Wie ich mich mal von einem israelischen Ministerium überwachen ließ

israel handy 
Israel, Heimat des logischen Zirkels: „Bitte seid drei Stunden vorher am Flughafen, wegen der Sicherheitskontrolle.“ – „Ich hab Sie zur Kontrolle rausgewunken, weil ich gesehen hab, dass Sie noch Zeit haben.“

Aber das ist ja erst beim Abflug. Noch stehe ich in der Schlange zur Einreise-Passkontrolle, vor mir eine Frauengruppe aus Kasachstan, hinter mir ein dänisches Rentnerpaar. Seit 90 Minuten geht das hier nun schon so, langsamer als an allen anderen Schaltern. Denn unsere Kontrollfrau scheint noch zu lernen, telefoniert viel rum, öffnet ständig die Durchreiche zum Kabuff nebenan, um Fragen zu stellen.

Wir sind also leichte Beute, die Kasachinnen, die Dänen und ich, für den Mann, der außen an unserem Pferch entlanggeht. Er möchte uns etwas Gutes tun (klar), aber nichts verkaufen (ach?). Im Auftrag des Tourismusministeriums verteilt er hier Handys, einschließlich kostenlose Gespräche, SMS und Internet und dem Versprechen von 50 Dollar als Duty-Free-Gutschein. Einzige Bedingung: Man muss das Handy immer dabei haben und drauf achten, dass es noch Saft hat. Wo wir sind und wie wir dort hinkommen, beides will das Ministerium wissen.

Darf es gerne. Wir sind hier als Journalistengruppe, alles Alumni von IJP-Austauschsprogrammen. Unterstützt wird die Reise vom Auswärtigen Amt – viel offizieller, und damit öffentlicher, kann ein Reiseprogramm nicht sein. Auch die Frau am Schalter lässt sich als erstes den Programmablauf vorlegen, winkt dann aber ab: „Das ist ja auf Deutsch, dann erzählen Sie’s mir mal.“ Normal bin ich kein Fan von „Ich hab nichts zu verbergen“-Argumentationen, aber beim Ablauf dieser fünf Tage stimmt’s. Viel Neues, außer den Routen von A nach B, wird das Handy nicht ermitteln können.

LG Handy Israel  

Was das Ministerium bei der Sache gelernt haben kann:

– dass, wer mit dem Hält-an-jeder-Milchkanne-Shuttle vom Flughafen in die Stadt fährt, sich auf dem Rückweg garantiert für ein anderes Verkehrsmittel entscheidet. Taxi, Tretroller, von Schildkröten gezogener Rennschlitten. Alles ist schneller als das.

– dass wir einen Tag in Ramallah waren, unter anderem in der deutschen Vertretung, bei der palästinensischen Autonomiebehörde und bei einer Gesprächsrunde mit palästinensischen Journalisten. Wäre irgendwas davon eine Neuigkeit für die israelischen Behörden, würde mich das ernsthaft überraschen. Mal sehen, so oder so, ob das bei der nächsten Einreise irgendwann ein Thema wird.

– dass sich bei vier Tagen Regen am Stück auch die Halter von Leihhandys bevorzugt drinnen aufhalten und sich auf Kichererbsenbasis ernähren, dabei aber keine besonders spektakulären Datenspuren hinterlassen.

– dass von dem Telefon aus einmal gesmst wurde, zweimal telefoniert und einmal kurz im Internet was nachgeschlagen, die verloren geglaubte Jacke dann aber letztlich doch nicht im Hotel lag, sondern in Moskau auf der Fensterbank.

– dass im Abendstau von Tel Aviv auch der vollste Akku irgendwann leer ist.

Und das habe ich gelernt:

– Wer ein wandelnder persönlicher Hotspot ist, muss im Bus nie alleine sitzen.

– So ein persönlicher Hotspot ist auch nützlich, wenn man selber sich nicht vom Leihtelefon in allerlei persönliche Accounts einloggen will, sondern vom eigenen. Auf wirklich Sensibles hab ich auch so nicht zugegriffen, aber zum Twittern war’s schon nützlich.

