Die besten Threads aus dem Juni

kscheib threads juni 2019

Wer in dieser Sammlung von Threads nicht vorkommt: @sixthformpoet. Kann sein, dass ich von der Sache mit Fräulein Read On noch besonders sensibilisiert bin. Kann auch sein, dass ich dem Menschen hinter dem Account damit Unrecht tue. Aber das, was er da als Selbsterlebtes präsentiert, klingt mir zu ausgedacht – erst recht, wenn da jemand gleich mehrere solche rundum absure Episoden erlebt haben soll. Alles ein bisschen zu schön, um wahr zu sein.

Ansonsten gilt wie immer: Ein Klick auf den ersten Tweet öffnet den ganzen Thread. Viel Spaß!

1. Toter Körper I

Zu wahr, um schön zu sein ist das Thema Verwesung. Großen Respekt also für diesen Thread, der den Prozess anhand eines toten Hamsters so unterhaltsam erklärt – ohne einem dabei irgendwelche Ekelbilder aufs Auge zu drücken.

2. Toter Körper II

Die Kaltmamsell hat auf diesen Thread hier hingewiesen, und was soll ich sagen: Die Frage, was bei der Auferstehung mit unserem Körper passiert, wenn wir zuvor von Kannibalen gefressen wurden, war mir in ihrer praktischen und theologischen Reichweite bisher noch nicht begegnet. Im Mittelalter hingegen scheint das ein ziemlich wichtiges Thema gewesen zu sein: „We’re surrounded by flesh vapor. It’s cool!“

3. Was Enron mit Siri zu tun hat

Ihr erinnert euch an Enron, den US-Energiekonzern, der in den frühen 2000-er Jahren aufgrund massiver Bilanzfälschungen auch außerhalb der Vereinigten Staaten über Monate hinweg in den Nachrichten war? Dass das einer der größten Wirtschaftsskandale der USA war, hätte ich wohl noch als Information parat gehabt. Dass aber die damals beschlagnahmten Emails später ohne viel Rücksicht auf die Privatsphäre ihrer Verfasser veröffentlicht wurden, und dass darauf heute von wissenschaftlichen Analysen bis zu Siri und Gmail vieles aufbaut – das hatte ich vorher noch nicht gehört.

4. Warteschlangenlektüre

Wenn’s mal wieder länger dauert in der Apothekenwarteschlange: Ein Thread zu der die Frage: „Was tun die eigentlich alle, anstatt mich hier zu bedienen? Vor allem die, die da im Hintergrund durchs Bild laufen?“

5. Tor für Thailand

1:5 haben die Fußballerinnen aus Thailand bei der Weltmeisterschaft gegen Schweden verloren, vorher waren sie bereits mit 0:13 gegen die USA untergegangen. Was dieses eine Tor im Schweden-Spiel für die Mannschaft und ihre Führung bedeutet hat, erzählt dieser Thread hier:

6. Der erste Bundesumweltminister

Wenn man im Wörterbuch unter „verbockt“ nachguckt, steht dann da eigentlich ein Verweis, „siehe: Kommunikationsstrategie der CDU im Sommer 2019“? So viel, was schief geht – der Umgang mit Rezo, dieses laute Nachdenken, ob das mit der Meinungsfreiheit nicht vielleicht ein bisschen zu weit geht, wenn sich da ein paar Dutzend YouTuber zusammentun, nicht zu vergessen die Nummer, wie die CDU plötzlich den Atomausstieg erfunden hat. Und dann war da noch diese Sache hier. Ja, Walter Wallmann war tatsächlich der erste Bundesumweltminister. Ob es allerdings eine gute Idee ist, mit ihm im Jahr 2019 für sich zu werben – nun ja.

7. Vatertag

Vatertag ist, wenn in Deutschland Betrunkene mit dem Bollerwagen rumfahren und in den USA Menschen ihre Gefühle in Tweets gießen. Dazu den einen Thread auszusuchen, war nicht so einfach – der mit dem dem Müllauto ist schon auch sehr schön. Letztlich musste es dann aber doch dieser hier sein, einfach weil er den Familienalltag mit einem schrulligen Vater so wundervoll beschreibt.

8. Die Klimakrise im Bus

Keinen anderen Thread hat es mir diesen Monat so oft in die Timeline gespült wie diesen hier.

9. Zuhause bei Hodscha

Mehr als 40 Jahre hat Enver Hodscha Albanien als Diktator regiert, und wie viele Gewaltherrscher hat er die im Land geltenden Regeln für sich selbst deutlich großzügiger ausgelegt. Das und noch mehr zeigt sich beim Besuch seiner Villa:

Die besten Threads aus dem Mai

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Dass zum Monatswechsel das Sichten von Twitter-Threads gehört, ist inzwischen eine schöne Routine geworden. Und so gut wie jedes Mal begegnen mir dabei Threads derselben Art: US-Bürger, die im (meist europäischen) Ausland waren, dort ärztliche Hilfe brauchten und dann fassungslos waren, wie schnell und wie preiswert sie sie bekommen haben. Jeden Monat könnte ich so einen Thread hier einbauen, aber für Leser in Deutschland ist der Erkenntniswert vermutlich nicht so hoch.

Irgendwie weiß man grob, dass das Krankenversicherungssystem in den USA viele Probleme hat – aber das auserzählte „so einfach war mein Arztbesuch in Großbritannien/Schweden/Italien“ hat nur für die Menschen einen echten Aha-Effekt, die das US-System gewohnt sind. Trotzdem wollte ich diesmal auf einen dieser Threads verweisen, weil er für viele ähnliche steht. Für ihn wie für alle gilt: Den ersten Tweet anklicken, und es öffnet sich der ganze Thread.

1. You found a lump

2. „Lieber Albert Camus“

Post-vom-Wagner-Parodie ist zwar ein recht weit verbreitetes Genre, aber die hier sind wirklich gut:

3. Polizeigewalt

Auch diesen Monat ist wieder das passiert, wofür ich Twitter-Threads so mag: Dass mir ein Geschichts-Thread in die Timeline gespült wird zu einem Thema, von dem ich noch nie gehört hatte. Diesmal geht es um eine extrem dunkle Begebenheit aus den Achtzigern.

4. Warum Büchereien wichtig sind

Was man lernt, wenn man in einer Bücherei arbeitet. Diese Liste fängt lustig an, ist aber ein Thread mit viel Tiefe, der zeigt, wen es trifft, wenn Büchereien klein- oder plattgespart werden.

5. Fagottogott

Winzigkleiner Thread, aber wer wollte nicht schon immer wissen, wie ein Fagott mit Verstärker klingt?

