Russball, Folge 47: Ein neuer Job für Witali Mutko

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Zwei Dinge sind geschehen zwischen der letzten Russball-Folge und dieser hier. Erst mal war re:publica in Berlin, eine gute Gelegenheit, den Horizont ein bisschen zu erweitern, Freunde und frühere Kollegen zu treffen. Es gab einen kleinen Talk darüber, wie Podcasts den Sportjournalismus verändern, das fand ich ganz interessant – könnt ihr euch hier ansehen oder anhören.

Außerdem ist eine DFB-Delegation nach Russland gereist, um organisatorische, aber auch sehr viel komplexere Themen anzugehen: Fair Play, Menschenrechte, Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Nach dem, was Präsident Reinhard Grindel dazu am Montag hier in Moskau erzählt hat, nehme ich dem DFB ab, dass er sich ernsthaft bemüht, diesen Themen gerecht zu werden. Warum mich die Haltung zu Russland und Menschenrechten trotzdem nicht überzeugt, habe ich hier aufgeschrieben.

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⚽ Was bedeuten diese vier Emojis? 🚂🏅🔥🙏 Ganz klar: Lokomotive Moskau ist russischer Fußballmeister, und der Mann, der diese Symbole aneinanderreihte, ist deshalb begeistert und dankbar: Ilja Gerkus, Präsident des Vereins, postete kurz nach der Entscheidung diesen Jubeltweet: „Wir sind Meister! Das ist fantastisch, kosmisch, unwirklich. Unglaublich! Aber wir haben es geschafft! Zusammen! Vom allerersten Anfang bis zum Moment des Sieges! Danke an alle, die zu uns gehalten und an uns geglaubt haben. Begreifen werden wir das erst später. Lasst uns uns bis dahin einfach freuen! Lokomotive ist Meister!“ (Bereut schon jemand, dass man bei Twitter heutzutage 280 statt 140 Zeichen hat?)

Seinen Jahresvorrat an Ausrufezeichen hat Gerkus damit aufgebraucht – aber wann denn bitte auch sonst, wenn nicht in diesem Moment? Endlich wieder Meister, nach 14 Jahren Durststrecke, und dann auch noch unter Juri Sjomin, der Jahrzehnte seines Lebens investiert hat, um Lokomotive zu dem Verein zu machen, der er heute ist. Der Mann ist, in den Worten von „Sowetski Sport“, der „letzte russische Toptrainer“. Demnächst wird Sjomin 71. Gerade hat er seinen Vertrag bei Lokomotive verlängert.

⚽ Auch eine Liga weiter unten wird gefeiert: In der WM-Stadt Samara ist der örtliche Klub soeben in die Premjer-Liga aufgestiegen, vor vollem Haus. Und ich möchte dazu gerne mehr lesen und mich mitfreuen und euch hier im Newsletter erzählen, wie begeistert die Fans gefeiert haben. Aber je mehr ich bei Twitter rumsuche, desto lauter plärrt mein pubertierendes Unterbewusstsein dazwischen: „Ziemlich unglücklichen Twitternamen hat der Verein, was? @fckssamara, wer denkt sich denn sowas aus?“ Ich kann so nicht arbeiten.

⚽  Ihr erinnert euch an Witali Mutko und seine vielen, vielen Ämter? In der Politik, als Fußballfunktionär, bei der WM-Vorbereitung? Und wie diese Ämter nach und nach immer weniger wurden, je mehr über das systematische Doping zu seiner Zeit als Sportminister berichtet wurde? Seit dieser Woche hat Mutko nun auch kein Regierungsamt mehr, das irgendwie mit Sport zu tun hat. Bisher war er ja noch Vize-Premierminister mit Zuständigkeit für den Sport.

Witali Mutko bei einem Treffen mit Präsident Putin. Als dieses Bild entstand, war Mutko noch Sportminister.  (Foto: Kremlin.ru)
Witali Mutko bei einem Treffen mit Präsident Putin. Als dieses Bild entstand, war Mutko noch Sportminister.
(Foto: Kremlin.ru)

Nun wurde Wladimir Putin ins Präsidentenamt wiedereingeführt, sein Premierminister Medwedjew stellte die Pläne fürs neue Kabinett vor, und siehe da: Mutko bleibt zwar Vize, muss die Zuständigkeit für den Sport aber abgeben und soll sich stattdessen um Bauprojekte und regionale Entwicklung kümmern. Wenn selbst die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtet, dass die Mutko-Personalie für Unruhe unter den anwesenden Abgeordneten geführt hat, merkt man, wie klar auch den russischen Politprofis ist: Hier wird wieder einmal demonstrativ die Regel bestätigt: Putin ist loyal zu seinen Leuten und sorgt dafür, dass sie versorgt sind.