– Wenn das, wie von frotzelnden Kollegen behauptet, doch ein Mossad-Handy war, dann habe ich den verpeiltesten Agenten aller Zeiten als Ansprechpartner gehabt. Fast hätte er das Handy nicht mal zurückbekommen, weil er nicht rechtzeitig am vereinbarten Ort war. Reifenpanne, soso.

– für 50 Dollar kann man im Duty-Free-Shop so viel Kosmetik aus Schlamm kaufen, dass das Tote Meer danach einen halben Meter tiefer ist.

– mein nächstes Handy wird auf gar keinen Fall eines von LG. Gott, die Benutzeroberfläche – das Gegenteil von intuitiv. Einen eingehenden Anruf anzunehmen hat erst im zweiten Versuch geklappt, und wie man im Browser eine Seite zurück geht, hab ich bis zum Schluss nicht herausgefunden. Das lern ich dann irgendwann beim nächsten Israel-Besuch – falls das Ministerium dann wieder Handys verteilt.

Putin des Monats (III)

putin des monats dezemberGesehen: In einem indischen Restaurant in Sankt Petersburg. Nachfrage bei der Kellnerin ergab: Ja, der hat hier früher gerne mal gegessen. Vladimir Putins politische Karriere begann Anfang der Neunziger in Sankt Petersburg.

Begleitung: Zwei weitere lächelnde Herren, wie Putin in glänzendem lachsrosa Umhang. Falls sie jemand kennt, gerne in den Kommentaren Bescheid sagen.

Text: „Präsident Putin schenkte dieses Photo im Jahr 2005 dem Restaurant ‚Tandoor‘.“

Subtext: Schaut mal, ich kann auch „Pretty in Pink“.

Oben-Ohne-Punkte: -5/10, er hat sich sogar noch was Zusätzliches drübergezogen.

(Ab 2015 heißt der ‚Putin des Monats‘ versuchsweise ‚Putin der Woche‘. Es gibt einfach zu viele gute Motive, Personenkult sei Dank, um nur alle vier Wochen eines zu zeigen.)

The Ode Less Travelled, oder: da dam da dam da dam da dam da dam

Von Stephen Fry was Neues geht ja immer. Mit Hingabe guck ich schon lang QI (das hier hilft auch an grauen, trüben Tagen), les seine Bücher und retweete Tweets.

The Ode Less Travelled“ kannte ich noch nicht, dabei ist es schon länger auf dem Markt. Es geht, ganz grob, um Dichtung. Um das Werkzeug, das jeder hat, wenn er mit Sprache spielt. Wobei Herr Fry am Anfang erst mal streng ist und seinen Leser schwören lässt: Dass der sich Zeit nimmt für das Buch, dass er die Verse darin, wenn möglich, laut vor sich hin liest. Beim dritten Punkt hab ich etwas gepfuscht: Man soll, schreibt Stephen Fry, stets ein Notizbuch mitnehmen, ganz egal, wohin man geht. Das war mir in der Metro doch zu lästig, geschrieben hab ich also nur daheim.

ode less travelled stephen fryFry legt schnell los, zitiert sich durch Gedichte, schreibt eigene, die oft recht schmutzig sind. Dann, alle paar Kapitel, eine Übung, bei der der Leser selbst zum Autor wird: Im jambischen Pentameter zu schreiben braucht gar nicht so viel Übung, bis es fluppt.

Natürlich hilft es dabei, dass auf Englisch für vieles eine Silbe reicht, das heißt: Von birth und death bis hin zu sun und moon ist alles kurz und dadurch passgenau. Das Buch vertreibt auch zügig so Ideen wie die, dass sich am Schluss was reimen muss. (Reim-Übungen gibt’s trotzdem, was ein bisschen mehr Arbeit für Nicht-Muttersprachler macht.)

Nach ein paar Tagen steht das Ritual: dieselbe Kladde und derselbe Stift, das Datum oben in die Ecke – los! Nichts davon taugt, um es hier zu zitieren – aber der Stolz auf die paar Zeilen wärmt. Schnell fließt mit jedem Mal das Englisch besser, der Versfuß hinkt und stolpert auch nicht mehr. Kein Herz auf Schmerz, stattdessen neue Formen: ein Cento, ein Haiku, dann ein Rubai.