6. „I am the last survivor of the war“

Im Mai 1980 ist der Mount St. Helens ausgebrochen, der im US-Bundesstaat Washington liegt. Rund vier Autostunden entfernt verbrachte ein Wissenschaftler allein die Nacht in einem Observatorium. Als er wach wurde und nur von Asche und Dunkelheit umgeben war, dachte er. es habe einen Atomschlag gegeben – es waren die Achtziger, er konnte also nicht mal eben auf dem Handy nachsehen, was passiert war. Die ganze Geschichte hier:

7. Bilder und ihre Macht

Ein Denkanstoß zum Thema journalistisches Handwerk: Warum Bildauswahl wichtig ist. Bei Slate oder beim Guardian ist mir schon öfter positiv aufgefallen, dass da bei Symbolfotos manchmal einfach jemand im Rollstuhl sitzt/eine Frau ist/nicht weiß ist, ohne dass das Thema des Textes ist. Weil eben das jeweilige Thema nicht nur weiße, männliche Menschen betrifft, die nicht im Rollstuhl sitzen. Mehr als ein kurzes, wohlwollendes Bemerken war bei mir da nie, darum fand ich diesen Thread in seiner Ausführlichkeit so gut:

8. All kinds of Data

„Big Data“-Memes kannte ich, aber hier hat jemand wirklich unverhältnismäßig viel Zeit und Kreativität in Data-Witze inverstiert. Ich begrüße das.

9. WLAN in Londons U-Bahn

Wer in der Londoner U-Bahn das WLAN nutzt, muss in Zukunft damit rechnen, dass geloggt wird, wie er von A nach B kommt. Bisher gab es nur die Daten vom Betreten und Verlassen der jeweiligen Bahnhöfe, wo man seine Oystercard an ein Lesegerät halten muss. Nun erfährt das Transportunternehmen einiges mehr über seine Passagiere. Ein Thread darüber, warum das auch heikel sein kann, und welche Datenschutzregeln gelten sollen.

10. Eine Krähe hackt der anderen… oh.

Wer bei Twitter ist und sich für schwarze Vögel interessiert, folgt vermutlich dem Ravenmaster und erfährt so viel über die Raben im Londoner Tower. Diesen Momat ist mir aber auch ein Thread über Krähen begegnet, den ich interessant fand. Von wegen „kein Auge aushacken“ – Krähen tun einander manchmal sehr viel Schlimmeres an:

11. Eine Art Nachruf

Vielleicht les nur ich als Journalistin gerne über andere Journalisten, aber das hier hat mich berührt. Robert Pear war so ein einfluss- und kenntnissreicher Mann, das sich sogar Nancy Pelosi zu seinem Tod geäußert hat. Diesen Alltagsblick einer deutlich jüngeren Kollegin finde ich aber noch bemerkenswerter:

12. Wissenschaft 1, Marketing 0

Pseudo-Gesundheitswasser und wie man es mit ein wenig Wissenschaft als Schwachsinn entlarvt:

13. Der letzte Arbeitstag

Zum Beinahe-Schluss noch ein bisschen was aus der Reihe warm-ums-Herz:

14. Theresa Shampoo

Im wahrscheinlich letzten Monat mit ihr als Premierministerin gehört der Schluss-Thread diesmal Theresa May. Und ein paar Flaschen Shampoo.

Die besten Threads aus dem April

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Zwischendurch habe ich mal überlegt, ob sich eigentlich irgendjemandem die Bebilderung dieser monatlichen Blogposts erschließt. Muss das irgendwie klarer sein, stringenter, die Sache mit den Threads, also Fäden? Andererseits: Diese Auswahl eines farbenfrohen Fadenfotos zum Monatsende ist so ein entspannter kleiner Moment – die Suche nach einem Bild, das nicht aktuell sein muss, nicht die Protagonisten einer dazugehörigen Meldung mit dazugehörigem Gesichtsausdruck zeigen, sondern nur bunt und vielfältig sein. Pfeif auf die Stringenz, die Fäden bleiben. Und was auch bleibt: Bei allen Threads müsst ihr wie immer einfach auf den ersten Tweet klicken, dann öffnet sich der ganze Thread. Viel Spaß!

1. Von Erdbeeren und Totenköpfen

Dieser Thread ist vom 31. März, mir aber erst im April begegnet UND ÜBERHAUPT, WAS HEISST DAS SCHON, WIR WERDEN ALLE STERBEN! (Soweit die Botschaft vieler flämischer Stilleben in diesem Thread.) Hach, ich mag es, wenn jemand Symbole aus einer anderen Zeit so erklärt, dass man sie heute wieder versteht. Ein Vorzeige-Thread aus der Reihe „Mensch mit Ahnung erklärt etwas, das sich als unverhofft faszinierend entpuppt“.

2. Bäume, Teil 1: Abstandhalter

„Crown Shyness“ ist offenbar der Begriff für einen Abstand, den Baumkronen automatisch voneinander halten. Noch nie gehört, mit Faszination gelesen:

3. Bäume, Teil 2: NSFW

„Im Frühjahr ist die Luft erfüllt von Bienen, Blütenduft & naja — Sperma. Denn die Bäume ejakulieren gerade heftig, um viele kleine Baumbabys zu zeugen. Einige von uns leiden unter diesen Orgien, wir nennen es dann ‚Heuschnupfen‘, weil das besser klingt als ‚Sperma in der Nase‘.😌“

4. Der Mueller-Report auf dem roten Teppich

Rund um die Veröffentlichung des Mueller-Reports (oder sollte man wegen der vielen geschwärzten Stellen lieber Barr-Report sagen?) hat es auf Twitter ja nicht an klugen Analysen und Beobachtungen gefehlt. Das hier aber ist gleichzeitig so herrlich abwegig und auf den Punkt, dass es eine besondere Erwähnung verdient hat.

5. Geier an der Grenze

Woran erkennt man aus dem Flugzeug die Grenze zwischen Spanien und Portugal? Sie liegt da, wo die Geier in der Luft wenden. Ein paar von ihnen nisten zwar noch in Portugal, aber selbst die fliegen tagsüber rüber nach Spanien. Was das mit Gesetzgebung in Europa und BSE zu tun hat:

6. #Noncreepypeepy

Wenn die schottische Nationalbibliothek twittert, dass man sich doch mal ihre Peepshow ansehen soll – und die sich dann auch noch als deutsch und alt entpuppt:

7. Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal so tun

Einfacher Versuchsaufbau, interessante Resultate: Schüler sollten angeben, wie gut sie wissen, was bestimmte mathematische Begriffe bedeuten – Exponentialfunktion, Vektor, sowas. Doof nur: Drei der Begriffe gibt es nicht. Was viele nicht davon abhält, ordentlich Ahnung vorzutäuschen. Jungs oder Mädchen, wer stellt sich eher schlauer dar als es die Wirklichkeit hergibt? Nun ja:

8. Peniskuchen

Und da dachtet ihr, mit Nummer 3 wäre der NSFW-Teil dieser Threadsammlung abgeschlossen. Und da dachtet ihr falsch, denn Hot Cross Buns, ein englisches Ostergebäck, haben eventuell eine spezielle Geschichte:

9. Der Preis für ein Dirndl

Den Thread hier habe ich mehrfach gelesen und weiß immer noch nicht: Finde ich das jetzt liebenswert und direkt oder anstrengend und übergriffig? Interessant ist es auf jeden Fall, schon allein sprachlich.