⚽  Manchmal habe ich das Gefühl, die Berichterstattung über Diskriminierung im russischen Fußball läuft immer in denselben Phasen ab. Erst gibt es einen Vorfall – Affenrufe, beiläufig rassistische Kommentare. Jemand meldet es, gerne Journalisten. Unterdessen Empörungswelle in Russland, das ist ja wohl kein Rassismus, muss man ja wohl noch sagen dürfen, und überhaupt, ich hab nichts gehört. Es folgt meist eine Strafe, die dann recht milde ausfällt. Dann warten alle auf die nächste Runde.

Wer einen tieferen Einblick gewinnen möchte, wie es hier im Land mit Rassismus im Fußball aussieht, der sollte lesen, was Bryan Idowu (Oder Brian? Auch das war ein Aha-Moment) dazu zu sagen hat. Er ist Profifußballer, Sohn eines Nigerianers, in Russland geboren und aufgewachsen, und hat vieles selbst erlebt: Beschimpfungen auf der Straße, Racial Profiling in der Metro, Beleidigungen auf dem Platz. Aber er sieht auch Fortschritt. Faszinierender Mann, das Porträt kann man hier nachlesen.

⚽  Mit dem Wort „Diskriminierung“ fasst auch Sport Express einen Sachverhalt zusammen, von dem ich noch nie gehört hatte. Wer es im russischen Profifußball zu etwas bringen will, der sollte am besten im Januar oder Februar geboren werden, lieber nicht im November oder Dezember. Ich dachte erst, das soll eine Glosse werden – eine statistische Anomalie benennen, dann ein bisschen weiterspinnen, ein oder zwei Pointen finden. Aber nein, Autor Gosha Chernov hat seine statistischen Hausaufgaben gemacht, hat möglicher Verzerrungen durch die Geburtenrate rausgerechnet, es bleibt dabei: Schau dir die besten Spieler beim russischen Fußballnachwuchs an, egal in welcher Altersklasse – sie sind zu Beginn des Jahres geboren.

Warum? Die Auflösung hat mit dem System zu tun, wie Nachwuchsförderung in Russland funktioniert: Vielversprechende Talente werden immer jahrgangsweise gesichtet – und da haben die Januarkinder den Dezemberkindern nun mal ein ganzes Jahr an körperlicher Entwicklung voraus. „Stellen Sie sich das mal vor“, schreibt Chernov, „Sie bringen ihren Sechsjährigen zu einer der besten (Sport)schulen des Landes. Die Trainer schauen sich aufmerksam hundert oder mehr Kinder an, aber Ihr Kind wird nicht angenommen mit den Worten: ‚Kommen Sie nächstes Jahr wieder, der Kleine muss noch wachsen.‘… Und das geschieht dann jedes Jahr.“

Wozu das führt, zeigt eine Grafik, für die Chernov alle Spieler der beiden obersten russischen Ligen nach Geburtsmonat sortiert hat: Der Januar schlägt sie alle, um Längen. Offenbar lässt sich das sogar teilweise auf den deutschen Fußballnachwuchs übertragen, von der Schalker U17 zum Beispiel sind nur vier Spieler in der zweiten Jahreshälfte geboren. Ich hab das dann spaßeshalber auch mal schnell bei der deutschen Nationalmannschaft durchgezählt, am Beispiel des Kaders für das Länderspiel am 27. März. Was soll ich sagen: 26 Mann, die Hälfte davon feiert zwischen Januar und April Geburtstag. Ein Phänomen, von dem ich noch nie gehört hatte, und das mich jetzt ziemlich fasziniert.

