Die besten Threads aus dem März

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Dieser Blogpost muss unbedingt heute veröffentlicht werden. Denn sonst ist plötzlich der 31., also Wahl in der Ukraine, und dann nützt euch das ganze Wissen nichts mehr, das Polina Ivanova zusammengetragen hat. Außerdem geht es diesmal auch um Fledermäuse, Fahrräder, den Brexit (gleich zweimal) und um Masern. Und wie immer gilt: Ein Klick auf den hier eingebundenen ersten Tweet öffnet jeweils den ganzen Thread. Viel Spaß!

1. Hintergrundwissen zur Ukraine-Wahl

Wer sind die Kandidaten, wofür stehen sie und was ist das für ein Land, in dem da gewählt wird? Worauf achten die Wähler in einem Land, in dem in den letzten Jahren 13.000 Menschen in einem bewaffneten Konflikt gestorben sind? All das zusammenzutragen war eine echte Fleißarbeit – ein Thread, nach dem man schlauer ist.

2. Brexit-Kuchen

Deutlich weniger klar terminiert als die Ukraine-Wahl ist der Brexit. Anstelle eines ähnlich klugen, hintergründigen Brexit-Threads gibt es also dies hier:

3. Brexit-Suche

Und hier erklärt ein Abgeordneter anhand der Zuschriften aus seinem Wahlkreis, warum es nicht so leicht ist „einfach für leave zu stimmen“. Denn: Welches „leave“ genau wollen die Wähler denn wohl?

4. Mehr als bloße Deutschtümelei

Als ich in Dortmund studiert habe, gab es Walter Krämer und seinen Verein Deutsche Sprache auch schon. Damals war mein Eindruck, dass da jemand nicht ganz ungeschickt seine Position an der Uni nutzt, um seinem Nicht-Uni-Projekt zu mehr Öffentlichkeit zu verhelfen. Krämers Klub machte so Sachen wie der Deutschen Bahn einen „Sprachpanscher“-Preis zu verleihen, weil der Infostand dort „Service Point“ heißt. Ehrlicherweise habe ich mich seitdem nicht mehr groß für Krämer interessiert – was möglicherweise ein Fehler war. Denn aus der Deutschtümelei ist eine sehr viel deutlichere Rechtsneigung geworden. Man kann das bei Übermedien nachlesen oder im folgenden Thread (vor dem es sich lohnt, einmal hier zu klicken).

5. Impfpflicht oder nicht?

Weil wir im Moment ja mal wieder über Masern und das Impfen reden bzw. reden müssen. Und weil mir bisher die Idee einer „Impfpflicht“ auch ganz einleuchtend erschien. Leute, die zu dem Thema forschen, sehen das naturgemäß ein wenig differenzierter:

6. Zwei Weltraumschildkröten

Es ist 1968. Nummer 22 und Nummer 37 sind bereit. Sie werden die Reise rund um den Mond und zurück zur Erde antreten. Endlich würdigt ma jemand diese beiden Weltraumschildkröten, wenn auch nur in einem Thread:

7. Weibliche Schamhaare im Wandel der Zeit

Wer das englische Wort „merkin“ nicht kennt, für den dürfte dieser Thread besonders lehrreich sein. Faszinierend und lustig und abseitig ist er ohnehin. „I didn’t want to be the only one who knew this“ – ja, das kann eine gute Begründung für einen Thread sein.

8. Frauen, Fahrräder und Selbstbestimmung

„Fahrräder gehörten zu den ersten Dating-Apps“. Schön pointiert, wenn auch auf Anhieb nicht so leicht nachvollziehbar. Es geht darum, dass das Rat es Frauen ermöglicht hat, etwas freier zu entscheiden, wie und mit wem sie ihre Zeit verbringen wollen. Das kam bei einigen männlichen Zeitgenossen nicht gut an:

9. Das MERL mal wieder

Wenn ich groß bin, werde ich Social-Media-Redakteurin beim Museum of English Rural Life. Die haben einfach so einen Spaß an ihrem Thema und am Geschichtenerzählen, es ist eine Wonne. Jüngstes Beispiel hier, einschließlich Bildungsauftrag: Woran erkennt man, ob eine Fledermaus männlich oder weiblich ist? Natürlich am Albino-Igel.

10. Wenn Frauen baden…

…dann haben sie natürlich eines dieser schicken Tabletts, die man quer auf die Wanne legen kann. Und darauf stehen die abwegigsten Dinge.

F*** dich, nur halt auf Russisch

Wir haben Weißwein in Omas guten Gläsern. Wir haben Oliven in kleinen, weißen Schälchen. Wir haben Zahnstocher, um uns die Oliven aus ihren Schälchen herauszupicken. Ein zivilisierter, lehrreicher Abend soll es werden, für ein Grüppchen Deutsche um einen Tisch in einem Moskauer Wohnzimmer. Er beginnt damit, dass unsere Lehrerin vier Worte aufschreibt und hochhält: Schwanz. Fotze. Ficken. Hure.

Was soll ich sagen: Es geht hier um Linguistik und um Landeskunde, um ein Alltagsphänomen der russischen Sprache, das im normalen Russischunterricht nicht vorkommt: Wir lernen heute Mat, die russische Fluchsprache. Was hatten wir Witzchen gemacht vor diesem Treffen: „Was soll ich denn mitbringen zu dem verdammten Abend?“ – „Ach, vielleicht ein paar Kekse oder so nen Scheiß.“ Ein netter Versuch, bestenfalls. Wir hatten ja keine Ahnung.

„Ich liebe Mat, es ist unglaublich vielseitig und variabel“, sagt Dascha, die heute Abend netterweise die Dozentin gibt. Sie ist Russin, Journalistin und Mat-Sprecherin mit Hingabe und aus Überzeugung. „Das ist kein Phänomen, das du nur bei der ungebildeten Landbevölkerung findest, auch die Intelligenzija verwendet es“, erzählt sie und erwähnt den Namen eines Chefs aus den Zeiten, als sie und ich noch beide Redakteurinnen bei der Moscow Times waren. „Erinnerst du dich, der hat mich gesiezt, aber gleichzeitig im Gespräch mit mir Mat verwendet.“ Diese Fluchsprache sei daher vieles, aber jedenfalls kein verlässlicher Anhaltspunkt für das Bildungs- oder sonstige Niveau ihres Benutzers.

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Eines hat Dascha von Anfang an klar gemacht: Wenn, dann machen wir das hier richtig. Sie hat ein kleines Whiteboard gekauft, einen Vortrag vorbereitet – 30 Minuten sind angepeilt, danach Zeit für Fragen. Genau so strukturiert geht sie auch ihre erste Runde Vokabeln an, schreibt erst auf Russisch, dann nach englischen Ausspracheregeln transliteriert, schließlich die Übersetzung. Neben „хуй“ steht erst „khui“, dann „dick“. Sieben brave Schüler nicken und notieren auf Deutsch: „Schwanz“.

Chui, pisda, jebat und bljad. Schwanz, Fotze, ficken und Hure. Es sind die vier Wörter, die in Russland qua Gesetz eigentlich kein Journalist in seinen Artikeln und kein Musiker in seinen Songs verwenden soll. Was sie natürlich für viele musikalische Genres erst recht interessant macht. „Von manchen großen Hits gibt es zwei Versionen, eine mit Mat und eine ohne“, erzählt Dascha, selbst in Puschkin-Gedichten fänden sich Mat-Flüche. Dascha selber sollte, so will es die russische Tradition, mit dieser Flucherei eigentlich nichts am Hut haben, „weil wir Frauen ja schließlich alle zarte kleine Blümchen sind, da tut man das nicht.“ Wenn sie in einem Café sitzt und mit einer Freundin mal so richtig angeregt redet, gespickt mit Mat, dann kommt auch schon mal ein Mann vom Nebentisch rüber und sagt sowas wie: Nanana, Mädels, das gehört sich aber nicht, wie ihr da sprecht.

