Russball, Folge 45: Warum Deutschland eventuell nicht Weltmeister wird

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Zurück aus dem Urlaub, das heißt: Sie haben uns nach Usbekistan rein- und hinterher auch wieder rausgelassen. Und weil die letzte Russball-Folge ja eine hintergründige war mit Reisetipps für die WM-Städte, konnte ich für diese hier aus dem Vollen schöpfen: Material aus zwei Wochen, eingedampft und ausformuliert zu diesem formschönen Newsletter. Los geht’s.

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⚽ Die Sache mit dem dressierten Bären, der bei einem Fußballspiel als Unterhaltungsprogramm herhalten musste, habt ihr sicher mitbekommen. Das hat ja große Wellen geschlagen, und zu Recht: Nein, das ist nicht lustig. Ja, das ist Tierquälerei. Nur, dass das geklärt ist.

Was ihr vielleicht nicht mitbekommen habt, ist ein anderer Vorfall, auch der mit einem Tier. Ein Fan von Lutsch-Energija Wladiwostok hat einen Hahn mit zum Spiel gebracht und versucht, ihn auf Trainer Alexander Grigrojan zu werfen (der Hahn drehte in der Luft ab in eine andere Richtung). Dass das wohl keine Geste des Wohlwollens und der Unterstützung war, ist auf den ersten Blick klar. Wie perfide die Aktion wirklich war, versteht man allerdings erst, wenn man weiß, dass „petuch“, das russische Wort für Hahn, hier auch ein Schimpfwort für „schwul“ ist. Ein homophober Angriff auf Grigorjan also, zusätzlich zur Tierquälerei. Dazu passen Meldungen wie diese in der New York Times, wonach das schwulenfeindliche Klima in Russland einige Fans davon abhält, zur WM zu reisen. (Kurz nach dem Vorfall hat sich der Club übrigens vom Trainer getrennt.)

⚽ Wenn das mal keine Entscheidung aus der Reihe „Was habt ihr euch denn dabei gedacht?“ wird: Bei WM-Spielen in Rostow am Don sollen rund 200 Kosaken als Sicherheitskräfte eingesetzt werden, 30 von ihnen zu Pferd. Das mag für deutsche Ohren jetzt vielleicht ganz nostalgisch nach Chorgesang oder nach „Moskau“ von Dschinghis Khan klingen – „Kosaken hey, hey, hey hebt die Gläser!“ Tatsächlich aber stehen die Kosaken im heutigen Russland für etwas anderes, die Nachrichtenagentur AP bringt es auf den Punkt: „Kosaken, eine paramilitärische Gruppe mit Wurzeln in der Zarenzeit (…). Ihnen wurde oft vorgeworfen, ihre Zuständigkeiten zu überschreiten und während ihrer Arbeit Gewalt einzusetzen.“

Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an den Vorfall bei den Olympischen Spielen in Sotschi, als eine Gruppe Kosaken-Wachleute die Peitschen, die zur traditionellen Kosakentracht gehören, nutzten, um auf Mitglieder von Pussy Riot einzuprügeln. In Rostow sollen die Kosaken nach offiziellen Angaben nun also sowohl für Sicherheit sorgen als auch das „Kosakentum als Visitenkarte der Region“ präsentieren – „schließlich sind sie eines der Symbole der Don-Region mit dem höchsten Wiedererkennunsgwert.“ Bleibt die Frage, ob man bei der WM auch ihr Verhalten gegenüber friedlichem Protest in Sotschi wiedererkennen wird nach dem Prinzip: Kosaken, hey, hey, hey, hebt die Peitsche.

⚽ Zufällig bin ich dann noch auf einen Link gestoßen, der die beiden vorherigen Themen verbindet. Es geht um eine Meinungsumfrage, die schon ein paar Monate alt ist, sie wurde im vergangenen Dezember veröffentlicht. Und ja, man muss sie sicher mit einem Körnchen Salz nehmen, denn die Zahl der Befragten (2500) klingt erst mal groß, aber verteilt auf elf Gastgeberstädte sind es dann eben doch nur noch rund 230 pro Stadt. Doch die grundsätzliche Tendenz ist schon erwähnenswert: Mit welchem Gefühl sie ausländischen Fußballfans gegenüberstehen, die LGBT sind, wurden also 2500 Russen gefragt. Der Mehrheit war das ziemlich egal, 13 Prozent antworteten allerdings mit „verärgert“ und weitere 11 mit „reserviert“.

