Reisen bildet selbst dann, wenn es andere manchen. Gerade war zum zweiten Mal eine Freundin zu Besuch hier in Moskau, die sich Ballett nicht nur anschaut, sondern auch selber tanzt. Eine Chance, sich mitreißen zu lassen und Fragen zu stellen.
Okay, ein bisschen Ballettwissen sammelt sich in Russland ohnehin an, einfach weil das hier als Kunstform viel präsenter ist als anderswo. Seit dem Umzug nach Moskau habe ich mehr Tanzaufführungen gesehen als im kompletten Leben vorher zusammen. Zusammen mit dem erklärbegabten Besuch (Danke, Katharina!) reicht es inzwischen schon für Party Small-Talk („..die russischen Tänzer springen ja auch viel höher“) – und eben für diese Liste, mit der man ballettbegeisterte Moskaugäste glücklich macht.
1. Eine Führung durchs Bolschoi-Theater
Ja, das Bolschoi ist die Ballett-Institution in Russland. Das weiß man dort auch sehr genau und kann darum Besuchern eine Mischung aus Kommunismus und Kapitalismus antun: Karten vorher kaufen oder zumindest reservieren geht nicht, also schön draußen anstehen wie zu Sowjetzeiten. Da selbst im Winter mehr Leute Interesse haben als die Führung Plätze, steht man ein Stündchen und bibbert.
Drinnen greift dann der Kapitalismus: Weil jedem klar ist, dass Touristen wahrscheinlich nur diese eine Chance für einen Besuch haben, kostet die englischsprachige Führung geschmeidige 1300 Rubel pro Kopf – im Vergleich zu 500 Rubeln für die russische.
Drinnen ist es dann genau so, wie man es sich vorstellt: opulent, majestätisch, historisch, plüschig. Viel Gold, viel Rot, Freitreppen, Samtvorhänge, Parkettböden und die Chance, vielleicht auch kurz eine Probe mitzuerleben. Hauptsache pssst, und na gut, ein Foto ist erlaubt, wenn man es leise hinbekommt.
2. Stöbern und Shoppen bei Grishko
Als Uneingeweihte wusste ich das vorher nicht, aber Grishko ist so ein Wort, bei dem Tänzer Sternchen in den Augen bekommen. Die Spitzenschuhe sind berühmt, die Unternehmengeschichte lesenswert und die Läden auch für Nicht-Tänzer schon wegen der Inszenierung den Besuch wert: auf der einen Seite gestapelte Kartons voller Schuhe, wild mit Edding beschriftet. Auf der anderen ein einzelnes Paar in einer Vitrine, sanft ausgeleuchtet, so dass der Satin glänzt. Und dann erst die Kostüme!
Die Hauptfiliale an der Metro-Haltestelle Proletarskaja hat auch eine Ballettstange mit Spiegel, für die Spitzenschuh-Anprobe. Wer nicht so weit rausgondeln will, findet aber auch im Laden an der Smolenskaja ein gutes Sortiment.
3. Eine Ballett-Stunde
Das muss ein bisschen wie die erste Probe mit einem neuen Chor sein: Haben die interessantere Einsingübungen als ich sie kenne? Wie ist der Umgang miteinander? Worauf achtet der Dirigent und was lässt er durchgehen? Was können die so und wie pass ich da rein – oberes Drittel, unteres, irgendwo in der Mitte?
Mein Besuch war zum Tanzen zweimal bei „Dance Secret“ und beide Male zufrieden. Auf dem Stundenplan stehen dort regelmäßig offene Klassen in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, das Video gibt so ab Minute 2.30 eine ganz gute Vorstellung:
Interessant fand ich vor allem, dass Ballett-Übungen und -Begriffe so international sind, dass man solch eine Stunde auch ohne große Russischkenntnisse mittanzen kann. Wie das im Detail abläuft, dazu hier mehr.
4. Ein Besuch in der Wohnung von Galina Ulanowa
„Museum? Hier ist kein Museum.“ Zwei unwirsche Pförtnerinnen, irgendwo zwischen Zerberus und Xanthippe, hüten den Eingangsbereich des Hochhauses. Es ist eines von Stalins Sieben Schwestern, zu Sowjetzeiten wohnten hier diverse Berühmtheiten und an der Fassade hängt, ach guck, eine Gedenktafel für die Ulanowa, die immerhin zwei Jahrzehnte am Bolschoi getanzt hat.