Dascha ist das egal, im Café genau so wie bei unserem kleinen Crashkurs. Einmal das Whiteboard wischen und weiter geht’s, denn von jedem der vier Kernbegriffe gibt es unzählige Ableger. Eine kleiner Auszug, am Beispiel von „chui“:

– paschol na chui: wörtlich „geh zum Schwanz“, bedeutet sowas wie „verpiss dich“
– mnje pachui: „ist mir schwanzegal“
– nachui: wörtlich „zum Schwanz“, bedeutet in etwa „zur Hölle damit“
– nachuija: ein gefluchtes „Weshalb“, in etwa so: „Weshalb zum Schwanz regnet es heute schon wieder?“
– nichuja: ein gefluchtes „Nichts“, in etwa so: „Ich warte auf den Anruf, und was passiert? Kein Schwanz.“
– chujowi: beschissen

„Das Beste kommt aber erst jetzt“, sagt Dascha und grinst. „Ihr könnt von diesen vier Wörtern nicht nur Formulierungen ableiten, um etwas schlecht zu finden, sondern auch für das Gegenteil. ‚Ochujenno‘ zum Beispiel bedeutet ausgezeichnet, ‚ochuitelno‘ heißt großartig.“ Der Wortkern allerdings bleibt für jeden Russen klar erkennbar. Wenn sie also bei ihren Schwiegereltern zu Besuch sei, sagt Dascha, verwende sie natürlich die standard-russischen Wörter für „großartig“ und „ausgezeichnet“ – nicht die, aus denen immer noch der „Schwanz“ rauszuhören ist.

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So spielen wir sie durch, die vier Kernbegriffe, Variante für Variante. Dascha bringt uns Ausweichwörter analog zum deutschen „Scheibenkleister“ bei und erzählt, wie manche Flüche durch Reime ersetzt werden: Egal, was das Ergebnis im Wortlaut bedeutet, jedem ist klar, auf welchen ursprünglichen Ausdruck man anspielt. So wird dann aus „jobanni w rot“ (in den Mund gefickt) erst „jobanni krot“ (gefickter Maulwurf) und dann „schowanni krot“ (zerkauter Maulwurf).

Zeit für das große Finale, für das, wozu die Russen „dreistöckiges Fluchen“ sagen – so, als wäre ein gelungener Fluch ein Haus, gebaut aus verschiedenen Mat-Begriffen. Denn da man sie munter drehen und wenden kann, vom Verb zum Adjektiv zum Substantiv und so weiter, lassen sie sich auch miteinander verbinden. „Pis-da-bljad-sko-je mu-da-jo-bi-sche“, diktiert Dascha, auch wenn das von den vier Grundvokabeln ein wenig abweicht. „Mudak“, Arschloch, ist eines der milderen Mat-Wörter, das hier nun einmal glänzen darf. Ergebnis: Fotzenhuriges Arschlochgeficke! Zu verwenden, wenn man wirklich ziemlich unzufrieden ist, sagt Dascha, oder jemand echt nervt, oder man sich gerade an irgendwas gestoßen hat. Wir nicken, spießen noch eine Olive auf und machen uns Notizen.

Russball, Folge 56: Das Gute am frühen WM-Aus für Deutschland

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Das ist ja nun schon ein bisschen her, dass Deutschland bei der WM rausgeflogen ist. Aber erst in den letzten Tagen ist mir aufgefallen, was daran der eine, große Vorteil ist: Man hat Zeit, Lust und Energie, alle möglichen anderen Teams anzufeuern – ganz ohne nervige strategische Hintergedanken wie „Oh Mann, die spielen echt gut, hoffentlich werfen die dann nicht in der nächsten Runde meine Mannschaft raus.“

Mit einer englischen Freundin in einer Fußballkneipe für England jubeln gegen Kolumbien. In einer Bar immer wieder auf die Stelle im Fenster gucken, wo sich der Fernseher um die Ecke spiegelt, während Belgien Brasilien rauswirft. Auf der Abschiedsfeier eines Freundes, der Moskau verlassen wird, um den Fernseher rumsitzen, den der Vermieter netterweise partytauglich an der Küchenwand angebracht hat, und den einen russischen Partygast herbeibrüllen, weil der genau in dem Moment eine rauchen ist, als Russland sein erstes Tor schießt. Ich find’s ganz schön, das alles tun zu können, ohne mich zu fragen: Könnte die deutsche Mannschaft denn auch gegen den Sieger bestehen? Diesmal ist von vorne herein klar: Nein, könnte sie nicht. Da guckt man gleich viel entspannter.

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⚽ Oh Mann, Russland! Wie schade, dass das jetzt alles vorbei ist – dieser Jubel, bei dem du am Anfang auch noch nicht so richtig wusstest, wie das eigentlich geht und ob das alles erlaubt ist, und dem du dich dann innerhalb weniger Tage so richtig hingegeben hast, einschließlich alberner Outfits und Schminke.

Als Rheinländerin muss ich voller Respekt sagen: Da waren Kostüme und großflächig aufgetragene Schminke zu sehen, mit denen man sich auch im Kölner Karneval nicht hätte schämen müssen. Und dann diese Lautstärke! Ich wollte Jubelfotos aus dem Fenster machen nach dem Spiel gegen Kroatien, stattdessen waren die Straßen leer. Auf dem Heimweg saßen zwei Frauen, in Flaggen gewickelt, vor einem Supermarkt und trösteten einander. Und ich dachte: Das kann ja wohl nicht alles sein.

War’s ja dann auch nicht, am Tag drauf, nachdem Russlands Medien schon Bilanz gezogen hatten, hat sich die Nationalmannschaft auf dem Fan-Fest bejubeln lassen. Es muss, wenn man dieses Video hier guckt, ein ziemlich beeindruckender Moment gewesen sein. Der Auftritt in den Sperlingsbergen wurde schnell zum Trending Topic bei Twitter, den Spielern auf der Bühne sieht man an, wie sehr sie am Tag nach der Niederlage diesen Zuspruch genießen. Vielleicht am besten gefallen hat mir aber dieses Geschenk eines Fans an den russischen Kapitän, Igor Akinfejew: statt der goldenen Ananas gab es einen Blumenstrauß aus Tomaten.

Klugerweise setzt das Kommunikationsteam der russischen Nationalmannschaft aber nicht nur auf Jubelbilder. Bei Twitter wurde ein Foto veröffentlicht, das den Fuß von Spieler Ilja Kutepow zeigt – als „weiterer Beweis, dass die Mannschaft alles getan hat, was möglich war, und noch mehr. Die Verletzung stammt aus der ersten Halbzeit, da lagen noch 100 Minuten vor uns…“

⚽ Was das russische WM-Aus auch bedeutet: Keine Ablenkung mehr, während der man die geplante Rentenreform durchdrücken könnte. Na, immerhin gilt weiterhin das Demonstrationsverbot in allen Gastgeberstädten, der Protest ist also weniger sichtbar als sonst.

⚽ Wir müssen dann auch noch über Artjom Dsjuba sprechen. Nicht so sehr wegen seiner wirklich schönen Instagram-Aktion, bei der er nach dem Ausscheiden Doppel-Selfies mit jedem einzelnen seiner Mannschaftskollegen gepostet hat mit der Bildunterschrift „Meine Kämpfer! Mein Stolz!“. Auch nicht wegen der Sache mit dem Salutieren. Der Grund, weshalb wir über Dsjuba reden müssen, ist das Einstichloch in seiner Ellenbeuge.

artjom dsjuba instagram

Die Süddeutsche Zeitung hat sehr sorgfältig aufgedröselt, was dieser Einstich an dieser Stelle bedeuten kann und was eher nicht – das russische Argument, es sei Venenblut abgezapft worden zwecks Gesundheitskontrolle, ist demnach wohl wenig glaubwürdig. Und die ganze Nummer mit der Ammoniakschnüffelei, von der man ja rund um die russische Mannschaft mehrfach gehört hat, ist dort auch erklärt. Tatsächlich ist Ammoniak – viele kennen vielleicht eher den Begriff Riechsalz – hier in Russland recht weit verbreitet. Einer Freundin, die hier beim Arzt nach einer Spritze umgekippt ist, hat man auch so ein Stinkefläschchen unter die Nase gehalten, damit sie wieder zu sich kommt. Wozu die Anwendung im Sport gut sein soll, ist hier erklärt.

⚽ Diese Boulevardgeschichte aus Nischni Nowgorod hatte einfach alles: Eine Apothekerin, die das Wort „Austragungsort“ wohl zu wörtlich genommen hatte und Kondome verkauft, in die sie Löcher gepiekst hatte. Zitate der Apothekerin, in denen sie ihr Tun damit rechtfertigte, den russischen Genpool durch ein paar, sagen wir mal… Beiträge ausländischer Fans bereichern zu wollen: „Haben Sie gesehen, was da für Jungs zu uns gekommen sind? Einer schöner als der andere, schlank, klug, sportlich.“ Sogar ein Foto der Frau hatte Bloknot.ru veröffentlicht.

