Russball, Folge 69: „Die ertragreichste WM aller Zeiten“

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Seit dem Umzug zurück nach Deutschland habe ich keine Frage so oft beantwortet wie „Und? Vermisst du Moskau“. Ja, sehr – die Freunde, die Wucht und Pracht dieser Stadt, die tägliche Portion Absurdes, die Datscha im Grünen, den Chor. Nein, wirklich nicht – die Luft- und andere Verschmutzung, die permanenten Bauarbeiten, die Uniformierten überall, die Bürokratie, den Auto-Fokus in der Stadtplanung.

Meistens komme ich so fifty-fifty raus mit meiner Antwort, aber jetzt, wo es sommert und schon in Berlin die Nächte kurz und nur blau statt schwarz sind, da kippt es deutlich Richtung Moskau-Sehnsucht.

Auch, wenn man nach ein paar Jahren in der Stadt weiß, dass dieser Moskauer Sommer eine heimtückische Charmeoffensive ist – drei, vier, fünf Monate wirft sich dir die Stadt an den Hals, mit Bootsfahrten auf der Moskwa, Freunden auf dem Balkon, Musik bis in die Nacht und tanzenden Menschen in den Parks. Und dann kommen der Herbst, der olle Straßenüberschwemmer, das halbe Jahr Winter mit dreckigem Schnee und grauem Eis, dann wieder überschwemmte Straßen im Frühling, wegen Tau. Der Moskauer Sommer schleimt sich an einen ran, und zur WM vor einem Jahr hat er das besonders überzeugend getan. Also, genug geschwelgt – ein Foto noch von der Atmosphäre damals, und dann reden wir über allerlei Bilanzen.

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⚽ Die Bilanzen und Bilänzchen zum Jahr 1 nach der Fußball-Weltmeisterschaft sind oft sehr zahlenlastig: So hat die FIFA 2018 mehr als 4,6 Milliarden Dollar eingenommen, nach Steuern und Gedöns blieben gut 1,8 Milliarden Dollar übrig. „Rekordeinnahmen“ und „die ertragreichste WM aller Zeiten“, so steht es im Fifafinanzbericht. TASS weist darauf hin, dass 83 Prozent aller Einnahmen der FIFA zwischen 2015 und 2018 auf die WM zurückgehen. Nicht immer sind die Zahlen so spektakulär: Dem russischen Tourismus hat das Turnier angeblich nicht mal ein Prozent mehr ausländische Gäste gebracht als im WM-losen Jahr 2017. Und das, obwohl jeder zehnte WM-Besucher die Möglichkeit nutzte, mit seiner Fan-ID später noch mal einzureisen.

⚽ Weniger zahlenlastig ist der Rückblick, den Russian Football News auf die WM vor einem Jahr wirft. Stattdessen nimmt die Redaktion die einzelnen Gastgeberstädte unter die Lupe: Samara etwa profitiert von der zur WM gebauten neuer Infrastruktur, die aber seit der Abreise der Fans nicht mehr so gut in Schuss gehalten wird. In Rostow haben die Fans jetzt einen längeren Weg ins Stadion als zuvor, in Kasan wollen seit der WM offenbar mehr Menschen Englisch lernen. Ein interessanter Themenschwerpunkt, in dem stets auch Einwohner der jeweiligen Städte zu Wort kommen.

⚽ Dass das Verhältnis zwischen Russland und Georgien von Spannungen geprägt ist, konnte man ja gerade erst wieder in Tiflis beobachten: Nachdem sich ein russischer Duma-Abgeordneter im georgischen Parlament auf den Platz des Parlamentspräsidenten gesetzt und auf Russisch an die Zuhörer gewandt hatte, protestierten wütenden Georgier auf den Straßen der Hauptstadt. Bei Ausschreitungen und dem Polizeieinsatz wurden hunderte Menschen verletzt, die Proteste dauern bis heute an.

Die Wut in der Bevölkerung ging so weit, dass die Spieler dreier georgischer Fußballteams in T-Shirts aufliefen, auf denen Russland vorgeworfen wird, es habe 20 Prozent des georgischen Statsgebiets besetzt. Gemeint sind die georgischen Regionen Abchasien und Südossetien, die sich als unabhängige Staaten betrachten, tatsächlich aber komplett abhängig und kontrolliert von Russland sind. Aus dem russischen Parlament gibt es bereits Forderungen, die FIFA solle die T-Shirt-Aktion verurteilen. Unter den beteiligten Spielern sollen auch zwei Russen sein, die bei georgischen Vereinen unter Vertrag stehen.

⚽ Wer die letzte Russball-Folge gelesen hat, erinnert sich vielleicht: Die Besucherzahlen im russischen Profifußball sind nach der WM gestiegen und haben in der Premjer-Liga mit durchschnittlich 16817 Zuschauern pro Spiel einen neuen Rekordwert erreicht. Mit etwas Verspätung zieht Vedomosti daraus nun die Bilanz, die WM habe Russlands Fußballvereine gelehrt, wie man sich aus eigener Kraft finanziert und nicht mehr so von Sponsoren oder staatlichen Geldgebern abhängig ist. Steile These, die der Artikel nicht so recht belegt, trotzdem stecken ein paar interessante Fakten drin. Zum Beispiel, dass neben großen Namen wie Zenit, Spartak oder Lokomotive auch der FK Orenburg inzwischen einen großen Teil seines Budgets selber verdient – durch Eintrittskarten, Fanartikel, Ablösen.

Absolute Zahlen gibt es keine, bei Orenburg, dem Tabellensiebten der vergangenen Saison, machen diese Einnahmen inzwischen aber mehr als 90 Prozent des Budgets aus. Sieben von 16 Erstligaclubs sind dem Bericht zufolge allerdings auch heute noch weitgehend von zahlungskräftigen Sponsoren abhängig – in Russland oft regionale Regierungen, staatliche oder staatsnahe Unternehmen. Für diese Vereine hat Vedomosti, das ja eine Wirtschaftszeitung ist, nicht viel übrig: „Leibeigenentheater und Sozialprojekte“, mehr seien sie nicht – entweder das Amüsement eines reichen Geldgebers, oder dessen Chance, sich ein bisschen zu engagieren.

