Die erste China-Woche in Links

Die erste Woche mit dem Medienbotschafter-Programm in Peking war eine Uni-Woche. Viel zuhören, viel diskutieren und viel lesen. Hier eine Linkauswahl:

China und der kranke Mann – Eric Gujer über „Chimerica“ und den Fokus der EU auf Wirtschaftsbeziehungen zu China. „Die EU verlässt sich bei ihrem Austausch mit China und dessen Nachbarn allein auf ihre wirtschaftliche Stärke, doch wäre es klüger, mehr als ein Eisen im Feuer zu haben.“

China’s Shades of Grey – Jonathan Fenby ordnet aktuelle Thesen zur chinesischen Entwicklung ein. „Since Confucianism and Communism gave way to materialism, China has become a much more difficult place to govern. “

Cop at centre of China scandal took walk on the wild side. Chris Buckley und Benjamin Kang Lim über den Prozess gegen Ex-Polizeichef Wang Lijun, der den Fall Bo Xilai ins Rollen brachte. „Even by the standards of Chinese police, Wang was known as an aggressive officer. “

Demography and Destiny – Nailene Chou Wiest über die Einkindpolitik und ihre Auswirkungen auf den chinesischen Arbeitsmarkt. „The panic now is that China is growing old before it has gotten rich.“

Liang Qichao – Wikipedia-Artikel über den Mann, der als Vater des Journalismus im heutigen China gilt.

Millionen Blogger machen Jagd auf Partei-Funktionär – Johnny Erling über die chinesische „Menschenfleisch-Suchmaschine“. „Die Schwäche für teure Acessoires bringt inzwischen jede Woche über die virtuellen Suchmaschinen einen andern Beamten zu Fall.“

New York Times launches website in Chinese language – Tania Branigan über ein Angebot, mit dem die NYT die chinesische Mittelklasse erreichen will. „Authorities are more anxious about Chinese-language material than the English equivalent, which cannot reach such a wide audience. “

Of ‚Sanfei,‘ Boxers and a Broken System – Nailene Chou Wiest über Fremdenfeindlichkeit in China. „In the popular imagination, public security authorities must rise to the occasion and protect Chinese womenfolk from loutish foreigners. “

 

Journalistenhumor und Zeitungsapokalypse

„Andeutungen, Witze, Symbole, Ironie. Das bringe ich jungen Journalisten bei. Nicht nur die Recherche, nicht nur das Schreiben.“ Normalerweise kommen nach einem Zitat Name und Funktion des Menschen, der es gesagt hat, vielleicht noch das Alter. Hier nicht, um den Mann zu schützen, der da spricht.

Überrascht hat mich bisher an China, wie offen Menschen hier über kontroverse Themen reden. Wenig überraschend ist, dass man sie damit nicht zitieren sollte.

Tsinghua University School of Journalism and Communication
Rund 500 chinesische Nachwuchs-Journalisten werden derzeit an der Tsinghua University School of Journalism and Communication in Peking ausgebildet.

Andeutungen, Witze, Symbole, Ironie. Um sagen zu können, was gesagt werden muss, aber nicht darf. In der journalistischen Berichterstattung, aber auch im Gespräch unter Kollegen. Gewöhnungsbedürftig, mit Experten zu reden und sich plötzlich in Parabel-Land wiederzufinden. Aber auch einprägsam.

„In Russland funktioniert Wandel so: Da ist ein altes Haus. Das sprengen wir. Dann bauen wir ein neues. In China funktioniert Wandel so: Da ist ein altes Haus, aber da leben ja Leute drin. Also können wir es nicht sprengen. Stattdessen renovieren wir es, Raum für Raum. Manche Leute leben dann schon in neuen, schicken Zimmern, andere in alten, heruntergekommenen. Denen sagen wir: Haltet durch, bald kommen die Handwerker auch zu euch.“

Oder auch:

„Reagan, Gorbatschow und Deng Xiaopin gehen zusammen spazieren und kommen an eine Gabelung. An jedem der beiden Wege steht ein Schild, links „Kapitalisten“, rechts „Kommunisten“. Reagan läuft als erster weiter, ohne zu zögern, den linken Weg entlang. Gorbatschow guckt sich um, ob auch keiner schaut, zieht den Hut tief ins Gesicht und läuft auch links entlang. Auch Deng Xiaopin sieht sich um, ob jemand herguckt. Als die Luft rein ist, tauscht er die Schilder – und geht dann auch links lang.“