Wenn man die Zahlen ein bisschen weiter aufdröselt, kommt man zu zwei Ergebnissen. Wer beim WM-Besuch homophoben Menschen ausweichen will, der sollte sich erstens tendenziell von älteren Männern fernhalten – sie gaben überdurchschnittlich oft „verärgert“ an. Zweitens ist man geografisch am besten in Sotschi und Kasan – beides Vorrundenspielorte der deutschen Nationalelf – aufgehoben. Am deutlichsten gegen schwule und lesbische Fans eingestellt sind die Menschen in Wolgograd und Rostow am Don, beides Städte mit starkem Kosakenerbe und allem, was da an traditionellen, nationalistischen Wertvorstellungen dranhängt.

⚽ Was hat Arsène Wengers Abschied von Arsenal in einem Newsletter zu Fußball und Russland zu suchen? Die Antwort gibt Sport.ru mit dem lustigsten, lässigsten Tweet, den ich zu Wengers Abgang gesehen habe:

„Wenger verlässt Arsenal – wie es aussieht, kann man selbst nach 22 Jahren an der Macht abtreten.“ Beiläufiger Sarkasmus ist halt immer noch der beste Sarkasmus.

⚽ Ihr müsst jetzt sehr stark sein: Es gibt eine kleine Chance, dass Deutschland dieses Jahr seinen Titel als Fußball-Weltmeister nicht verteidigen wird. Die Quelle für diese Nachricht ist nicht das Petersburger Katzenorakel, sondern Stanislaw Tschertschessow, Trainer der russischen Nationalelf. Der Mann spricht fließend Deutsch, kennt sich im internationalen Fußball gut aus und war neulich zu Gast bei einer deutsch-russischen Podiumsdiskussion rund um die WM. Mit auf der Bühne, auf den beiden Seiten des Coaches: der deutsche Ex-Nationalspieler Cacau und Erik Stoffelshaus, sportlicher Direktor von Lokomotive Moskau.

Zunächst sollte Tschertschessow verraten, welchen deutschen Spieler er gerne für die russische Nationalmannschaft borgen würde. Spielverderber-Antwort: „Die deutschen Spieler stehen für mich nicht zur Verfügung, also denke ich da auch nicht drüber nach. (…) Löw hat seine Fußballer und ich meine.“ Um eine Antwort auf die Frage, wer denn nun Weltmeister wird, drückte sich der Nationaltrainer dann komplett – allerdings auf eine Art, die durchblicken ließ: Deutschland jedenfalls nicht. „Dazu sage ich nichts, weil hier auf beiden Seiten von mir Deutsche sitzen.“ Autsch! (Eine Umfrage unter russischen Fußballfans hat übrigens ergeben, dass nur vier Prozent von ihnen damit rechnen, dass ihre Mannschaft Weltmeister wird.)

⚽ Dass einem zwei Monate vor der WM öfter mal Namen deutscher Fußballer in russischen Medien begegne, ist klar. Dass zu diesen Namen aber auch Julian Pollersbeck gehört, hat mich dann doch überrascht: Championat.com widmet dem Torwart des HSV eine große Analyse und beschreibt, wie sehr er auch außerhalb seines Torraumes aktiv ist – das zeigt auch eine beeindruckende Heatmap. „Sieht aus, als ginge es um zwei verschiedene Spieler“, kommentiert Championat das Bild, „aber nein: Er schafft es, die Aufgaben des Torwarts mit denen eines Verteidigers zu kombinieren.“

⚽ Ist die Wurzel allen Übels im russischen Fußball ein Mangel an bespielbaren Plätzen? Anton Michaschenok ist davon überzeugt. Der Sportjournalist hat vor kurzem selber einen Fußballverein gegründet, den FK Gorki, und berichtet nun aus dem Trainingsalltag: „In unserer Stadt mit 500.000 Einwohnern gibt es nur zwei Kunstrasenplätze, auf denen man derzeit trainieren kann,“ zwei weitere Plätze existierten, seien aber unbespielbar. So trainiert der FK Gorki derzeit eben dann, wenn einer der Plätze frei ist – abends um acht, bei schlechtem Licht, so dass man den Ball kaum sieht.