⚽ Ach ja, und weil da gerade „sieben von 16 Erstligaclubs“ stand: Das könnten bald schon 18 sein. Die Führung der Premjer-Liga hat eine Arbeitsgruppe gebildet, um Argumente für und gegen eine Vergrößerung zusammenzutragen, als nächstes müsste dann der Verband überzeugt werden. Nach TASS-Informationen haben sich alle Erstligavereine bis auf einen für den Vorschlag ausgesprochen. Besonders anschaulich ist, was Anatoli Mescherjakow, Aufsichtsratsvorsitzender von Lokomotive Moskau, dazu zu sagen hat: Erst mal müsse man (siehe Anschi Machatschkala, dazu gleich mehr) überhaupt ausreichend Vereine finden, die finanziell stabil genug seien für den Erstligabetrieb. „Und dann: Haben wir (genug) Stadien mit 15.000 Sitzen und Spielfeldern, die nicht dazu führen, dass sich die Spieler einen Bänderriss holen?“

⚽ Zwischendurch mal kurz: Der Twitter-Account „Football Manager Hair on Politicians“ ist erst seit Mitte Juni aktiv, hat aber schon ganz gut vorgelegt: Kim Jong-Un mit den Haaren von Jürgen Klopp, Jacob Rees-Mogg mit den Haaren von Rudi Völler. Und dann, rechtzeitig für diese Russball-Folge, das Zückerchen hier:

⚽ Diese Marotte, aus kyrillischen Buchstaben pdeudo-deutsche (oder -englische) Wörter zu basteln, finde ich ja ziemlich anstrengend. Trotz seines schmerzhaften Logos sei an dieser Stelle aber darauf hingewiesen, dass das Reportage-Projekt „Buterbrod und Spiele“ über den WM-Sommer 2018 gerade mit einem Grimme-Online-Award ausgezeichnet worden ist. Gern gelesen: den ausgiebigen Besuch bei Sergej Tschilikow und die kleine Randgeschichte über den Comedy-Youtuber Semjon Slepakow.

⚽ Das Logo von Paris Saint-Germain ist frei von Kyrillisch-Spielereien, obwohl es auf dieser Weltkarte bald ein weiteres Mal auftauchen wird. Sie zeigt, wo der französische Verein bereits überall Ableger seiner Nachwuchs-Akademie hat sprießen lassen, etwa in Montréal, Rio de Janeiro oder Düsseldorf. Ende August eröffnet jetzt auch eine Filiale in Moskau – direkt am Luschniki-Stadion, dem Ort des WM-Finales. Nach der Weltmeisterschaft hat es ja eine ganze Reihe neugegründeter Fußballschulen in Russland gegeben, da will nun auch der Meisterverein aus dem Weltmeisterland mitspielen.

Kinder zwischen 3 und 15 Jahren können ab dem Spätsommer an der Moskauer PSG-Akademie lernen. Trainiert wird zwei- bis viermal pro Woche, sechs reguläre und ein Torwarttrainer werden nach Vereinsangaben an der ersten PSG-Akademie auf russischem Boden lehren. Die Website steht, auf dem Instagram-Account sammeln sich die ersten Füllbilder und Nutzerkommentare. Und als jemand mit viel Liebe für Sprache weiß ich nicht, was mich mehr beschäftigt: Dass Fabien Allègre, der bei PSG für „Markendiversifizierung“ (doch, wirklich) zuständig ist, die Moskauer Akademie ohne Bescheidenheit oder Sprachgefühl als „eine der premiumsten des Landes“ ankündigt. Oder das Wissen, dass Paris Saint-Germain ins Russische streng phonetisch als Пари Сен-Жермен transliteriert wird, also Pari Sen-Schermen. Wenn das mal die Akademie nicht noch ein bisschen premiummer macht!

⚽ Willst du Jenissei oben sehen, musst du die Tabelle drehen. Es war keine gute Saison für den Verein aus Krasnojarsk, in der kommenden Saison spielt er bloß zweitklassig. Doch auch ohne Klassenerhalt hat sich der Club etwas anderes bewahrt: sein Talent dafür, sich geschickt in sozialen Netzwerken zu präsentieren. Wir erinnern uns: FK Jenissei, das sind die, die damals mit einem Einfamilienhaus und einem Lada mit personalisiertem Kennzeichen versucht haben, Cristiano Ronaldo zu sich zu locken. Die, die zum Pokalspiel fast 2000 Kilometer mit dem Zug anreisen, einschließlich Grillhähnchen.

Und nun eben die, die das Abstiegstrauma in einem schiefbunten Mischmasch aus Star Wars und Superheldenfilm aufgreifen: „Im Jahr 2019 flog der FK Jenissei aus der Russischen Premjer-Liga, wodurch es zu einer intergalaktischen Explosion und einem Riss im Raum-Zeit-Kontinuum kam und sich die Universen vermischten.“. Anders gesagt: Uns gibt es noch, wir nehmen die Sache mit Humor, also kauft doch bitte unsere neuen Trikots, ja?

⚽ Noch eine Abstiegsgeschichte, bloß dramatischer: Die Finanzkrise von Anschi Machatschkala hat sich über Monate hingezogen, noch vor kurzem sah es aus, als stehe der Verein vor dem kompletten Ende: Nach dem Aus in der Premjer-Liga bekam er nicht mal mehr die Lizenz für die FNL, also die zweite Liga. Wie ernst es um Anschi stand, zeigen die Überschriften, nachdem der Verein nun immerhin eine Drittligalizenz bekommen hat: „Anschi hat überlebt“„Anschi wird leben“„Anschi ist am Leben“, so liest sich das.

Anschi hat seine Fans in einem Instagram-Post über die Lizenz und die daran geknüpften Bedingungen informiert. So darf der Verein so lange keine neuen Spieler verpflichten, bis er die Gehälter nachgezahlt hat, die er seiner aktuellen Mannschaft und dem Trainerstab noch schuldet. Ausdrücklich erlaubt ist es dagegen, Spieler aus den eigenen Fußballakademie ins Profiteam aufrücken zu lassen – die Krise des Vereins als Chance für den Nachschub.

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Als Rausschmeißer noch mal ein Blick auf Russland und Georgien. Matthew Janney schreibt darüber, wie er das Angebot bekam, für die russische Rugby-Nationalmannschaft zu spielen – und welche Reaktion es gab, als er feststellte, dass er gar keine russischen Vorfahren hat, sondern georgische. Spoiler: Es ging seinem Bericht zufolge so in Richtung „Na, das kriegen wir schon im russischen Sinne gedreht.“ Fand ich vor allem deshalb interessant zu lesen, weil Russland ja auch im Fußball wie in der Politik die russische Staatsangehörigkeit ganz gerne mal strategisch vergibt.



 

Russball, Folge 57: Was von der WM übrig bleibt

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Sag mal, Russland. So hatten wir aber nicht gewettet! Ich wollte doch noch ein bisschen schwelgen, ein wenig den WM-Afterglow genießen. Nach dem Finale (neun Freunde aus fünf Ländern vor einem Fernseher, grob je die Hälfte für Frankreich und für Kroatien) hatte ich mich auf den Weg Richtung Stadtzentrum gemacht, um mich noch einmal treiben zu lassen in dieser Menschenmenge.

