Wie wir im sanktionierten Russland über Käse reden

Irgendwann am Abend öffnet jemand einen Karton, eine Tupperdose oder einfach den Kühlschrank. Manchmal wird die Stimme gesenkt, manchmal begleitet ein gesprochener Tusch die Geste: Tadaaaa!

Wir wissen, in welchen Stufen die Temperatur im Gepäckraum eines Flugzeuges reguliert wird. Wir fachsimpeln über Verpackungsmethoden und wissen, welche Sorten sich gut einfrieren lassen. Auf Parties reden wir mit fremden Menschen darüber, wo die so einkaufen – als gäbe es irgendwo in Moskau diesen einen Marktstand mit direktem Portal zu einer deutschen Käsetheke.

Wir machen Witze über weißrussischen Parmesan und den berühmten weißrussischen Mozzarella. Und schneiden am Ende eines von Gästen importierten Stücks mit dem schärfsten Küchenmesser noch einmal ganz eng innen an der Rinde entlang. Und wir sagen Dinge wie diese:

– „Samstag sind wir bei X. und Y. eingeladen.“
– „Warum?“
– „Käse aus dem Urlaub.“

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„Das ist Heukäse, da musst Du unbedingt den Rand mitessen. Hab ich der Käseverkäuferin in Deutschland versprochen.“

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„Im Koffer war kein Platz mehr, also hab ich den ganzen Käse in meinen neuen Geigenkoffer gepackt. Ging auch alles gut, bis der russische Zoll meine Geige sehen wollte. Ich hab gesagt, da ist gar keine Geige drin – also haben sie den Koffer durchleuchtet. Und mich letztlich dann einfach durchgewunken.“

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„Mein Vater kennt wen, der hat so eine Maschine, mit der man Sachen vakuumverpacken kann!“

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„Und dann war es plötzlich schon so spät, und ich musste los, und beim Check-in ist mir dann eingefallen, dass die sechs Stücke Parmesan noch bei meinen Eltern im Keller liegen.“

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„Mädels, ich hab ein Stück Stilton. Wann sehen wir uns?“

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„Es gibt da diesen Typen, der wohnt irgendwo im Moskauer Umland und macht selber Gouda. Mit Brennesseln drin oder Kürbiskernen, hab ich neulich auf dem Kirchenfest probiert. Irgendwo zuhause hab ich seine Nummer, such ich Dir raus.“

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„Und, wie war’s in Frankreich? Guter Käse? Hast Du welchen mitgebracht? Auch fürs Büro?“

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„Der Brie mit dem Chili ist von Aldi, hat nur 99 Cent gekostet. Unfassbar.“

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„Super Restaurant, an den Sauberen Teichen, müsst ihr unbedingt mal ausprobieren. Deren Ziegenkäse schmeckt echt nach Ziege!“

Moskauer Warenkorb, Oktober 2014

Wenn der letzte Warenkorb-Blogpost mit Parmesan aufgehört hat, darf der hier auch mit Parmesan anfangen. Genau genommen mit einem Drama in zwei Akten – der berühmte szenische Einstieg.

– „Entschuldigung, wo ist der Parmesan?“
– „Weiß ich nicht.“ (geht weg)
– „Wer weiß das denn?“
– (kneift die Lippen zusammen und geht schneller)

– „Entschuldigung, wo ist der Parmesan?“
– „Weiß ich nicht.“ (geht weg)
– „Wer weiß das denn?“
– (bückt sich hinter eine Palette H-Milch)

Der Klarheit halber sollte man sagen, dass es zwei verschiedene Gesprächspartnerinnen waren, wenn auch kurz hintereinander. Beide angetroffen im selben Biotop, zwischen zwei Kühltheken. Ein Kunde mit einer Frage und eine Servicekultur mit armdicken Wurzeln im Sozialismus, das ist schon eine unterhaltsame Kombination. Also, es sei denn, es ist einem wichtig, eine Antwort zu bekommen.

Parmesan Perekrestok Oktober 2014 

Dass trotzdem im Oktober-Warenkorb noch ein Stück Parmesan drin ist, liegt an dem kleinen Menschenauflauf (keine Gratin-Witze jetzt, bitte) vor einem schmalen Kühlregal, einschließlich Beiseitestoßen mit Hüften und Ellenbogen. Für mich oberhalb der Augenhöhe, außerdem ganz hinten an der Wand, lagen sie: die letzten Parmesanstücke im ganzen, großen Perekrestok-Laden. Und dazu auch noch günstig – vermutlich Reste aus dem Lager, die abverkauft werden mussten.

Und sonst? Hier die Supermarkt-Liste.