Nur echt scheint die Geschichte halt nicht gewesen zu sein. Inzwischen ist sie von der Website verschwunden, nur an der URL erkennt man noch die Überschrift des früheren Artikels. Da bin ich ja regelrecht froh, vorher noch einen Screenshot gemacht zu haben von der Umfrage, die sich irgendein Redakteur dazu passend ausgedacht hatte: „Muss der russische Genpool verbessert werden?“: Eine leichte Mehrheit der Leser hat das mit „ja“. beantwortet.

bloknot.ru nischni nowgorod apothekerin ente

⚽ Für Themen rund um Sprache und Fremdsprachen bin ich bekanntlich ja immer zu haben (hier, hier oder hier zum Beispiel). Entsprechend angetan war ich von einem Artikel der BBC, der mir neulich in die Hände fiel. Er erklärt, wie sich die belgischen Spieler auf dem Platz verständigen – schließlich haben sie ja keine einheitliche Muttersprache. Mehr will ich hier gar nicht vorweg nehmen, sondern scheibe einfach in bester Buzzfeed-Manier: Die Antwort wird euch überraschen. Oder so.

⚽  Wie großartig ist denn bitte „8 Bit Football“? Und warum begegnet mit dieser Account erst jetzt, wo die WM auf der Zielgeraden ist?

⚽ Was für eine schöne, traurige Idee für eine Reportage: AFP hat eine Reporterin in den Donbass geschickt, also in die Ostukraine. Kriegsgebiet. Das Fußballstadion von Donezk wird nicht mehr als solches gebraucht, aber ein Café im Gebäude zeigt die WM-Spiele. Die Einwohner der Stadt, für die sonst eine abendliche Ausgangssperre gilt, dürfen an den Spieltagen länger nach draußen. Über dem Eingang des Cafés hängt ein Schild, „Zutritt nur ohne Waffen“. Eine Geschichte über die Liebe zum Fußball an einem Ort, wo für Liebe derzeit wenig Raum ist. (Foto hier.)

⚽ Viele haben sich gewundert, damals, als über die russischen WM-Austragungsorte entschieden wurde und Krasnodar nicht dabei war. Saransk, wirklich? Dieses Kaff mit kaum 300.000 Einwohnern? Und dann hat Krasnodar ja auch noch dieses unfassbare Stadion mit der riesigen Videowand! Wie es sich anfühlt in diesen Tagen, Fußballfan in Krasnodar zu sein und die WM-Spiele nur im TV sehen zu können? Ivan Nechepurenko hat sich mit vor den Fernseher gesetzt.

⚽ Ich bin ja aus Nordrhein-Westfalen und habe, als ich da noch gelebt habe, keine allzu guten Erfahrungen mit CDU-Ministerpräsidenten gemacht. Jürgen Rüttgers, Kinder statt Inder, unzuverlässige Rumänen, ihr erinnert euch. Das nur vorneweg, weil ich dennoch hier einen Tweet vom aktuellen NRW-Ministerpräsidenten einbetten will. Denn dazu war ich nun auch lange genug Journalistin in NRW, um Armin Laschet abzunehmen, dass ihm Integration und der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit ein Anliegen sind.

Dass Mesut Özil sich mit Erdogan fotografieren lassen hat, empfinde ich weiterhin als Zeichen von – mindestens – fehlendem Urteilsvermögen und politischer Naivität. Aber dieser PR-Spin, wonach das nun also ein entscheidender Faktor beim deutschen WM-Aus gewesen sein soll, und wobei Forderungen nach einem Statement von Özil als Ablenkung von anderen Kritikpunkten herhalten müssen – da nehmen Menschen sehr bewusst in Kauf, Nazis Argumentationsmaterial zu liefern. Wenn also nun der DFB im Allgemeinen und Oliver Bierhoff im Besonderen zeigen, zu wie viel Opportunismus sie in der Lage sind, wenn sie unter Druck geraten, ist es wichtig, so deutlich dagegenzuhalten, wie Laschet das hier tut.

⚽ Noch ein politisches Thema, es ist ein bisschen kompliziert, darum hier ganz chronologisch: 1. haben nach dem Sieg Kroatiens über Russland ein kroatischer Spieler und einer aus dem Trainerstab ein Video gepostet, in dem sie „Slawa Ukraini“ rufen, Ehre der Ukraine. Dafür ist 2. Domagoj Vida, der Spieler, von der FIFA verwarnt worden und 3. Ognjen Vukojevic aus dem kroatischen Trainerstab rausgeworfen worden. („Slawa Ukraini“ war hier in Russland tagelang trendig topic bei Twitter.)

Damit ist die Geschichte noch nicht vorbei. Manche Russen finden 4., dass das eine zu milde Strafe ist, wogegen 5. manche Ukrainer finden, es hätte überhaupt nicht bestraft werden sollen. Was sie, 6., auf der FIFA-Facebookseite mit lauter Ein-Stern-Bewertungen unterstreichen. Außerdem hat nun der ukrainische Fußballverband angeboten, Vidas Strafe zu zahlen – eine Ankündigung, zu der sich der Verbandschef extra ein kroatisches Leibchen angezogen hat. Ich habe keine Zweifel, dass es in den nächsten Tagen weitere Drehs zu dem Thema geben wird.

⚽  „In Deutschland hat eine Frau die WM kommentiert. Jetzt wird sie gehasst.“Unter dieser Überschrift versucht Sports.ru, seinen Lesern zu erklären, was Claudia Neumann in den letzten Tagen für einen Dreck abbekommen hat und warum: „Die deutschen Zuschauer waren dafür (also für eine kommentierende Frau) nicht bereit“, heißt es in dem Text als Erklärungsversuch – und das, obwohl doch die Mehrheit der Deutschen es Umfragen zufolge gut finde, wenn Frauen als Kommentatorinnen arbeiten.

⚽ Zum Schluss noch eine Transfermeldung. Nein, kein Ronaldo – der ist ja, hüstel, schon recht früh hier aus Russland abgereist und passt darum in diesen Newsletter nicht hinein. Stattdessen geht es um Bryan Idowu. Von ihm war hier vor ein paar Wochen schon mal die Rede: nigerianischer Nationalspieler, aufgewachsen in Russland, schwarz. Was das für seinen Alltag bedeutet und wie oft oder wie selten ihm Rassismus begegnet, hat er schon mal in einem Interview erzählt. Nun hat sich der amtierende russische Meister Idowu geschnappt: In der neuen Saison wird er für Lokomotive Moskau spielen.

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So, wenn ihr bis hierhin gelesen habt, ist es ja auch nicht mehr lange bis zum zweiten Halbfinale, #itscominghome und so. Diese beiden Russen hier sind jedenfalls ganz klar für England – egal, wie die politischen Beziehungen zwischen ihren Ländern sind:

Bis nächste Woche – das ist dann schon die erste Russball-Ausgabe nach der WM, Mannmannmann. Aber erst mal euch allen viel Spaß mit den restlichen drei Spielen!



Wie ich einmal Gesangsunterricht auf Russisch nahm

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Meine Gesangslehrerin hab ich mir ja nach ihrem Lächeln ausgesucht. Also: Das soll nicht heißen, dass sie nicht kompetent ist – ihre Qualifikationen kann auf „Wasch Repetitor“, der Webseite, die Schüler und Lehrer für alle möglichen Fächer zueinander bringt, jeder nachlesen. Aber qualifiziert sind die anderen da ja auch, mich hat nur deren Mimik abgeschreckt. Dieser Blick, der sagt: „Soso, Sie haben also schon Erfahrung? Hört man gar nicht.“ „Na, war wohl keine Zeit zum Üben seit dem letzten Mal?“„Also wenn Sie nicht mal das können, wollen Sie dann nicht vielleicht noch mal von vorne anfangen? In der Orff-Gruppe, mit Klanghölzern und Schellenkranz?“

Statt mir das anzutun, gehe ich nun also zu D., die auf ihrer Wasch-Repetiror-Seite lächelt, freundlich und konstruktiv. Der Unterricht findet im Büro ihres Mannes statt, ein Souterrain-Raum mit ein paar Schreibtischen, einem Kopierer (sehr praktisch für Noten) und gelegentlich dem einen oder anderen Mitarbeiter, der vor Stundenbeginn von D. höflich verscheucht wird. Manchmal feudelt eine Putzfrau durchs Bild. In der einen Ecke liegen Stücke dicker Metallrohre – die Männer, die hier arbeiten, überprüfen Schweißnähte auf Baustellen. In der anderen Ecke steht das E-Piano. Und daneben, einmal die Woche, ich.

