Das stand noch auf der Liste, ehe wir Moskau verlassen: ein Konzert im neuen Sarjadje-Saal, im kleinen Park nahe der Basiliuskathedrale. Der Park ist vor allem bekannt für seine Brücke, die ein Stück über die Moskwa führt und dann wieder zurück. An ihr vorbei geht es zum Konzertsaal, und wer in Moskau bisher das gemütliche alte Konservatorium als Ort für klassische Konzerte gewohnt ist, erlebt hier den maximalen Kontrast, nicht nur bei der Architektur:
Reihenweise junge, freundliche Menschen, die Karten kontrollieren und Jacken entgegennehmen – normalerweise die Domäne älterer, gerne auch etwas maulfauler Damen. Die Besucher haben sich nicht einfach schick gemacht, sondern tragen Kleidung, der man ansieht, dass sie teuer war. Das passt zu den Eintrittspreisen: Während man im Konservatorium für 300 oder 500 Rubel große Musik erleben kann, haben die Tickets hier 4000 gekostet – und das ist für hinten, oben, wo es günstig ist.
Im Saal dann viel Holz, warmes Licht und die Sorte Sessel, an denen sich die ein oder andere Fluglinie mal was abgucken könnte: Wer nicht will, muss weder mit dem Ellenbogen des Nachbarn noch mit der Rückenlehne des Vordermanns Kontakt aufnehmen.
Ein Konzert für Business-Class-Kunden, es singt: Joyce DiDonato. „Krieg und Frieden“ steht auf Russisch auf den Tickets, im Original „In Times of War and Peace“. Eine Reihe von Barock-Arien (viel Händel und Purcell), erst über Krieg, Schmerz, Verlust, dann über Hoffnung, Zuversicht, Freude. Großartig gesungen, großartig musiziert – das hätte doch mehr als gereicht.
Aber die ganze Inszenierung drumherum: An die Wand projizierte Muster, erst Blut, dann Blütenblätter, schließlich Feuerwerk. Kunstnebel wabert über die Bühne, ein Mann (oben nackt, unten im Hosenrock) umtanzt DiDonato und die Musiker mit den immerselben Bewegungen. Plötzlich habe ich den älteren Herrn vor Augen, der bei Helge-Schneider-Konzerten tanzt. Was ist das jetzt hier, Kunst, Edelkitsch oder gar subversiver Humor?
Einmal abgelenkt von der Barockpracht auf der Bühne fällt noch ein Unterschied zu anderen Moskauer Konzertsälen auf: Wie tief dunkel das hier im Raum ist. Kein einziges Handy, auf dem gerade gefilmt wird oder Noten mitgelesen werden. Niemand, der per App das Hörgerät justiert oder schaut, ob sich der Babysitter gemeldet hat.
Warum, das sieht man, wenn doch kurz mal wo etwas aufleuchtet: Sofort erscheint ein roter Punkt, fährt dem Nutzer über die Hände und den Bildschirm, bis er das Gerät wieder abschaltet. Manchmal sind gleich mehrere solche Punkte im Saal unter uns zu sehen; die Aufpasser mit den Laserpointern müssen ziemlich weit oben sitzen, wo sie alles im Blick haben. Ein Alleinstellungsmerkmal hat Sarjadje damit auf jeden Fall – im Konservatorium, im Bolschoi, im Dom Musiki, die Methode habe ich in Moskau noch nirgends erlebt.
Nach dem Konzert, nach Standing Ovations für die Sängerin und das Orchester, ein wenig Recherche: Die Idee mit den Laserpointern scheint aus China zu kommen, 2016 war das „laser shaming“ bereits an einigen Konzerthäusern üblich, was Zuhörern und Musikern aus dem Ausland durchaus auffällt. Dass die Methode nun gerade in Russland aufgegriffen wird, passt ins Bild: Hey, ich kann hier jemand maßregeln und mit technischem Schnickschnack hantieren! Gut möglich, dass einem das in in Moskau demnächst nicht nur in Sarjadje begegnet. Auch im Staatszirkus, erzählt ein Freund, sind sie schon im Einsatz.