Was bleibt nach diesem Buch? Die volle Kladde mit Übungen in Bleistift – und ein Puls. Der jambische Pentameter sitzt so, dass selbst das Bloggen seinen Regeln folgt. Wer das nicht glaubt, klickt hier für den Beweis.

The Ode Less Travelled – der Beweis-Post

Shall I compare thee to a summer’s day?“ – das ist immer noch die klassische Beispielzeile für einen ‚iambic pentameter‘. Unglaublich eingängig, der Rhythmus, zu dem es auch noch Variationen gibt. Manchmal zum Beispiel nicht zehn, sondern elf Silben, auch wenn weiterhin nur fünf betont sind: „To be or not to be, that is the question.“

Das ganze Detailgekröse gibt es hier, mich hat einfach nur gereizt, zu probieren, ob sowas auch bei normalem Blog-Fließtext geht, ohne dass man ihn in die Form reinprügeln muss. Der Beleg steht hier drunter: Derselbe Text wie beim Original-Post, aber gesetzt wie ein Gedicht, damit jede Zeile ihre fünf Füße herzeigt. Mehr Sprach-Nerd kann man vermutlich kaum sein, als an sowas Spaß zu haben.

Von Stephen Fry was Neues geht ja immer.
Mit Hingabe guck ich schon lang QI
(das hier hilft auch an grauen, trüben Tagen),
les seine Bücher und retweete Tweets.

“The Ode Less Travelled” kannte ich noch nicht,
dabei ist es schon länger auf dem Markt.
Es geht, ganz grob, um Dichtung. Um das Werkzeug,
das jeder hat, wenn er mit Sprache spielt.
Wobei Herr Fry am Anfang erst mal streng ist
und seinen Leser schwören lässt: Dass der
sich Zeit nimmt für das Buch, dass er die Verse
darin, wenn möglich, laut vor sich hin liest.
Beim dritten Punkt hab ich etwas gepfuscht:
Man soll, schreibt Stephen Fry, stets ein Notizbuch
mitnehmen, ganz egal, wohin man geht.
Das war mir in der Metro doch zu lästig,
geschrieben hab ich also nur daheim.

Fry legt schnell los, zitiert sich durch Gedichte,
schreibt eigene, die oft recht schmutzig sind.
Dann, alle paar Kapitel, eine Übung,
bei der der Leser selbst zum Autor wird:
Im jambischen Pentameter zu schreiben
braucht gar nicht so viel Übung, bis es fluppt.

Natürlich hilft es dabei, dass auf Englisch
für vieles eine Silbe reicht, das heißt:
Von birth und death bis hin zu sun und moon
ist alles kurz und dadurch passgenau.
Das Buch vertreibt auch zügig so Ideen
wie die, dass sich am Schluss was reimen muss.
(Reim-Übungen gibt’s trotzdem, was ein bisschen
mehr Arbeit für Nicht-Muttersprachler macht.)

Nach ein paar Tagen steht das Ritual:
dieselbe Kladde und derselbe Stift,
das Datum oben in die Ecke – los!
Nichts davon taugt, um es hier zu zitieren –
aber der Stolz auf die paar Zeilen wärmt.
Schnell fließt mit jedem Mal das Englisch besser,
der Versfuß hinkt und stolpert auch nicht mehr.
Kein Herz auf Schmerz, stattdessen neue Formen:
ein Cento, ein Haiku, dann ein Rubai.

Was bleibt nach diesem Buch? Die volle Kladde
mit Übungen in Bleistift – und ein Puls.
Der jambische Pentameter sitzt so,
dass selbst das Bloggen seinen Regeln folgt.
Wer das nicht glaubt, klickt hier für den Beweis.