⚽ Von den riesigen Entfernungen, die russische Ligafußballer zu ihren Auswärtsspielen zurücklegen müssen, war hier ja schon öfter die Rede. Dass das selbst bei einem Derby gelten kann, zeigt aktuell dieser Tweet:

⚽ Dann hat noch Andrei Arschawin das Ende seiner Spielerkarriere angekündigt, was man vielleicht ein enig einordnen muss. Ja, okay, der Mann spielt aktuell irgendwo in Kasachstan. Aber zu seinen besten Zeiten hat er nicht nur mit Zenit St. Petersburg einen Erfolg nach dem anderen eingefahren, er war auch einer der wenigen russischen Spieler in jüngerer Zeit, die den Durchbruch im internationalen Spitzenfußball geschafft haben.

Als Arschawin 2009 zu Arsenal nach London ging, war er der teuerste Spieler im gesamten Team. Was nun kommt, nach dem Ende der aktiven Karriere? Normalerweise würde man ein Statement erwarten wie „Mehr Zeit mit der Familie“, allerdings scheint Arschawins Frau einen ziemlichen Vollschuss zu haben. Da klingt es ganz plausibel, dass er direkt von möglichen anderen Aufgaben im Profifußball spricht, die er sich vorstellen kann.

⚽ An dieser Überschrift konnte ich einfach nicht vorbeiscrollen: „Wie geht es dem ältesten Fußballclub in Russland – der offiziell schlechtesten Mannschaft des Landes?“ Der Autor verspricht eine Geschichte darüber, „wie eine große Vergangenheit unter dem Druck der harten Gegenwart bröckelt.“ Das ist dann aber auch genug Lyrik, es geht ab nach Orechowo-Sujewo. In Deutschland wäre das eine Großstadt, hier ist es halt irgendein Provinzort, eine Stunde Autofahrt von Moskau. Zehn Jahre vor der Russischen Revolution gründeten Fußballfans hier den Verein „Snamja Truda“, übersetzt heißt das „Das Banner der Arbeit“.

Heute weht das Banner auf Halbmast, bestenfalls: Wer den Verein in einer Tabelle finden will, der muss schon im drittklassigen Bereich gucken – und dann am besten unten anfangen. Die Spieler, berichtet Bombardir, bekommen hier so niedrige Gehälter, dass sie sich anderswo etwas hinzuverdienen müssen – aber immerhin, sie werden pünktlich bezahlt, das ist im russischen Profifußball keineswegs garantiert. Trotzdem ist das hier keine Reportage aus dem Tal der Tränen. Die Fans haben mit ihrem Verein Tragödien überstanden, gegen die die aktuelle Saison mit einer Tordifferenz von -50 kaum erwähnenswert ist. Es ist auch eine Geschichte über Tradition und über Stolz, die sich zu lesen lohnt.

⚽ Zenit St. Petersburg verdient sich ganz gut was dazu, indem es die Spieler, die gerade nicht erste Garnitur sind, an andere Vereine verleiht. So weit, so bekannt. Ein Mitarbeiter von Championat.com hat jetzt mal nachgezählt, und siehe da: In diesem Sommer kommt gleich eine komplette Fußballmannschaft aus der Ausleihe zurück zu Zenit – elf Spieler, die bisher in Frankreich, Griechenland, der Türkei oder anderswo in Russland im Einsatz waren. Das Timing ist auch deshalb interessant, wiel alles danach aussieht, dass Trainer Roberto Mancini bei Zenit aufhört, um die italienische Nationalmannschaft zu übernehmen. Der neue Trainer kann dann also aus dem Vollen schöpfen.

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Zum Schluss verlassen wir noch kurz Russland und blicken über die Grenze rüber, in die Ukraine. Ihr erinnert euch an die vielen russischen Hotels, die dabei erwischt wurden, wie sie rechtzeitig zur Weltmeisterschaft ihre Preise drastisch erhöhten? In Kiew sieht es ganz ähnlich aus: Die ukrainische Hauptstadt ist Ende des Monats Gastgeber für das Champions-League-Finale, auch hier wollen sich Hoteliers damit eine goldene Nase verdienen.