Leute, die vor dem Erlöserturm um ein Handy mit angeschlossenem Lautsprecher tanzen. Eine Prozession trommelnder, trillerpfeifender Menschen, die kurz darauf ebenfalls beginnen zu tanzen. Spontaner Applaus von Passanten, wann immer ein Grüppchen Kroaten vorbeikommt. Frankreich-Fans, die im Brunnenbecken hinter dem GUM feiern und sorgfältig darauf achten, möglichst viele Zuschauer nass zu machen. Und dann, zuletzt, das langsame Geschiebe über die proppenvolle Nikolskaja. „Hey, hey, qui ne saute parle pas français!“ Eine Frau hält ein weißes Shirt hoch, auf das sie geschrieben hat: „Danke, Fußballfans, dass ihr keine Angst hattet, nach Russland zu kommen!“

wm nikolskaha shirt

Wie gesagt, für mich hätte das gerne noch ein bisschen so weitergehen können. Aber nein, am Tag danach veröffentlicht eine große russische Zeitung einen unsäglich rassistischen Kommentar über die vielen Schwarzen in der Weltmeistermannschaft. Aus mehr als einer WM-Stadt kommen Meldungen, dass die Infrastruktur rund um die Stadien bereits bröckelt. Ein Video macht die Runde, in dem offenbar ein Polizist die Pussy-Riot-Aktivisten verhört, die beim Finale aufs Spielfeld gerannt waren. „Wie schade, dass nicht mehr 1937 ist“, hört man ihn sagen. Das war die Zeit, in der Stalin massenweise politische Gegner verschleppen und ermorden ließ.

Für n-tv.de hatte ich für den Tag nach der WM einen fiktiven Ausblick auf Russland nach der WM geschrieben, durchaus süffisant. Darüber, was von der WM bleibt und was wieder dem Alltag weichen muss. Liebes Russland, ganz ehrlich: Ich mag da befangen sein, aber meine Variante hat mir besser gefallen.

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⚽ Woran man auch merkt, Dass die WM vorbei ist: Die in den vergangenen Wochen ausgesprochen zurückhaltenden Moskauer Polizisten lassen sowas hier nicht mehr durchgehen:

⚽ Normalerweise ist es ja gerne mal so, dass man erst einen Artikel liest und dann beim Blick in die Kommentare den Glauben an die Menschheit verliert. Bei diesem Text von Sport Express ist es andersrum: „Fans von Torpedo sind gegen Wechsel eines dunkelhäutigen Russen“ ist er überschrieben, es geht darin um eine Fangruppierung des FK Torpedo Moskau. Die protestiert online gegen die Verpflichtung von Erving Botaka. Botaka ist Russe, seine Fußballjugend verbrachte er bei Torpedo, nun kehrt er dorthin zurück. Was eine Gruppe von Ultras zu Posts wie „Auf unserem Trikot gibt es Schwarz, aber in unseren Reihen nur Weiße“ veranlasst. So weit, so dumm.

Deutlich dagegen halten aber viele der Leserkommentare unter dem Artikel. „Ist es nicht Zeit, solche ‚Fans‘ plattzumachen“, fragt einer, ein zweiter schlägt etwas milder vor: „Einfach diesen Abschaum nicht ins Stadion lassen. Das ist die beste Entscheidung, von der alle profitieren.“ Ein anderer Kommentator fühlt sich von der Haltung der Fangruppe an „die Neunziger des vergangenen Jahrhunderts“ erinnert, muss sich aber seinerseits korrigieren lassen: „Wohl eher an die Steinzeit.“ Den einen Leser schließlich, der unter dem Artikel munter rassistische Parolen postet, haben die anderen bereits weit nach unten gevoted.

⚽ Einen erfreulichen WM-Effekt dokumentieren derzeit die Kollegen von Russian Football News: überraschend gut gefüllte Stadien. Selbst Russlands Top-Vereine mussten sich bisher ins Zeug legen, um ihre Ränge voll zu kriegen. Da sind solche Bilder hier schon beeindruckend, erst Recht für ein Zweitligaspiel:

⚽  Stell dir vor, du bist Fan von St. Pauli und bekommst mitgeteilt, dass dein Verein ab sofort FC Garmisch-Partenkirchen heißt und dorthin auch umzieht. Weil da halt ein tolles Stadium rumsteht, was irgendwie mit Leben gefüllt werden muss. Sowas passiert hier gerade in Russland.

Denn da steht nun also in Sotschi dieses Stadion, das zwar bei den Olympischen Spielen, dem Confed Cup und der WM ein paar Mal gebraucht wurde, aber ansonsten – höflich gesagt – nicht allzu ausgelastet ist. Es gibt nicht mal einen örtlichen Verein, der dort in Zukunft spielen könnte. Also wird ein anderer Club umgetopft, vom finnischen Meerbusen runter ans Schwarze Meer: Dynamo St. Petersburg soll künftig PFK Sotschi heißen. Was das für die Fans in Petersburg heißt, scheint dabei niemanden so recht zu interessieren. Aber was sind schon knapp 30 Stunden Autofahrt zu einem Heimspiel, wenn man seinen Verein wirklich liebt.

⚽ Habt ihr das mit den Nigerianern mitbekommen? Dutzende von ihnen sind während der WM in Russland gestrandet – eingereist per Fan-ID, weil ihnen dubiose Vermittler erzählt hatten, sie könnten hier Arbeit in Fabriken oder sogar als Profifußballer finden. Die Rückflugtickets haben besagte Vermittler dann storniert, den Betroffenen blieb nichts übrig, als vor iher Botschaft zu warten und um Hilfe zu bitten. Inzwischen sieht es so aus, als ob sich die nigerianische Regierung wohl ihrer annehmen und sie zurück nach Hause holen wird.

⚽ Was mir fehlen wird: Die regelmäßigen Podcast-Gespräche mit Max vom Rasenfunk. Gestern haben wir das vorerst letzte aufgezeichnet, und dafür, dass ich beim ersten mal im Dezember noch ziemlich Muffensausen hatte (Was, wenn der von mir jetzt echte Fußballexpertenfragen beantwortet haben will?), ist mir dieses Format echt ans Herz gewachsen. Max hat mich jedes Mal beeindruckt als gut informierter und so ziemlich an allem interessierter Gesprächspartner, bei dem man in guten Händen ist. Jemand, der Spaß daran hat, sich auch mal zu einem abwegigen Thema zu verquatschen, aber gleichzeitig ein gutes Gefühl davon, wann es dann auch gut ist. Was er da während der WM gewuppt hat, ist bemerkenswert.