Alltagsrassismus, oder: Warum man nicht mit „City Mobil“ Taxi fahren sollte

Woran ich mich auch nach fast an einem Jahr in Russland nicht gewöhnt habe (und auch nicht gewöhnen möchte), ist der Alltagsrassismus. Du unterhältst dich mit jemandem, den Du seit Monaten kennst, über seine Wohngegend: „Wär ne gute Ecke, wenn die ganzen Tadschiken nicht wären.“ Jemand anderes, mit dem Du regelmäßig Zeit verbringst, fasst seinen Urlaub zusammen: „Gutes Wetter, aber das war voller Türken da, und du weißt ja, wie die stinken.“

Jedes andere Gespräch bis zu diesem Punkt war komplett normal, es sind Bekanntschaften entstanden, Freundschaften – und dann kommt so eine Aussage. Ansprechen hilft auch nicht: „Ach komm, Du weißt doch, wir Russen haben es nicht so mit der politischen Korrektheit.“ Als wäre das die Baustelle.

Von der Alltags-Homophobie („der Typ ist mir suspekt, sein Name klingt schwul“) und dem Alltags-Antisemitismus („in Wirklichkeit ist nicht Putin an der Macht, sondern die jüdische Weltverschwörung“) haben wir dann noch nicht mal angefangen; geschweige denn von der Tatsache, dass das keineswegs hinter vorgehaltener Hand geäußerte Meinungen sind, durch den Filtermechanismus gedrungen nach vier Glas Wodka.

Kein Innehalten, kein betretenes „das ist mir so rausgerutscht“, keine Anzeichen dafür, dass man gerade etwas Schlimmes oder auch nur Ungewöhnliches gesagt haben könnte.

Was genau der Punkt ist, denn solche Sprüche sind tatsächlich Alltag – auch von gebildeten Menschen, Menschen mit Auslandserfahrung. Menschen, bei denen ich einen weiteren Horizont erwartet hätte. Das geht Hand in Hand mit dem Hurra-Patriotismus, der um so sichtbarer ist, je mehr den Russen ein gemeinsames Feindbild präsentiert wird; sei es nun die Regierung in der Ukraine oder die westliche Sanktionspolitik.

Ich wünschte also, ich wäre überrascht gewesen, bei Facebook auf den folgenden Post zu stoßen. Er zeigt einen Screenshot aus der App, mit der man sich einen Wagen von „City Mobil“ kommen lassen kann. Auf der Liste der Zusatzleistungen: Klimaanlage, Kindersitz, Raucher-Auto, slawischer Fahrer.

 

Ja, tatsächlich, einen slawischen Fahrer kann sich der geneigte Passagier herbeirufen, sogar kostenlos, im Gegensatz zum Kindersitz, der immerhin 100 Rubel kostet. In der englischen Fassung der App ist von „slavonic“ statt „slavic“ die Rede, weshalb ich mich kurz gefragt habe, ob wohl „russischsprachig“ gemeint sein könnte.

Taxi City Moskau Rassismus 

Aber nein, das russische Original sagt eindeutig „slawisch“ – und bei einem russischen Taxi-Unternehmen ist die Wahrscheinlichkeit, dass man „russischsprachig“ extra buchen muss, ja auch eher gering. Bisher hat hier noch jeder Taxifahrer russisch gesprochen, viele waren aber keine Russen. Sondern Turkmenen, Usbeken, Kasachen.

Zentralasiaten fegen Moskaus Straßen, schaffen den Müll weg, ackern auf Baustellen – und sind hier die Hauptzielscheibe für Ausländerfeinlichkeit. City Mobil kennt also seine Kunden, wenn es ihnen anbietet, sich auf Wunsch lieber von einem Russen (Polen? Serben? Bulgaren?) fahren zu lassen.

Was bleibt, sind eine Frage und eine Antwort. Die Frage ist, wie Apple eigentlich Apps mit rassistischen Inhalten behandelt. Grundsätzlich gibt es durchaus Vorschriften, besonders stringent scheinen sie aber nicht zu sein.

Und die Antwort? Bei Bekannten entdeckt man manchmal erst nach einiger Zeit, woran man ist. Bei City Mobil wissen wir es jetzt alle. Die Antwort kann also nur heißen: anderswo bestellen.

(Hat tip an Grace, durch die der FB-Post in meiner Timeline erschienen ist, und an Sebastian für Infos zu Apples Regelungen.)