⁃ „Also im (…..) müssen Sie mehr (…)“, sagt D.

⁃ Ich sage: „Wie bitte?“

⁃ „Naja, beim Singen ist ihr (…) zu (…).“

⁃ „Entschuldigung, das versteh ich nicht.“

⁃ „Sie müssen singen, als hätten Sie ein Äpfelchen im Mund.“

Aaah, der Rachenraum. Die Klangfarbe. Kein Standardvokabular. Ich bin froh, dass D. sich auf diese seltsame Schülerin mit den seltsamen Wünschen eingelassen hat: Bitte komplett auf Russisch, auch wenn’s dann länger dauert – kein Ausweichen auf Englisch oder Musiker-Italienisch. Und bitte auch nicht die üblichen Gassenhauer aus dem internationalen Repertoire, nicht wieder „Voi che sapete“. Ich möchte die Stücke kennenlernen, an denen sich russische Gesangsschüler so abarbeiten.

Wie es läuft? Schwer zu sagen. Einerseits merke ich, wie gut es tut, sich mal wieder konzentriert mit der eigenen Stimme und dem eigenen Körper auseinanderzusetzen, statt nur die grundlegenden Choranforderungen (richtige Töne, richtiges Tempo und im Zweifel gerne richtig laut) zu erfüllen. Andererseits ist Musikausbildung in Russland, auch für Amateure, um einiges anspruchsvoller als in Deutschland. Jeder Musikschüler muss hier regelmäßig Prüfungen ablegen, es geht nicht nur ums gemeinsame Musizieren.

Entsprechend hoch sind, Lächeln hin oder her, auch die Ansprüche von D. So viel und so schwierig wie hier musste ich zum Beispiel lange nicht mehr vom Blatt singen. Ergebnis: „Patschti choroscho“ – beinahe gut. Zwischendurch erzählt und erklärt D. auch gerne: „Das russische Repertoire besteht zu einem hohen Anteil aus Liedern über unglückliche Liebe. Weil das Land halt so groß ist. Stellen Sie sich vor, Sie sind allein, gucken aus dem Fenster und sehen nur Wald, Wald, Wald. Keinen anderen Menschen. Da entstehen dann solche Lieder.“

Oder, in einer anderen Stunde, mal wieder zum Thema Rachenraum: „Russischen Schülern muss man immer beibringen, alles ein bisschen enger zu machen Westliche Schüler müssen lernen, ihn zu weiten. Das liegt an der Phonetik unserer Sprachen, daran, was wir gewöhnt sind.“ Interessant, und noch dazu verständlich – wie schön, wenn der Schlüsselbegriff ein Fremdwort ist! Direkt mal probieren, den weiten Rachenraum – „patschti choroscho!“

Was auch bei der Verständigung hilft: Bei den Sprachbildern scheinen sich deutsche und russische Musiklehrer nicht groß zu unterscheiden. Mein Atem ist eine Springbrunnenfontäne, oben drauf liegt ein Tennisball, und der muss immer auf derselben Höhe bleiben? Sehr gern. Stehen wie eine Marionette, bei der jemand am Kopf-Faden noch mal extra gezogen hat? Natürlich. In die Stirn atmen und in den Raum unterhalb der Augen? Bitte sehr, bitte gleich.

Andere Stunden sind deutlich härter. Vergiss alles, was du über Artikulation, Intonation und Phrasierung gelernt hast – wir arbeiten heute nur am Klang, 60 Minuten lang. Sing mit rausgestreckter Zunge! Patschti choroscho, aber nicht so nasal! Nochmal, nur diese zwei Takte. Und jetzt mit einem kleinen Glissando von jeder Note zur nächsten. Patschti choroscho, aber leiser! Egal, wenn die Tonhöhe verrutscht, wir reden hier über Klang, wiederholt D.: „Man sagt ja immer, wir Russen können gut Fünfe gerade sein lassen und ihr Deutschen plant, bis alles perfekt ist. Also, Sie müssen russischer singen.“

Ich schaue auf meine Notenmappe, in der inzwischen Stücke von Glinka und von Rubinstein liegen, russische Volkslieder, vertonte Puschkingedichte. Dann strecke ich die Zunge raus, atme ein, versuche es ein weiteres Mal. Und verdränge die Stimme, die aus dem Hinterkopf ruft: „Wenn es auch diesmal wieder nur ‚patschti choroscho‘ ist, werfe ich mich auf die Rohre in der Ecke da drüben und beiße ihnen allen die Schweißnähte durch.“

Russball, Folge 37: Bier, das Getränk zivilisierter Fans

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Eins gleich vorneweg: Wir halten uns diese Woche nicht auf mit Stanislaw Manajew. Ja, der Mann aus dem Kader des FK Tosno hat sich tatsächlich mit einem 5000-Rubel-Schein die Nase geputzt. Ja, das ist komplett geschmacklos, wenn man bedenkt, dass jemand, der in Russland den gesetzlichen Mindestlohn verdient, im Monat gerade mal zwei solcher Scheine zur Verfügung hat. Mehr gibt es dazu nicht sagen, höchstens noch: Wer auf dem Platz nicht von sich reden macht, muss eben andere Wege wählen.

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⚽ Der Besitzer der russischen Supermarktkette „Magnit“, Sergei Galizki, ist gerade aus dem Unternehmen ausgestiegen und hat seine Anteile an die Staatsbank VTB verkauft. Warum diese Info in einen Newsletter zum Fußball in Russland gehört? Wegen der Antwort, die Galizki auf die Frage gab, was denn nun für ihn kommt: „Ich werde in Krasnodar leben und mich wohl dort um den Kinder- und Jugendfußball kümmern. Das ist alles, denke ich.“

Der FK Krasnodar gehört zu den Top-Vereinen der Premjer-Liga, Galizki selbst hat ihn vor zehn Jahren gegründet und ist noch heute sein Präsident. Und der Verein ist bemerkenswert, weil er sehr viel mehr Wert auf Nachwuchsförderung legt als seine Mitbewerber (mehr dazu hier). Darum ist der Ausstieg eines Supermarkt-Magnaten aus seinem Unternehmen eben auch ein Thema für Russlands Sportjournalisten: „Das Leben der Nachwuchsspieler des FK Krasnodar wird noch besser“, heißt einer der Kommentare.

⚽ Nicht nur fußballerisch ist die Zeit zwischen dem Confed-Cup im vergangenen Sommer und der WM in diesem Jahr eine Durststrecke, sondern auch ganz wortwörtlich: Abseits solcher großen Turniere darf in Russland kein Alkohol im Stadion verkauft werden, was die Fans naturgemäßig wenig begeistert. Sergej Prjadkin, Chef der obersten russischen Liga, hat darum jetzt mal einen Testballon steigen lassen.

Budweiser oder Klinskoje? In solchen Bechern wurde beim Confed-Cup Bier in den russischen Stadien verkauft.
Budweiser oder Klinskoje? In solchen Bechern wurde beim Confed-Cup Bier in den russischen Stadien verkauft.

Ja, der Kampf gegen den Alkoholismus sei weiter wichtig, so Prjadkin – aber Bierhersteller seien eben auch eine mögliche neue Einnahmequelle für die Fußballvereine. Die Premjer-Liga arbeite deshalb daran, dass Bier im Stadion und Biermarken als Sponsoren bald erlaubt sind. Schließlich, so Prjadkin, ist Bier „ein normales Getränk zivilisierter Fans“. Und die Fußballseite „Bombardir“ weist darauf hin, dass in Deutschland das Stadionbier eine lange Tradition hat. Randale, heißt es dort, werde mit Überwachungskameras verhindert.