10. Bienensöhne und Bienentöchter

Das Video zu Beginn ist schon interessant, aber die Erklärung danach – welche Biene ist mit welcher anderen Biene verwandt und was heißt das für den Bienenalltag – ist richtig faszinierend.

Endlich wieder Lieblingsthreads

Threads

Wir erinnern uns: Es gab hier mal die Idee, monatlich die schönsten, klügsten, unterhaltsamsten Threads zu sammeln. Also die Fälle, in denen Twitter zeigt, dass es mehr sein kann als Nachrichtendurchlauferhitzer, Memegenerator und Trollspielwiese. Wegen Abschieds, Umzugs und Neuankunft bin ich in den vergangenen Monaten zwar zum Sammeln gekommen, aber nicht zum Aufschreiben.

Diesmal gibt es also eine Thread-Sammlung aus den Monaten Dezember bis Februar, von Weihnachten bis Valentinstag. Und wie immer gilt: Der Klick auf den ersten, hier eingebundenen Tweet öffnet den Thread in seiner ganzen Schönheit.

1. Weihnachtsplätzchen und künstliche Intelligenz

Füttere ein neuronales Netz mit den Namen von Weihnachtsplätzchen und lass es dann selber welche erfinden. Ergebnis: „Apricot Dream Moles“, „Hand Buttersacks“, „Grandma’s Spritches“ und, schließlich ist das hier ein christliches Fest, „Lord’s Honey Fight“. Weiter unten im Thread sieht man dann auch, wass passiert, wenn AI ganze Plätzchenrezepte erfinden soll: So. Viel. Zucker.

2. Der kleine blaue Stöpsel

Details aus anderen Berufsfeldern finde ich immer spannend, also auch diese Geschichten rund um einen kleinen blauen Stöpsel. Der, siehe Replies, offenbar manchmal auch rot sein kann. Und so oder so Probleme verursacht, wnen man nicht auf ihn aufpasst.

3. Wie war das noch mal mit dem Ersten Weltkrieg?

#AlexDrunkHistory ist immer lesenswert – wer sonst schreibt schon Einstiegssätze wie den hier:

4. Game of Drones

Was passiert wohl, wenn ich an meiner schicken neuen Superdrohne diesen Knopf hier drücke? Mal probieren. Oh.

5. Ein Haus voller Schrecken

Wer keine Drohne kauft, der kauft ja vielleicht eine Ladung Heuschrecken für seine Haustier-Echse. Kann gut gehen, muss es aber nicht.

6. Was Sie schon immer über Mumien wissen wollten…

Ja, Menschen haben Mumien gegessen, aus Gesundheitsgründen. Ja, andere Menschen haben daraufhin Mumien gefälscht, um sie als Medizin zu verkaufen. Und ja, „Mumien-Auswickel-Partys“ waren mal ein akzeptierter Zeitvertreib. Doch, wirklich.

7. „That is how the Soviet power/Grows with every passing hour“

Tschastuschki sind einfache russische oder ukrainische Lieder, meist kurz und gerne schmutzig. Nicht vom Ausgangstweet abschrecken lassen, nur der ist ausschließlich auf Russisch. In den folgenden gibt es dann jeweils auch eine englische Übersetzung.

8. Wenn jemals jemand seine Eltern beneidet hat…

Stell dir vor, deine Eltern sitzen in einem Zug. Die Fahrt ist soweit ganz gut, nur hinter ihnen sitzt eine Gruppe von Leuten, die ziemlich laut Uno spielen. Klingt unspektakulär, ist es aber nicht:

9. Vom Duft alter Bücher

„I eat books and drink science“ hat Emma Hollen in ihre Twitter-Biografie geschrieben. Dazwischen findet sie noch die Zeit, zu erklären, warum alte Bücher so gut riechen – jedenfalls die aus einer bestimmten Epoche. (Im letzten Tweet gibt es sogar einen Link zum Literaturverzeichnis. Peak Thread?)

10. Valentinstag und Fisch-Schleim

Reim und Schleim, das ist fein. Klingt nach Pumuckl, ist aber offenbar das Motto von Ed Yong, Wissenschaftsjournalist. Er nutzte den Valentinstag, um mit gereimten Tweets ein paar seiner Artikel zu bewerben, und was soll ich sagen: Ich möchte jetzt eventuell einen Schleimaal als Haustier.

11. Vielen Dank, lieber Biber!

Ich weiß nicht genau, was mich mehr freut: ein Vortrag über Biber mit dem wortspieligen Titel „Make (th)em give a dam“, oder all die Infos in diesem Thread darüber, wie sich der Biber nach und nach in Europa wieder verbreitet.

12. Johann Sebastian Keks

Und dann hab ich noch diesen Thread hier gelesen, gemocht und auch an den Antworten unten drunter großen Spaß gehabt: Komponisten und die Kekse, die so sind wie sie. Nom-nom-nom-nooooooom.

Die besten Threads aus dem Oktober

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Eine kleine Umfrage unter Wissenschaftlern hat mich diesen Monat beschäftigt. Die Journalistin Anna-Lena Scholz hat diejenigen Forscher, die Twitter nicht nutzen, nach ihren Gründen dafür gefragt. Der Thread mit den Antworten liest sich für mich vor allem deshalb frustrierend: Weil immer wieder das Argument auftaucht, Twitter tauge nicht dafür, in die Tiefe zu gehen.

Mal ganz abgesehen davon, dass viele der Befragten immer noch von 140 Zeichen sprechen – sich also offensichtlich seit längerem nicht mehr mit Twitter befasst haben – fuchst mich vor allem, dass sie ganz offensichtlich die Arbeit ihrer vielen twitternden Kollegen nicht wahrnehmen oder nicht würdigen. Sonst wüssten sie, wie viele Astrophysiker, Historiker und Zoologen, wie viele Radarfachleute und Experten für Gravitationswellen und Menschen, die wissen, wie unser Hirn uns etwas vorlügt man bei Twitter finden und so schlauer werden kann. Also: Wer mit seiner Antwort in dem Umfrage-Thread vorkommt, sollte vielleicht mal ein paar der folgenden Threads lesen.

Ansonsten gilt wie immer auch in diesem Monat die Gebrauchsanweisung: ein Klick auf den hier eingebundenen Tweet öffnet den ganzen Thread.

1. Ein römisches Boot in einem winzigen See

Caligulas Vergnügungsboot. So groß wie ein Airbus A380. Bebaut mit Palästen aus Marmor. Jahrhundertelang auf dem Boden eines winzigen Sees liegend, bis Mussolini ihn trockenlegen ließ, um das Boot zu heben. Die Geschichte, die Paul Cooper hier erzählt, klingt mit jedem Tweet mehr nach Seemannsgarn, ist aber wahr.

