Mitte April hat British Pathé sein komplettes Archiv bei Youtube veröffentlicht – 85.000 Filme, der älteste aus dem Jahr 1896. Wochenschauen aus dem Kino, ruckeliges Rohmaterial, viel Schwarzweißes und ein bisschen Farbe.
Keine drei Wochen ist das her, was erklärt, warum viele faszinierende Clips erst ein paar Dutzend Mal gesehen wurden. Das dauert halt, das alles zu durchstöbern.
Die schiere Masse hat auch die Idee zunichte gemacht, darüber einen Blogpost zu schreiben. Einer reicht einfach nicht, um so in den Filmen zu schwelgen, wie sie es verdient haben. Es wird also wohl eine kleine Serie werden – zum Start hier meine historischen Lieblingsvideos aus Moskau.
1. Ohne Ton, aber mit reichlich Schnee entstanden 1924 diese Bilder von Lenins Beerdigung. 35 Grad unter null waren es an diesem Tag, trotzem lief ein langer Trauerzug an der Basilius-Kathedrale vorbei zum Kreml.
2. Kein Video aus Moskau, aber mit Moskauer Bezug: Zwei Jahre vor seiner ermordung wendet sich Leo Trotzki im mexikanischen Exil an die Öffentlichkeit. Er rechnet mit Stalin ab und verurteilt die Schauprozesse in seiner früheren Heimat.
3. Nicht alles im Pathé-Archiv ist große Geschichte, aber auch die Filme aus dem Alltag in Moskau erzählen Geschichten. Wie bei diesem Staffelrennen: Kein Zehnkampf, kein Fünfkampf, kein Triathlon – die Disziplinen sind Laufen, Radfahren, Rudern und Motorradfahren.
4. Konrad Adenauer 1955 zu Besuch in Moskau – „der wichtigste Staatsbesuch seit dem Krieg.“ Eine halbe Minute, nicht mehr, und am Schluss der Hinweis, dass es auch um die BRD und die DDR gehen soll. Schließlich, so der Sprecher, sei beiden Seiten klar, dass die Wiedervereinigung für den Frieden in Europa nötig sei.
5. Gott, ist das hölzern, was diese Kinder auswendig lernen mussten und nun hier aufsagen. Trotzdem eine große Überraschung, dass es 1960 hier schon eine Schule gab, in der nur Englisch gesprochen wurde. Heute sind internationale Schulen in Moskau normal, damals war es einen eigenen Bericht wert.
6. Trockenhauben und Toupierkämme – ein Blick auf das Schönheitsideal im Moskau der frühen Sechzigerjahre.
7. Schauspieler des National Theatre reisen nach Moskau, um dort „Othello“ aufzuführen und zwischendurch als Protagonisten für diesen Film über das Russland der Sechziger aufzutreten. Schwer zu sagen, was interessanter ist – die Bilder aus der Hauptstadt oder der Sprecher-Kommentar: „Unsere Schauspieler wollen hier auch russische Leute treffen“, sagt er in perfekter received pronunciation. „Wie leben diese geheimnisvollen Menschen, die einst im Krieg unsere Verbündeten waren, aber für uns stets eine unbekannte Größe sind?“
Fundstück bei 5’15“: eine Kamerafahrt bei uns am Haus vorbei – leider mit Blick in die andere Richtung. Dafür gibt es zum Schluss dann noch Sir Laurence Olivier als Othello.