⚽ Wo wir gerade beim Alkohol sind: Пробка, gesprochen [PROBka], hieß mal eine Fußballkneipe bei uns um die Ecke. Fußballfans trinken gerne, пробка bedeutet Korken, die Logik war halbwegs einleuchtend. Im übertragenen Sinne ist eine пробка aber auch ein Stau – der Korken also, der verhindert, dass der Verkehr fließt.

An das Themenfeld zwischen Korken knallen lassen und im Stau stehen musste ich bei dieser Meldung hier denken: Damit trotz Moskaus legendär verstopfter Straßen alle WM-Spiele pünktlich anfangen, dürfen die Mannnschaftsbusse auf den Spezialspuren fahren, die auch der ÖPNV in Moskau nutzt. Auch offizielle Delegationen und Journalisten bekommen dieses Privileg – vorausgesetzt, sie sind in Shuttlebussen unterwegs. (Die Regelung gilt auch in den anderen Gastgeberstädten, Details hier.)

⚽ Als Rheinländerin in Russland ist mir das Prinzip, dass vor der Fastenzeit eine Figur verbrannt wird, vertraut. In Köln stirbt für unsere Sünden der Nubbel in den Flammen. In Russland ist – nach den „Masleniza“-Tagen, in denen man so viele Pfannkuchen wie möglich isst – eine große Strohfigur fällig. Traditionell ist das meist eine Frauenfigur in traditioneller Tracht, die als „Frau Masleniza“ für den hoffentlich bald beendeten Winter steht.

In der Stadt Perm haben sich einige Menschen in diesem Jahr auf ein populäres Feindbild geeinigt: Sie zündeten eine Strohpuppe an, der sie das Gesicht von Grigori Rodschenkow angesteckt hatten, dem Doping-Whistleblower. Damit keine Missverständnisse aufkommen, hat der Puppe auch noch jemand ein „WADA“-Schild ans Hemd geheftet.

kscheib russball perm maslenitsa

Einen lebenden Menschen symbolisch verbrennen und dann um die brennende Figur tanzen. Wo ist das Facepalm-Emoji, wenn man es braucht?

⚽ Welcher russische Verein erreicht in der Europa League die nächste Runde? Sergei Andrejew, sowjetischer Nationalspieler und heute Trainer, macht sich wenig Illusionen: Spartak, Zenit und ZSKA sind nach seiner Einschätzung alle chancenlos, bloß Lokomotive Moskau kommt weiter. So weit, so offensichtlich – Loko ist der einzige Verein, der sein Hinrundenspiel gewonnen hat.

Als ich mir zu Andrejew ein wenig Hintergrund anlesen wollte, bin ich auf ein interessantes Detail gestoßen: Der Mann ist einer von knapp 75 russischen Fußballern im Grigori-Fedotow-Klub. Nun ist das nicht die Sorte Verein, deren Mitglieder sich einmal im Jahr treffen und bei Mineralwasser die Tagesordnung abnicken und den Vorstand endlasten.

Der Fedotow-Klub ist eher eine Liste, eine Art Hall of Fame. Alle russischen Spieler, die in ihrer Profikarriere mindestens 100 Tore geschossen haben, gehören dazu. (Wer Spaß an sowas hat, findet im Kleingedruckten viel Unterhaltsames: So zählen zum Beispiel Tore in der Liga, in der Nationalmannschaft und bei Spartakiaden. Für russische Spieler im Ausland gilt: Tore in der ersten Bundesliga zählen, in der zweiten leider nicht.)

⚽ Nicht ausgestrahlt wird die Fußball-WM in der Ukraine, aus politischen Gründen und vielleicht auch als als Reaktion darauf, dass der Eurovision Song Contest in Kiew nicht im russischen Fernsehen gezeigt wurde.

Für ukrainische Fußballfans dürfte das allerdings kein großes Problem sein – und das nicht nur, weil ihre Mannschaft sich nicht qualifiziert hat. Schließlich sind viele russische TV-Sender zwar in der Ukraine geblockt. Aber wie geübt die Menschen darin sind, solche Blockaden zu umgehen, hat gerade erst diese Statistik gezeigt: VK, Odnoklassniki, Yandex – alle offiziell gesperrt und trotzdem weiterhin unter den populärsten Websites in der Ukraine. Heißt für die WM: Was der Fernseher nicht liefert, liefern halt VPN und Livestream.

⚽ Fünf WM-Spiele werden in Rostow am Don stattfinden, nun lässt sich der stellvertretende Gouverneur dort ins Portemonnaie gucken und zählt auf: 38 Milliarden Rubel für den schicken neuen Flughafen, 18 Milliarden fürs Stadion, dazu noch diverse Brücken- und Straßenbauprojekte, Insgesamt hat die Stadt so laut eigenen Angaben mehr als 100 Milliarden Rubel investiert, um sich weltmeisterschaftstauglich zu machen. Umgerechnet sind das rund 1,4 Milliarden Euro.

⚽ Zum Abschluss noch eine kleine Übersicht, mit welchen neuen Gesetzen sich die russische Regierung auf die WM vorbereitet. Zum einen läuft bis Ende Mai ein Pilotversuch zum steuerfreien Einkaufen für Touristen – bei Erfolg soll es im Anschluss direkt auf alle WM-Austragungsorte ausgedehnt werden. Damit bekämt ihr also die Mehrwertsteuer auf eure WM-Handyhüllen und WM-Hoodies und WM-Federmäppchen und WM-Teekannen zurück (ja, das gibt’s alles wirklich).

Der Verkehrsminister möchte unterdessen bitte ein Gesetz bewilligt bekommen, wonach er (vermutlich nicht persönlich) während des Turniers Drohnen abschießen lassen darf, die zum Beispiel ohne Erlaubnis über ein Stadion fliegen. Es ist nicht die einzige Akte mit WM-Vermerk auf dem Schreibtisch des Ministers: Gerade hat er auch ein Bauunternehmen verklagt, das für zwei der Stadien zuständig war. Knackpunkt ist offenbar die Frage, warum die Projekte so viel teurer wurden als geplant: Lag’s, wie die Firma sagt, an der Inflation? Oder ist da doch der ein oder andere Rubel, na, sagen wir mal: versickert?

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Ein Update gibt es noch nachzureichen zur Russball-Folge 34 – das war die mit der Liste russischer Hotels, die versuchen, WM-Reisende mit überhöhten Preisen abzuzocken. Gerade wurde bekannt, dass sie dafür insgesamt rund 88.000 Euro an Bußgeldern zahlen mussten. Guckt man allerdings genauer, verteilt sich diese Strafe auf fast 400 Hotels bzw. Hotelbesitzer. Im Schnitt also vielleicht 250 Euro pro Fall. Ob das irgendeine abschreckende Wirkung hat?



 

Google Translate und die Sache mit dem Wichsen

Niemand ist unfehlbar, erst recht kein automatisches Übersetzungsprogramm. Wer über einen Fehler von Google Translate bloggt, riskiert also, ungefähr so originell rüberzukommen wie Mario Barth. Oder noch schlimmer: Wie Leute, die als Beispiel für einfallslose Witze immer Mario Barth nennen.

Warum es trotzdem diesen Blogpost hier gibt? Weil es bei den folgenden Fehlern um ein Prinzip geht. Um etwas, das bei Google Translate grundsätzlich falsch eingerichtet ist. So entstehen zwangsweise immer wieder Fehler nach demselben Prinzip. Und wer das weiß, kann sie vielleicht umschiffen.

In der jüngsten „Russball“-Folge hatte ich eine Fotoreportage aus dem Trainingslager von ZSKA Moskau verlinkt. Knapp zwei Dutzend Bilder, mit Ein-Wort-Unterschriften wie „природа“ (Natur), „расслабление“ (Entspannung), „мяч“ (Ball). Dann kam die Nachricht eines Freundes: „Das Beste an den Bildern ist die Übersetzung in Google Translate“. Dazu dieses Bild:

google translate

Wichsen, soso. Im Original steht unter dem Bild „рывок“, das heißt sowas wie „Ruck“ oder im Sport auch „Spurt“. Warum Google daraus ganz was anderes macht? Weil es aus dem Russischen ins Deutsche nicht direkt übersetzt, sondern mit Umweg übers Englische. So wird aus „рывок“ das Englische „jerk“, was wiederum von Google Translate als Verb aufgefasst wird statt als Substantiv. Und dann eben auch noch so übersetzt, als stünde da nicht „jerk“, sondern „jerk off“. Ergebnis: wichsen.

