Die besten Threads aus dem Mai

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Dass zum Monatswechsel das Sichten von Twitter-Threads gehört, ist inzwischen eine schöne Routine geworden. Und so gut wie jedes Mal begegnen mir dabei Threads derselben Art: US-Bürger, die im (meist europäischen) Ausland waren, dort ärztliche Hilfe brauchten und dann fassungslos waren, wie schnell und wie preiswert sie sie bekommen haben. Jeden Monat könnte ich so einen Thread hier einbauen, aber für Leser in Deutschland ist der Erkenntniswert vermutlich nicht so hoch.

Irgendwie weiß man grob, dass das Krankenversicherungssystem in den USA viele Probleme hat – aber das auserzählte „so einfach war mein Arztbesuch in Großbritannien/Schweden/Italien“ hat nur für die Menschen einen echten Aha-Effekt, die das US-System gewohnt sind. Trotzdem wollte ich diesmal auf einen dieser Threads verweisen, weil er für viele ähnliche steht. Für ihn wie für alle gilt: Den ersten Tweet anklicken, und es öffnet sich der ganze Thread.

1. You found a lump

2. „Lieber Albert Camus“

Post-vom-Wagner-Parodie ist zwar ein recht weit verbreitetes Genre, aber die hier sind wirklich gut:

3. Polizeigewalt

Auch diesen Monat ist wieder das passiert, wofür ich Twitter-Threads so mag: Dass mir ein Geschichts-Thread in die Timeline gespült wird zu einem Thema, von dem ich noch nie gehört hatte. Diesmal geht es um eine extrem dunkle Begebenheit aus den Achtzigern.

4. Warum Büchereien wichtig sind

Was man lernt, wenn man in einer Bücherei arbeitet. Diese Liste fängt lustig an, ist aber ein Thread mit viel Tiefe, der zeigt, wen es trifft, wenn Büchereien klein- oder plattgespart werden.

5. Fagottogott

Winzigkleiner Thread, aber wer wollte nicht schon immer wissen, wie ein Fagott mit Verstärker klingt?

6. „I am the last survivor of the war“

Im Mai 1980 ist der Mount St. Helens ausgebrochen, der im US-Bundesstaat Washington liegt. Rund vier Autostunden entfernt verbrachte ein Wissenschaftler allein die Nacht in einem Observatorium. Als er wach wurde und nur von Asche und Dunkelheit umgeben war, dachte er. es habe einen Atomschlag gegeben – es waren die Achtziger, er konnte also nicht mal eben auf dem Handy nachsehen, was passiert war. Die ganze Geschichte hier:

7. Bilder und ihre Macht

Ein Denkanstoß zum Thema journalistisches Handwerk: Warum Bildauswahl wichtig ist. Bei Slate oder beim Guardian ist mir schon öfter positiv aufgefallen, dass da bei Symbolfotos manchmal einfach jemand im Rollstuhl sitzt/eine Frau ist/nicht weiß ist, ohne dass das Thema des Textes ist. Weil eben das jeweilige Thema nicht nur weiße, männliche Menschen betrifft, die nicht im Rollstuhl sitzen. Mehr als ein kurzes, wohlwollendes Bemerken war bei mir da nie, darum fand ich diesen Thread in seiner Ausführlichkeit so gut:

8. All kinds of Data

„Big Data“-Memes kannte ich, aber hier hat jemand wirklich unverhältnismäßig viel Zeit und Kreativität in Data-Witze inverstiert. Ich begrüße das.

9. WLAN in Londons U-Bahn

Wer in der Londoner U-Bahn das WLAN nutzt, muss in Zukunft damit rechnen, dass geloggt wird, wie er von A nach B kommt. Bisher gab es nur die Daten vom Betreten und Verlassen der jeweiligen Bahnhöfe, wo man seine Oystercard an ein Lesegerät halten muss. Nun erfährt das Transportunternehmen einiges mehr über seine Passagiere. Ein Thread darüber, warum das auch heikel sein kann, und welche Datenschutzregeln gelten sollen.