2. Kaum Wikipedia-Beiträge von Frauen

Nur so wenige Frauen, die an Wikipedia mitarbeiten? Na, da müssen sich die Frauen wohl mehr anstrengen! Warum diese Argumentation arg schlicht ist, hat Leonhard Dobusch hier detailliert erklärt. Danke dafür.

3. Ein Versandhauskatalog mit politischer Wirkung

Den Willis Tower, zweithöchster Wolkenkratzer der USA, habe ich dank Schulaustausch noch als Sears Tower kennengelernt – Sears wie die großen Kaufhäuser. Dass das Unternehmen mal als eine Art amerikanischer Otto-Katalog begonnen hat, und warum der für schwarze Amerikaner wichtig und vielen weißen ein Dorn im Auge war, erklärt Louis Hyman.

4. Seehofer auf Trumps Spuren

Wohin es führt, wenn ein prominenter Politiker die Medien zu Volksfeinden erklärt, erleben wir gerade in den USA. Insofern bin ich – trotz Tippfehler an entscheidender Stelle – froh über diesen Thread. Was immer Seehofer sich da zusammenfabuliert, Bastian Obermayer lässt es ihm nicht durchgehen:

5. Inktober trifft Geologie

#Inktober ist, wenn Menschen einen Monat lang täglich etwas mit Tinte zeichnen und das Ergebnis posten. Mika McKinnon ist Geophysikerin und hat sich für ihren Inktober allerlei Wissenschaftsthemen vorgenommen. Mein Lieblingsbild ist das vom 21. Oktober – vor allem wegen des Zusammenhangs zwischen Geologie und Käsekuchen.

6. Zombiepräventionsbestattung

„Und was machen wir jetzt, damit der nicht von den Toten wieder aufersteht und als Zombie zurückkehrt?“ – „Na, wir bestatten ihn mit einer Sichel um den Hals/einem Ziegelstein im Mund/einem Pfahl durch die Genitalien/ohne seine Zunge.“ Alles so passiert:

7. Grünen-Bias bei Journalisten?

Ein Diagramm, das immer mal wieder die Runde macht. Allerdings sind die Zahlen dahinter nicht nur veraltet, die Grafik lässt auch einen ganz entscheidenden Balken weg – den größten sogar. Mehr hier:

7. Aus dem Matheheft eines Dreizehnjährigen

Kommt mir das nur so vor, oder sind es vor allem Museen im englischen Sprachraum, denen die Öffentlichkeitsarbeit per Twitter leicht von der Hand geht? Hier zum Beispiel geht es um einen Archivfund des Museums für ländliches Leben in England. Wir sehen das Heft, in dem Ende des 18. Jahrhunderts ein Schüler namens Richard seine Matheaufgaben erledigte – und vor Langeweile zusätzlich alles Mögliche an den Rand malte: seinen Hund, Schiffe, und dann dieses Huhn…

8. Rechteckige Kühe

Dass man sie besser stapeln wollte wie Melonen kann man wohl ausschließen. Was sonst war also der Grund für eine Epoche, in der Kühe (und Schafe!) in England offenbar rechteckig bzw. quaderförmig waren? Oder zumindest so gemalt wurden? Was will uns der Künstler sagen? So viele Fragen:

9. So. Sahen. Damals. Keine Zeitungen. Aus.

Wirklich nicht. Auch wenn ihr das für euren Historienfilm gern so hättet.

Die besten Threads aus dem September

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Zeit für die monatliche Sammlung lesenswerter Threads. Wobei, ich mach das hier ja auch erst zum zweiten Mal, also lerne ich noch: Letztes Mal war ich zu früh dran, der Monat noch nicht komplett vorbei, also ist mir ein interessanter Thread aus dem August entgangen. Der wird hier direkt mal als Nummer 1 nachgereicht. In Zukunft gibt es diese Sammlung also immer erst dann, wenn der Monat wirklich vorbei ist, um sowas zu vermeiden.

Was gleich bleibt: der Dank an alle, die Interessantes am Stück getwittert haben und an diejenigen, die mich darauf hingewiesen haben. Und wieder gilt: Den ersten Tweet habe ich eingebunden – mit einem Klick könnt ihr ihn öffnen und den gesamten Thread darunter lesen.

1. Gerechte unter den Völkern

Meine frühere Kollegin Ola Cichowlas hat ein Stück Familiengeschichte getwittert. Es geht um Mut, Hilfsbereitschaft und eine späte Anerkennung.

2. The Hitchhiker’s Guide to Flying

Okay, you had me at „Douglas Adams“.

3. Das Mittelalter in Farbe

Wer sich für mittelalterliche Manuskripte interessiert, der sucht nach ihnen vielleicht nicht gerade als erstes auf Twitter. Sollte er aber, schon wegen Damien Kempf.

4. Das Leben und der Programmierer

Ein Thread, zu dessen Anfang man denkt, es geht um Technologie – und dann versteht: Das Thema ist ein wenig größer.

5. Was ist das da auf dem Regenradar?

Ist es ein Vogelschwarm? Sind es Fledermäuse? Oder doch Libellen? Ja, es gibt tatsächlich Menschen, die das anhand von Radarbildern unterscheiden können, und die Logik dahinter ist faszinierend:

6. „The long run. Wasn’t that long ago.“

Kein wissenschaftlicher Thread, sondern ein hoch persönlicher, über die Zeit, als sich HIV/AIDS in den USA erstmals verbreitete. All diese Trauer, in so vielen kleine Beobachtungen – dieser Thread ist mehr als ein paar Tweets, das ist Literatur. Nur halt in einem Format, das wir so noch nicht gewohnt sind.

7. Mosaike aus Georgien

Georgien hat nicht nur grandiose Natur und extrem leckeres Essen, sondern – natürlich – auch seinen Anteil an der sowjetischen Geschichte. Dieser Thread zeigt, was aus den farbenfrohen Dekorationen eines Pionierlagers geworden ist.

8. Virtual-Reality-Vagina

Wer ein Android-Handy hat, kann neuerdings per App durch die Vagina einer Ente reisen. Doch, wirklich. Was sich die Forscher hinter dem Projekt dabei gedacht haben, und warum man im Internet deutlich mehr Infos über Tierpenisse findet als über Tiervaginas, steht hier:

9. Mineral gegen Mineral

Gestern endete ein Turnier, das den ganzen September hindurch in einer Twitter-Nische begeistert verfolgt wurde, nämlich von Geologen: Beim #MinCup2018 treten jeden Tag zwei Minerale gegeneinander an, Wissenschaftler argumentieren per Twitter, welches von ihnen besser ist. Da stehen dann Menschen mit Schutzhelmen in der Landschaft und rufen „Quartz! Quartz! Quartz!“, schreiben Gedichte über die Final-Entscheidung Eis vs. Granat. Das Ergebnis gibt’s hier.