Nicht nur vom Trainingslager russischer Profifußballer kann man einen seltsamen Eindruck bekommen, wenn man sich auf Google Translate verlässt. Angenommen, auf einem Aushang im Hausflur steht was von einer „штраф“. Google Translate übersetzt das nicht, wie es richtig wäre, mit „Bußgeld“, sondern schlicht und positiv mit „gut“. Denn „штраф“ heißt auf Englisch „fine“, und dass „fine“ nichts anderes als „gut“ bedeutet, weiß ja jedes Schulkind.

Ich hab dann mal die Übersetzerin meines Vertrauens gefragt, ob es dafür ein Wort gibt, und natürlich gibt es dafür ein Wort: Wenn wie hier zum Beispiel Englisch als Umweg zwischen Deutsch und Russisch herhalten muss, dann ist Englisch eine „Relaissprache“. Und dieses Relais neigt immer dann zu Fehlfunktionen, wenn ein Begriff mehr als eine Bedeutung hat. Wer Russisch und Deutsch spricht, der weiß, das „штраф“ ein Bußgeld ist. Alle anderen sind darauf angeweisen, zu deuteln: „fine“, ja, aber in welcher Bedeutung? Bußgeld? Gut? Dünn? Fein?

Ach so, und das Problem besteht natürlich in beide Richtungen, auch wenn man Google Translate um eine Übersetzung aus dem Deutschen ins Russische bittet. Ihr könnt nicht schlafen, weil der Hund eures Nachbarn die ganze Nacht bellt? Für „bellen“ schlägt das Programm „кора“ vor, das bedeutet Rinde – denn der Relais-Umweg geht über das englische „bark“. Oder ihr wollt im Vorgarten ein paar Blumen säen? Viel Spaß beim Einkaufen, denn aus „säen“ macht Google Translate „свиноматка“. Das heißt – der Umweg geht über „sow“ – nichts anderes als Sau.

(Danke an Dominic und Ricarda)

Rollmops, Anschlag, Kammerton: Deutsche Wörter im Russischen

kscheib rollmops deutsche lehnwörter

Fünf Minuten bis zum Konzertbeginn, das Haus ist voll – und hier unten im Keller steht immer noch eine lange Schlange vor dem Damenklo. „Oh Gott, wieder voll der Anschlag hier“, murmelt die Frau hinter mir, und ich denke: Mensch, du wolltest doch immer mal über deutsche Wörter bloggen, die es ins Russische geschafft haben.

„Anschlag“ gehört im Russischen ganz in den Bereich von Kultur und Freizeit – keine Bomben, keine Attacke. Aber wenn ein Theaterstück ausverkauft ist, ein Opernhaus bis auf den letzten Platz gefüllt, bei einem Konzert nicht mal mehr Stehplätze frei, dann herrscht dort „аншлаг“ (anSCHLAG), es ist also bis zum Anschlag voll. Nicht zu verwechseln mit дуршлаг (durSCHLAG):

Klar gibt es im Russischen einige Begriffe, die nur nötig sind, um mehr oder weniger deutsche Phänomene zu beschreiben. Der доберман (doberMANN), der ризеншнауцер (riesenSCHNAUzer) und der рольмопс (ralMOPS) sind solche Fälle, брудершафт (bruderSCHAFT) trinken und кегельбан (kegelBAHN) ebenso. Ihr versteht das Prinzip – und auch, dass sich die Betonung meistens verschiebt.

Dann gibt es die Wörter, von denen jeder schon mal gehört hat. Ja, Russisch hat tatsächlich einen бухгалтер (buchGALter) und ein бутерброд (butterBROD). Ja, der Friseur heißt hier tatsächlich парикмахер (paRIKmacher), von Perückenmacher. Und ja, aus Halstuch ist tatsächlich галстук (GALStuk) geworden, wobei das nun eine Krawatte bezeichnet. Alles schon mal gehört, müssen wir uns hier nicht mit aufhalten. Auch nicht mit den фейерверки (fejerWERki), die hier regelmäßig über der ландшафт (landSCHAFT) abgefackelt werden.

Stattdessen eine definitiv unvollständige, aber hoffentlich unterhaltsame Liste deutscher Lehnwörter im Russischen, die noch nicht jeder kennt.

1. бакенбарды

Was hat das Hipster-Männchen rechts und links an Wange und Kinn? Koteletten? Höchstens in Deutschland. In Russland ist das natürlich ein бакенбард (backenBARD) oder, wenn man links und rechts zusammenzählt, бакенбарды (backenBARDI). Hier schön zu sehen an Russlands original hipster, Alexander Puschkin.

2. кабель

Handy schon wieder leer? Dann her mit dem кабель (KAbel) oder, auch nicht unüblich, der шнур (SCHNUR). Die endet, natürlich, mit einem штекер (STEcker) oder, besonders niedlich, mit einem штепсель (STEPsel).

3. цейтнот

Wer Englisch spricht, kennt die deutschen Begriffe Zeitgeist und Weltschmerz. Ins Russische hat es, thematisch irgendwo dazwischen, die Zeitnot geschafft, die als цейтнот hier aber eher zejtNOT gesprochen wird. Verwendet wird der Begriff vor allem beim Schachspiel – wenn dort цейтнот herrscht, gerät ein Spieler schon mal unter цугцванг (zugZWANG). Bis vor ein paar Jahren gab es auch eine russische Band namens ЦейтноТ, deren Lied „Времени нет“ man hier anhören kann. Übersetzt bedeutet das: „Keine Zeit“.

4. гастарбайтер

Manche Lehnwörter setzen sich durch, weil sie kürzer, griffiger, einfacher sind. Wer im deutsch-russischen Wörterbuch nach „Gastarbeiter“ sucht, findet deshalb zwar „иностранный рабочий“ oder „рабочий-иностранец“, was beides „ausländischer Arbeiter“ bedeutet. Im Alltag aber hört man auch regelmäßig гастарбайтер (gastarBEIter). Das Wort wie auch der Sachverhalt gehören hier zum Alltag – es gibt komplette Staaten, oft in Zentralasien, die davon abhängig sind, dass ihre Bürger in Russland arbeiten und Geld nach Hause zu ihren Familien schicken.

5. дюбель

Die Werkstatt. Unendliche Weiten. Dies sind die deutschen Wörter, die inzwischen auch Russen verwenden: дюбель (DJUbel), also der Dübel, mit dem der Haken für ein Bild in der Wand befestigt wird. Лобзик (LOBsik), die Laubsäge oder inzwischen auch Stichsäge, mit deren Hilfe ein Rahmen für das Bild entsteht. Und, wenn einem das Bild irgendwann nicht mehr gefällt, man es abhängt, den Haken entfernt und nur noch ein Loch in der Wand hat, was braucht man dann? Klar doch, den шпатель (SPAtel).

6. капут

Die Lexikon-App auf meinem Handy verweigert sich: капут (kaPUT) kennt sie nicht, auch LEO hat keine Ahnung. Ja, okay, das Wort ist auch eher umgangssprachlich – immerhin schlägt Google Translate „aus“ und „erledigt“ vor. „Hinüber“ würde auch noch gut passen, im Sinne von „da kannst du nichts machen, Totalschaden – das Auto ist hinüber“. Am häufigsten tritt капут allerdings zusammen mit dem Mann auf, der in Deutschland Hitler heißt und den die Russen vorne mit einem G-Laut sprechen: Гитлер. Wenn sich Anfang Mai das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt, sieht man schon mal Plakate für „гитлер капут“ (GITler kaPUTT)-Partys; 2008 lief auch eine Komödie mit diesem Titel im Kino. Aber natürlich können auch andere Dinge капут sein:

 

Game over 😫💕☠️. . #newdesign#minniemouse#капут

Ein Beitrag geteilt von Rocky Corgi (@rocky_corgii) am

7. шлагбаум

Besonders großzügig bedient haben sich die Russen beim deutschen Vokabular zum Thema „Recht und Ordnung“. Der шлагбаум (schlagBAUM), an dem man nicht so leicht vorbeikommt – heute hilft meist ein Ausweis, früher tat es auch die richtige лозунг (LOsung). Der штаб (STAB), der Dinge organisiert und leitet. Die штраф (STRAF), die Schwarzfahrer zahlen müssen, wenn sie erwischt werden. Einigen Begriffen merkt man noch ihren militärischen Hintergrund an: Der Weg, den zum Beispiel ein Linienbus durch die Stadt nimmt, heißt bis heute маршрут (marschRUT).