Mit der Zukunft der diversen Mediengattungen ist es hier übrigens wie in Deutschland: Viele steile Thesen, keine einheitliche Richtung. Der Kollegenhumor allerdings ist fatalistisch: „Wäre doch jetzt ein guter Zeitpunkt für die Regierung, die Auflagen zur Gründung von Zeitungen abzuschaffen. In zehn Jahren sind sie dann eh alle eingegangen.“

Zahlen, bitte

2 Fliegen, nicht mehr, darf es per Verordnung nur noch auf öffentlichen Toiletten in China geben.

5 von 5 Sternen hat derzeit dieser „Dinge mit Gesicht“-Eintrag zu einem traurigen Mandarin-Schriftzeichen.

10 Glückskekse kosten im Dortmunder Asia-Supermarkt 5,99 Euro. Ein Karton mit 300 Stück kostet 19,99. Marktwirtschaft macht Spaß. Der Ausstand auch.

23 Kilo Gepäck sind wenig. Gerade, wenn man für Winterwetter mit packen muss.

56 Länder kommen vor China, wenn man sie  – wie es die Vereinten Nationen getan haben – danach sortiert, wie einflussreich Frauen in der Gesellschaft sind. Mit einem Gender Empowerment Measure (GEM) von 0,5354 liegt China zwischen Venezuela und El Salvador. Deutschland kommt mit einem GEM von 0,831 auf Rang 9.

240 Gramm sind einfach zu viel für ein einzelnes T-Shirt. Raus damit aus dem Koffer.

250 ist auf Chinesisch ein Schimpfwort.

8000 Karmapunkte (ein ungefährer Wert) bin ich schon vor der Abreise im Defizit. Und immer noch beeindruckt, wie hilfsbereit Leute sein können. Freunde, Bekannte, Fastfremde. Danke an Andreas, Dirk, Guido, Katharina, Martin, Martina, Nina, Sami. Danke, Familie. Danke an die Kollegen, die die Stellung halten. Danke an die, die es nicht mögen, in Blogs erwähnt zu werden.

11.25 Uhr landet der Flieger in Peking.

Lorenz Lorenz-Meyer über Social Media in China

Zur Vorbereitung noch mal dieses Video ausgegraben und geguckt. Den Vortrag hab ich bei der re:publica 11 zwar gesehen, aber nur gewohnt unlerserliche Notizen dazu gemacht. Danach ein kleiner Anfalls von „Man müsste mal“: Man müsste mal diesen Link ausgraben zu dem Chrome-Plugin, mit dem man bei Sina Weibo mitlesen kann, ohne Chinesisch zu können. Überhaupt klingt das, was Lorenz Lorenz-Meyer über Sina Weibo erzählt, als sollte Twitter da mal Ideen klauen. Bei jedem Retweet noch mal 140 Zeichen? Super Sache.

Mit dem Nochmalgucken ist die Vorfreude auf China jedenfalls gestiegen. Und so ein Gras-Schlamm-Pferd wäre doch das perfekte Weihnachtsgeschenk für Patenkind 1, 2 und 3. Mal sehen, ob es das als Nerd-Kuscheltier gibt.

Vielleicht doch lieber fliegen

 

Ein Witz, angeblich von Johannes Rau:

Ein Mann möchte gerne von Wuppertal nach Peking reisen, hat aber Flugangst. Also fragt er am Bahnhof nach einer Fahrkarte nach Peking. Geht nicht, heißt es da – von hier können Sie nur eine Karte nach Berlin buchen. In Berlin dasselbe, es gibt nur ein Ticket bis nach Moskau. So bucht er nach und nach weiter und kommt irgendwann in Peking an.

Nach zwei Woche in der Stadt packt ihn das Heimweh und er will zurück. Geht also in Peking an den Fahrkartenschalter: „Guten Tag, ich hätte gerne ein Ticket nach Wuppertal.“ Sagt der Verkäufer: „Balmen oder Elbelfeld?“

Was da an Stereotypen über umständliche Deutsche und effiziente Chinesen mitschwingt. Dortmund – Peking sind mit dem Zug jedenfalls 170 Stunden. Bestimmt eine schöne Reportage. Die aber bitte jemand anders schreiben soll.