10. Eine Familiengeschichte in Russland und anderswo

Wir haben mit einer Familiengeschichte angefangen, dann hören wir auch mit einer auf. Leonid Ragozin erzählt am Beispiel seiner Vorfahren, was es in den letzten paar Generationen bedeutet hat, in Osteuropa zu leben. Wieviel Umsturz, Krieg und Leid. Wie oft man sich auf verschiedenen Seiten fand oder wechselnden, willkürlichen Mächten ausgesetzt war.

Die besten Threads aus dem August

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Ein paar Wochen ist es her, da habe ich hier mal ein paar der interessantesten, klügsten, schönsten Threads zusammengebloggt, die Twitter so hergab. Das hat mir großen Spaß gemacht, euch offenbar auch (danke für die Rückmeldungen), außerdem wurde seitdem schon wieder eine ganze Reihe neuer Threads veröffentlicht, die ich gerne festhalten und feiern möchte.

Darum versuche ich das ab sofort mal monatlich, als kleine Thread-Kollektion – so, wie die Lieblingstweets von Anne Schüßler, der Kaltmamsell oder Maximilian Buddenbohm.  Erkennen könnt ihr diese Blogpost-Reihe an ihren formschönen Stockfotos mit allerlei Nähgarn. (Threads, geddit?). Jeweils den ersten Tweet eines Threads binde ich ein, wer weiterlesen will, muss nur draufklicken. 

1. Streets of Mannheim

Stell dir vor, du willst abbgiegen, aber die Straße auf deiner Karte gibt es nicht. Warum sollte man Stadtpläne oder Landkarten bewusst fälschen? So viele Gründe!

2. Professionelle Pflegekräfte

Diesen Thread habe ich mit Rührung gelesen – und mit dem Gefühl, dass ihn bitte auch all diejenigen lesen sollen, die den Pflegenotstand beenden wollen, indem sie Schulabgänger dienstverpflichten.

3. Mehr als nur Arielle

Nicht jede Meerjungfrau ist weiß – egal, wie oft man „Arielle“ guckt.

4. Ein Haar-Spickzettel

Afros, Dreadlocks, Braids, Weaves kannte ich. Conks, Twists, Instadreads und TWAs (teeny weeny afros) nicht. Ein Frisuren-Thread mit vielen politischen Aspekten.

5. Doping im Detail

Wer wie Mehmet Scholl nicht mit diesen leidigen Berichten über Doping in Russland behelligt werden will, der sollte diesen Thread besser überspringen. Zu dreist und zu absurd ist, was dort beschrieben wird.

6. Technik, die begeisterte

Vor gar nicht allzu langer Zeit haben viele Menschen Zeit und Erfindungsreichtum investiert, um Taschenrechner praktischer, kleiner und manchmal auch schöner zu machen.

7. Der Fotofund

Noch eine Zeitreise, diesmal deutlich weiter zurück. Zwischen Faszination, Grusel und Grinsen über diesen Typen, der auf dem Flohmarkt einen Verkäufer knallhart noch von 5 auf 4 Pfund runtergehandelt hat, um dies hier zu erstehen:

8. Für Radioleute

Es gab Zeiten, da hatte ich mal denselben Job wie dieser Twitterer hier: Bei einem kleinen Radiosender am Wochenende morgens als einzige auflaufen, und dann einen Tag lang darauf achten, dass die Musik wie geplant läuft. Hätte ich mal, statt zwischendurch Verkehrshinweise vorzulesen, lieber so einen großarigen Patzer gemacht wie er:

9. Lenins Fahrradpannen

Lenin und Slapstick, das fällt einem aus dem Stand nicht zusammen ein. Diese Sammlung an Missgeschicken, die ihm beim Radfahren geschehen sind, ist um so lustiger.

Das war’s mit den Threads für August. Wenn euch welche begegnen, die in der Septemberausgabe dringend dabei sein sollten, dann sagt gern Bescheid – in den Kommentaren, bei Twitter oder wie auch immer ihr mögt.

Russball, Folge 59: Gibt es ein Fußball-Leben nach der WM?

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So ist das also, einen guten Monat nach Ende der Fußball-Weltmeisterschaft: In Moskau sieht man wieder Bettler auf den Straßen im Zentrum, auf der Nikolskaja Ulitsa trifft man abends keine feiernden Menschen mehr, die WM-Deko ist aus dem Stadtbild verschwunden. Nur in den kleinen Souvenirkiosken in den Unterführungen warten übriggebliebene Maskottchen noch auf ein Zuhause. Neulich habe ich ganz kurz sogar bei Gett, der Taxi-App meines Vertrauens, einen Fahrtpreis angezeigt bekommen, an dem nicht „wegen besonders hoher Nachfrage“ stand. Ich glaube, das habe ich zuletzt irgend wann Anfang Juni gesehen, vor der WM.

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⚽  Wie war das noch zu Beginn der WM? Russland dümpelte irgendwo unten im FIFA-Ranking rum, kein anderes Teilnehmerland war schlechter eingestuft. Und jetzt, nach dem überraschend erfolgreichen Turnier? Ein Sprung nach oben in die Top 50, wo sich nun Russland und Nigeria den 49. Platz teilen. Gleichzeitig ist Deutschland deutlich eingebrochen – Platz 15 statt Platz 1.

kscheib russball russland fifa ranking

Betriebe man sehr schlichte Statistik und schriebe diese Tendenz so fort (also Russland erneut 21 Plätze rauf und Deutschland erneut 14 Plätze runter), dann stünde schon beim nächsten Update der FIFA-Liste die russische vor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft: Platz 28 zu Platz 29. Klar, so einfach ist das nicht mir der Rechnerei hinter dem Ranking. Aber dass die beiden Mannschaften so schnell so nah aneinanderrutschen, hätte vor der WM wohl niemand vorhergesagt.

⚽ Noch eine entscheidene Veränderung nach der WM, auch diesmal geht es um die russische Nationalmannschaft, oder zumindest um einen ihrer Spieler: Fjodor Smolow, der vor dem Turnier als die eine große Hoffnung des Teams galt, dann aber von Mannschaftskameraden wie Artjom Dsjuba in den Schatten gestellt wurde. Smolow jedenfalls spielt nach rund drei Jahren beim FK Krasnodar ab sofort bei Lokomotive Moskau, dem amtierenden Meister.

Wäre es bei der Weltmeisterschaft für ihn besser gelaufen, dann würde er jetzt vielleicht international spielen, vermutet Russian Football News und sagt voraus: Damit wird’s wohl nun nichts mehr, schließlich ist der Mann schon 28. Wer Smolow bei Krasnodar ersetzen könnte, das hat unterdessen Sports.ru aufgeschrieben.