7. форшлаг

Wenn ein Mensch einem anderen Menschen einen Vorschlag macht, sagt man auf Russisch am besten предложение. Dass es außerdem auch das Wort форшлаг (farSCHLAG) gibt, liegt an der Musik. Dort gehören Vorschlag und Nachschlag/нахшлаг/(nachSCHLAG) zu den musikalischen Verzierungen. (Das hört sich dann in etwa so an wie hier.) Damit Chorsänger den richtigen Ton zu treffen, greift ihr Dirigent gerne mal zur Stimmgabel, die auf Russisch камертон (kammerTON) heißt. Und wenn die Musiker richtig gut sind, ist sicher auch mal ein Gastspiel irgendwo drin, auf Russisch: гастроль (gastROL). Wer weiß, vielleicht ja in einem idyllischen курорт (kurORT).

Welche französischen Wörter es im Russischen gibt, steht hier.

Ein Jahr, 52 neue Dinge

Ein Jahr in Moskau bleibt noch, und gelegentlich setzt schon die Verklärung ein
Ein Jahr in Moskau bleibt noch, und gelegentlich setzt schon die Nostalgie ein.

2018, das heißt auch: noch ein Jahr in Russland. Als wir Anfang 2014 hierher gezogen sind, wussten wir, dass fünf Jahre das Maximum sind. Länger schickt die ARD ihre Korrespondenten normalerweise nicht ins Ausland, jedenfalls nicht am Stück.

Januar 2019 ist also Schluss mit Moskau für Markus und für mich. Und so schwer ich mich am Anfang auch mit vielem hier getan habe, und so viel wir seitdem zusammen erlebt, erreist und entdeckt haben: Wenn ich über dieses letzte Moskaujahr nachdenke, bekomme ich schon jetzt so ein leichtes Ziehen im Bauch. Abschiedsschmerz auf Vorschuss, bei den albernsten Anlässen. Neulich habe ich tatsächlich gedacht: „Oh Mann, das ist bestimmt schon die letzte Packung Wattestäbchen, die du hier kaufst, so selten wie du die brauchst.“

Was soll dann erst aus den Dingen werden, an denen das Herz hängt? Wie viele Sommermorgende auf der Datscha noch? Wie oft noch das Gefühl, vor die Tür zu treten bei einer solchen Kälte, dass sofort die Feuchtigkeit in der Nase gefriert? Wie oft noch mit Freunden um den Tisch beim Lieblingsgeorgier sitzen? Wie oft noch in eine neue Stadt kommen und sich zwischen Marx-Straße und Lenin-Straße orientieren?

Außerdem gibt es noch so viele Sachen, die ich hier noch nie gemacht habe. Schlichte touristische – das mit der Führung im Großen Kremlpalast hat nie geklappt, Tolstois Haus kenne ich nur von außen. Ums Eisbaden hab ich mich bisher gedrückt, dabei soll das doch ein ganzes Jahr lang Segen und Gesundheit bringen. Ich hab immer noch niemanden gefunden, der an der Lomonosow-Uni studiert und mich da mal mit rauf nimmt, vom Hauptgebäude runtergucken. Ganz Moskau spielt Quests, nur ich war noch nie bei einem. Sollte ich nicht vielleicht doch mal eine Prüfung beim Puschkin-Institut ablegen, um mal zu wissen, wo ich sprachlich so stehe? Gesangsunterricht bei einer russischen Lehrerin wollte ich auch immer mal nehmen. Außerdem: Wie kann man zig Konzerte im Konservatorium und im Dom Musiki gehört haben, aber noch kein einziges im Tschaikowsky-Saal?

Und das sind nur die Moskauer Ideen. In Kaljasin guckt ein Glockenturm aus einem Stausee raus – die AirBnB-Wohnung am Ufer ist schon seit Monaten gebookmarkt. Wladiwostok soll sich anfühlen wie eine Mischung aus San Francisco und Japan. In Kamtschatka gibt es Vulkane und in Ulan-Ude die weltgrößte Lenin-Büste.

Kurz dahinter beginnt die Mongolei.

Von Moskau nach Kasachstan ist auch nicht so weit.

Vielleicht schafft Usbekistan 2018 ja endlich mal die Visumspflicht ab.

So viele Ideen, da kam die Nachricht einer Freundin genau recht. Sie organisiert eine Fotochallenge für 2018: jede Woche etwas erleben, was man noch nie erlebt hat, und das dann dokumentieren. Hashtag: #52newthings. Immer sonntags wird dann ein Bild fällig, das zeigt, was diese Woche neu war. Ein Impuls, aus diesem einen, letzten Russlandjahr noch mal alles herauszuholen.

Russball, Folge 28: Homophobie unter russischen Fußballfans

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Willkommen zu Russball, wo euch versprochenerweise diese Woche niemand frohe Weihnachten wünschen wird – schließlich ist das kommende Wochenende hier in Russland ein ganz normales und Weihnachten erst im Januar. Stattdessen eine Quizfrage: Was dauert in Spanien zehn Tage, in Frankreich 14, in Italien 16, in Deutschland 22 und in Russland 80 Tage? Könnt ihr ja beim Lesen mal im Hinterkopf draufrumdenken.

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⚽ Watutinki – ein Name, den man sich merken muss, und dessen Herkunft die Süddeutsche hier erklärt. In Watutinki also wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr WM-Quartier haben. Kein Strandleben in Sotschi, leiderleider, stattdessen ein Hotelkomplex in einem Moskauer Vorort mit rund zehntausend Einwohnern. Rund zwei Monate vor WM-Anpfiff soll dort ein neuer Gebäudetrakt fertig werden und, wenn man sich die DFB-Bilder anschaut, ziemlich schick aussehen.

Aktuell hat der „Watutinki Hotel Spa Complex“ noch einen, sagen wir mal, eher traditionellen Charme: dunkles Holz, Blumenmuster, bodenlange Gardinen, hier und da glänzt mal ein Kofferständer oder eine Stehlampe aus Metall. Gelsenkirchener Barock trifft Neunzigerjahre-Jugendzimmer.

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Die Fifa zeigt in ihrer Übersicht auch noch diesen weitgehend tageslichtfreien Besprechungsraum. Aber wie gesagt, das ist der Ist-Zustand – nicht die Hotelvision, die da ab April hoffentlich wahr wird. Ob im neuen Flügel dann wohl dieselben Preise gelten wie im alten? Dann können sich die Fußballspieler schon mal auf taschengeldtaugliche Behandlungen freuen: Laut Hotelpreisliste gibt es im Spa- und Therapiebereich ein EKG schon für 500 Rubel (7 Euro), zehn Minuten Whirlpoolbad für die Beine kosten sogar nur 250 Rubel, und wer sich mal richtig was gönnt, bekommt für 1000 Rubel eine halbe Stunde den Rücken massiert, „vom siebten Halswirbel bis zum Steißbein“. Ist das auch geklärt.

⚽  Apropos DFB und Hotels: Letzte Woche hatte ich ja hier erwähnt, dass die Werbung für das Fan-Camp am Nordrand von Moskau mit einer sehr viel besseren ÖPNV-Anbindung lockt, als tatsächlich existiert. Das scheint allerdings die Fans nicht vom Buchen abzuhalten: Eines von vier möglichen Paketen ist bereits komplett ausverkauft.

⚽  Und wenn hier eh gerade so eine Art DFB-Themenschwerpunkt entsteht, dann noch eine Information, die zwar nichts mit Russland zu tun hat, mir aber am Herzen liegt: Nachdem ein Unterstützer der Initiative „Sleeping Giants“ bei Twitter darauf hingewiesen hat, wirbt der DFB seit ein paar Tagen nicht mehr auf der Hetzseite Breitbart. Eine höfliche Beschwerde, und schon wieder ein Werbekunde weniger für Rassisten. Es geht voran.

⚽ Die Fußball-App „Forza Football“ hat sich mit Stonewall UK zusammengetan, um Fußballfans zu ihrer Haltung zu Schwulen und Bisexuellen zu befragen. „Would you feel comfortable if a player in your national team came out as gay or bisexual?“, heißt die Hauptfrage, auf die weltweit 76 Prozent aller Befragten mit „ja“ geantwortet haben. Für Russland liegt die Zahl der Umfrage zufolge bei 47 Prozent, das sei eine deutlich höhere Akzeptanz als noch vor drei Jahren (21 Prozent).