Ehe das jetzt nach dem Gemopper eines Einzelnen klingt: Michaschenok zählt viele solche Fälle auf – von Fußballern in anderen großen Städten, für die erst um neun oder zehn Uhr abends ein Trainingsplatz frei wird, oft bei noch schlechterer Beleuchtung. Von einem Platz, der gebaut werden sollte, aber das Geld kam aus drei verschiedenen Töpfen und einer davon war leer. Von einem Platz, der fertig ist, auf dem aber niemand spielt, weil die dazugehörige Schule noch nicht eröffnet wurde. Wie soll da Fußballnachwuchs heranwachsen, wenn er nirgends spielen kann? Fazit: „Um eine Fußballnation zu werden, müssen wir erst einmal lernen, wie man Fußballplätze baut und instand hält.“

⚽ Apropos Fußballplätze: Zum Schluss noch ein Blick auf drei WM-Stadien, bei allen gab es aktuelle Entwicklungen. Sowohl in Saransk als auch in Wolgograd haben die Eröffnungsspiele stattgefunden. Alles hat soweit gut geklappt, auch wenn mich die Bilder vom fertigen Wologograder Stadion immer noch daran erinnern, wie großzügig da jemand Ideen geklaut hat was das für eine architektonische Hommage ist an Pekings Olympiastadion, das Vogelnest. Nur mal so zum Vergleich das zweite Bild in diesem Tweet:

Und hier ein Foto aus Peking:

Den größten Fortschritt bei den WM-Vorbereitungen gab es allerdings weder in Wolgograd noch in Saransk, sondern in Samara. Wir erinnern uns: das ist das Stadion, das neulich Ärger mit der FIFA bekam wegen massiver Verzögerungen. Nicht mal ein Rasen lag da bisher, und genau das hat sich nun geändert: Habemus caespitem, wie der Lateiner sagt. Okay, das frisch ausgerollte Gras hat jetzt nur noch zwei Monate Zeit, um auch anständig anzuwachsen. Aber darüber reden wir dann, wenn in Samara das erste Spiel angepfiffen wird.

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Wir können uns nicht verabschieden, ohne noch kurz über Kasachstan zu reden. Ein Bild von dort macht hier in Russland seit ein paar Tagen die Runde: Im Achtelfinale des dortigen Pokals sollte ein Spieler des FK Maktaaral eingewechselt werden, musste vorher aber dringend noch mal schnell ums Eck, in diesem Fall wörtlich: Erst suchte er sich ein Pinkelplätzchen hinter der Ersatzbank, dann hinter einem Banner – alles nur, um Sekunden später mit dem Spieler, der für ihn vom Platz ging, abzuklatschen. Aber natürlich hat er zwischendurch sicherlich Sagrotan benutzt, das hat die Kamera nur nicht eingefangen. So möchte ich mir das jedenfalls vorstellen. Bis nächste Woche!



 

Russball, Folge 38: Fußball bei eisigen Temperaturen

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Was man so macht bei einer Kältewelle in Russland: Erst mal angrillen. Neben dem Gefühl, zu den ganz Harten zu gehören, nehme ich auch eine Erkenntnis mit: Irgendwann ist es so kalt, da beginnt sogar der russische Supergrillanzünder (Mit Kirscharoma! Und ner halbnackten Frau auf der Flasche!), langsam zu gefrieren. Wer den so entstandenen Slushie auf die Kohle kippt, läuft Gefahr, mit Grillanzünder das Feuer zu löschen – und damit die Ironieschallmauer zu durchbrechen.

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⚽ Was das mit Fußball zu tun hat? Viel, denn an diesem Wochenende ist nach 80 langen Tagen die russische Winterpause vorbei. Endlich wieder Liga-Fußball! Glückliche Fans rennen in die Stadien – am Sonntag bei vorhergesagten 6 Grad unter null zum Beispiel zum Lokalderby zwischen Lokomotive Moskau und Spartak. Für die Begegnung versprach Loko-Präsident Ilja Gerkus gestern schon einen Rekord mit Ansage: „Fünf Tage vor dem Spiel (…) sind mehr als 85 Prozent der Eintrittskarten verkauft. Wir können schon jetzt sagen, dass wir bei den Einnahmen aus diesem Spiel einen neuen Vereinsrekord aufstellen werden.“

Loyale Fans in Ehren, ganz unumstritten sind Fußballspiele bei Minusgraden in Russland aber nicht. Lutsch-Energija Wladiwostok zum Beispiel muss heute Abend gegen den FK Tosno ran, auch das voraussichtlich bei Temperaturen deutlich unter null. Für Trainer Aleksandr Grigoryan bedeutet das nichts anderes, als willentlich die Gesundheit von Spielern und Fans aufs Spiel zu setzen. „Was ist das für ein Fußball, wenn sich die Leute die Zehen abfrieren? (…) Fußball soll Freude bringen und keine Folter sein.“ Irgendwann, ist sich Grigoryan sicher, werde ein Spieler sich schwer verletzen oder erkranken, und dann müsse jemand die Verantwortung übernehmen.