⚽ Besagter Artjom Dsjuba, das soll hier nur kurz erwähnt werden, hat ebenfalls einen neuen Job, allerdings ohne den Verein gewechselt zu haben. Der Mann ist ab sofort Führungskraft, als Stimme bei Yandex Navigator führt er Autofahrer durch den Verkehr,, mit allerlei Anspielungen aus der Fußball-Sprache einschließlich Abpfiff-Jubel beim Erreichen des Ziels. Dsjuba ist als Neuzugang im Navi-Sprechteam in illustrer Gesellschaft: Bisher konnte man sich schon von Darth Vader und von Optimus Prime durch den Verkehr lotsen lassen.

⚽ Was ist der Stoff, aus dem gute virale Inhalte gemacht werden? Die Frage, mit der sich Social-Media-Leute in aller Welt beschäftigen, ist nun endgültig beantwortet, und zwar von einem Fan des FK Rostow. Statt Fahne oder Banner brachte er einen Teppich mit ins Stadion, um seinen Verein beim Spiel gegen Jenissei Krasnojarsk anzufeiern. Erfolgreich, Rostow gewann mit 4:0 und twitterte anschließend ein Foto des Fans samt Jubelteppich. Dazu das Versprechen: „500 Likes, und wir legen so einen Teppich bei uns ins Vereinsheim!“

Die Likes waren schnell zusammen, aktuell sind es bereits über 2000 – der Teppich liegt nun wie versprochen am Ehrenplatz. In einem Interview erzählte Alexej, der Rostow-Fan, dass dies nicht sein erster Ausflug mit dem Teppich war, der normalerweise einfach bei ihm zuhause rumliegt: „Ein paar mal hab ich ihn auch schon mit ans Meer genommen, einfach um da mit ein paar Freunden zu entspannen.“ Rostow hat jetzt noch mal nachgelegt und bietet ab sofort auch ein Fußball-Trikot in Teppichmuster an. Hübsch hässlich – Vorbestellungen gibt es schon ein paar hundert.

Rostow teppich shirt kscheib russball

⚽ Wo wir gerade beim Thema Virales sind und der FK Jenissei schon erwähnt wurde: Bei dem hat neulich ein Fußball-Fan seiner Freundin in der Halbzeitpause einen Heiratsantrag gemacht, verkleidet als das Vereinsmaskottchen. Wer’s mag. Wobei mir die Vorstellung gefällt, dass auf deren Kaminsims daheim nun dauerhaft ein Foto steht, er mit Löwenkörper, sie mit diesem Gesichtsausdruck: „Ich kann nicht fassen, dass du das hier gerade vor all den Leuten machst. Aber ich lächle mal, und den Rest klären wir zuhause.“

⚽ Beim Nachrichtensichten für diese Russball-Ausgabe musste ich kurz daran denken, wie das damals vorm Volontariat war. Ich hab in Dortmund studiert, die Voloplätze wurden über das Institut für Journalistik vergeben. Vor der Beginn des Vergabeverfahrens gab es für jeden Jahrgang eine Abstimmung: Wollt ihr einen Sozialfonds gründen – jetzt, wo ihr noch nicht wisst, wer die anständig bezahlten Plätze bekommt und wer die schlecht bezahlten? Ein bisschen interne Umverteilung, bei der die paar Glücklichen mit Tarifgehalt (was de facto hieß: die Volontäre bei der Rheinischen Post) den Kommilitonen mit dem schlechtesten Gehalt (RTL? Ich weiß es nicht mehr genau) ein bisschen was abgeben. Wir haben dafür gestimmt.

An diese Entscheidung fühlte ich mich erinnert, als ich von einer Idee hörte, die unter den Vereinen der russischen Premjer-Liga kursiert. Dort mitzuspielen, das bedeutet lange, teure Reisen zu Auswärtsspielen, oft halbvolle Stadien – und nicht jeder Verein hat das Privileg, einem Staatsunternehmen oder reichen Unternehmer zu gehören. Russlands oberste Liga spielt daher nun mit dem Gedanken, einen „Stabilisierungsfonds“ einzurichten, um Vereinen bei akuten Geldproblemen unter die Arme zu greifen. In Dagestan werden sie diese Idee sicherlich mit Freude hören: Anschi Machatschkala spielt zwar in der Premjer-Liga, der Verein ist aber bei den Spielergehältern aktuell mit rund drei Millionen Euro im Rückstand.

⚽ Das Problem mit den nur halbvollen Stadien ist aktuell übrigens nicht so ausgeprägt wie sonst. Die Fußball-Begeisterung, angefacht durch Russlands unrwartet gutes Abschneiden bei der WM, hält an, viele Vereine verkaufen derzeit deutlich mehr Tickets als sonst. Mehr als 400.000 Zuschauer bei den ersten 15 Liga-Spielen – „ein großer Sieg für den russischen Fußball“, sagt Vizeministerpräsidentin Olga Golodez. Am vierten Spieltag der aktuellen Premjer-Liga-Saison kamen insgesamt 172 407 Zuschauer in die diversen Stadien, das ist laut Russian Football News nur ganz knapp hinter dem ewigen Liga-Rekord:

⚽  „Es ist inakzeptabel, dass Anlagen, die für solch ein großes Sportereignis gebaut wurden, und in die riesige Summen aus dem Haushalt investiert wurden, so schnell verfallen.“ Das sagt nicht irgendwer, sondern Alexander Wassiljew, Duma-Abgeordneter und hochrangiges Mitglied der Putin-Unterstützungsorganisation „Gesamtrussische Volksfront“.

In einer Pressemitteilung zählt sie Beispiele aus Samara, Wolgograd und Nischni Nowgorod auf, wo Teile der WM-Infrastruktur bereits beschädigt sind, Wege unterspült, gepflanzte Sträucher schon wieder verdorrt. Die Volksfront fordert nun von den Behörden vor Ort Erklärungen, wie es dazu kommen konnte – und wird die angesichts ihrer bekanntermaßen guten Kontakte in den Kreml wohl auch bekommen.

⚽ Was auch in diese August-Ausgabe gehört: Das Spiel zwischen Zenit St. Petersburg und Dinamo Minsk in der Europa League. Ich hab lange überlegt, wie ich dieses Spiel hier knackig zusammenfasse – und dann fiel mir auf, dass mein früherer Kollege Henni das netterweise übernommen hat:

Es war das erste Mal, dass ein russischer Fußballclub in einem europäischen Wettbewerb ein 0:4 aus dem Hinspiel wiedergutgemacht hat. Für Sergei Semak sicher ein Highlight seiner noch nicht allzu langen Zeit als Zenit-Trainer. Da wird man schon mal zum Poeten: „Das war ein heldenhaftes Spiel der Mannschaft, erst recht in Unterzahl“ sagte Semak nach dem Sieg. „Sie haben sich selbst in diese Situation gebracht, und sie haben sich selbst da wieder rausgeholt. Da schmeckt der Sieg um so süßer.