Eine Woche Instadvent

Advent, Advent, was man so kennt. Immerhin, eines ist dieses Jahr neu: der Instadvent. Freunde, Kollegen, Bekannte von Ex-Kollegen, die heute Freunde sind – seit einer Woche posten wir Tag für Tag ein weihnachtliches Foto bei Instagram, schön verhashtagt mit #instadvent und dem Datum, also #1von24, #2von24 und so weiter.

Eine gute Fingerübung, die dazu zwingt, täglich die Augen offen zu halten nach Motiven. Noch hält es sich auch gut die Waage zwischen Wärme, Gemütlichkeit, Vorfreude und Kitsch, Ironie, Distanz. Den fetten Besinnlichkeitshebel hat noch keiner umgelegt, stattdessen schleicht sich das Weihnachtsgefühl allmählich ins Bild – was ja auch die Idee ist beim Advent.

#instadvent #1von24

Ein von N Dave (@ruhrpoet) gepostetes Foto am

Weihnachtsdeko à la Karstadt. #instadvent #2von24 #Dortmund #ifttt

Ein von Katharina Kierig (@kakakiri) gepostetes Foto am

Schrottwichteln. Spannend. #instadvent #3von24

Ein von @kaehler_s gepostetes Foto am

#5von24 #instadvent Rotes Türchen für die Fünf

Ein von @peterssan gepostetes Foto am

#Winterleuchten #Westfalenpark #nofilter #instadvent #6von24

Ein von @anni_kari gepostetes Foto am

"Sag, wenn er wieder weg ist!" #instadvent #7von24

Ein von @textaufgabe gepostetes Foto am

Wer noch mitmachen will: Montag geht es weiter mit #8von24.

Von 800 Rubeln und 19 Prozent

Rubelmünzen 
Wenn Börsenanleger auf fallende Rubelkurse wetten, ist das Spekulation. Tun es Journalisten, fällt das unter Recherche, oder sagen wir mal: kollegiales Kräftemessen in Sachen ökonomisches Urteilsvermögen. Ein Kampf des Intellekts und des Pragmatismus. Eine Fingerübung in Russlandkunde, geboren aus Weltanschauung, Bauchgefühl und tiefgehendem Hintergrundwissen.

Okay, es war Fatalismus.

In anderen Redaktionen gibt es Wahlwetten – wie viel Prozent für wen, wie viele Sitze, welche Gewinne und Verluste. Oder komplexe Fußball-Tippspiele, einschließlich vom Hausboten eingesammeltem Geld. Bei uns, die wir alle in Rubel bezahlt werden, waren die Regeln schlichter: am 30. Oktober raten, wo am 30. November der Rubel im Vergleich zum Dollar steht – und dann warten.

Heute kam die Auflösung per Rundmail, und mit ihr die Erkenntnis: Auch, wer nur zum Wirtschaftsteil greift, um in der Bahn die Füße auf den Sitz gegenüber legen zu können, hat Chancen. Siegesjubel dank der Strategie, den Kursverfall der letzten Oktobertage einfach linear fortzuschreiben! Her mit dem 800-Rubel-Jackpot!

Unter den zwei Letztplatzierten befindet sich mindestens eine Führungskraft, ein echter Russlandexperte. Dass die Schadenfreude trotzdem nicht so richtig aufkommen will, liegt vielleicht an dem Nachsatz des Kollegen, der das Prognose-Spiel angeleiert hat. In seiner Mail schreibt er: „Der Preis von 800 Rubeln ist jetzt 19 Prozent weniger wert als beim Einsammeln am 30. Oktober.“

Scratch Messiah in der Royal Albert Hall

Royal Albert Hall Scratch Messiah 2014 panorama 

Einmal das Foto großklicken. Von der Orgel nach rechts, bis da, wo die Logen anfangen. Jetzt ein Stück nach unten, noch ein bisschen, stop: Da irgendwo stehen wir, Katharina und ich, in roten Outfits, dem Dresscode für den Alt beim „Scratch Messiah“ in der Royal Albert Hall. Und ja, es fällt mir auch ein paar Tage danach noch schwer, nicht jedes Mal „Royal Fucking Albert Hall“ zu sagen, so grandios war das Gefühl, dort zu stehen und zu singen.