Doch ukrainische Fußballfans halten dagegen, sie wollen die Abzocke verhindern. „Gratis-Unterkunft für Fans“ nennen sie ihren Service, den sie über Facebook organisieren. Anreisenden Fußballfans können sich dort melden und sollen dann einen Schlafplatz bei Fans vor Ort finden. Fußball-Couchsurfing, als Solidaritätsaktion. „Los jetzt“, heißt es auf der Facebookseite unter einer Suchanfrage von vier Liverpool-Fans aus Malta, „zeigen wir ihnen, dass Kiew eine gastfreundliche Stadt ist!“

Nächste Woche mehr – bis dahin könnt ihr eure Freunde, Kolleginnen und Familie gerne auf den Russball-Newsletter hinweisen. Es ist zwar nur mein kleines Spaßprojekt, aber je mehr Leute mitlesen, desto größer die Motivation. Bis dann, macht’s gut!



 

Russball, Folge 37: Bier, das Getränk zivilisierter Fans

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Eins gleich vorneweg: Wir halten uns diese Woche nicht auf mit Stanislaw Manajew. Ja, der Mann aus dem Kader des FK Tosno hat sich tatsächlich mit einem 5000-Rubel-Schein die Nase geputzt. Ja, das ist komplett geschmacklos, wenn man bedenkt, dass jemand, der in Russland den gesetzlichen Mindestlohn verdient, im Monat gerade mal zwei solcher Scheine zur Verfügung hat. Mehr gibt es dazu nicht sagen, höchstens noch: Wer auf dem Platz nicht von sich reden macht, muss eben andere Wege wählen.

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⚽ Der Besitzer der russischen Supermarktkette „Magnit“, Sergei Galizki, ist gerade aus dem Unternehmen ausgestiegen und hat seine Anteile an die Staatsbank VTB verkauft. Warum diese Info in einen Newsletter zum Fußball in Russland gehört? Wegen der Antwort, die Galizki auf die Frage gab, was denn nun für ihn kommt: „Ich werde in Krasnodar leben und mich wohl dort um den Kinder- und Jugendfußball kümmern. Das ist alles, denke ich.“

Der FK Krasnodar gehört zu den Top-Vereinen der Premjer-Liga, Galizki selbst hat ihn vor zehn Jahren gegründet und ist noch heute sein Präsident. Und der Verein ist bemerkenswert, weil er sehr viel mehr Wert auf Nachwuchsförderung legt als seine Mitbewerber (mehr dazu hier). Darum ist der Ausstieg eines Supermarkt-Magnaten aus seinem Unternehmen eben auch ein Thema für Russlands Sportjournalisten: „Das Leben der Nachwuchsspieler des FK Krasnodar wird noch besser“, heißt einer der Kommentare.

⚽ Nicht nur fußballerisch ist die Zeit zwischen dem Confed-Cup im vergangenen Sommer und der WM in diesem Jahr eine Durststrecke, sondern auch ganz wortwörtlich: Abseits solcher großen Turniere darf in Russland kein Alkohol im Stadion verkauft werden, was die Fans naturgemäßig wenig begeistert. Sergej Prjadkin, Chef der obersten russischen Liga, hat darum jetzt mal einen Testballon steigen lassen.

Budweiser oder Klinskoje? In solchen Bechern wurde beim Confed-Cup Bier in den russischen Stadien verkauft.
Budweiser oder Klinskoje? In solchen Bechern wurde beim Confed-Cup Bier in den russischen Stadien verkauft.

Ja, der Kampf gegen den Alkoholismus sei weiter wichtig, so Prjadkin – aber Bierhersteller seien eben auch eine mögliche neue Einnahmequelle für die Fußballvereine. Die Premjer-Liga arbeite deshalb daran, dass Bier im Stadion und Biermarken als Sponsoren bald erlaubt sind. Schließlich, so Prjadkin, ist Bier „ein normales Getränk zivilisierter Fans“. Und die Fußballseite „Bombardir“ weist darauf hin, dass in Deutschland das Stadionbier eine lange Tradition hat. Randale, heißt es dort, werde mit Überwachungskameras verhindert.

⚽ Wo wir gerade beim Alkohol sind: Пробка, gesprochen [PROBka], hieß mal eine Fußballkneipe bei uns um die Ecke. Fußballfans trinken gerne, пробка bedeutet Korken, die Logik war halbwegs einleuchtend. Im übertragenen Sinne ist eine пробка aber auch ein Stau – der Korken also, der verhindert, dass der Verkehr fließt.

