Ein Ding, das Twitter in diesen Tagen noch erträglich, ja oft sogar lohnend machen, sind für mich Threads. Nicht die rantigen, nicht die, in denen irgendwelche heißen Stories über die Sitznachbarn im Flugzeug erzählt werden. Nein, ich meine die Threads, in denen Leute, die sich mit einem Thema auskennen, ihr Wissen mit uns teilen. Die Queen, die mit ihren Broschen Signale an Donald Trump schickt, sowas in der Art. Ich hab mal bei Twitter nach Beispielen gefragt, es kamen so einige zusammen.
Erst hatte ich überlegt, einen Thread über solche Threads zu twittern – total meta und so. Aber im Blog hat man dann doch mehr Platz, um jeweils ein paar Sätze zur Einordnung loszuwerden. Darum hier, als Lesefutter für euer Wochenende, zehn Threads, dank derer ihr schlauer aus dieser Woche rausgehen könnt, als ihr reingekommen seid. (Wer sich mit Twitter nicht so auskennt: ein Klick auf jeden der hier eingebundenen Tweets öffnet ihn und zeigt den ganzen Thread dann darunter an.)
1. Die Jugend von heute und von damals
Die aktuell jeweils junge Generation ist natürlich immer die schlimmste aller Zeiten – respektlos, faul, laut und so weiter. Nach einem Artikel in der Times über Millennials als „the lamest generation“, die zu unterrichten angeblich nahezu unmöglich ist, hält Jenny Bann dagegen.
Sie hat historische Quellen dazu ausgewertet, wie sich Studenten im 18. Jahrhundert so danebenbenommen haben. Von „Sänfte mieten und sie dann zerstören“ bis „sich mit dem Chemie-Dozenten über die Frage prügeln, warum Soldaten Rot tragen“ ist so ziemlich alles mit dabei.
I transcribed a collection of 18thC student disciplinary records once. Let me give a quick overview of the things that generation were doing… 1/ https://t.co/RZ5aTTJ7N0
— Jenny Bann (@calluna_) July 19, 2018
2. Kindersoldaten kehren heim
Zehntausende Kinder hat die sogenannte „Lord’s Resistance Army“ (LRA) in Uganda entführt und gezwungen, als Soldaten für sie zu kämpfen. Die Journalistin Sally Hayden sitzt mit im Auto, als drei von ihnen 16 Jahre später zu ihren Familien zurückkehren. Ein berührender Thread, aus dem man viel über die jüngste Geschichte in Uganda lernen kann.
Big & exciting day today: I’m in the car with three Lord’s Resistance Army defectors. We’re on the way to Gulu, northern Uganda, where they’ll be reunited with their families for the first time in 16 years. They look serious in this pic, but really everyone is all smiles (Thread) pic.twitter.com/bRq4nmCdQi — Sally Hayden (@sallyhayd) July 14, 2018
3. Ein Roadmovie mit zwei englischen Adeligen
Tröstlich zu wissen, dass auch im 17. Jahrhundert eine gesellschaftlich herausgehobene Stellung und gesunder Menschenverstand nicht immer zusammengehörten. Damals machten sich nämlich zwei englische Adelige auf den Weg nach Spanien, total inkognito. Also: So inkognito, wie man halt sein kann, wenn man nicht mal ausreichendes Kleingeld für die Fähre dabei hat und daraufhin versucht, ganz lässig mit einem ganzen Goldstück zu bezahlen.
Hello Twitter.
Here is a story about George Villiers (later Duke of Buckingham, famous for being James I boyfriend) and Charles (later Charles I, famous for being beheaded) going on a Super Secret Mission To Spain.
This story is not an April Fool, Though it could be.
— Alexis Hall (@quicunquevult) April 1, 2018
4. Die hellste Oberfläche im Weltall
Diese Mischung aus Weltraum-Nerdtum, Fachwissen und Spaß an Alltagssprache – das ist der Mix, der die Tweets von @DLR_next. so gut macht. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt lässt dort jemanden twittern, der erkennbar Spaß an Wissenschaftskommunikation hat. Von den vielen Threads, die das zeigen, habe ich mir einen vergleichsweise kurzen rausgesucht:
Weil gefragt wurde: In der Südpol-Region von Enceladus, wo das Eis-Spray (siehe Bild der Cassini-Sonde) austritt, gibt’s ’ne Wärme-Anomalie. Vermutlich ist die Anziehungskraft von Saturn die Ursache, weil er an dem Mond „zieht“ und durch die Reibung im Innern Wärme entsteht. pic.twitter.com/SY54LKxPTV — DLR_next (@DLR_next) July 4, 2018
5. Handarbeit und der Untergang einer Dynastie
Was soll ich sagen: Wenn deine Schwägerin dir eine von ihr handbestickte Tasche schenkt, schenk sie halt nicht deinem Liebhaber weiter. Erst recht nicht, wenn der dann dumm genug ist, sie öffentlich zu tragen.