10. Eine Krähe hackt der anderen… oh.

Wer bei Twitter ist und sich für schwarze Vögel interessiert, folgt vermutlich dem Ravenmaster und erfährt so viel über die Raben im Londoner Tower. Diesen Momat ist mir aber auch ein Thread über Krähen begegnet, den ich interessant fand. Von wegen „kein Auge aushacken“ – Krähen tun einander manchmal sehr viel Schlimmeres an:

11. Eine Art Nachruf

Vielleicht les nur ich als Journalistin gerne über andere Journalisten, aber das hier hat mich berührt. Robert Pear war so ein einfluss- und kenntnissreicher Mann, das sich sogar Nancy Pelosi zu seinem Tod geäußert hat. Diesen Alltagsblick einer deutlich jüngeren Kollegin finde ich aber noch bemerkenswerter:

12. Wissenschaft 1, Marketing 0

Pseudo-Gesundheitswasser und wie man es mit ein wenig Wissenschaft als Schwachsinn entlarvt:

13. Der letzte Arbeitstag

Zum Beinahe-Schluss noch ein bisschen was aus der Reihe warm-ums-Herz:

14. Theresa Shampoo

Im wahrscheinlich letzten Monat mit ihr als Premierministerin gehört der Schluss-Thread diesmal Theresa May. Und ein paar Flaschen Shampoo.

Die besten Threads aus dem September

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Zeit für die monatliche Sammlung lesenswerter Threads. Wobei, ich mach das hier ja auch erst zum zweiten Mal, also lerne ich noch: Letztes Mal war ich zu früh dran, der Monat noch nicht komplett vorbei, also ist mir ein interessanter Thread aus dem August entgangen. Der wird hier direkt mal als Nummer 1 nachgereicht. In Zukunft gibt es diese Sammlung also immer erst dann, wenn der Monat wirklich vorbei ist, um sowas zu vermeiden.

Was gleich bleibt: der Dank an alle, die Interessantes am Stück getwittert haben und an diejenigen, die mich darauf hingewiesen haben. Und wieder gilt: Den ersten Tweet habe ich eingebunden – mit einem Klick könnt ihr ihn öffnen und den gesamten Thread darunter lesen.

1. Gerechte unter den Völkern

Meine frühere Kollegin Ola Cichowlas hat ein Stück Familiengeschichte getwittert. Es geht um Mut, Hilfsbereitschaft und eine späte Anerkennung.

2. The Hitchhiker’s Guide to Flying

Okay, you had me at „Douglas Adams“.

3. Das Mittelalter in Farbe

Wer sich für mittelalterliche Manuskripte interessiert, der sucht nach ihnen vielleicht nicht gerade als erstes auf Twitter. Sollte er aber, schon wegen Damien Kempf.

4. Das Leben und der Programmierer

Ein Thread, zu dessen Anfang man denkt, es geht um Technologie – und dann versteht: Das Thema ist ein wenig größer.

5. Was ist das da auf dem Regenradar?

Ist es ein Vogelschwarm? Sind es Fledermäuse? Oder doch Libellen? Ja, es gibt tatsächlich Menschen, die das anhand von Radarbildern unterscheiden können, und die Logik dahinter ist faszinierend:

6. „The long run. Wasn’t that long ago.“

Kein wissenschaftlicher Thread, sondern ein hoch persönlicher, über die Zeit, als sich HIV/AIDS in den USA erstmals verbreitete. All diese Trauer, in so vielen kleine Beobachtungen – dieser Thread ist mehr als ein paar Tweets, das ist Literatur. Nur halt in einem Format, das wir so noch nicht gewohnt sind.

7. Mosaike aus Georgien

Georgien hat nicht nur grandiose Natur und extrem leckeres Essen, sondern – natürlich – auch seinen Anteil an der sowjetischen Geschichte. Dieser Thread zeigt, was aus den farbenfrohen Dekorationen eines Pionierlagers geworden ist.