An das Themenfeld zwischen Korken knallen lassen und im Stau stehen musste ich bei dieser Meldung hier denken: Damit trotz Moskaus legendär verstopfter Straßen alle WM-Spiele pünktlich anfangen, dürfen die Mannnschaftsbusse auf den Spezialspuren fahren, die auch der ÖPNV in Moskau nutzt. Auch offizielle Delegationen und Journalisten bekommen dieses Privileg – vorausgesetzt, sie sind in Shuttlebussen unterwegs. (Die Regelung gilt auch in den anderen Gastgeberstädten, Details hier.)

⚽ Als Rheinländerin in Russland ist mir das Prinzip, dass vor der Fastenzeit eine Figur verbrannt wird, vertraut. In Köln stirbt für unsere Sünden der Nubbel in den Flammen. In Russland ist – nach den „Masleniza“-Tagen, in denen man so viele Pfannkuchen wie möglich isst – eine große Strohfigur fällig. Traditionell ist das meist eine Frauenfigur in traditioneller Tracht, die als „Frau Masleniza“ für den hoffentlich bald beendeten Winter steht.

In der Stadt Perm haben sich einige Menschen in diesem Jahr auf ein populäres Feindbild geeinigt: Sie zündeten eine Strohpuppe an, der sie das Gesicht von Grigori Rodschenkow angesteckt hatten, dem Doping-Whistleblower. Damit keine Missverständnisse aufkommen, hat der Puppe auch noch jemand ein „WADA“-Schild ans Hemd geheftet.

kscheib russball perm maslenitsa

Einen lebenden Menschen symbolisch verbrennen und dann um die brennende Figur tanzen. Wo ist das Facepalm-Emoji, wenn man es braucht?

⚽ Welcher russische Verein erreicht in der Europa League die nächste Runde? Sergei Andrejew, sowjetischer Nationalspieler und heute Trainer, macht sich wenig Illusionen: Spartak, Zenit und ZSKA sind nach seiner Einschätzung alle chancenlos, bloß Lokomotive Moskau kommt weiter. So weit, so offensichtlich – Loko ist der einzige Verein, der sein Hinrundenspiel gewonnen hat.

Als ich mir zu Andrejew ein wenig Hintergrund anlesen wollte, bin ich auf ein interessantes Detail gestoßen: Der Mann ist einer von knapp 75 russischen Fußballern im Grigori-Fedotow-Klub. Nun ist das nicht die Sorte Verein, deren Mitglieder sich einmal im Jahr treffen und bei Mineralwasser die Tagesordnung abnicken und den Vorstand endlasten.

Der Fedotow-Klub ist eher eine Liste, eine Art Hall of Fame. Alle russischen Spieler, die in ihrer Profikarriere mindestens 100 Tore geschossen haben, gehören dazu. (Wer Spaß an sowas hat, findet im Kleingedruckten viel Unterhaltsames: So zählen zum Beispiel Tore in der Liga, in der Nationalmannschaft und bei Spartakiaden. Für russische Spieler im Ausland gilt: Tore in der ersten Bundesliga zählen, in der zweiten leider nicht.)

⚽ Nicht ausgestrahlt wird die Fußball-WM in der Ukraine, aus politischen Gründen und vielleicht auch als als Reaktion darauf, dass der Eurovision Song Contest in Kiew nicht im russischen Fernsehen gezeigt wurde.

Für ukrainische Fußballfans dürfte das allerdings kein großes Problem sein – und das nicht nur, weil ihre Mannschaft sich nicht qualifiziert hat. Schließlich sind viele russische TV-Sender zwar in der Ukraine geblockt. Aber wie geübt die Menschen darin sind, solche Blockaden zu umgehen, hat gerade erst diese Statistik gezeigt: VK, Odnoklassniki, Yandex – alle offiziell gesperrt und trotzdem weiterhin unter den populärsten Websites in der Ukraine. Heißt für die WM: Was der Fernseher nicht liefert, liefern halt VPN und Livestream.

⚽ Fünf WM-Spiele werden in Rostow am Don stattfinden, nun lässt sich der stellvertretende Gouverneur dort ins Portemonnaie gucken und zählt auf: 38 Milliarden Rubel für den schicken neuen Flughafen, 18 Milliarden fürs Stadion, dazu noch diverse Brücken- und Straßenbauprojekte, Insgesamt hat die Stadt so laut eigenen Angaben mehr als 100 Milliarden Rubel investiert, um sich weltmeisterschaftstauglich zu machen. Umgerechnet sind das rund 1,4 Milliarden Euro.