Buckle up for #AlexDrunkHistory: the Tour de Nesle Affair or, how epic pettiness and regifted handbags sank a 350 year old French dynasty and set up the Hundred Years War. First: meet Isabella, queen of England, daughter of France, wannabe Etsy store owner! pic.twitter.com/tCTYpZCurE
— Alex de Campi (@alexdecampi) July 23, 2018
6. Das Tor zur Hölle
Noch ein Geschichtsthema: Im antiken Griechenland war die Stadt Hierapolis berühmt für ihr angebliches Tor zur Hölle. Priester führten Tiere in diese Höhle, die daraufhin innerhalb kürzester Zeit tot umfielen – nicht aber die Menschen, die sie begleiteten. Wie das kam, und warum dort noch immer Vögel tot aus der Luft fallen:
One of the world’s most chilling ruins is the Ploutonion at Hierapolis, “the Gates to Hell”. Here crowds watched priests lead animal sacrifices down into a cave, where they died mysteriously as if dragged down to the underworld. And no one knew how they did it until recently. pic.twitter.com/88xq8ORtpP — Paul 🌹📚 Cooper (@PaulMMCooper) July 20, 2018
7. Wie unsere Augen lügen
Ein Thread, den ich zweimal lesen musste und dann erst mal googeln: Dieser Mechanismus, der da beschrieben ist, klingt einfach extrem seltsam und unwahrscheinlich. Ist er auch – aber eben auch wahr. Und jetzt weiß ich auch endlich, warum es oft so wirkt, als ob der Sekundenzeiger einer Uhr stehengeblieben ist, wenn man neu auf sie blickt.
You want to know something about how bullshit insane our brains are?
OK, so there’s a physical problem with our eyes: We move them in short fast bursts called „saccades“, right? very quick, synchronized movements.
The only problem is: they go all blurry and useless during this
— foone (@Foone) July 3, 2018
8. Ein finnischer Scharfschütze
Marina Amaral, das habe ich beim Zusammenstellen dieser Beispiele gelernt, ist sowas wie die Mutter des historischen Threads. Manche davon, zum Beispiel zu König Edward VII, dem ältesten Sohn von Königin Victoria, ziehen sich über Dutzende von Tweets. Mich hat aber, vielleicht wegen des Russlandbezugs, dieser hier besonders interessiert, in dem sie die Geschichte von Simo Häyhä erzählt.
Simo Häyhä, nicknamed „White Death“ by the Red Army, was a Finnish sniper. Using a Finnish-produced M/28-30 rifle and a Suomi KP/-31, he reportedly killed 505 to 542 men during the 1939–40 Winter War, the highest recorded number of sniper kills in any major war. pic.twitter.com/9JXMRmHAaG — Marina Amaral (@marinamaral2) July 19, 2018
9. Das gehässigste Fleckchen Erde in ganz New York
„Spite houses“, das Phänomen kannte ich: Häuser, die auf eine bestimmte Art gebaut wurden, um Nachbarn zu ärgern oder die Kirche oder andere Familienmitglieder. Dass aber auch schon ein kleines Dreieck an Grundbesitz ausreichen kann, um auf seinem Standpunkt zu beharren und es den anderen mal so richtig zu zeigen, habe ich aus diesem Thread hier gelernt:
So here’s my favourite little quirky thing in New York, which to me is a perfect embodiment of New York’s attitude, and a direct result of New York’s street grid, arguably two of the city’s most famous aspects… pic.twitter.com/3jTSLS20ZY
— Chaz Hutton (@chazhutton) July 20, 2018
10. Raumfahrt und die Menschen im Altai
Paul Cooper hat weiter oben schon die Geschichte mit dem Tor zur Hölle erzählt, aber was soll’s – der Mann schreibt so großartige Threads, der darf hier auch zweimal vorkommen. Diesmal geht es um das einst sowjetische, heute russische Raumfahrtprogramm. Beim Start einer Rakete von Baikonur fallen die aufgebrauchten Stufen nach dem Start im Altai-Gebirge zur Erde und werden so zu einer Gefahr für die Menschen, die dort leben. (Das beeindruckende Foto ist, wie einige in diesem Thread, von Jonas Bendiksen.)
The Altai region of Central Asia seems at first to be a remote & peaceful place. But it also sits on the world’s busiest flight path for space missions. Here used-up rockets regularly crash to earth, & local people are left to salvage what they can of the wreckage. pic.twitter.com/0xcX6itWZu — Paul 🌹📚 Cooper (@PaulMMCooper) May 21, 2018
(Das Foto zu diesem Blogpost zeigt den Saturnmond Enceladus. Quelle: NASA/JPL/Space Science Institute)