Möhren für 28,00 Rubel/Kilo (September: 17,90)
Tomaten für 99,90 Rubel/Kilo (September: 44,00)
Rote Paprika für 194,00 Rubel/Kilo (September: 189,00)
Weißkohl für 11,90 Rubel/Kilo (September: 9,90)
Äpfel für 69,90 Rubel/Kilo (September: 32,00)
Birnen für 69,90 Rubel/Kilo (September: 129,00)

Milch (2,5%) für 63,44 Rubel/Liter (September: 56,99)
Butter für 41,66 Rubel/100g (September: 37,22)
Brie für 111,20 Rubel/100g (September: 111,20)
Parmesan für 91,90 Rubel/100g (September: 232,67 )

Hähnchenbrust für 199,00 Rubel/Kilo (September: 195,00)
Schweinekotelett für 369,00 für Rubel/Kilo (September: 384,00)

Wer kein Ladenlokal betritt, sondern bei Utkonos.ru online bestellt, tut das im Oktober zu diesen Preisen:

Kartoffeln für 29,00 Rubel/Kilo (September: 21,50)
Zwiebeln für 27,00 Rubel/Kilo (September: 21,50)
Gurken für 145 Rubel/Kilo (September: 99,90)
Zucchini für 139,00 Rubel/Kilo (September: 36,00)
Auberginen für 195,00 Rubel/Kilo (September: 178,00)
Rote Bete für 18,50 Rubel/Kilo (September: 19,00)
Eisbergsalat für 210,00 Rubel/Stück (September: 148,00)
Kohlrabi für 188,00 Rubel/Kilo (September: 188,00)

Zitronen für 93,00 Rubel/Kilo (September: 139,00)
Papaya für 455,00 Rubel/Kilo (September: 417,00)
Mango für 299,00 Rubel/Kilo (September: 759,00)
Bananen für 63,00 Rubel/Kilo (September: 57,50)
Orangen für 72,00 Rubel/Kilo (September: 75,00)
Grapefruit für 99,00 Rubel/Kilo (September: 99,50)
Kiwi für 142,00 Rubel/Kilo (September: 225,00)

Milch für 63,40 Rubel/Liter (September: 66,11)
Butter für 45,35 Rubel/100 g (September: 49,89)

Graubrot, geschnitten, für 79,06 Rubel/Kilo (September: 79,06)
Toastbrot für 82,40 Rubel/Kilo (September: 82,40)

Rinderhack für 336,00 Rubel/Kilo (September: 412,00)
Ganzes Hähnchen 150,00 für Rubel/Kilo (September: 150,00)
Durchwachsener Speck für 498,33 Rubel/Kilo (September: 650,00)

Kabeljau (TK) für 251,00 Rubel/Kilo (September: 228,00)
Lachssteak (TK) für 640,00 Rubel/Kilo (September: 640,00)

Die Listen sind lang, die Erkenntnisse aus ihnen lassen sich kurz fassen: Knapp die Hälfte der Preise sind, verglichen mit September, weiter gestiegen – im Schnitt wurde der Supermarkt-Warenkorb um 20 Prozent teurer, der Online-Einkauf um 11,6 Prozent. Das ist in beiden Fällen aber ein geringerer Preisanstieg als von August auf September. Bei einigen Lebensmitteln in dieser Stichprobe sind die Preise sogar gefallen – Birnen zum Beispiel, Butter und auch Rinderhack waren im Oktober alle günstiger.

Gleichzeitig sind einige Dinge, die Utkonos im September noch als „nicht auf Lager“ markiert hatte, nun wieder lieferbar, wobei sich oft die Marken geändert haben. Beides zusammen legt eine Deutung nahe: Nach dem überstürzt verkündeten Einfuhrverbot für westliche Lebensmittel haben russische Händler inzwischen Lieferanten aus anderen Ländern gefunden, die zum Teil sogar billigere Ware anbieten.

Zum Beispiel darf China neuerdings wieder Schweinefleisch nach Russland einführen – das war seit zehn Jahren aus Angst vor Krankheitserregern verboten gewesen. In Namibia planen die Rinderzüchter für künftige Bestellungen aus Russland, und auf den Philippinen gucken die Krokodile mit Tränen in den Augen in die Zukunft.

Krokodile Pixabay 

(Das Kleingedruckte: Der Warenkorb ist nicht repräsentativ. Er ist auch kein Beleg dafür, dass das Lebensmittel-Importverbot als alleiniger Faktor die Preise hochtreibt – im Spätherbst haben halt nicht mehr allzu viele Obst- und Gemüsesorten Saison. Außerdem sind nach dem Naturjoghurt nun auch die Nektarinen aus der Wertung geflogen, weil es bei Utkonos keine mehr gab. Damit der Vergleich nicht hinkt, hab ich die beiden Produkte auch aus den Warenkorb-Summen für August und September rausgerechnet.)