⚽ Apropos Winterwetter: Bei Zenit St. Petersburg hatten sie sich ja ein schönes Trainingslager in Italien einfallen lassen. Flucht aus dem kaltfingerigen Würgegriff von Väterchen Frost, ab in den Süüüüden. Hat ja auch super geklappt. Nicht.

⚽ Wenn sie aus Italien zurück sind, müssen die Zenit-Jungs dann am 8. März gegen RB Leipzig ran. Da lohnt sich doch ein Blick darauf, was russische Fußballfans aus der örtlichen Fachpresse über den Europa-League-Gegner der Petersburger erfahren. Zenit-Trainer Roberto Mancini betreibt schon mal Erwartungsmanagement und spricht von einem „jungen Team mit viel Erfahrung“, das ein sehr schwieriger Gegner sein werde.

Alexander Bubnow von Sport FM hält dagegen: Im Vergleich zur letzten Saison sei Leipzig diesmal deutlich schwächer, mit 100 Prozent Einsatz könne Zenit das deutsche Team also schlagen. Als „gut organisierte, disziplinierte Mannschaft, die ergebnisorientiert spielt“ wird Leipzig anderswo beschrieben, für Fußballverhältnisse sei der junge Klub „noch ein richtiges Kleinkind“. Und Sport Express fasst zusammen: „Aktives Pressing (…), schneller Wechsel von der Verteidigung zum Angriff und viel Kombinationsspiel – in seiner aktuellen Form ist Leipzig sehr stark.“

⚽ Gerade ist in der Hauptstadt wieder ein großes Infrastrukturprojekt abgeschlossen worden, seit Montag hat Moskaus ohnehin riesiges Metronetz fünf neue Haltestellen. Auf diesem Bild sind sie als kurze, türkisfarbene Linie dargestellt:

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Vom Delowoi Zentr, der Haltestelle unter den Hochhäusern von Moscow City, kommt man nun also schneller zu den Stationen ZSKA und Petrowski Park/Dynamo. Anders gesagt: zu zwei Moskauer Fußballstadien, in denen bei der Fußball-Weltmeisterschaft nun so gar keine Spiele stattfinden. (Dynamo ist im Moment sogar nur eine große Baustelle.) Andererseits: Einem U-Bahn-System, mit dem an Spitzentagen knapp zehn Millionen Menschen unterwegs sind, tut jede Entlastung gut – erst recht im Stadtzentrum. Und wenn das Dynamo-Stadion wirklich so schick wird, wie sich das in diesem Video andeutet, dann lohnt es sich für WM-Touristen auch, da ohne Spiel einfach mal vorbeizuschauen.

⚽ Wenn das mal keine Knaller-Überschrift ist: „Russische und ausländische Fans dürfen psychotrope Substanzen zu WM-Spielen mitnehmen“. Substanz ist dann aber genau das, was dem eigentlichen Artikel fehlt. Es geht, schlicht gesagt, um Menschen, die von ihrem Arzt zum Beispiel Cannabis verordnet beommen haben. Die dürfen, wenn sie einen beglaubigten Schrieb vom Arzt dabei haben, dieses Cannabis auch im Stadion dabeihaben, jedenfalls in einer für Medizin üblichen Menge.

Was anfängt wie eine Skandalmeldung, ist Ende für fast alle Leser egal – und für einige Menschen mit Multipler Sklerose oder chronischen Schmerzen die Möglichkeit, trotz ihrer Erkrankung ein WM-Spiel zu sehen. Aber das ist natürlich sehr viel weniger spektakulär als die urprüngliche Überschrift.

⚽ Nun findet ja jeder andere Dinge attraktiv, aber: Täusche ich mich, oder ist „durchtrainierter Fußballspieler mit ambitioniertem Bart sitzt halbnackt auf seinem zerwühlten Bett und baut an einem Modellboot“ schon eine ziemlich spezifische Nische? Championat.com besetzt sie aktuell mit einem großen Interview mit Maksim Beljajew, der sich ansonsten vor allem über seine Liebe zu Büchern auslässt und in Moskaus größtem Buchladen fotografiert wurde.