⚽ Es sprach der Scheich zum Emir: Jetzt zahlen wir, und dann gehn wir. Es sprach der Emir zum Scheich: Zahlen wir nicht, und gehn gleich! Einer dieser Vatersprüche, mit denen ich aufgewachsen bin – nie hätte ich damit gerechnet, dass ich ihn mal irgendwo sinnvoll anbringen könnte. Aber so kann’s gehen:

Da saß nun also der Gastgeber der nächsten WM, der Emir von Katar, im Restaurant des superschicken Moskauer Hotel Lotte und bestellte dort ausgerechnet einen Latte. Getrunken hat er ihn vermutlich, bezahlt aber nicht, weshalb die Kellnerin nun die Gäste nebenan fragt, ob sie die Rechnung nicht vielleicht bezahlen wollen. Weder der Journalist Jamil Chade noch sein Begleiter wollten das. Eine lustige Begebenheit, die damit endet? Aber nein.

Am Tag darauf twitterte Chade, die Hotel-Security habe ihn soeben rausgeworfen, als einzigen Journalisten. Warum? Erst keine Angabe, dann ein Missverständnis, schließlich: Chade habe mit seinem Tweet die Privatsphäre des Emirs verletzt. Dass er als derjenige, bei dem die Kellnerin versucht hatte, das Geld einzufordern, unmittelbar von der Emir’schen Zechprellerei betroffen war – offenbar kein Argument. Chade, der den ganzen Vorfall für O Estado de S. Paulo, Brasiliens älteste Tageszeitung, aufgeschrieben hat, zog folgende Bilanz:

⚽ Erinnert ihr euch an die Frage vor der WM? Wird das denn auch alles rechtzeitig fertig, die Stadien, die Straßen, die Fußwege? Die Antwort hieß „ja“, aber nun, kaum dass die WM vorbei ist, merken wir: Sie hieß eigentlich „ja, aber…“ Es hat zwar alles gerade noch rechtzeitig geklappt, aber wer so auf den letzten Drücker baut, baut eben nicht gerade für die Ewigkeit. Wir Moskauer kennen das von Bürgersteigen, die huschhusch hübsch gemacht werden, dann nach dem ersten Winter wie eine Buckelpiste aussehen, also wieder neu aufgehübscht werden. Es ist ein Zyklus.

So begab es sich also, dass ein Regen fiel in Wolgograd. Ziemlich ausdauernd, ja, es war die Niederschlagsmenge von zwei Monaten innerhalb von 24 Stunden. Ergebnis: Dieser asphaltierte Hang neben dem Stadion… sagen wir mal so: Heute ist er weder Hang noch asphaltiert. Schuld war nach Angaben der Stadtverwaltung das Fundament des neuen Stadions, das so gebaut sei, dass das Wasser nicht anständig abgeleitet wurde. Ähnlich in Nischni Nowgorod: Schon vor ein paar Wochen hatte der Blogger Ilja Warlamo darauf hingewiesen, dass da vielleicht das ein oder andere Abflussrohr gut täte. Dann kam der Regen und unterspülte so manches, was gerade erst gebaut oder hübsch gemacht worden war. Witze wie diesen hier haben sich die Architekten also selber eingebrockt:

„Schaut nur, wie das Stadion von Saransk, das zur WM 2018 gebaut wurde, nach einem leichten Regen aussieht. Einfach beschissen.“

⚽ Die WM-Infrastruktur und die Frage, was aus ihr wird, steht auch im Mittelpunkt des Fazits, das Sports.ru von der Weltmeisterschaft zieht. Doch es geht auch um Größeres, um Grundsätzliches. Es ist ein philosophischer Text geworden und es lohnt sich, daraus eine ganze Passage zu zitieren:

„Es hat sich gezeigt, dass es irgendwo in diesem Universum ein prächtiges, strahlendes Russland gibt, in dem es möglich und nötig ist, das Leben zu genießen und nicht bloß zu überleben. Wir lebten vier schöne Wochen lang in einem hastig aufgebauten Potemkinschen Dorf, das in kürzester Zeit einstürzen würde, wenn wir nichts dagegen tun. Wir haben gelernt, dass wir unter bemerkenswerten Bedingungen leben können, und dass wir nun lediglich vom Staat (und von uns) verlangen müssen, all das Schöne zu erhalten, was für die ausländischen Gäste gebaut wurde.“

Ein guter Einstieg für einen kleinen Bilanzblock: Wer zieht sonst so welches Fazit aus der WM?

⚽ Die Reporter des Guardian: Diese Mischung aus Sportlichem und russischem Alltag gefällt mir sehr. Und die Mottokuchen zu den einzelnen Spielen auch.
⚽ Das Sportblatt „Sowjetski Sport“: Dort haben sie schon mal durchgerechnet, was passiert, wenn am Donnerstag das neue FIFA-Ranking veröffentlicht wird. Ein Sprung nach oben für Russland, eventuell um ganze 32 Plätze, dank der guten WM-Leistung.
⚽ Die russischen Zeitungen: Irgendwo zwischen „Russisches Rebranding“, Stolz und „Schau mal, wie viel Geld wir verdient haben“

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Zum Schluss noch die Antwort auf eine Frage, die einige von euch in den vergangenen Tagen gestellt haben: Wie geht es weiter mit dem Russball? Die einfache Antwort ist: Das kommt auf euch an. Ich werde den Newsletter diesen Monat noch wöchentlich schreiben, so lange es viel nachzuberichten gibt. Danach dann in größeren Abständen, also vielleicht monatlich oder wenn irgendwas Besonderes anfällt. Denn: Mir macht das zwar weiterhin Spaß, aber ich will auch niemanden zuspammen. Außerdem spiele ich mit dem Gedanken, vom Mittwoch auf einen anderen Wochentag zu wechslen – demnächst ist wieder Chorsaison, und wir proben dienstags.

Damit auch ihr eure Zukunft planen könnt, kommt ganz zum Schluss noch ein Servicehinweis: Die Fan-ID soll bis Ende des Jahres als Visumsersatz gelten, man kann damit also weiterhin nach Russland reisen. Was erst eine Ankündigung Wladimir Putins nach dem Finale war, liegt nun bereits als Gesetzentwurf in der Duma auf dem Tisch. Noch vor Monatsende soll darüber abgestimmt werden. Also, wenn jemand von euch Tipps für Russlandreisen auch abseits der WM-Austragungsorte sucht: Gerne fragen!



 

Russball, Folge 32: Anstoßen mit Bier und Doping-Cocktails

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Ein internationales Sportturnier in Russland, im Jahr 2018 – nein, es geht nicht um die Fußball-Weltmeisterschaft, jedenfalls nicht direkt. In diesen Tagen entscheidet sich nämlich in Moskau, wer Europas beste Eiskunstläufer sind.

Diese Woche habe ich also sowohl für sechs Leute Karten für die Eiskunstlauf-EM gekauft (fünf Minuten online, einschließlich einem Anruf direkt beim Veranstalter, weil ich noch eine Frage hatte) und für zwei Leute Interesse an diversen Moskauer WM-Spielen angemeldet (15 Minuten online, einschließlich der Suche nach so Infos wie „welche Passnummer hat Ihre Begleitung“ und einer Extrarunde „Ihre Kreditkarte ist keine Visakarte, und Visa ist doch unser Sponsor, das geht so aber nicht!“). Es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht.

