Russische Briefmarken zur Fußball-WM: vier Stadien und ein Riesenpokal

Na, so ganz alleine hier? Soll ich euch vielleicht mal meine Briefmarkensammlung zeigen? Sie ist noch nicht so besonders umfangreich, aber dafür sind die Marken durch die Bank richtig schön gestaltet. Und alle haben sie mit der Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr zu tun.

Eigentlich hatte ich nur davon gehört, dass die Russische Post Briefmarken rausgebracht hat, auf denen eine Auswahl der WM-Stadien zu sehen sein sollen. Aber dann bekam die Frau in der Postfiliale bei uns ums Eck so einen entschlossenen Blick und ließ sich mein Anliegen ein zweites Mal erklären. Briefmarken? – Ja. – Zur Weltmeisterschaft? – Ja. – Mit Stadien drauf? – Ja. Und weg war sie, vom Kundenkontakt am Schalter zum Kollegengespräch im Büro.

Es folgte eine Wartezeit, in der gelegentlich Wortfetzen rüberwehten. Briefmarken. Weltmeisterschaft. Stadien. Ich war eher spontan in die Filiale gegangen, aber nun gab es erkennbar einen amtlichen Vorgang zu meinem Anliegen, und der wurde aber sowas von bearbeitet. Okay, es war kein anderer Kunde zu sehen, und bis ich sie angesprochen hatte, war die Schalterfrau damit beschäftigt gewesen, stapelweise Briefe zu sortieren. Trotzdem: Das Engagement war beeindruckend, und das Resultat dann auch: „Sie haben Glück, das sind unsere letzten“, sagte die freundliche Postfrau und nickte in Richtung des Papiers, das da nun zwischen uns auf dem Tresen lag. Vier Stadien, in denen bei der Fußball-Weltmeisterschaft Spiele stattfinden werden.

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Moskau ist, ganz Hauptstadt, gleich zweimal vertreten: mit dem Luschniki-Stadion oben links, in dem am 15. Juli das Finale stattfindet, und dem Spartak-Stadion, besser bekannt als Otkritije-Arena, mit seinen rot-weißen Rauten. Oben rechts außerdem das Fischt-Stadion in Sotschi, das nicht nur wegen seiner Lage mit Blick aufs Schwarze Meer wirklich ausnehmend schön ist, und die Arena in Kasan. Vier farbenfrohe kleine Stücke Fußball-Landeskunde.

Die Stadionmarken waren aber nicht die einzigen, die die Postfrau aus dem Hinterzimmer mitgebracht hatte. Beim nächsten Satz – sechs Marken auf cremefarbenem Untergrund – musste ich ein bisschen gucken, bis ich begriffen habe, was sie zeigen: Jedes der Quadrate erinnert an eines der Jahre, in dem die Sowjetunion bisher an der Fußball-Weltmeisterschaft teilgenommen hat (Russland ist es bisher noch nie gelungen, sich zu qualifizieren.)

Wer sich die Melodie der Sportfreunde Stiller denkt, kann darauf zumindest die ersten Jahreszahlen singen: „Achtundfünfzig, zweiundsechzig…“, kommt dann aber bei „sechsundsechzig, siebzig, zweiundachtzig, sechsundachzig“ doch aus dem Rhythmus. Egal, ist ja auch was zum Gucken, nicht zum Hören. Und als Hingucker funktionieren diese neuen Marken, in die die historischen Gedenkmarken eingeklinkt sind, wirklich richtig gut. Schöne Idee, das hatte ich so noch nie gesehen.

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Ihr drittes Fundstück hat sich die Postmitarbeiterin für den Schluss aufbewahrt. „Davon haben wir noch zwei, die können Sie beide haben“, sagt sie mit kleinem Tusch in der Stimme und präsentierte einen Oschi von einer Marke. Bauarbeiterprankengroß, dunkelbraun mit goldener Schrift und goldenen Bildern: auf der Marke selbst der WM-Pokal, von zwei Händen in die Luft gehoben. Auf dem Bogen drumherum blickt man durch einen gläsernen Fußball von oben in ein Stadion, in dem schon das Flutlicht auf den Rasen scheint – gleich müssen die Spieler kommen.

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Ich bin ziemlich zufrieden nach Hause gegangen von diesem Besuch bei der Post. Nicht nur wegen der hilfsbereiten Mitarbeiterin oder den wirklich durch die Bank schönen Marken. (Die ich, das ist klar, in zehn Jahren für Unsummen bei Ebay verticken werde.) Sondern auch, weil ich vom letzten Modell zwei habe, also eine mehr, als man braucht. Deshalb: Wenn jemand von euch gerne die andere Pokal-Marke haben möchte, mit Stempel oder ohne, dann sagt gerne unten in den Kommentaren Bescheid. Ich pack sie dann in einen Umschlag mit eurer Adresse – oder klebe sie direkt drauf. Die russische Post ist zwar nicht die schnellste, aber bis zur WM ist der Brief garantiert da.