⚽ Dass ihr mit eurer Fan-ID bis Jahresende visafrei nach Russland einreisen dürft, haben diejenigen von euch, die im Sommer hier waren, sicher schon mitbekommen. Schließlich fiel die politische Entscheidung dazu schon Ende Juli, seit 3. August ist die Regelung in Kraft. Und weil Besucher Geld ins Land bringen und es für Hotelbetten, Eintrittskarten, Bier und Pelmeni ausgeben, wird die Sache jetzt noch mal beworben, mit einer Mail an alle, die damals zur WM eine Fan-ID beantragt haben. Eine Mail, die mit dem längsten, verschachteltesten Satz beginnt, den ich seit langem gelesen habe:

kscheib fussball fan id email screenshot

⚽⚽⚽

Zum Schluss noch ein Abstecher nach Weißrussland, quasi „Weißrussball“: Ihr erinnert euch, dass Diego Maradona als Präsident von Dinamo Brest vorgestellt wurde und da zum Auftakt mal ganz dezent mit einem Fahrzeug vorfuhr, das wohl entsteht, wenn sich ein Jeep und ein Panzer sehr, sehr lieb haben.

Seitdem hat sich Präsident Maradona in Brest nicht mehr blicken lassen. Wann oder ob überhaupt er mal mit der Arbeit beginnt – unklar. Wie Maradona den Fanboy für Weißrusslands autoritären Präsidenten Lukaschenko gibt, und was Dinamo-Fans sagen, wenn man sie auf den neuen Vereinschef anspricht, hat Denis Trubetskoy aufgeschrieben.

Die nächste Russball-Folge gibt es Ende September – bis dann!



 

Zehn Threads, um schlauer aus dieser Woche rauszugehen als rein

enceladus mond nasa threads

Ein Ding, das Twitter in diesen Tagen noch erträglich, ja oft sogar lohnend machen, sind für mich Threads. Nicht die rantigen, nicht die, in denen irgendwelche heißen Stories über die Sitznachbarn im Flugzeug erzählt werden. Nein, ich meine die Threads, in denen Leute, die sich mit einem Thema auskennen, ihr Wissen mit uns teilen. Die Queen, die mit ihren Broschen Signale an Donald Trump schickt, sowas in der Art. Ich hab mal bei Twitter nach Beispielen gefragt, es kamen so einige zusammen.

Erst hatte ich überlegt, einen Thread über solche Threads zu twittern – total meta und so. Aber im Blog hat man dann doch mehr Platz, um jeweils ein paar Sätze zur Einordnung loszuwerden. Darum hier, als Lesefutter für euer Wochenende, zehn Threads, dank derer ihr schlauer aus dieser Woche rausgehen könnt, als ihr reingekommen seid. (Wer sich mit Twitter nicht so auskennt: ein Klick auf jeden der hier eingebundenen Tweets öffnet ihn und zeigt den ganzen Thread dann darunter an.)

1. Die Jugend von heute und von damals

Die aktuell jeweils junge Generation ist natürlich immer die schlimmste aller Zeiten – respektlos, faul, laut und so weiter. Nach einem Artikel in der Times über Millennials als „the lamest generation“, die zu unterrichten angeblich nahezu unmöglich ist, hält Jenny Bann dagegen.

Sie hat historische Quellen dazu ausgewertet, wie sich Studenten im 18. Jahrhundert so danebenbenommen haben. Von „Sänfte mieten und sie dann zerstören“ bis „sich mit dem Chemie-Dozenten über die Frage prügeln, warum Soldaten Rot tragen“ ist so ziemlich alles mit dabei.

2. Kindersoldaten kehren heim

Zehntausende Kinder hat die sogenannte „Lord’s Resistance Army“ (LRA) in Uganda entführt und gezwungen, als Soldaten für sie zu kämpfen. Die Journalistin Sally Hayden sitzt mit im Auto, als drei von ihnen 16 Jahre später zu ihren Familien zurückkehren. Ein berührender Thread, aus dem man viel über die jüngste Geschichte in Uganda lernen kann.

3. Ein Roadmovie mit zwei englischen Adeligen

Tröstlich zu wissen, dass auch im 17. Jahrhundert eine gesellschaftlich herausgehobene Stellung und gesunder Menschenverstand nicht immer zusammengehörten. Damals machten sich nämlich zwei englische Adelige auf den Weg nach Spanien, total inkognito. Also: So inkognito, wie man halt sein kann, wenn man nicht mal ausreichendes Kleingeld für die Fähre dabei hat und daraufhin versucht, ganz lässig mit einem ganzen Goldstück zu bezahlen.

4. Die hellste Oberfläche im Weltall

Diese Mischung aus Weltraum-Nerdtum, Fachwissen und Spaß an Alltagssprache – das ist der Mix, der die Tweets von @DLR_next. so gut macht. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt lässt dort jemanden twittern, der erkennbar Spaß an Wissenschaftskommunikation hat. Von den vielen Threads, die das zeigen, habe ich mir einen vergleichsweise kurzen rausgesucht:

5. Handarbeit und der Untergang einer Dynastie

Was soll ich sagen: Wenn deine Schwägerin dir eine von ihr handbestickte Tasche schenkt, schenk sie halt nicht deinem Liebhaber weiter. Erst recht nicht, wenn der dann dumm genug ist, sie öffentlich zu tragen.

6. Das Tor zur Hölle

Noch ein Geschichtsthema: Im antiken Griechenland war die Stadt Hierapolis berühmt für ihr angebliches Tor zur Hölle. Priester führten Tiere in diese Höhle, die daraufhin innerhalb kürzester Zeit tot umfielen – nicht aber die Menschen, die sie begleiteten. Wie das kam, und warum dort noch immer Vögel tot aus der Luft fallen:

7. Wie unsere Augen lügen

Ein Thread, den ich zweimal lesen musste und dann erst mal googeln: Dieser Mechanismus, der da beschrieben ist, klingt einfach extrem seltsam und unwahrscheinlich. Ist er auch – aber eben auch wahr. Und jetzt weiß ich auch endlich, warum es oft so wirkt, als ob der Sekundenzeiger einer Uhr stehengeblieben ist, wenn man neu auf sie blickt.

8. Ein finnischer Scharfschütze

Marina Amaral, das habe ich beim Zusammenstellen dieser Beispiele gelernt, ist sowas wie die Mutter des historischen Threads. Manche davon, zum Beispiel zu König Edward VII, dem ältesten Sohn von Königin Victoria, ziehen sich über Dutzende von Tweets. Mich hat aber, vielleicht wegen des Russlandbezugs, dieser hier besonders interessiert, in dem sie die Geschichte von Simo Häyhä erzählt.