Über das Scratch-Prinzip hab ich hier schon mal ausführlicher gebloggt – Musiker studieren zuhause ein Stück ein und treffen sich dann, um es aufzuführen. Manchmal gibt es auch noch eine einzige gemeinsame Probe, aber nicht bei der Londoner Version von „The Really Big Chorus„. Jacken abgeben, noch mal zum Klo, Sitzplatz finden, sich den Nebenleuten vorstellen, Trinkflasche
unter den Stuhl stellen und los. Scratch as scratch can.

Völlig richtig natürlich, dass die ersten Chor-Noten vom Alt gesungen werden. Das Orchester ist unerschütterlich – muss es auch sein, denn 3000 Sänger, das ist keine Anzahl, die zum Allegro oder gar zur spontanen Tempoverschärfung neigt. Erst recht nicht, wenn sich manche in die schwierigen Stellen dann doch noch ein bisschen reinfühlen müssen. Aber auch das kennen Chorleute, nicht nur vom Scratch: Manchmal markiert man eben nur und verlässt sich auf die anderen.

Katharina und ich haben beide schon ein paar Messiasse hinter uns, es fluppt also an diesem Abend meistens, auch bei frickeligen Sätzen. Wie viel da jetzt Können ist, wie viel Adrenalin und wie viel Inspiration durch die heiligen Hallen, den genius loci? Komplett egal. Was bleibt, sind das Gefühl beim Schlussapplaus und die Bilder.

(Danke an Anja für das Panorama-Foto obendrüber!)

Moskaus Metro in Karten

Das Metro-Netz der Moskauer Innenstadt, Screenshot aus der "Metropolitan"-App
Das Metro-Netz der Moskauer Innenstadt (Screenshot aus der „Metropolitan“-App)

Moskaus Metro zeichnet sich durch vieles aus: Durch prunkvolle Stationen, durch WLAN auf viele Strecken, durch vorbeiwabernde Geruchsblasen aus Alkohol und verschwitztem Polyester zu beliebiger Tageszeit. Auch – hier liebevoll und im Detail dokumentiert – durch Fossilienfunde in den Steinsäulen, zum Beispiel in der Haltestelle Pawelezkaja.

Was ihr allerdings fehlt, sind Metropläne, jedenfalls die aus Papier. Was man in London an jeder Haltestelle nachgeworfen bekommt, gibt es in Moskau nicht mal auf Nachfrage beim Fahrscheinkauf. Auch auf den Bahnsteigen hängen selten Netzpläne – dann schon eher an die Wand geflieste Listen der nächsten Stationen. Online gibt es dafür Metro-Pläne satt, und viele von ihnen zeigen mehr als bloß Linien und Haltestellen.

Die offizielle Karte

Official Moscow Metro map

Ende 2012 hat die Moskauer Stadtverwaltung einen Wettbewerb fürs beste Design eines Metroplans ausgeschrieben. Gewonnen hat das Designstudio von Artemy Lebedev, der hier noch mal genauer erklärt, was er sich dabei gedacht hat. Geschwungene Linien, sanfte Kurven. Kreise statt bloß Punkte, wo sich mehr als zwei Linien treffen. Übersichtlich.

Die Partisanenkarte

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Im Jahr drauf klebte in einigen Metro-Wagen plötzlich die sogenannte „Partisanenkarte“- kein Spaßprojekt, sondern ein gezieltes Statement. Die Gruppe „Partisaning„, die Kunst im öffentlichen Raum und politische Inhalte kombiniert, wollte darauf aufmerksam machen, was ihrer Meinung nach in der Moskauer Verkehrspolitik alles falsch läuft: Dass zum Beispiel teure neue Metrolinien gebaut werden, anstatt andere ÖPNV-Möglichkeiten geschickter zu kombinieren, oder dass Autos die Moskauer Innenstadt und die Ausfallstraßen verstopfen.

Bei der Guerilla-Aktion plakatierten die Aktivisten darum ihre eigene Karte, auf der unter anderem angegeben war, wie schnell man zu Fuß von A nach B kommt – und wie langsam mit dem Auto. Finanziert wurde das Projekt nach Angaben der Macher mit Spenden aus Deutschland.