Beljajew, der seine Karriere bei Lokomotive Moskau begann und aktuell bei Arsenal Tula spielt, spricht über Agatha Christie, J.R.R. Tolkien, Jules Verne und die Scifi-Romanreihe „Metro 2033“. Und wenn er dazwischen so Klopper raushaut wie „Wir brauchen einen Alleinherrscher, der alles kontrolliert, sonst gibt es Chaos“, dann scrollt man halt drei Zeilen weiter: Ob er am 18. März zur Wahl gehen wird, will der Interviewer wissen – och nö, sagt Beljajew, eher nicht, da ist bestimmt irgendwas, ein Fußballspiel oder so. Aber wenn irgendwie doch, dann natürlich Putin. Ach ja. Alleinherrscher. Dann passt’s ja.

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Zum Schluss noch was für euren Kalender: Gerade hat Russlands Nationalelf ihre Länderspielplanung fürs restliche Jahr veröffentlicht. Nach der WM im eigenen Lande ist erst mal Pause bis September, dann folgen bis Jahresende sechs Begegnungen. Eine davon wollt ihr euch vielleicht schon mal notieren: Am 15. November kommen die Russen zu einem Spiel nach Deutschland.

Sobald bekanntgegeben wird, in welcher Stadt die beiden Nationalmannschaften gegeneinander antreten, erfahrt ihr’s hier. Und falls ihr Freunde habt, die das auch interessiert, können sie sich hier für den Russball-Newsletter anmelden. Bis nächste Woche, macht’s gut!



 

Russball, Folge 10: Wir haben in Russland die längste Liga der Welt

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Dieser Russball ist ein bisschen anderes als die bisherigen Russbälle. Wenn ihr das hier lest, bin ich schon seit ein paar Tagen irgendwo, wo weder Russland noch Deutschland ist, und gucke aufs Wasser. Keine Umstände, unter denen man dringend am Laptop sitzen und russische Fußballwebsites sichten möchte.

Diese Ausgabe muss daher ohne Aktuelles auskommen. Wer wissen will, was sich in der Premjer-Liga tut – bitte googeln. Wer dagegen Interesse hat an hintergründigen, zeitlos schönen Texten über den Fußball in Russland: Bitte scrollen Sie weiter, hier gibt es etwas zu sehen.

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⚽  Ende Juli ist im Spiel zwischen Krasnodar und Lyngby ein Tor gefallen, an dem entlang man viel erzählen kann über den aktuellen Zustand des russischen Fußballs. Geschossen hat es Magomed-Schapi Sulejmanow, Jahrgang 1999, und damit nun der jüngste Russe, der je in einem UEFA-Turnier getroffen hat. Interessant ist an Sulejmanow aber nicht nur, wie jung er ist, sondern auch, wie er es ins Team des FK Krasnodar geschafft hat.

Der Verein ist noch keine zehn Jahre alt, hat aber bei seiner Gründung auch direkt eine Fußball-Akademie ins Leben gerufen, deren Schüler nach und nach in Krasnodars Team hineinwachsen sollen. Dass Nachwuchsarbeit gerade angesichts der eher mittelprächtigen Kaufkraft der meisten russischen Vereine wichtig ist, spricht sich auch im russischen Fußball allmählich rum. Russian Football News analysiert darum anhand von Sulejmanow und seinen Altersgenossen, wie sich Krasnodars Strategie nach einem knappen Jahrzehnt zu rentieren beginnt: „Die elfjährigen Jungen, die in der Frühzeit der Akademie dort ihre Ausbildung begannen, schaffen gerade den Durchbruch in die erste Mannschaft und zeigen so, dass es doch noch positive Aussichten im russischen Fußball gibt.“

⚽ So still hat man Russlands Spitzenfußballer selten gesehen: Für die Reihe „Lyrik des Fußballs“ tragen Fjodor Smolow, Denis Gluschakow, Alexei Beresuzki und andere Spieler Werke russischer Dichter vor. Das ist ganz leise inszeniert und funktioniert wahrscheinlich auch nur deshalb. Blicke, Gesten, Worte – kein lautes Deklamieren. Stattdessen Iwan Bunin über die Kindheit, Sergei Jessenin über Träume, Anna Achmatowa über die Einsamkeit. Männer, die es gewohnt sind, dass alle auf sie blicken, stehen hier mal aus einem anderen Grund im Mittelpunkt.

⚽ Neulich war hier schon mal die Rede von den „Russischen Pillendrehern“, einem russischen Fanclub von Bayer 04 Leverkusen. Allmählich denke ich, es könnte sich lohnen, mal zu sammeln, welche Bundesligavereine hier noch alle ihre eigenen Fanclubs haben. Auf der Liste stünden dann auch die wackeren Schalke-Fans, die sich eben falls in ihrem eigenen Club zusammengefunden haben. Der heißt, natürlich: Russische Knappen.