9. Das gehässigste Fleckchen Erde in ganz New York

„Spite houses“, das Phänomen kannte ich: Häuser, die auf eine bestimmte Art gebaut wurden, um Nachbarn zu ärgern oder die Kirche oder andere Familienmitglieder. Dass aber auch schon ein kleines Dreieck an Grundbesitz ausreichen kann, um auf seinem Standpunkt zu beharren und es den anderen mal so richtig zu zeigen, habe ich aus diesem Thread hier gelernt:

10. Raumfahrt und die Menschen im Altai

Paul Cooper hat weiter oben schon die Geschichte mit dem Tor zur Hölle erzählt, aber was soll’s – der Mann schreibt so großartige Threads, der darf hier auch zweimal vorkommen. Diesmal geht es um das einst sowjetische, heute russische Raumfahrtprogramm. Beim Start einer Rakete von Baikonur fallen die aufgebrauchten Stufen nach dem Start im Altai-Gebirge zur Erde und werden so zu einer Gefahr für die Menschen, die dort leben. (Das beeindruckende Foto ist, wie einige in diesem Thread, von Jonas Bendiksen.)

(Das Foto zu diesem Blogpost zeigt den Saturnmond Enceladus. Quelle: NASA/JPL/Space Science Institute)

Russlands Fußball-WM in Tweets

Wer gegen wen wie gespielt hat bei der Fußball-Weltmeisterschaft, das kann man überall nachlesen. Um den Fakten ein Stimmungsbild zur Seite zu geben, habe ich in den letzten Wochen zusätzlich Tweets gesammelt. Kleinigkeiten, Randnotizen, GIFs, Witze, Memes – alles, was dazu beiträgt, dass von diesem Turnier nicht nur hängen bleibt, dass Deutschland früh rausflog und Frankreich Weltmeister wurde.

14. Juni

Tag des Eröffnungsspiels. Stalin ist genervt, weil die WM-Touristen sein Geschäftsmodell ignorieren:

15. Juni

Vorsicht vor Journalisten, die Gardinen im Hotel klauen!

16. Juni

Dieser mexikanische Fan in Moskau hat sich “Ich bin unverheiratet” aufs Trikot drucken lassen.

17. Juni

Jemandem ist aufgefallen, dass Mo Salah aussieht wie Puschkin. Tatsächlich hatte Puschkin afrikanische Vorfahren.

18. Juni

Die Freiheiten, die viele Fans in Russland haben, sorgen bei einigen Russen für Fragen.

19. Juni

Engländer auf Einhörnern. Doch, wirklich.

20. Juni

Hurra, in einer Pizzeria in Moskau gibt es jetzt Tschertschessow-Pizza

21. Juni

Okay, kein WM-Tweet, aber doch einer zu einem Fußballthema in Russland: In diesen Trikots spielt der FK Jenissei in der kommenden Saison. Doch, wirklich.

22. Juni

Russland hat einfach die schönsten Schlaglöcher. So schön, dass in Nischni Nowgorod die Fans schon darin für Fotos posieren.

23. Juni

Subtil.

24. Juni

Geschichten, für die ich nicht genug Mut hätte. Gut, dass sie jemand anderes schreibt.

25. Juni

Strategen gibt es eben nicht nur auf dem Platz.

26. Juni

Hinreißender Aushang in einem Wohnblock in Jekaterinburg: “Wir möchten Sie aufmerksam machen, warum es hier derzeit lauter ist als gewohnt. Ich habe derzeit Gäste aus Peru aufgenommen. Wenn Sie plötzlich einen Peruaner herumstehen sehen, helfen Sie ihm bitte mit Rat und Tat oder etwas anderem und bringen Sie ihn zu Wohnung Nummer 81. Denken Sie dran: Wir wollen einen guten Eindruck hinterlassen! Am anderen Ende der Welt und sogar auf der anderen Hemisphäre wird man dann gut von uns denken! Das ist absolut kein kommerzielles Projekt. Peru ist kein reiches Land, meine Peruaner sind Elektriker, die für die Reise einen Kredit aufgenommen haben, und sie leben hier komplett umsonst. Ich bitte Sie eindringlich, versuchen Sie nicht, sie abzuzocken oder sich an ihnen zu bereichern. Am Samstag ist alles vorbei, ertragen wir’s und schauen Fußball. Den Sieg für unsere Mannschaft! Und Erfolg der Mannschaft von Peru!”

27. Juni

Was macht eigentlich… Kevin Keegan?

28. Juni

„Das Spiel Deutschland – Korea in einem Bild“. In der Sprechblase steht: „Helft mir!“

29. Juni

Oleg Nawalny ist wieder frei. Mehr hier.

30. Juni

Frage an zwei Polizisten: “Darf ich eigentlich nach der WM dann auch hier so rumlaufen und auf offener Straße was trinken?” – “Sind Sie Russe?” – “Ja” – “Dann nicht, nur als Ausländer, denen hat man ja hier alles erlaubt.”

1. Juli

Konnte ja keiner ahnen, dass Russland es über die Vorrunde hinaus schafft:

2. Juli

Frage an das kleine Mädchen im Auto: „Und wer ist cooler, Dsjuba oder Akinfejew?“. Und sie so: „Beide!“ Es folgen 35 Sekunden Begeisterung, die man auch ohne Russischkenntnisse versteht:

3. Juli

Was man bei der prächtigen WM nicht vergessen sollte.

4. Juli

Ach komm, zumindest ein Tweet zu dem Thema darf auch hier rein.

5. Juli

Ist es okay, hier auch einen meiner eigenen Tweets zu verwenden? Wenn ich damit das Motiv würdigen möchte und nicht den Tweet, dann hoffentlich ja:

6. Juli

Lieblings-GIF vom Spiel zwischen Brasilien und Belgien:

7. Juli

Was Max sagt.

8. Juli

Notiz an Grindel, Bierhoff und Konsorten: So geht man souverän mit einem WM-Aus um.

9. Juli

Was nervt:

10. Juli

Ich mag ja so Ecken hier in Moskau. 

11. Juli

“Sagen Sie uns doch bitte als aus der Ferne angereister Gast, wie Ihnen Moskau während der WM gefallen hat.” – “Ich war überrascht vom guten Service und den freundlichen Menschen, damit hatte ich nicht gerechnet” – “Und woher kommen Sie?” – “Aus (dem Moskauer Vorort) Textilschiki”

12. Juli

Kann ja nicht alles nur lustig sein hier. Das hier ist stattdessen lehrreich.

13. Juli

Wie Spartak Moskau mal ganz selbstbewusst ein Testspiel parallel zum WM-Finale ansetzte. (Haben sie dann später doch noch verschoben.

14. Juli

Eigentlich wollte ich auch zum Gurkenfest nach Susdal – wer braucht schon das Spiel um die goldene Ananas? Stattdessen habe ich morgens den Zug verpasst und abends das Spiel verschlafen. Es waren halt lange Wochen. Immerhin: Der Kollege war da.

15. Juli

 

 

Champagner!