Die Aussprachekarte

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Käse an dein prüdes Ohr! Eiche heiß nah Ratte! Park kühl zu lesen! Was klingt wie eine Kombination aus Wodka und Dada wird deutlich sinnvoller, wenn man sich die englische Originalfassung anschaut. Denn auf dieser Karte sind alle Metrohaltestellen so geschrieben, dass jeder mit Englischkenntnissen sie aussprechen kann.

„Cheese to your prude ear“ statt „Chistye Prudy“ also, „Oak hot near rat“ statt „Okhotny Ryad“ und „Park cool to read“ statt „Park Kultury“. Eine Idee, genau mittig zwischen kreativ und bekloppt – und eng verwandt mit zwei Aussprache-Tipps, die ich immer klasse fand: „Hey, ya forgot la yoghurt“ und „I’m a dinner jacket.“

Die historische Karte

Схемы линий / Картинки / Схемы и карты метро

Keine drei Dutzend Haltestellen, ein paar gezeichnete Sehenswürdigkeiten, so sah der Metroplan kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Einige Haltestellen heißen heute anders, andere – Kurskaja, Taganskaja – haben bis heute denselben Namen. Irreführend ist höchstens, dass diese Karte im Gegensatz zur Gewohnheit den Norden rechts hat, also um 90 Grad gedreht ist.

Von den Dreißigern bis in die Gegenwart reicht die Karten-Kollektion auf Metro.ru – da kann man sich gut mal festlesen.

Die Zeitreise-Karte

Interactive History of Moscow Metro

Leider nicht richtig einbetten lässt sich diese Seite, aber das Anklicken lohnt: Hier geht die Übersicht an Moskauer Metrokarten noch mehr ins Detail. Wer den Regler ganz nach links schiebt, der sieht die allererste, rote Linie mit ihren 13 Haltestellen.

Zum Kriegsende sind es schon drei Linien, in den Fünfzigern ist die Ringlinie nicht mal ein Halbkreis… Selber gucken geht hier in der „Interaktiven Metro-Geschichte“.

Die Frauenkarte

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Andere gucken in die Wolken und sehen Schäfchen, Alexei Sobolevsky guckt auf den Metroplan und sieht Frauen. Posiert wie der Verlauf der Linien, mal stramm diagonal, mal geschwungen. Alle Bilder gibt es hier als Galerie oder auf Sobolevskys Instagram-Account.

Die Zukunftskarte

Moscow metro in 100 years map

Zum Schluss darf noch mal Artemy Lebedev ran, denn er hat in die Zukunft geblickt. Sicherheitshalber direkt bis ins Jahr 2100 – kürzer wäre auch fatal, 2033 treiben sich in der Metro ja noch allerlei Mutanten rum.

Moskau hat inzwischen dreimal so viele Haltestellen, dazu eine zweite Ringlinie, einen zusätzlichen Flughafen und eine Problem: Langsam werden die Farben für neue Linine knapp, inzwischen gibt es sogar eine regenbogenfarbene. Das Ergebnis sieht, sagt Lebedev zu Recht, „ziemlich verrückt und wunderschön“ aus.

(Hier gibt es übrigens die Metro-Systeme einiger Weltmetropolen im Größenvergleich. Gehört nicht ganz hierher, ist aber auch interessant.)

Moskauer Warenkorb, November 2014

November – Zeit, Plätzchenzutaten zu kaufen auf dem Dorogomilowski-Markt, nicht weit vom Kiewer Bahnhof. Ein Gelände mit Markthalle und kleinen Buden, dessen Atmosphäre sich am besten genießen lässt, wenn man vergisst, je das Wort „Kühlkette“ gekannt zu haben. Dann ist es wirklich interessant zwischen all den Metzgern, den drei Dutzend Sorten Honig, den duftenden Bäckereiständen und den Fischen, die unter freiem Himmel auf Eis liegen, während über ihnen die Tauben schweben.

„Mandeln, geschnitten?“ Die Händlerin nickt, telefoniert, kurz danach bringt ihr jemand einen Kilobeutel. Okay, sie sind gehobelt, taugen also nicht für Wespennester. Aber da findet sich schon was, einfach improvisieren.