Klingt gut, aber hält es dem Realitätstest stand? Gerne hätte ich mal einen Blick auf die Methodik der Homophobie-Umfrage geworfen – wie viele der insgesamt „mehr als 50.000 Befragten auf fünf Kontinenten“ kamen denn aus Russland? Leider stand niemand für eine Stellungnahme zur Verfügung.

Aus dem Bauch heraus kommt mir so viel Akzeptanz unter russischen Fußballfans eher unwahrscheinlich vor, und siehe da: Sports.ru hat seinen Lesern dieselbe Frage gestellt. Ergebnis bei knapp 45.000 Stimmabgaben russischer Leser: Rund 70 Prozent würden negativ auf das Coming-Out eines schwulen oder bisexuellen Spielers in der russischen Nationalmannschaft reagieren.

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⚽ Rechtlich gehört die Krim zur Ukraine, faktisch hat Russland sie annektiert. Nun berichtet ein Newsportal mit Sitz auf der Krim, dass man von dort aus keine Karten für die Fußball-Weltmeisterschaft im Internet kaufen könne – egal, ob man angibt, in Russland oder in der Ukraine zu leben.

Die FIFA erklärt,sie habe keine geographischen Beschränkungen einbauen lassen, wollen nun aber schnell dafür sorgen, dass das Problem gelöst wird. Menschen auf der Krim, die dennoch Probleme beim Buchen haben, können unterdessen tricksen: Wer mobil und mit russischer SIM-Karte auf die Seite geht, kann ganz normal seine Karten aussuchen.

⚽ Moskau macht seinen Taxiunternehmen Auflagen, wenn sie eine Lizenz für die Dauer der WM bekommen wollen. Dazu gehört nicht nur, dass die Fahrer keine ausstehenden Knöllchen haben dürfen. Sie bekommen auch alle eine Broschüre ausgehändigt, um ihr Englisch zu verbessern.

Maxim Lixutow, Moskaus stellvertretender Bürgermeister und Transportchef, zählt auf: „Sie sollten zum Beispiel ausländischen Touristen die Tarife erklären können, (….) die Fahrtdauer oder die beste Route zum Ziel benennen.“ Das Wichtigste sei, dass niemand vom Taxifahrer übers Ohr gehauen werde (im Gegensatz zu damals beim Confed-Cup.

⚽ In der großen Tradition von Paul dem Oktopus wirft die BBC einen Blick auf die russischen WM-Orakeltiere. Was soll ich sagen, es ist ein Erdmännchen dabei, und das ist exakt so niedlich, wie ihr es euch gerade vorstellt. Hier geht’s zum Video.

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⚽ Was man halt so an Ideen hat, wenn ein neues Jahr vor der Türe steht: Leonid Fedun möchte den russischen Fußball revolutionieren. Der Mann hat durchaus ein eigenes Interesse an Russlands Fußballzukunft, immerhin gehört ihm Spartak Moskau. Nun schlägt er beispielsweise vor, die Begegnungen in der Liga nicht mehr komplett auszulosen. Stattdessen sollen einige Vereine gesetzt werden, so dass die Spiele im November und März in den milderen Regionen des Landes ausgetragen werden statt im Schneegestöber.

Auch zur Zahl der Teams in Russlands höchster Liga hat Fedun eine klare Vorstellung: In der RFPL sollen künftiger nur noch Mannschaften spielen, die mindestens 15.000 Fans ins Stadion locken, alles andere rechne sich einfach nicht. (Interessanter Nebenaspekt: Spartak nimmt Fedun zufolge pro Spiel zwischen 50 und 60 Millionen Rubel ein, also unter einer Million Euro.) Nach dieser Regel gäbe es also weniger Klubs als bisher in der Liga, sie sollten dafür aber öfter spielen, um eben mehr Geld reinzuholen. Feduns ganzen Revolutionsplan, auch zum russischen Pokal und zum Umgang mit Nachwuchsspielern, dokumentiert Sport Express.

⚽ Zwei Monate ist es her, dass Lokomotive Moskau einen englischsprachigen Twitteraccount gestartet hat. Alles mit Hilfe von Google Translate, witzelte der Verein in seinem ersten Tweet. Knapp 300 Tweets später, und was als Witz gedacht war, scheint wie eine plausible Alternative zu dem Sprachmurks, der da regelmäßig rausgehauen wird.

Was lernen wir daraus? Erstens: Muttersprachler engagieren lohnt sich. Und zweitens: Solange das so wenige Russen glauben, wird es bei der Fußball-WM garantiert genau so viele unterhaltsame Fehlübersetzungen geben wie 2014 bei den Winterspielen in Sotschi.

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Zum Schluss noch ein kleiner Servicehinweis für alle, die erwägen, sich während der WM in Russland mit dem Zug fortzubewegen. РЖД, Russlands Eisenbahn-Staatskonzern, hat eine Frage beantwortet, die regelmäßig für Streit zwischen Passagieren führt: Wer im Langstrecken-Liegewagen die obere Liege gebucht hat, darf nicht einfach auf die untere umziehen. Auch der Stauraum unter der unteren Liege und das Tischchen, an das man sich zum Essen setzen kann, gehören dem Passagier, der die untere Liege gebucht hat. Also, ihr seid gewarnt.

Ach so, und das mit den 22 Tagen in Deutschland und 80 in Russland? Ist natürlich die Winterpause der obersten Fußball-Liga. Macht’s gut, bis nächste Woche – und keine frohe Weihnachten!



 

Kackbratze, Mostschädel, Furzknoten: Wie ich einmal Deutschland war

Das hier ist, trotz des Wahlergebnisses von Sonntag, kein politischer Blogpost. Es sei denn, man definiert das Fluchen als einzig mögliche Reaktion auf das Abschneiden der AfD, dann vielleicht schon. Und immerhin geht es um Deutschland.

Eine Woche lang, von Sonntag bis Sonntag, habe ich den Twitter-Account @I_amGermany übernommen. Jede Woche twittert dort ein anderer Mensch aus Deutschland für über 8000 Follower, die Englisch sprechen und sich für Deutschland interessieren. Oft, weil sie in Deutschland leben, Deutsch sprechen oder es zumindest mal gelernt haben.

Wir haben viel übers Wählen gesprochen in der Woche – einige Follower haben zwar ihr Zuhause in Deutschland, dürfen dort aber nicht wählen. Andere haben von wichtigen Abstimmungen in ihren jeweiligen Heimatländern getwittert, mehr als einmal ging es um den Brexit. Wir haben uns darüber unterhalten, was wir „entlernen“ mussten, als wir ins Ausland gezogen sind – es waren fast immer unterschiedliche Auffassungen von Pünktlichkeit, Direktheit und, lustigerweise, Straßenverkehrsregeln. Wir haben, als ich am Flughafen rumsaß, über dieses Gebäckstück diskutiert.

Vor allem aber haben wir zusammen geflucht. Regionale Sprachunterschiede sind eh ein Steckenpferd von mir, siehe das Rosinenbrötchen: Da, wo ich herkomme, ist das ein Mürbchen. Eine halbe Stunde Autobahnfahrt in die eine Richtung, und es ist ein Weckchen. Eine halbe Stunde in die andere, und es ist ein Stütchen. Daraus entstand die Idee, sich mal umzuhören, wie die Follower in den diversen Regionen so fluchen. Das Ergebnis war bunter, kraftvoller und deutlich weniger schmutzig als erwartet.

Und weil heute ein Tag ist, an dem man vielleicht den ein oder anderen Kraftausdruck mehr braucht, hier eine kleine Auswahl.

Ganz gut zum Dampfablassen, was? Aber so wunderbar originell diese Begriffe auch alle sind, sie werden noch übertroffen von dem, was sich kurz danach auf dem finnischen Gegenstück zu @I_amGermany abspielte.

Sagen wir mal so: Wenn ich jemals das Gefühl habe, den deutschen Fluchwortzschatz komplett durchgespielt zu haben, wird auf jeden Fall ins Finnische gewechselt. Man muss sie nicht mal verstehen – selbst wenn man sich diese Tweets nur laut vorliest, sind diese Schimpfwörter ungemein befriedigend.