⚽ Zum Abschluss noch eine kleine Übersicht, mit welchen neuen Gesetzen sich die russische Regierung auf die WM vorbereitet. Zum einen läuft bis Ende Mai ein Pilotversuch zum steuerfreien Einkaufen für Touristen – bei Erfolg soll es im Anschluss direkt auf alle WM-Austragungsorte ausgedehnt werden. Damit bekämt ihr also die Mehrwertsteuer auf eure WM-Handyhüllen und WM-Hoodies und WM-Federmäppchen und WM-Teekannen zurück (ja, das gibt’s alles wirklich).

Der Verkehrsminister möchte unterdessen bitte ein Gesetz bewilligt bekommen, wonach er (vermutlich nicht persönlich) während des Turniers Drohnen abschießen lassen darf, die zum Beispiel ohne Erlaubnis über ein Stadion fliegen. Es ist nicht die einzige Akte mit WM-Vermerk auf dem Schreibtisch des Ministers: Gerade hat er auch ein Bauunternehmen verklagt, das für zwei der Stadien zuständig war. Knackpunkt ist offenbar die Frage, warum die Projekte so viel teurer wurden als geplant: Lag’s, wie die Firma sagt, an der Inflation? Oder ist da doch der ein oder andere Rubel, na, sagen wir mal: versickert?

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Ein Update gibt es noch nachzureichen zur Russball-Folge 34 – das war die mit der Liste russischer Hotels, die versuchen, WM-Reisende mit überhöhten Preisen abzuzocken. Gerade wurde bekannt, dass sie dafür insgesamt rund 88.000 Euro an Bußgeldern zahlen mussten. Guckt man allerdings genauer, verteilt sich diese Strafe auf fast 400 Hotels bzw. Hotelbesitzer. Im Schnitt also vielleicht 250 Euro pro Fall. Ob das irgendeine abschreckende Wirkung hat?



 

Russball, Folge 33: Thomas Müller und ein Stadion im Schnee

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Was ich letzte Woche gelernt habe: Wenn eine Russball-Folge am Dienstag Abend erst nach Mitternacht fertig wird, sollte man beim Mailversand nicht „morgen früh“ auswählen! Anders gesagt: Sorry an alle Newsletter-Leser, die statt wie gewohnt mittwochs erst am Donnerstag von mir gehört haben. Kommt hoffentlich nicht wieder vor.

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⚽ So, jetzt isset durch: Konstantin Rausch verlässt Köln und wechselt zu Dynamo Moskau – und es kostet mich als Ex-ex-ex-Kölnerin sehr viel Überwindung, hier jetzt keine nostalgischen Köln-Hymnen zu verlinken. Also schnell auf die Dynamo-Seite und nachgeguckt, was sie sich von ihrem Neuzugang versprechen: „Konstantin will in Russland spielen, um im Vorfeld der Fußball-WM vor den Trainern der Nationalmannschaft präsent zu sein, und Dynamo hat Interesse an einem starken Spieler, der das Team auf ein neues Level bringen kann.“

Ob Dynamo dank Rausch besser spielt, sehen wir erst nach dem Ende der Winterpause. Das Rausch sich verbessert hat, steht schon fest, jedenfalls statistisch: Statt fürs Tabellenschlusslicht spielt er nun immerhin für den Tabellenzwölften.

⚽ Noch vor dem Rausch-Wechsel ist die aktuelle Folge des Futbolgrad-Podcasts aufgenommen worden. Das Hören lohnt sich trotzdem – dann könnt ihr nicht nur ein paar Hintergrundinfos zu Dynamo Moskau mitnehmen, sondern auch erfahren, wie das war, als mit der Sowjetunion auch die sowjetischen Strukturen des Vereinsfußballs zerfielen.

Eine gute halbe Stunde Fußballgeschichte aus einer Epoche, über die ich zwar viel Politisches wusste, aber fast nichts Sportliches oder Sportpolitisches. Wenn auch euch das interessiert: Bei Minute 24 geht es los. (Eventuell braucht ihr ein wenig Geduld, die Seite ist recht buggy, jedenfalls, wenn man von Russland auf sie zugreift. Ansonsten gibt es die Folge aber auch bei iTunes.)