Russball, Folge 13: Was Russlands Fußballfans über Osnabrück wissen

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Während wir hier schön entspannt über Fußball reden, strampelt sich Matyas Amaya schon wieder ab. Er ist vor vier Jahren in Argentinien losgeradelt, rollt derzeit durch Westeuropa und will es bis zum Beginn der Fußball-WM im kommenden Jahr nach St. Petersburg schaffen. Ob er weiß, dass es da von Lübeck aus eine Fähre… na, lassen wir das.

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⚽ Rumms, das Transferfenster ist zu, einige sind echt noch auf den allerletzten Drücker durchgeklettert. Die komplette Liste aller Abgänge und Neuzugänge der russischen Premjer-Liga gibt es hier (haben Rostow und Anschi eigentlich den kompletten Kader ausgetauscht?), es reichen aber eigentlich auch einzelne Personalien: Éder zu Lokomotive Moskau. Mollo, der von russischen Fans schwulenfeindlich beschimpft wurde, von Zenit nach Fulham.

Einigkeit besteht unterdessen bei Autoren und Lesern von Bombardir.ru darüber, dass Spartak die Transferpriode komplett verbockt hat: Nur vier neue Spieler, und die nicht mal auf den Positionen, wo die Mannschaft schwächelt. Dazu zahlreiche Absagen, die dem Image des Vereins schaden. Das hat Sports.ru besonders süffisant aufgearbeitet: Mit einer Liste der „18 Spieler, die Spartak diesen Sommer nicht gekauft hat“. Unterzeile: „Obwohl der Verein wollte.“ Benedikt Höwedes gehört übrigens auch dazu.

⚽ So kann man natürlich auch für genug Unterstützung bei Auswärtsspielen sorgen: Manchester United kommt Ende September nach Moskau, um hier gegen ZSKA ein Champions-League-Spiel zu bestreiten. Nun verspricht der Verein: Alle Fans, die zum Anfeuern mit nach Russland fliegen, bekommen die Visumgebühr erstattet. 118,20 Pfund pro Nase sind das laut Manchester Evening News. (Falls es übrigens deutsche Manchester-Fans gibt, die ebenfalls zu dem Spiel anreisen wollen: Sagt mir Bescheid und ich verrate euch, wo ihr das Visum deutlich günstiger bekommt.)

⚽ Als ich ganz neu in Russland war, gab es diese Werbung der Otkritije-Bank. Sie bestand weitgehend daraus, dass Cristiano Ronaldo versuchte, das Wort „Otkritije“ auszusprechen. Ich saß vorm Fernseher, fühlte mich verstanden und getröstet. Russische Aussprache, it’s complicated.

Heute ist Otkritije für etwas anderes bekannt: Sie ist der erste von Russlands zehn „systemrelevanten“ Banken, die vom Staat gerettet werden musste. So geschehen in der vergangenen Woche – danke, Zentralbank! Und warum steht das hier, zwischen all den Fußballthemen? Weil die Retter abgenickt haben, dass Otkritije trotz Pleite weiterhin Sponsor von Spartak Moskau bleiben darf. 1,2 Milliarden Rubel dafür, dass das Stadion „Otkritije-Arena“ heißt, das sind doch Peanuts.

⚽ Russlands Nationalmannschaft hat sich ein Freundschaftsspiel gegen Dynamo Moskau gegönnt – wer siegen will, muss sich halt die Gegner entsprechend aussuchen. 3:0 stand es am Ende einer Begegnung, die nach allem, was man so liest, wohl eher mittelprächtig war. Kaum Stars auf dem Platz (ein kluger Mensch hat daraus direkt ein Quiz gemacht: „Russlands neue Nationalelf: Wer sind all diese Menschen?“), ein Spiel ohne Glanz.

Oder, wie Sport.ru zusammenfasst: „Die russische Nationalmannschaft im September 2017, das sind: Vorlagen von Konstantin Rausch, ein Tor von Mário Fernandes, und Roman Neustädter mit Kapitänsbinde. Bekäme man so etwas in irgend einem anderen Spiel zu sehen? Natürlich nicht.“ Immerhin: Anton Miranchuk von Lokomotive Moskau stand erstmals im Nationalmannschaftstrikot auf dem Platz und bedankte sich mit einem Wuchtschuss zum 1:0.

⚽ Die Zeitschrift „Futbol“ hat eine Reporterin nach Osnabrück (ins Russische übertragen als Оснабрюк, also Osnabrjuk) geschickt. Was Lydia Didyk dort vorgefunden hat: Spuren der Hexenverfolgung, von Addi Vetter und Patrick Owomoyela, vom „Lieblingsautor jugendlicher Mädchen, Erich Maria Remarque“. Fans, die fast alle Trikots mit der Nummer 9 tragen. Und die Erinnerung an den Feuerzeugwurf eines Fans damals im DFB-Pokal: „Sie wissen hier, wie man seinen Spaß hat.“