Das ist diesen Monat auch das Stichwort für den Warenkorb. Denn auf Dauer macht Preislistenlesen wahrscheinlich genau so wenig Spaß wie Preislistenschreiben. Eigentlich sollte es hier darum allerlei schicke Diagramme geben – und für mich die Gelegenheit, mit ein paar Programmen rumzuspielen. Nach einigen Stunden Frickeln und Frust mir Datawrapper und Tableau hier also der Versuch einer Erklärgrafik mit Piktochart.

Empfehlungen für laientaugliche Datenvisualisierungs-Programme gerne in den Kommentaren posten, dann versuch ich mich in den kommenden Monaten mal daran. Und wer sie ernsthaft vermisst, findet die ausführlichen Preislisten weiter unten.

Moskauer Warenkorb November 2014 kscheib

Supermarktpreise:

Möhren für 34,90 Rubel/Kilo (Oktober: 28,00)
Tomaten für 99,00 Rubel/Kilo (Oktober: 99,90)
Rote Paprika für 185,00 Rubel/Kilo (Oktober: 194,00)
Weißkohl für 21,00 Rubel/Kilo (Oktober: 11,90)
Äpfel für 44,90 Rubel/Kilo (Oktober: 69,90)
Birnen für 65,00 Rubel/Kilo (Oktober: 69,90)

Milch (2,5%) für 63,44 Rubel/Liter (Oktober: 63,44)
Butter für 27,22 Rubel/100g (Oktober: 41,66)
Brie für 111,20 Rubel/100g (Oktober: 111,20)
Parmesan für 96,66 Rubel/100g (Oktober: 91,90)

Hähnchenbrust für 179,00 Rubel/Kilo (Oktober: 199,00)
Schweinekotelett für 369,00 für Rubel/Kilo (Oktober: 369,00)

Onlinehändlerpreise

Kartoffeln für 29,00 Rubel/Kilo (Oktober: 29,00)
Zwiebeln für 27,00 Rubel/Kilo (Oktober: 27,00)
Gurken für 207,00 Rubel/Kilo (Oktober: 145,00)
Zucchini für 153,00 Rubel/Kilo (Oktober: 139,00)
Auberginen für 199,00 Rubel/Kilo (Oktober: 195,00)
Rote Bete für 21,00 Rubel/Kilo (Oktober: 18,50)
Eisbergsalat für 210,00 Rubel/Stück (Oktober: 210,00)
Kohlrabi für 215,00 Rubel/Kilo (Oktober: 188,00)

Zitronen für 98,00 Rubel/Kilo (Oktober: 93,00)
Papaya für 455,00 Rubel/Kilo (Oktober: 455,00)
Mango für 315,00 Rubel/Kilo (Oktober: 299,00)
Bananen für 59,90 Rubel/Kilo (Oktober: 63,00)
Orangen für 72,00 Rubel/Kilo (Oktober: 72,00)
Grapefruit für 78,00 Rubel/Kilo (Oktober: 99,00)
Kiwi für 115,00 Rubel/Kilo (Oktober: 142,00)

Milch für 66,74 Rubel/Liter (Oktober: 63,40)
Butter für 50,39 Rubel/100 g (Oktober: 45,35)

Graubrot, geschnitten, für 79,06 Rubel/Kilo (Oktober: 79,06)
Toastbrot für 82,40 Rubel/Kilo (Oktober: 82,40)

Rinderhack für 398,00 Rubel/Kilo (Oktober: 336,00)
Ganzes Hähnchen 119,00 für Rubel/Kilo (Oktober: 150,00)
Durchwachsener Speck für 747,50 Rubel/Kilo (Oktober: 498,33)

Kabeljau (TK) für 251,00 Rubel/Kilo (Oktober: 251,00)
Lachssteak (TK) für 640,00 Rubel/Kilo (Oktober: 640,00)

(Das Kleingedruckte: Der Warenkorb ist nicht repräsentativ. Außerdem gibt es in unserem Supermarkt jetzt keinen Parmesan am Stück mehr – dafür aber frischen geriebenen in der Tüte, zum fast exakt gleichen Rubelpreis pro Kilo. Darum habe ich mir erlaubt, den geriebenen hier in die Wertung zu nehmen.)