⚽ „Wer schafft es, den Erfolg von Miroslav Klose (16 WM-Tore) zu übertreffen?“, hat der offizielle Weltmeisterschaftstwitteraccount seine Follower gefragt. Das Ergebnis ist deutlich – und für die deutsche Nationalmannschaft schmeichelhaft: 36 Prozent trauen das am ehesten Thomas Müller zu, der damit knapp vor Neymar und deutlich vor Harry Kane liegt.

„Müller hat schon 10 Tore und ist (erst) 28 Jahre alt, es liegen also noch mindestens zwei Weltmeisterschaften vor ihm“, begründet ein Twitternutzer seine Wahl. Ein anderer Kommentar hat in den Tagen seit der Twitter-Abstimmung einen traurigen Beigeschmack bekommen: „Georgi Dschikija“ steht da – wohl mehr im Scherz, denn Dschikija gehört in der russischen Nationalmannschaft zur Abwehr. Neuerdings sieht es nun so aus, als ob er bei der Weltmeisterschaft überhaupt nicht zum Einsatz kommen wird: Im Spartak-Trainingslager in Dubai hat sich Dschikija verletzt – ein Kreuzbandriss. Das dauert.

⚽ Die Frage klingt absurd: Kann man eine Nationalmannschaft von der WM im eigenen Land ausschließen? Terje Svendsen, Chef des norwegischen Fußballverbandes, findet: ja. Darum hat er die FIFA aufgerufen, ihre Ermittlungen zu den Vorwürfen des staatlich geförderten Dopings im russischen Fußball zu beschleunigen. Und, falls sich der Verdacht bestätige, Russland von der WM auszuschließen.

Die Reaktion in Russland ist wenig überraschend: „völlig inakzeptabel“ seien solche Vorschläge, sagt der Chef des russischen Fußballverbands. Er droht im Gegenzug damit, sein Verband könnte nun rechtlich gegen die Norweger vorgehen.

⚽ Bei dieser Überschrift hier habe ich mich erst mal verlesen. Also: Nein, Russland schafft keinen Supercomputer an, um das WM-Wetter zu verbessern. Das Ding soll lediglich die Wettervorhersagen zur Weltmeisterschaft verlässlicher machen. Nicht ganz so spektakulär – ich hatte gehofft auf eine Mischung aus Deep Thought und diesen Flugzeugen, mit denen sie hier in Moskau Anfang Mai gerne mal die Wolken impfen, damit sie vor der Parade am 9. Mai schön außerhalb der Stadt abregnen.

So nimmt Russlands staatliches „Gidrometzentr“ also im März einen Rechner in Betrieb, der dann nicht nur für die Austragungsorte verlässlichere Prognosen bietet. Sondern auch, den mitreisenden Fans zuliebe, für die Reiserouten zwischen den Spielorten – damit Züge und Flüge verlässlich ankommen.

⚽ Auf der langen, langen To-do-Liste, die hier vor WM-Beginn abgearbeitet werden muss, steht offenbar auch: Fabriken rund um die Austragungsorte zeitweise dicht machen, wenn ein Arbeitsunfall dort zum Gesundheitsrisiko für Spieler und Fans bedeuten könnte. Kommersant zitiert aus einem Brief, den der FSB an die Leitung eines Chemiewerks in der Nähe von Nischni Nowgorod geschickt haben soll. Darin werde das Unternehmen angewiesen, von Mitte Juni bis Mitte Juli den Betrieb einzustellen.

Konkret geht es dem Brief zufolge um alle Prozesse mit „gefährlichen chemischen und biologischen Stoffen, radioaktiven, giftigen und explosiven Substanzen.“ Manche Unternehmen, die diesen Brief erhalten haben, sind naturgemäß wenig amüsiert – Arbeiter im Zwangsurlaub, dazu Gewinnausfälle, die zum Beispiel das Werk bei Nischni Nowgorod im Millionenbereich veranschlagt. Firmen, die den Betrieb nicht einfach einstellen können, sollen sich in einer Stellungnahme für den FSB dazu äußern, mit wie vielen Opfern und welchen Umweltschäden bei einem Unfall während der WM zu rechnen wäre. (Den ganzen Bericht mit Stellungnahmen weiterer Firmen gibt es hier.)