Es ist kein besonders schmeichelhafter Blick auf den VfL Osnabrück und seine Stadt, wo es 20 Meter vom Stadioneingang „ein Solarium gibt, aus dem gebräunte Frauen direkt auf die Tribünen gehen“. Im Stadion dann: Bierleichen und wabernde Marihuana-Schwaden, getrunken wird dem Bericht zufolge aus „Anderthalbliterbechern“ (in Wirklichkeit eher nicht). Anekdoten, Szenen, die sich nicht so recht zu einem Ganzen fügen wollen. Ihr Fazit liefert die Autorin darum sicherheitshalber ausformuliert mit – und sagt darin mehr über sich selbst als über Osnabrück: „Es sind nicht nur die mächtigen Fanbewegungen, die Fußballdeutschland groß machen, sondern auch ihre kleineren Ableger in den umliegenden Städten. Auch, wenn man die Namen mancher dieser Clubs erst bei der Wikipedia-Lektüre kennenlernt.“

⚽ Auch, dass ab dieser Saison eine Frau Bundesligaspiele pfeift, dürfen wir ab sofort bei fußballinteressierten Russen als bekannt voraussetzen. Im Portrait – ebenfalls in „Futbol“, ebenfalls von Lydia Didyk – erfahren wir, wie viel Zeit es Bibiana Steinhaus gekostet hat, sich immer wieder zu bewähren und langsam nach ganz oben zu arbeiten. Ergebnis: „Feministinnen in aller Welt freuen sich“, Ribéry hin, Demirbay her.

⚽ Hab ich’s gesagt, vor ein paar Wochen, dass Zenit St. Petersburg einfach den allerbesten Social-Media-Auftritt aller russischen Vereine hinlegt? Und als bräuchte es noch eine Bestätigung, hat das Team dieses Wochenende wieder einen rausgehauen. Auch in Russland ist Liga-Pause wegen der WM-Quali, man muss sich also anderweitig die Zeit vertreiben.

Zenits englischsprachiges Twitter-Team hat darum seine „Beardy XI“ aufgestellt, eine Elf nur aus Bartträgern. Andere Vereine zogen nach (Respekt, FC Bayern!), und schon war wieder eine ligalose Stunde gefüllt. Wer mag, kann ja mal einen ganz genauen Blick auf den Zenit-Spieler oben links werfen. Oder hier noch mehr Twitterperlen ansehen.

⚽ Welche jungen Bundesliga-Spieler haben Großes vor sich? Die Antwort gibt dieser Talent-Radar, mit dem russische Fußballfans deutsche Namen wie Gian-Luca Itter, Johannes Eggestein und Dženis Burnić, aber auch internationale wie Amine Harit und Dan-Axel Zagadou kennen lernen können. Wenn ich ehrlich bin: Manche Namen auf dieser Liste hatte ich auch noch nicht gehört.

⚽ Noch eine Schiedsrichtergeschichte? Na gut. Wladislaw Besborodow war erst Profifußballer, heute ist er Schiedsrichter und pfeift seit 2009 auch international. Ab und zu spielt er aber auch gerne noch mal selber, zuletzt bei einem Jubiläumsspiel zum 20. Geburtstag seines lettischen Ex-Vereins FK Ventspils. 5:5 ging das Match zwischen der aktuellen Mannschaft und einem Altherrenteam aus, Besborodow schoss zwei Tore. Und eines davon war ein echtes Zückerchen, direkt von der Mittellinie. (Ich hätte es gern hier eingebettet, aber es gibt leider nur eine Autoplay-Variante mit Sound, und das war mir dann doch zu penetrant. Also, hier klicken und staunen).

⚽ RBTH, das Flauschportal unter den russischen Staatsmedien, die sich an Ausländer wenden, wirft eine elementare Frage auf: Was wird bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 bloß Russlands Antwort auf die Vuvuzela sein? Die Antwort ist: Löffel, genau genommen bunt lackierte Holzlöffel. Ein traditionelles Rhythmusinstrument, dessen Auftritte man im Russland der Gegenwart leiderleider suchen muss.

Verdienstvoll also, dass die RBTH-Leute gleich auch noch dieses Video ausgegraben haben, damit man sich vorstellen kann, wie das nächstes Jahr im Stadion dann klingt (nämlich: sehr viel besser als eine Vuvuzela, was aber auch überhaupt keine Kunst ist). Und damit auch Anfänger mitlöffeln können, gibt es analog zum Esstäbchenhalter für Kinder jetzt Löffelhalter. Die formen ein V, für Victory. Die Löffel des Sieges. So schön.

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Zum Schluss noch Glückwünsche an Stanislaw Tschertschessow. Russlands Nationaltrainer ist gerade 54 Jahre alt geworden. Von den Spielern gab es ein Trikot mit der neuen Zahl an Lebensjahren drauf – in Sachen Kreativität ungefähr das Fußball-Äquivalent von Schlips oder Socken. Die Redaktion der offiziellen WM-Website dagegen hat eine ganz zauberhafte Grafik gebastelt. Sie würdigt Tschertschessows Erfolge und, als einizges Element im ansonsten leeren Gesicht: Tschertschessows Schnäuzer!

Nächste Woche dann mehr. Und wenn ihr wollt, könnt ihr Russball auch hier direkt abonnieren: