Moskau

Moskau, Moskau. Das ARD-Hörfunkstudio dort bekommt 2014 einen neuen Korrespondenten. Und ich geh mit.

Nach ein paar Probeläufen, bei denen die Kollegen vor Ort es uns leicht und die Abende lang gemacht haben, sind wir zu dem Schluss gekommen: kann man machen. Also bereiten wir uns vor auf den Umzug in ein Land, das auch mehr als zwanzig Jahre nach Ende der Sowjetunion im Umbruch ist. Ein Land voller Kultur und Traditionen, das 2014 die Olympischen Winterspiele ausrichtet. Ein Land, zu dessen Staatschef „lupenreiner Demokrat“ und „Oben-ohne-Fotos“ die einfachen, aber nicht die wichtigsten Assoziationen sind. Ein Land, in dem NGOs drangsaliert und Schwule und Lesben diskriminiert werden. So ein Land kann gar nicht genug Journalisten haben.

Was auch bedeutet: Ich bin hiermit wieder auf dem Markt. Nach fast sechs Jahren im kleinen, feinen Online-Team bei DerWesten, drei Chefredakteuren, deutlich mehr Geschäftsführern. Einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Kollegen und Freunden vielfach auf das Erfreulichste verschwommen sind. Und in der ich einiges gelernt habe über Innovation, über Einfach-mal-Ausprobieren und mindestens genau so viel über Beharrungskräfte. Der Chef kann sich vorstellen, mich im Anschluss an Moskau zurückzunehmen. Ich kann mir vorstellen, im Anschluss an Moskau zurückzukommen. Bis dahin bin ich freigestellt und kann ab Februar in Russland für jemand anderen arbeiten, sofern es nicht die unmittelbare Konkurrenz ist. Was in Moskau eher unwahrscheinlich sein dürfte.

Vielleicht heißt das zum Start auch erst mal: ein paar Monate die alten Russischkenntnisse auffrischen (wann sagt man noch mal год/года und wann лет?) und neue darauf aufbauen. Ankommen, organisieren, Wurzeln schlagen. Nur auf Dauer ist „mitreisende Partnerin“, glaube ich, kein Vollzeitjob.  Im Moment weiß ich nicht mal, ob es wieder Onlinejournalismus sein soll, ob überhaupt Journalismus, oder etwas ganz anderes. Es wird sich finden, und wenn ihr Moskau-Verbindungen habt, freu ich mich über Tipps und Links.

Russland ist ein schönes Land. Werft die Gläser an die Wand.

Bezahlmodelle im Café Zifferblatt

Zu schreiben, dass Pachom nicht richtig tickt, wäre ein so offensichtlicher wie falscher Kalauer. Der Wecker, mit dem ich den Café-Tisch heute teile, ist stehengeblieben. So, wie er aussieht, war das nicht erst gestern: Pachoms grünem Gehäuse fehlt die Rückseite, Zeiger hat er weder einen großen noch einen kleinen. Was dazu führt, dass sein Plastik-Zifferblatt gerne mal runterfällt. Dabei hat es zwischen 3 und 5 Uhr schon eine ganze Ecke verloren.

Besuch im Zifferblatt mit Wecker Pachom und anderer Gesellschaft
Besuch im Zifferblatt mit Wecker Pachom und anderer Gesellschaft

Zifferblatt ist das Stichwort, beziehungsweise Ziferblat. So transkribiert das Café in Moskau seinen Namen „Циферблат“. Wer reinkommt, sucht sich aus einem Schrank voller Uhren eine aus, meldet sich mit ihr an der Kasse an – und erlebt ab dann ein neues Bezahlmodell: All you can drink (Kaffee, Tee, Wasser), all you can eat (Kekse, Kräcker), all you can surf (WLAN mit guter Signalstärke). Was das kostet, hängt davon ab, wie lange Pachom und ich hier sitzen: 2 Rubel für die Minute, das macht für die Stunde nicht ganz 3 Euro.

Ein Gegenentwurf zur Alltagshektik soll das laut Website sein. „Zeit ist Geld“ wörtlich genommen und ins Positive gedreht. Ob sich das rechnen kann? Jetzt, zur Mittagszeit, ist das „Zifferblatt“ vielleicht ein Drittel voll. Wer hierher kommt, muss per Flüsterpropaganda davon gehört haben.

Kein Schild an der Straße, nur eine Skizze auf der Homepage. Also durch die Einfahrt rein, dann durch ein Tür in den ersten Stock, am Intourist-Büro vorbei. Bis zu der Tür mit dem Stück Papier, auf das jemand eine Uhr gemalt hat. Dahinter steht der Schrank mit Pachoms Kollegen. Im Netz suchen die Café-Besitzer nach Gleichgesinnten – „egal, ob Mitarbeiter oder Investor.“

Ein Sofa weiter klampft, Klischee aber wahr,  gerade einer auf der Balalaika. Draußen ist die Sonne so weit ums Haus gewandert, dass sie durch den Hinterhof ins Fenster rein scheint. Die Schüsseln auf dem Kekstisch werden nachgefüllt. Der Laptop-Akku hat noch 29 Prozent. Ich glaub, ich bleib noch ein paar Rubel.

 

Vielleicht doch lieber fliegen

 

Ein Witz, angeblich von Johannes Rau:

Ein Mann möchte gerne von Wuppertal nach Peking reisen, hat aber Flugangst. Also fragt er am Bahnhof nach einer Fahrkarte nach Peking. Geht nicht, heißt es da – von hier können Sie nur eine Karte nach Berlin buchen. In Berlin dasselbe, es gibt nur ein Ticket bis nach Moskau. So bucht er nach und nach weiter und kommt irgendwann in Peking an.

Nach zwei Woche in der Stadt packt ihn das Heimweh und er will zurück. Geht also in Peking an den Fahrkartenschalter: „Guten Tag, ich hätte gerne ein Ticket nach Wuppertal.“ Sagt der Verkäufer: „Balmen oder Elbelfeld?“

Was da an Stereotypen über umständliche Deutsche und effiziente Chinesen mitschwingt. Dortmund – Peking sind mit dem Zug jedenfalls 170 Stunden. Bestimmt eine schöne Reportage. Die aber bitte jemand anders schreiben soll.