Mit aller Russland-Erfahrung hilft da nur, sich nicht abschrecken zu lassen und, ganz deutsch, darauf zu vertrauen, dass ein am Telefon verabredeter Besichtigungstermin auch gilt. Und tatsächlich: Bis zwölf Uhr sind noch mehr Besucher da, dann kommt ein Mensch aus dem Aufzug und holt uns ab. Die Augen der Pförtnerinnen schwenken mit.
Oben sind die meisten Zimmer noch heute so, wie die Ulanowa sie bis in die Neunziger bewohnt hat, nur in einem Zimmer stehen Vitrinen mit ihren Kostümen, Schuhen, Tiaras. Dokumente einer internationalen Ballettkarriere, dazwischen Rokoko-Möbel, Kitsch und Nippes.
Man bekommt ein Gefühl dafür, wie es war, in der Sowjetunion zur Elite zur gehören, reisen zu dürfen und mehr als hundert Quadratmeter zu bewohnen. Die Tour ist auf Russisch, aber auch hier gilt wieder: Viele Begriffe sind eh international, und der Rest erschließt sich auch ganz gut aus dem Kontext.
5. Eine Aufführung des Ballet Moskwa
Damit das Besuchsprogramm vor lauter Geschichte und Tradition nicht zu altmodisch wird, lohnt sich ein Besuch bei einem modernen Ballettabend. Über Freunde ist ein Kontakt zum Ballet Moskwa entstanden, wo ich seitdem schon einige Male war. Plüsch und Rüschen gibt es hier keine, manche der Aufführungsorte haben den Charme von Schul-Aulas. Einerseits.
Andererseits sind die Inszenierungen abstrakter und dadurch oft überraschender, der Tanz legt mehr Wert auf Athletik als auf Anmut, die Musikauswahl reicht von modernisiertem Vivaldi bis Techno. Es fühlt sich an wie mehr Risiko, was da auf der Bühne passiert, und das tut der Aufführung gut. „Egopoint“ (siehe Foto) und „Tristan und Isolde“ lohnen sich aus dem aktuellen Programm besonders.
6. Eine Aufführung im Bolschoi
Was für Führungen gilt, gilt auch für Aufführungen: Karten dafür sind hier nicht ganz einfach zu bekommen und auch recht teuer. Außer, man studiert noch – eine Freundin erinnert sich, dass sie während ihres Moskau-Auslandssemesters Bolschoi-Tickets für 100 Rubel hatte.
Wir saßen in der zweiten Loge auf mittelguten Plätzen, hatten also einen Blick auf den Innenraum und seine Architektur, das Publikum, den Orchestergrabens und etwa 85 Prozent der Bühne. Kein Problem bis zu dem Moment, in dem die Kameliendame sich genau in unserem toten Winkel anschickte, zu sterben.
Aber wie in der Oper wird auch im Ballett gerne ausgiebig gestorben, in diesem Fall etwa 20 Minuten lang und quer über die ganze Bühne hinweg. Kein Problem also mit den Sitzplätzen – ganz abgesehen davon, dass das Bolschoi-Orchester und seine extrem gute Pianistin mindestens genau so viel zum Abend beigetragen haben wie die Tänzer. Und die Akustik war bei uns wirklich super.
7. Eine Aufführung im Stanislawski-Theater
„Moskauer Akademisches Musiktheater Stanislawski und Nemirowitsch-Dantschenko“ ist eventuell ein ganz klein bisschen weniger griffig als „Bolschoi“. Es ist außerdem ein bisschen weniger berühmt, ein bisschen weniger zentral gelegen und ein bisschen weniger teuer. Bei der Qualität der Tänzer hingegen muss man schon sehr genau hinsehen oder viel Ahnung haben, um Unterschiede auszumachen.
Kann sein, dass das Repertoire hier ein bisschen populärer ist. Die „Esmeralda„, die wir hier gesehen haben, war jedenfalls ein großes Schwelgen in Gruppenszenen und Kostümwechseln. Augenzucker, auch tänzerisch. Wer also einfach ein gutes Ballett sehen will und keinen Wert legt auf den Bolschoi-Mythos, der ist im Stanislawski richtig.