ist tatsächlich noch eines dieser Häuser mit höheren Eintrittspreisen für Nichtrussen, was ich je nach Tagesform dreist oder zumindest unklug finde.

Neben Kunsthandwerk aus dem asiatischen Teil Russlands, Kacheln aus dem Iran, Masken aus Indonesien, Porzellan aus Japan gibt es hier auch ein kleines Zimmer mit Exponaten aus Afghanistan. An der Wand hängt, ohne weitere Erklärung oder Jahresangabe, dieser Teppich. Sein Muster kombiniert Helikopter, Makarow-Pistolen und reaktive Panzerbüchsen. Gewebte Geschichte.

afghanischer teppich museum moskau

 

„Moscow Museum of Modern Art“

In seiner Niederlassung an der Petrowka befasst sich das Museum gerade mit Schreibmaschinen in der Kunst. Ein Raum voller Remingtons, Olympias, Erikas. Ein Raum, in dem sich gerade ein kleiner Junge von seinen Eltern erklären lässt, was Durchschlagpapier ist und wozu das mal gut war. Ein Raum mit Schreibmaschinenmusik.

Und einer, in dem nur ein großer Tisch steht, mit getippten A4-Seiten unter Glas. Es ist Wassili Grossmans „Leben und Schicksal“, von dessen wenigen Manuskripten der KGB fast alle beschlagnahmte. Dieses Exemplar bewahrten Freunde für den Autor auf, als KGB-Leute ihre Wohnung durchsuchten, hängten sie es aus dem Fenster. Nun ist es, Jahrzehnte nach Stalins Diktatur, hier zu sehen.

200 Keystrokes Grossman Manuscript

Eine Etage höher haben verschiedene Künstler je einen Raum gestaltet, in dem von Rostan Tavasiev wohnen ein paar flauschige Wesen. Ein grünes sieht so traurig aus, dass eine Besucherin es spontan umarmt, während dieses hier von der Decke baumelt.

Rostan Tavasiev It's Complicated

„Rate mal, wie das hier heißt“, schreibe ich einer Freundin in Köln und schicke ihr das Bild. „Das ist bestimmt eine Allegorie auf die Erderwärmung,“ kommt als Antwort. „Oben ein ehemaliger Eisberg, der sich in Wasser aufgelöst hat. Unten die Menschheit bzw. deren Industrie. Ich würde also sagen ‚I scream (blue)‘ oder so.“ Respekt, das überzeugt mich sehr viel mehr als der offizielle Titel: „It’s complicated.“

 

„Darwinmuseum“

Eine lange, langsame Schlange für alle, die gratis reinwollen. Eine kurze, schnelle, für die, die doch 100 Rubel zahlen. Ist das jetzt Sozialdarwinismus? Drinnen sind jedenfalls so viele Familien unterwegs, dass die Luft nach Turnhallenumkleide riecht, und zwar am Ende eines Unterrichtstages.

Das Haus ist riesig, für Erwachsene fast komplett uninteressant und auch mit Kindern wäre es nicht mein erster Anlaufpunkt. Okay, das Walross da in der Vitrine ist echt verdammt groß, an ein paar Stellen kann man auch mal was ausprobieren oder anfassen, und für Extrageld gibt es auch was Multimediales. Aber insgesamt ist das hier noch sehr die Schule „Wir stellen ein paar Bücher über Pilze in einen Glaskasten und nennen es ‚Das Königreich der Pilze‘.“

Auf einem Treppenabsatz hat jemand mit viel Alufolie und Krepppapier in Projektwochenästhetik eine Ausstellung zum Thema „Tiere und Süßigkeiten“ gestaltet. Diese Illustration, mit der eine Konfektfirma Kindern Verkleidungstipps gab, war zumindest leidlich lustig:

darwinmuseum moskau

 

„Haus an der Uferstraße“

Anfang der Dreißigerjahre war das Gebäude die Wohnadresse für Regierungsmitglieder und Parteigranden. 24 Stunden lang fließend warmes und kaltes Wasser, hohe Decken, Seidentapeten, Aufzüge (damals eine Attraktion an sich). Die in der hauseigenen Schreinerei entstandenen Möbel gehörten interessanterweise der Hausverwaltung und wurden von den Bewohnern bloß gemietet.

Dann kam die Zeit der „Säuberungen“, und viele der Bewohner wurden verschleppt, gefoltert, ermordet. An sie erinnert heute ein kleines Museum, das sowohl den Alltag in diesen Wohnungen dokumentiert als auch, soweit man es denn kennt, das Schicksal der Opfer von Stalins Terror und ihrer Familien.

haus am ufer moskau museum

 

Ilja-Glasunow-Galerie

Von Ilja Glasunow hatte ich noch nie gehört, und nach dem Besuch in diesem Museum hätte das auch gern so bleiben können. Er malt viel, in allen möglichen Stilen, und ich bin mir sicher, es gibt einen Markt dafür: Komm, noch ein Puschkin vor Stadtkulisse, noch ein Dostojewski, noch ein Birkenwäldchen, noch ein armes russisches Mütterchen im Schnee. Noch ein großformatiger Heiliger, noch ein größtformatiger Jesus.

All das hängt hier an den Wänden, wo man es doch genau so gut und im selben Stil einfach irgendwo auf eine Motorhaube airbrushen könnte. Stereotyper Brachialkitsch, gerne in Petersburger Hängung, damit es einen auch garantiert erschlägt. Man kann hier herkommen, wenn man schon immer mal wissen wollte, wie dieses leuchtend türkise Gebäude gegenüber dem Puschkinmuseum von innen aussieht. Man kann es aber auch einfach lassen.

Ilja Glasunow Galerie Moskau

 

Manege

„Vom Traum zum Start“ heißt die Ausstellung zum sowjetischen/russischen Raumfahrtprogramm, das ist aber auch schon das einzige bisschen Poesie, das die Manege sich hier gönnt. Willkommen in der Schautafelhölle, mit den Unterabteilungen „Kinder basteln Panzer und Kampfflugzeuge“, „Wie viele Fotos bekommen wir auf dieser Stellwand unter?“ und „Ich hab hier mal was mit Weltraum gemalt, wollte es mir aber nicht selbst ins Wohnzimmer hängen.“

Moskau Manege От мечты до старта

Das eine gut ausgeleuchtete Objekt in der Ecke, um das sich tatsächlich Menschen versammelt haben, staunen und lachen, ist ein Automat, der Astronautennahrung verkauft: Kohlsuppe, Püree mit Fleisch, Quark mit Obst. 300 Rubel kostet die Tube.

 

„Moscow Museum of Modern Art“

Noch mal MMOMA, diesmal aber das Gebäude am Gogoljewski-Boulevard. Auch wenn man nicht viel weiß über Welimir Chlebnikow, kann man gut eine Runde drehen durch diese Ausstellung, die auf seinen Werken basiert.

moscow museum of modern art

So verspielt und verrätselt wie seine Gedichte wirken auch einige der Illustrationen und Installationen auf den zwei Etagen. Viele Vogelmotive, aber auch Installationen wie diese, die an mit Brausepulver gefüllten Strohhalme erinnert.

Noch bis Ende dieser Woche gilt der freie Eintritt in vielen Moskauer Museen. Eine Auswahl gibt es hier, eine ausführliche Aufstellung hier. Im Zweifel aber besser noch mal auf der Museums-Website nachsehen oder kurz anrufen.

(Danke an Matt für die Hilfe beim Identifizieren der Waffen auf dem afghanischen Teppich, und großen Respekt an Anja für die Ausdeutung der blauen Flauschkunst.)