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⚽ Wo wir schon an der Grenze zwischen Eisfläche und Stadionrasen stehen: Jewgeni Pljuschtschenko hat als Eiskunstläufer mehr als ein Jahrzehnt lang Goldmedaillen bei EM, WM und Olympischen Spielen gesammelt. Jetzt meldet er sich mit einer Idee zum Fußball zu Wort, oder vielmehr: zu den Gehältern russischer Fußballspieler.

Dass in Russland besserer Fußball gespielt würde, wenn mehr Spieler auch mal Erfahrungen bei einem ausländischen Verein sammeln würden, ist unbestritten. Das hohe Gehaltsniveau im russischen Vereinsfußball, wo viele Clubs dem Staat oder reichen Staatskonzernen gehören, verhindert das meist. Pljuschtschenko, selber Fußballfan, fordert jetzt, den russischen Spielern deutlich weniger zu zahlen: „Das Existenzminimum sind derzeit 11.000 Rubel. Man muss die Spielergehälter auf 30.000 Rubel festlegen.“ Damit läge laut dieser Übersicht „Profifußballer“ etwas über „Schaffner“ (22.0000), auf einer Höhe mit „Museumsangestellter“, aber deutlich unter „Weihnachtsmanndarsteller“ (55.000).

⚽ Wie schön, wenn man sich mal fünf Minuten nicht mit der Frage „Ist Donald Trump ein Rassist?“ beschäftigt, sondern mit Fußball. Leider bleibt da dann immer noch die Frage: „Ist der Social-Media-Mensch von Spartak Moskau ein Rassist?“ Anlass ist ein inzwischen gelöschter Tweet, in dem schwarze Spartak-Spieler beim Training als „Schokolade, die in der Sonne schmilzt“ bezeichnet wurden. (Nicht der erste Vorfall dieser Art bei Spartak.) Das gab den verdienten Ärger – von der Anti-Rassismus-Initiative „Kick it Out“, von der FIFA und nicht zuletzt auch von der russischen Fan-Gruppe „CSKA Against Racism“.

Die betroffenen Spieler selber haben inzwischen in einem Statement betont, bei Spartak gebe es keinen Rassismus. Was sollen sie auch sonst tun, schließlich ist der Verein ihr Arbeitgeber. Auch die Leser von Sports.ru meinen mehrheitlich: Das war doch nur ein Witz, alles halb so schlimm. Ich persönlich würde trotzdem beide Fragen – die nach Trump und die nach Spartak – mit einem Ja beantworten.

Wer nicht versteht, warum auch ein positiv besetzter Begriff wie „Schokolade“ eine rassistische Bezeichnung sein kann, der liest am besten mal bei Jezebel nach, was die damalige Chefredakteurin Dodai Stewart 2011 über eine ähnlich gelagerte Werbekampagne geschrieben hat: „Einen schwarzen Menschen mit Schokolade zu vergleichen (…) ist nichts anderes als Objektifizierung.“

⚽ Falls übrigens jemand von euch britische Medien liest und dort Artikel findet, in denen kritisch über Russlands WM-Vorbereitungen, die Sicherheit im Lande oder gewalttätige Hooligans berichtet wird: Für Marija Sacharowa, Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, ist das alles Teil einer Kampagne. Sie behauptet, der Staat habe zahlreiche englische Medien angewiesen, vor der WM eine Schmierkampagne gegen Russland zu fahren.

Die Nachrichtenagentur TASS zitiert dazu Waleri Gassajew, der früher die russische Nationalmannschaft trainiert hat. Er sieht das genau so wie die Ministeriumssprecherin. Schmutzige Propaganda. Eine gezielte Kampagne. Alle nur neidisch, die Briten. TASS, das sollte man vielleicht noch kurz erwähnen, gehört übrigens dem russischen Staat.

⚽ Die Zahl der Deutschen in Moskau ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Aber damit ist jetzt Schluss, in diesen Tagen startet ein Gegentrend, und zwar im Rheinland! Konstantin Rausch vom 1. FC Köln steht offenbar vor dem Wechsel zu Dynamo, selbst die Ablösesumme soll schon vereinbart sein: Westi spricht von zwei Millionen Euro. (Dynamo ist im Moment hier auch mit einer anderen Personalie in den Schlagzeilen: Fliegt Stürmer Pawel Pogrebnjak raus, weil er, statt selber auf dem Platz zu stehen, lieber in Italien als Zuschauer im Stadion war? Ganz schön doof, davon dann auch noch Fotos zu posten.)

So oder so: Wahrscheinlich hat sich Rausch, der auch die russische Staatsangehörigkeit hat, überlegt, dass er so seine Chancen steigert, bei der WM zum Kader der russischen Nationalmannschaft zu gehören. Und ich überlege mir schon mal, ob ich den Neuzugang aus Köln unseren Lieblingsnachbarn vorstellen soll. Falls sich die Gelegenheit ergibt, man weiß ja nie.

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⚽ Wie schaffe ich jetzt den Übergang von „Köln“ zu „Bier“? Doof, dass es da so gar keinen Zusammenhang gibt – das finde selbst ich als Altbiertrinkerin schade. Jedenfalls rechnen Experten damit, dass der Bierverbrauch in Russland dieses Jahr zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder zunehmen wird. Interessante Faustregel eines der Experten, den Wedomosti zum Thema befragt hat: Findet in einem Land eine Fußball-Weltmeisterschaft statt, dann treibt das den Bierkonsum um rund fünf Prozent in die Höhe.

Ein paar russische Bier-Fakten für den Hinterkopf: Ja, es stimmt tatsächlich, dass Bier hier rechtlich erst seit dem Jahr 2013 als alkoholisches Getränk gilt – vorher lag die Schwelle bei 10 Prozent Alkoholgehalt. Wer seine Einkäufe bei Russlands großem Online-Supermarkt „Utkonos“ macht, findet dort bis heute die Kategorie „Alkoholische Getränke und Bier“. Ja, man kann russisches Bier sehr gut trinken – auch, wenn in Moskau viele Läden eher Stella, Heineken und Budweiser auf der Karte haben. Bei der russischen Bierkonsumprognose sind übrigens Fußballfans aus Deutschland und England explizit als Hoffnungsträger erwähnt – schließlich kommen sie „aus Ländern mit hoch entwickelter Bierkultur“.