⚽ Kennt jemand Igor Belanow? Langjährige junge Fans von Borussia Mönchengladbach vielleicht, dort hat er Ende der Achtziger mal gespielt. Aber sonst? Der Name ist lange nicht so geläufig wie, sagen wir mal, Franz Beckenbauer, Kevin Keegan, Christiano Ronaldo oder Lionel Messi. Trotzdem gehört Belanow mit ihnen in eine Reihe – als Gewinner der Fußballtrophäe Ballon d’Or.

Belanow kam aus der heutigen Ukraine, spielte für die Sowjetunion und hatte bei der Fußball-WM in Mexiko durchaus gezeigt, was er konnte. Wie er es jedoch schaffte, Gary Lineker auszustechen und die begehrte Auszeichnung zu bekommen, ist schon einer der interessanteren Momente der Fußballgeschichte. When Saturday Comes bringt die Sache so auf den Punkt: „Heute ist der Ballon d’Or der sichere Weg zu Weltruhm und zum Lebenswandel eines Popstars. Dass ihn einst ein Mann, der aussieht, also ob er einfach Igor heißen muss, mit einer altbackenen Mannschaft gewinnen konnte, kommt einem heutzutage unglaublich vor.“

⚽ Noch eine kleine Zeitreise: Der Twitter-Account @OldFootball11 ist ein steter Quell der Freude, wenn man sich für Fußball, Siebzigerjahrefrisuren oder stilvolle alte Mannschaftstrikots interessiert. Neulich beim Rumstöbern ist mir dort diese Perle begegnet: Lew Jaschin, legendärer russischer Fußball- und nebenbei auch Eishockeytorwart, als Coverboy einer schon damals nicht ganz unbekannten Publikation: „Kicker – die Sportrevue“.

⚽ Russland ist ja eines dieser verwirrenden Länder, in denen etwas gleichzeitig „erste Division“ heißt und trotzdem die zweite Liga ist. Einfacher ist es vielleicht, wenn man sie im Kopf einfach unter FNL ablegt – im Gegensatz zur RFPL, der Premjer-Liga. Die FNL jedenfalls hat ein massives Problem, das mit der schieren Größe Russlands zu tun hat: Vom westlichsten Ligaverein, Baltika Kaliningrad, bis zum östlichsten, Lutsch-Energija Wladiwostok, sind es mal eben 7000 Kilometer Luftlinie.

Reisen dauert, und reisen ist teuer. Es ist also ein Zeit-, vor allem aber ein Geldproblem, das Russlands Zweitligavereine haben. Wladiwostok ist ja auch nicht der einzige fernöstliche Verein, auch zum Auswärtsspiel beim SKA-Energija Chabarowsk ist man viele Stunden unterwegs, nur um dann 90 Minuten auf dem Platz zu verbringen. Manche Teams, die eigentlich in der FNL spielen dürften, haben darum bereits dankend abgelehnt. Mehr zur größten bzw. längsten Fußball-Liga der Welt gibt es bei Russian Football News: „Die Probleme mit der transsibirischen Fußballiga“. Und auch die Premjer-Liga bleibt von solchen Reiseproblemen nicht verschont.

⚽ Zum Schluss noch ein kleiner Servicelink, gefunden beim Sonntagsblatt. Den Kollegen dort ist aufgefallen, dass im kommenden Sommer Fußball-Weltmeisterschaft und Hochzeitssaison kollidieren. Wer zum Beispiel am 7. 7. heiraten will, riskiert, dass abends bei der Feier die Gäste lieber das Viertelfinale gucken wollen. Guten Rat, wie man Feiern und Fußballgucken verbindet, geben eine Hochzeitsplanerin und – Jobs, von denen ich auch vorher noch nie gehört hatte – der Sportpfarrer der bayerischen Landeskirche.

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Das war’s dann auch schon mit der ausnahmsweise etwas hintergründigeren Russball-Folge. Mich würde ja interessieren, wie ihr diese ungewohnte Variante fandet – interessant oder eher nicht so? Eine gute Idee für Urlaubszeiten, oder nächstes Mal besser komplett pausieren? Sagt mir doch mal Bescheid, in den Kommentaren oder bei Twitter. Ich freu mich drüber – also, wenn ich zurück in Moskau bin. Bis dann!