⚽ Minus 9 Grad sind es draußen, während ich das hier schreibe. Der Winter in Russland ist mir – kalte Finger hin, beschlagene Brille her – ans Herz gewachsen. Schon allein, weil er solche großartigen Schneefotos möglich macht wie das hier von der Arena in Rostow. Brasilien, Kroatien, Island, Mexiko, Uruguay, Saudi-Arabien, die Schweiz und Südkorea dürfen hier zu Gruppenspielen antreten. Deutschland leider nicht.

⚽ Von steigenden Hotelpreisen während der WM war hier ja neulich schon mal die Rede. Jetzt hat die BBC mal ein Auge auf die Preise für Privatunterkünfte geworfen: Was, wenn man als WM-Tourist eine Wohnung oder ein ganzes Haus mieten will? Klar, auch da sind die Preise während der WM deutlich höher als sonst, manchmal sogar richtig dreist. 44.000 Dollar für knapp zwei Wochen in einem mittelprächtigen Appartment in Saransk? Echt jetzt?

Interessant an dem BBC-Bericht ist vor allem, welche Marktmächte da im Spiel sind: Hotelpreise werden staatlich reguliert. Das heißt nicht, dass es nicht auch hier Abzocker gibt, aber sie müssen zumindest fürchten, erwischt und öffenlich angepragert zu werden. Vermieter von Privatunterkünften sind solchen Regeln nicht unterworfen. Das ist das eine. Das andere, so die BBC, sei ein gefühlter Mangel an Übernachtungsmöglichkeiten: Einige russische Hoteliers hätten sich von großen Buchungsplattformen wie Booking.com inzwischen zurückgezogen. Wenn ein Kunde dort angezeigt bekommt, dass es zum Zeitpunkt seiner Reise kaum noch Hotelzimmer gibt, muss das also nicht unbedingt stimmen. Doch wenn er das nicht weiß, weicht er eben eher auf eine Mietwohnung aus.

⚽ Keine Woche vergeht hier im Moment, ohne dass sich jemand zum Thema „Gehälter im russischen Profifußball“ äußert. Neulich noch der Vorschlag, sie auf 30.000 Rubel runterzuschrauben – ihr erinnert euch. Diesmal ist also Denis Gluschakow dran mit einer Wortmeldung.

Profifußballern zahle man „zu früh zu viel Geld“, findet der russische Nationalspieler. Das Ergebnis seien dann Spieler, die zu sehr von sich überzeugt seien und nicht mehr an sich arbeiteten. Gluschakows Vorschlag darum: Lieber umverteilen und künftig mehr Geld in die Hand nehmen für Trainer von Kinder- und Jugendmannschaften.

⚽ Dann hat sich noch ein Haufen Zahlen in der vergangenen Woche in meinen Bookmarks gesammelt. Damit das hier nicht ausufert, eine kleine Stichwortliste:

– 6,9: Der Wert der Infrastruktur, die derzeit in Russland für die Fußball-WM aufgebaut wird, in Milliarden Euro
– 10: Zahl der regenbogenbunten Boote, die Fußballfans hier im Sommer auf der Moskwa hin- und herschippern sollen
– 72,1: Die Einnahmen (in Millionen Euro), die sich die russische Post vom Verkauf ihrer WM-Briefmarken verspricht
– 77: Auch das sind Millionen Euro, in diesem Fall der Gewinn, den Zenit St. Petersburg im Jahr 2016 gemacht hat. Laut UEFA-Statistik bedeutet das Platz 1 im Ranking der profitabelsten Fußballclubs Europas. Danke, Hulk! Danke, Shanghai!
– 350: Zahl der Kassiererinnen (es sind meist Frauen) in der Moskauer Metro, die 2017 eine 72-stündige Englisch-Fortbildung gemacht haben, um besser auf die Fragen von WM-Touristen vorbereitet zu sein

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Zum Schluss noch was Buntes, Nostalgisches, leicht Abwegiges. Subbuteo hat mit richtigem Fußball so viel gemein wie Gummitwist mit rhythmischer Sportgymnastik. Aber diese Übersicht der Spielfiguren, die man in den Siebzigern als Subbuteo-Spieler kaufen konnte, ist so farbenfroh, die muss hier einfach noch mit rein.

Euch noch eine bunte Woche, und bis zum nächsten Mal!