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⚽ Noch mal zum Thema Getränke: Der Preis für den besten Einstiegssatz geht diese Woche an James Ellingworth, der sich im Moskauer Büro von Associated Press um die Sportthemen kümmert. „Würden Sie eine Probe aus dem Doping-Labor von Sotschi trinken?“, beginnt seine Reportage, in der er Absonderliches berichtet: In dem Gebäude, das einst im Mittelpunkt des Dopingskandals bei den Winterspielen 2014 stand, ist nun eine Kneipe mit einem ganz besonderen Humorverständnis. Auf ihrer Cocktailkarte finden sich neben den Klassikern auch diverse Drinks, die Doping-Anspielungen im Namen tragen. Möchte vielleicht jemand ein Glas „Meldonium“? Oder eine „B-Probe“?

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⚽ Dass sich Russlands Fußballvereine schwer damit tun, ihre Stadien vollzukriegen, war hier ja schon mal Thema. Nun gibt es dazu neue Zahlen: Während der Zuschauerschnitt in der Bundesliga 2016/17 bei 40.693 Gästen lag, waren es in Russland bloß 11.415.

Wer den ganzen Bericht liest, findet dort aber auch eine positive Prognose: Nachdem Polen (2012) und Frankreich (2016) die Fußball-Europameisterschaft ausgerichtet hatten, sei in beiden Ländern der Zustrom an Fans gewachsen. Solch eine Entwicklung sei auch in Russland möglich. Und wenn das nicht reicht: In Wladikawkas wollen sie ihren Fußballverein wieder zum Leben erwecken, der 1995 Meister war und 2014 insolvent. Spätestens das wird ja dann wohl der nötige Schub in Richtung Fußballbegeisterung sein!

⚽ Russian Football News hat eine Serie gestartet, die nach und nach alle WM-Austragungsorte vorstellen will. Die erste Folge, in der Moskau präsentiert wird, liegt auf der nach oben offenen Trockenheits-Skala leider irgendwo zwischen Brockhaus und Sägespänen. Immerhin, zwei interessante Facetten finden sich in dem Zehntausend-Zeichen-Riemen: Ein Rückblick auf ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Moskauer Luschniki-Stadions und der Hinweis, dass es unweit der Metro-Haltestelle Taganskaja ein hausgroßes Bild des russischen Supertorwarts Lew Jaschin gibt.

Die ultimative Lew-Jaschin-Mauer bleibt aber weiterhin dieses Exemplar hier, von dem Ende letzten Jahres Fotos im Netz die Runde machten. Schlichter Slogan: „Onkel Lew ist cooler als (Manuel) Neuer“

⚽ Russlands Parlament will verhindern, dass bei der Fußball-WM im Sommer gefälschte Eintrittskarten kursieren. Ein neues Gesetz sieht vor, dass Fälscher hohe Bußgelder zahlen müssen: Zwischen 50.000 und 70.000 Rubel, also pi mal Daumen 700 bis 1000 Euro, wenn ein einzelner Mensch versucht, mit Fake-Tickets Geld zu machen. Ein bis anderthalb Millionen, wenn ein ganzes Unternehmen Karten fälscht.

Im Gesetzesentwurf sind auch die Strafen festgelegt, die für den Schwarzmarkthandel mit WM-Tickets fällig werden: das 20- bis 25-fache des Ticketpreises, mindestens aber 50.000 Rubel – das ist, siehe oben, für viele Russen ein Monatsgehalt. Also durchaus eine Dimension, in der das mit der Abschreckung funktionieren könnte.

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Zum Schluss noch mal ein Blick auf die Themen vom Anfang, also auf die Disziplinen „Eislaufen“ und „Tickets kaufen“. Zu ersterem könnt ihr euch schon mal einen Termin vormerken: Am 28. Januar kommt um kurz nach 18 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur „Künstler auf Kufen – Eiskunstlauf in Russland“. Ein Feature von Gesine Dornblüth, die bis letzem Jahr hier in Moskau Korrespondentin war. Kann also nur gut werden.

Was Fußballfans in Deutschland zum Thema Kartenkauf wissen müssen, hat Markus diese Woche bei Radio Eins erzählt. Und dabei auch direkt ein Thema aufgegriffen, das ich auch schon allerlei Leuten erklären musste: Warum ihr euch nämlich zur WM nicht einfach eine Privatwohnung in Russland mieten könnt, sondern da noch ein bürokratischer Haken dran ist. Wie gesagt: Es könnte alles so einfach sein.



 

Russball, Folge 24: Liebeserklärung an eine alte Schachtel

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Diese Woche machen wir das hier mal ein bisschen anders. Es gibt so viele kleine Meldungen rund um die kommende Fußball-Weltmeisterschaft in Russland, die aber untereinander nicht viel miteinander zu tun haben. Darum hat diese Russball-Ausgabe am Schluss einen kleinen Block mit Kurzmeldungen. Aber erst mal reden wir über die Liebe.

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⚽ Denn es ist ganz klar eine Liebeserklärung, die der Journalist Jegor Arefjew da verfasst hat. Er feiert darin das, wozu die Russen Korobka sagen, also Schachtel. Gemeint sind damit die umzäunten kleinen Plätze, oft im Innenhof russischer Wohnkomplexe, in denen nicht nur Kinder gerne Fußball spielen. „Der Boden war aus Erde, was heute eine Seltenheit ist“, erinnert sich Arefjew an die Korobka seiner Jugend. „Ein bisschen mehr Gras, und es wäre das Luschniki-Stadion im Miniformat gewesen. Unsere Zuschauer waren die Bewohner der beiden fünfgeschossigen Häuser nebenan und die Leser in der Bibliothek.“

Kaputte Knie, zerschossene Fensterscheiben im Erdgeschoss. Eine buntgemischte Subkultur mit ihren eigenen Regeln, zu der jedes Kind, jeder Jugendliche Zugang hatte. Es ist ein romantisches Bild, das Arefjew von dieser russischen Institution zeichnet. Das Calvert Journal hat vor ein paar Jahren mal ein Foto-Essay zu dem Thema zusammengestellt, das zeigt: Eine Korobka kann runtergekommen sein, mit Graffiti besprüht, mit rostigen Gittern oder Wänden aus nacktem Beton. Alles egal, es zählt, was man daraus macht. Und, schöner Zufall: Der Tagesspiegel hat auch gerade eine Hymne an die Korobka veröffentlich, in ihrer Berliner Variante. Mit dem wunderschönen ersten Satz: „Manche Menschen brauchen Käfige, um frei zu sein.“

kscheib russball korobka in bischkek

Das Foto ist in Kirgistan entstanden, bei einem abendlichen Spiel in einer Korobka in Bischkek – leicht verwischt, aber eine schöne Erinnerung. Auch unsere Wohnanlage hier in Moskau hat übrigens eine Korobka, auch wenn sie selten zum Fußballspielen genutzt wird. Dafür ist es ein untrügliches Zeichen für den Frühling, wenn die indischen Nachbarskinder darin wieder Cricket spielen.