8. Virtual-Reality-Vagina

Wer ein Android-Handy hat, kann neuerdings per App durch die Vagina einer Ente reisen. Doch, wirklich. Was sich die Forscher hinter dem Projekt dabei gedacht haben, und warum man im Internet deutlich mehr Infos über Tierpenisse findet als über Tiervaginas, steht hier:

9. Mineral gegen Mineral

Gestern endete ein Turnier, das den ganzen September hindurch in einer Twitter-Nische begeistert verfolgt wurde, nämlich von Geologen: Beim #MinCup2018 treten jeden Tag zwei Minerale gegeneinander an, Wissenschaftler argumentieren per Twitter, welches von ihnen besser ist. Da stehen dann Menschen mit Schutzhelmen in der Landschaft und rufen „Quartz! Quartz! Quartz!“, schreiben Gedichte über die Final-Entscheidung Eis vs. Granat. Das Ergebnis gibt’s hier.

10. Eine Familiengeschichte in Russland und anderswo

Wir haben mit einer Familiengeschichte angefangen, dann hören wir auch mit einer auf. Leonid Ragozin erzählt am Beispiel seiner Vorfahren, was es in den letzten paar Generationen bedeutet hat, in Osteuropa zu leben. Wieviel Umsturz, Krieg und Leid. Wie oft man sich auf verschiedenen Seiten fand oder wechselnden, willkürlichen Mächten ausgesetzt war.

Fliegen zwei Wellensittiche von Moskau nach München

Wellensittiche handgepäck

Wie schnell er wohl so fliegt, der gemeine Wellensittich? Bis zu 120 Kilometer pro Stunde, behaupten Wellensittichbesitzer in einschlägigen Wellensittichforen. Und was er wohl so macht vor dem Abflug? Ein paar Jod-S11-Körnchen snacken, aufplustern, noch mal zum Klo?

„Seit Tagen sammle ich jetzt jeden Morgen Vogelkot“, sagt K., „wär schon schön, wenn sich die Tierärztin endlich mal zurückmelden würde.“ (Sie sagt nicht wirklich Kot, aber dafür, dass ich diese Geschichte hier erzählen darf, bin ich mal höflich und schreibe: Kot.) Es ist nämlich so, dass K. und ihr Mann doppelte Vogelbesitzer sind und dass alle vier – zwei Menschen, zwei Wellensittiche – demnächst Moskau verlassen werden. Das Menschenpaar in ein paar Wochen, die Vögel gerne schon eher, jedenfalls wenn es nach ihren Erziehungsberechtigten geht. Die wollen ihre Haustiere bei einem Besuch in der Heimat schon mal mit nach Deutschland nehmen, um sicherzugehen, dass es auch alles klappt, mit den Papieren und dem Kot.

Drei Kotproben in Folge braucht die Tierärztin, um zu prüfen, ob die Wellensittiche auch gesund sind, um aus Russland raus und nach Deutschland reingelassen zu werden. Nur, dass es deutlich mehr als nur drei Tage her ist, seit sich die Ärztin zum letzten Mal gemeldet hat. K.s Tag beginnt also nicht bloß damit, dass sie mit gezücktem Löffel an den Käfig ranschleicht, beruhigende Worte spricht, während sie Vogelschiss aufsammelt, abfüllt und etikettiert. Sie hat dann auch noch das Vergnügen, nun den jeweils vier Tage alten Kot wegzuwerfen. Denn die Ärztin, wann immer sie kommt, braucht ja nur die drei jüngsten Objekte in der Kollektion.

***

Ein paar Tage später sitzen wir gemeinsam im Taxi zum Flughafen. K. als Vogelbesitzerin mit Reisekäfig auf dem Schoß, ich als Backup: Wenn das seitenlange Dokument, das die irgendwann erschienene Tierärztin aufgrund der Kotproben ausgefüllt hat, beim Amtstierarzt am Flughafen in Scheremetjewo trotzdem nicht verfängt, dann werden die beiden Wellensittiche und ich wieder zurück in die Stadt fahren, während ihr Frauchen nach München reist.