⚽ Die Zeitschrift „Futbol“ zeichnet die Verletzungsprobleme von Manuel Neuer nach. „Ein neuer Lew Jaschin“ hätte Neuer werden können, heißt es dort in Erinnerung an die sowjetische Torwart-Legende.

Stattdessen stehe Deutschlands bester Torwart nun am Abgrund und werde auch nicht mehr zu seiner alten Form zurückfinden – da ist sich die Autorin sicher. Aber gut, das ist dieselbe Frau, die auch behauptet, im Stadion des VfL Osnabrück werde das Bier in Anderthalbliterbechern ausgeschenkt. Wäre ja schön, wenn sie in Sachen Manuel Neuer genau so falsch läge.

⚽ Keine Woche ohne Neuigkeiten zum Petersburger Krestowski-Stadion (ja, das mit der Korruption und dem undichten Dach). Laut Sports.ru wurde der Pressebereich dort so gebaut, dass sich dadurch das Spielfeld nicht mehr aus dem Stadion rausrollen lässt. Kann man ändern, kostet dann aber halt auch 300 Millionen Rubel, also 4,3 Millionen Euro.

Wenn eh gerade die Handwerker im Haus sind, kann ja vielleicht auch gerade mal jemand auf den Bot gucken, der zu jedem Spiel twittert, ob das Stadiondach offen oder zu sein wird. Der leider nämlich gerade an akuter Redundanz, will sagen: Er wiederholt sich. Oft.

⚽ Wo wir schon in Petersburg sind: Roberto Mancini legt Wert auf die Feststellung, dass er Trainer von Zenit bleiben will. Der Job als italienischer Nationaltrainer reize ihn nicht, auch wenn er nicht überrascht sei, dass sein Name als möglicher Nachfolger von Gian Piero Ventura im Gespräch sei. Der hatte den Job ja verloren, nachdem Italien in der WM-Quali gescheitert war.

„Surreal und extrem traurig“ fühle sich die Aussicht auf eine Fußball-Weltmeisterschaft ohne Italien für ihn an, sagte Manchini weiter. Er will sich aber ganz darauf konzentrieren, mit Zenit den russischen Meistertitel zu holen.

⚽ Was ich ja allmählich nicht mehr lesen kann, sind diese ganzen „Was läuft nur schief im russischen Fußball“-Artikel. Nicht, weil es da keine Probleme gäbe oder sie schwer zu benennen wären, nein – mangelnde Jugendarbeit, zu hohe Spielergehälter und Clubs, die sich nicht genug um die Fans kümmern, das sind schon alles legitime Sorgen. Aber dieses Déjà-vu, wenn jede Woche eine andere Website das grundsätzliche Lamentieren anstimmt…

Diesmal ist also Bombardir.ru dran und fragt: „Worin besteht das Hauptproblem des russischen Fußballs?“. Russian Football News hält dagegen und sammelt Zeichen dafür, dass die Mannschaft im Vorfeld der WM Fortschritte macht. Aber die vielleicht beste, weil konkreteste Bestandsaufnahme liefert Sports.ru: Wäre morgen schon WM, wie sähe dann die bestmögliche russische Nationalmannschaft aus? (Spoiler: Im Tor steht Igor Akinfejew.)

⚽ Mit zwei Instagram-Posts 20.000 Abonnenten erreichen – das schafft nicht jeder. Aber Juri Sjomin hat gerade halt auch einen Lauf. Als Trainer hat er Lokomotive Moskau auf den ersten Tabellenplatz gebracht, zuletzt gab es einen 1:0-Sieg gegen Anschi Machatschkala. (Wie die Chancen stehen, diese Position zu verteidigen, kann man hier nachlesen.)

Jetzt also auch noch Instagram. Sjomin, Jahrgang ’47, hat es klug angefangen und sich Hilfe von einem Digital Native aus der eigenen Familie geholt. Der – oder vielmehr: die – darf dann auch direkt mit aufs erste Bild: „Meine Enkelin hatte die Idee, hier einen Account zu eröffnen. Sie sagt, die Leute lesen und gucken sowas gerne, und ich hab hab was zu erzählen. Na dann mal los.“

Und jetzt, wie versprochen, noch ein paar kleine Meldungen rund um die WM:

⚽ Studenten an den WM-Austragungsorten sollen nun doch nicht aus dem Wohnheimen vertrieben werden, um Platz für Sicherheitskräfte zu schaffen. Das hat das russische Bildungsministerium versprochen. Stattdessen sollen die Nationalgardisten nur in den Zimmern derjenigen Stundenten einziehen, die zufällig genau dann, wenn an ihrem Studienort die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet, im Urlaub sind.

⚽  1. Dezember, 16 Uhr deutscher Zeit – dann werden in Moskau die WM-Gruppen ausgelost. Mit prominentem Personal: Miroslav Klose trägt den Pokal rein, es moderieren Gary Lineker und die russische Sportjournalistin Maria Komandnaja. Sie ist auch die Frontfrau dieses virtuellen Rundgangs durchs Luschniki-Stadion:

⚽ Apropos: Die Länder, die ein Spiel in Rostow am Don zugelost bekommen, wissen schon mal, dass ihre Mannschaft und deren Fans an einem frisch gebauten Flughafen landen. Im Frühling soll er eröffnet werden, jetzt durfte schon mal ein Fernsehreporter durchs Gebäude gehen.

⚽  Noch mal apropos: Russlands Fluglinien hoffen selbstverständlich, dass die WM ihnen einen ordentlichen Gewinn beschert. Im Moment sieht es danach aus: Laut Interfax werden Flüge zwischen Moskau und St. Petersburg im kommenden Sommer 40 Prozent teurer sein als üblich. Bei Austragungsorten wie Jekaterinburg oder Sotschi ist der Anstieg nicht ganz so hoch.

⚽ Falls jemand Ambitionen hat, bis zur Weltmeisterschaft sein Russisch aufzupolieren: Sports.ru hat ein Quiz gebaut, bei dem man alle WM-Teilnehmerländer aufzählen soll. Auf Russisch natürlich, in kyrillischen Buchstaben. Wer am Laptop keine kyrillische Tastatur hat, probiert es also vielleicht am besten per Handy.

⚽ „Überall auf der Welt weihnachtet es, so auch in Langenfeld.“ So hat mir im Volontariat mal ein Redakteur erklärt, wie man große Geschichten aufs Lokale runterbricht. Nach demselben Prinzip gibt es gerade allerlei Berichte dazu, welcher Bundesliga-Verein welche Spieler zur WM nach Russland schickt – Eintracht Frankfurt zum Beispiel, Borussia Mönchengladbach oder auch der HSV und St. Pauli.

⚽ Die Doping-Proben, die bei der WM genommen werden, sollen nicht in Russland untersucht werden, sondern dafür extra ins Ausland gebracht werden. Schließlich ist die russische Anti-Doping-Agentur immer noch suspendiert, weil sie sich nicht an die Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur hält.

⚽ Zwölf WM-Stadien werden es kommendes Jahr sein, fünf davon bekommen ihren Rasen aus Frankreich. Der soll besonders widerstandsfährig sein, schreibt der Courrier de Russie.

⚽ Sehr schmeichelhaft, was die Leser von Lenta.ru da für die Fußball-Weltmeisterschaft vorhersagen: Rund 3000 von ihnen haben sich bisher an einer Umfrage beteiligt, wer der nächste Fußball-Weltmeister wird, und beinahe jeder zweite hat für Deutschland gestimmt. Immerhin 8 Prozent antworteten auf „Wer wird bei der WM 2018 gewinnen“ mit „Die Freundschaft“. Hach!

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Die Schlusspointe kommt in dieser Russball-Folge von Wjatscheslaw Nesterow. Er ist Illustrator und arbeitet gerade an einem satirischen Kalender, der bis ins Jahr 2120 gehen und sich komplett um Wladimir Putin drehen soll. Für jedes Jahr hat sich Nesterow außerdem eine Überschrift ausgedacht. Eine davon passt in ihrer ganzen Bosheit, die sich erst nach der Hälfte des Satzes zeigt, hier sehr hübsch rein: „2030 – die russische Fußball-Nationalmannschaft gewinnt den Hauptpreis im Sportlotto.“



 

Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre in Moskau

Wie das manchmal so ist: Da lese ich auf den Tipp einer Freundin „Malentendu à Moscou“ von Simone de Beauvoir, in dem ein älteres französisches Paar in den Sechzigern nach Moskau und von dort weiter durchs Land reist. Es ist nicht ihr erster Besuch in der Sowjetunion, sie stehen beide dem politischen System dort wohlwollend gegenüber, einander allerdings immer weniger, je länger sich die Reise zieht.

Das Lesen im französischen Original geht am Anfang noch recht schleppend voran, ab und zu schicke ich Vokabeln, die ich nicht verstehe, an einen frankophonen Kollegen. Irgendwie ging das alles schon mal besser, aber gut, da hatte sich auch noch nicht das Russische als oberste Schicht übers Hirn gelegt.

Jedenfalls komme ich erst irgendwo hinter Seite 80 auf die Frage, wie biografisch diese Geschichte wohl ist. Waren de Beauvoir und ihr Lebensgefährte Jean-Paul Sartre selber mal in Moskau? Wenn ja, dann gemeinsam? Die Antwort, in Bildern, hat das Archiv von Getty Images.

Sartre und de Beauvoir am 1. Juni 1962 in Moskau. Beide reisten mit einer Delegation der Französischen Kommunistischen Partei (PCF). Hier empfängt sie S. K. Romanowski, Vorsitzender des Staatlichen Komitees für kulturelle Beziehungen zu anderen Ländern.

Beim selben Besuch entstand auch dieses Bild: Sartre, de Beauvoir, Romanowski und, ganz links, Wjatscheslaw Kotschemassow, der spätere sowjetische Botschafter in der DDR.

Noch einmal 1962 – hier die beiden Gäste aus Frankreich mit dem Schriftsteller und Journalisten Konstantin Simonow.

Drei Jahre später, im Sommer 1965, sind die beiden noch einmal in Moskau (und ich bin ein bisschen verliebt in diesen Halbturban, La Beauvoir trägt).

Alles in allem scheinen die beiden in diesen Jahren recht regelmäßig in der Sowjetunion gewesen zu sein. Getty hat auch noch Aufnahmen von einem Besuch im Jahr 1966. Bei British Pathé, deren YouTube-Kanal eine verlässliche Fundgrube an historischem Material ist, gibt es außerdem diesen Clip: de Beauvoir und Sartre treffen 1963 in Gagra Nikita Chruschtschow.

Wer die anderen Schriftsteller sind, hat Hans Magnus Enzensberger aufgeschrieben – danke an Matthias für den Link.

Nachtrag: Über das Autorentreffen mit Chruschtschow hat damals auch die ZEIT berichtet – danke an Holger für den Hinweis.

Carepakete nach Russland

Irgendwann merkt man beim Heimatbesuch, dass man eine Einkaufsroutine entwickelt hat. Kein Zettel mehr nötig, die Hand holt im Supermarkt schon automatisch dieselben Dinge aus dem Regal. Parmesan. Das Lieblingsmüsli. Diese Obstriegel. Mandelcreme. Mandelcreme.

Das hat natürlich mit den von Russland verhängten Lebensmittelsanktionen zu tun, aber auch mit den Preisen und dem Sortiment in den Moskauer Geschäften: Viele Produkte gibt es hier zwar auch, sie sind halt nur bekloppt teuer. Oder nur in diesem einen Laden zu bekommen, zwölf Metrostationen entfernt. Oder es geht um diese kleinen Stücke Zuhause, die nur in der heimischen Variante genau richtig schmecken oder riechen. Auch die werden beim Heimatbesuch gehamstert oder von Gästen bei ihrer Russlandreise im Koffer mitgebracht.

Natürlich hat jeder andere Vorlieben, trotzdem gibt es auch Parallelen. Netterweise haben einige Moskauer Freunde Fotos von ihren Carepaketen gemacht und erklärt, was sie warum mitbringen (lassen).

1. Aus England

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„Also, das ist geräuchtertes Paprikapulver (bekommt man hier bestimmt auch irgendwo, hab mir noch nicht die Mühe gemacht, danach zu suchen), Roibuschtee (dito), selbstgemachte Marmelade (Orange, klar), brown sauce, Chiasamen und klassischer, britischer schwarzer Tee – damit ich mir einen anständigen Pott builders‘ brew machen kann.“

2. Aus Deutschland

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„Ist zwar nicht sanktioniert, aber diese Halsbonbons bekommt man hier nicht. Jedenfalls habe ich die noch nicht gesehen. Und für russische Bonbons in der Apotheke zahlt man ein Vermögen, ein Päckchen 500 bis 600 Rubel.“

3. Aus den USA

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„Meine Ausbeute aus den USA bestand dieses Mal vor allem aus ziemlich viel Sardellenpaste. Unerlässlich, wenn man im Winter Eintopf kocht.“

4. Aus Frankreich

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„Käse, Käse, Käse, Käse, Käse, Käse – und ein Glas Rillettes.“

5. Aus Irland

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„Mitbringsel aus der Heimat: Butter, Brie, Camembert, Würstchen, black pudding, Schokolade, soda bread, Kosmetika und der obligatorische Alkohol.“

Danke an Birgit, Frances, Grace, Jennifer und Maik für ihre Fotos.