Die erste Hürde ist schon die Sicherheitsschleuse beim Betreten des Flughafengebäudes: Der Durchleuchtekasten, wo die Koffer durchfahren, würde die Wellensittiche sicherlich nachhaltig traumatisieren, undurchleuchtet darf ihr Käfig aber auch nicht ins Gebäude. Der Sicherheitsmann bespricht sich mit der Sicherheitsfrau, dann telefonieren sie einen Sicherheitskollegen mit Handscanner herbei.

Keine fünf Minuten dauert das, bis zum Büro vom Flughafentierarzt sind es nur ein paar Schritte, dann vielleicht noch mal fünf Minuten Gewarte. Die Vögel lassen, nur sicherheitshalber, noch ein par Kotproben fallen. Ein Aushang vor der Tür informiert darüber, dass inzwischen so viele Menschen ihre Hunde und Katzen auf Reisen mitnehmen wollen, dass in Moskau und im Moskauer Umland die Regeln dafür vereinfacht worden sind. Der Aushang und seine Unteraushänge haben acht Seiten.

Drinnen dann ein Raum mit drei Tischen, nur zwei haben einen Computer und nur einer einen Menschen. Der Arzt, dessen Uniformjacke über dem Stuhl hängt, spricht leise. So recht weiß er wohl auch nicht, ob er gerade ein Amt ist oder nur still lächeln will über diese Frau, die da vor ihm sitzt, Vogelkäfig auf dem Schoß, und diese andere Frau in der Ecke, deren Rolle nicht so ganz klar ist. Für die deutschen Behörden musste die russische Tierärztin ein deutschsprachiges Protokoll ausfüllen, das nun dieser russische Arzt sich wieder zurückerschließt und die entscheidenden Passagen in seinen Computer tippt.

– „Und das sind also…?“
– „Wellensittiche.“
– „Und Sie reisen nach…?
– „München.“
– „Die Farben hier, wie heißen die auf Russisch?“
– „Blau und… (kurzes Suchen nach dem russischen Wort für türkis, das so ähnlich, aber eben nicht ganz wie das Wort klingt für etwas, das aus Birkenholz ist. Schön, dass man dieses Fachwissen endlich mal braucht.)
– „Und wie alt sind die?“
– „Der eine ein Jahr, der andere zwei.“
– „Und die heißen wirklich… Willi und Helge?“
– „Ja, genau. Wissen Sie, das sind traditionelle deutsche Namen.“

Der Amtstierarzt tippt, der Drucker druckt: eines dieser wunderschönen offiziellen Dokumente, wie sie in Russland nun mal auszusehen haben. Mit breiter, schnörkeliger Bordüre, einem blassen Wappen im Hintergrund und oben rechts sogar einem Hologramm. Vier Seiten, eine amtlicher als die andere.

Wellensittiche urkunde

Scheint ja alles geklappt zu haben, also schnell noch ein bisschen höfliche Überbrückungskonversation, bis er’s auch unterschrieben hat: „Ist das oft oder selten, dass Menschen mit Vögeln hier ausreisen?“. Der Tierarzt blickt hoch, sein Lächeln gewinnt nun endgültig gegen sein Amt. „Ich hab das bisher nur zweimal erlebt,“ sagt er, „und ich arbeite hier jetzt schon seit drei Jahren.“

***

Im Café vor dem Check-In bewundern wir noch ein wenig unser schönes Dokument. In der Spalte „Tierart“ weist ein Sternchen darauf hin, bei Bienen sei doch bitte zu unterscheiden zwischen ganzen Bienenvölkern, Bienenlarven oder allein reisenden Bienenköniginnen.

„Villy“ und „Helge“ steht schließlich auf der Seite, die mit ihrem offiziellen Rahmen ein bisschen aussieht wie eine Urkunde, von den Bundesjugendspielen oder so. Der gemeine Wellensittich mag mit seinen 120 km/h vielleicht 16 Stunden brauchen von Moskau nach München. Willi und Helge schaffen die Strecke heute in nur 3.