Russball, Folge 40: Zenits Trainer pöbelt bei Instagram zurück

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Diese Russball-Folge entsteht, während im Browser-Tab nebenan ein Wartebalken von links nach rechts kriecht. Die letzte Phase des Kartenverkaufs für die Fußball-Weltmeisterschaft hat begonnen, diesmal nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, kauft zuerst“. Spätestens jetzt muss es also klappen – kann doch nicht sein, dass in meiner Stadt WM ist und ich geh nicht hin! Also, falls ihr in diesem Text Tippfehler, unnötige Wiederholugnen oder Tippfehler findet, dann seht es mir nach. Ich bin ein bisschen abgelenkt.

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⚽ Letzte Woche Spekulation, diese Woche Tatsache: Leonid Sluzky wird neuer Trainer bei Vitesse Arnheim. So ein russischer Trainer im europäischen Ausland ist durchaus eine Rarität – um so bemerkenswerter also, dass Sluzky nach Hull nun schon seine zweite solche Station in kurzer Zeit antritt. (Und wie hübsch: Auf Niederländisch schreiben ihn einige Medien dort ‚Sloetski‘.)

⚽ Zenit St. Petersburg steht auf Tabellenplatz 5, das sah schon mal deutlich besser aus. Auch beim Spiel gegen Leipzig neulich kam Zenit nicht wie ein allzu bedrohlicher Gegner rüber, am Ende gewann Leipzig 2:1. Entsprechend sauer sind die Fans derzeit, vor allem Trainer Roberto Mancini steht in der Kritik: „@mrmancini10 Va fa’n’culo!“, schrieb ein wütender Zenit-Fan unter sein Instagram-Foto, was nichts anderes als „Fick dich“ bedeutet.

Nun ist @mrmancini10 der Instagram-Name von Roberto Mancini. Aber der Trainer ist ja Profi, auch im Umgang mit der Öffentlichkeit. Was wird er also tun? Den Post ignorieren? Zur Sachlichkeit aufrufen? Äh, nein. Der Trainer reagierte auf die Pöbelei unter dem Foto höchstselbst, und im selben Ton: „Tu e tua sorella“, antwortete er dem Fan, „Dich und deine Schwester.“ Nun ja.

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⚽ Russlands Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow hat sich im brasilianischen Fernsehen zu den Themen Rassismus und Hooligans in Russland geäußert. Leider bewegt sich seine Äußerung auf dem Niveau von Franz „Ich hab noch nicht einen einz’gen Sklaven in Katar g’sehn“ Beckenbauer: Das mit dem Rassismus ist gar nicht so schlimm, und das mit den Hooligans ebenfalls alles halb so wild. (Warum ich das anders sehe, steht hier.)

⚽ So, das muss aber jetzt erst mal reichen an Trainer-Geschichten. Reden wir vom Titan: Die Iswestija hat Oliver Kahn ein paar Fragen gestellt, zum Einstieg geht es um Russlands Rolle als WM-Gastgeberland, die Antworten sind alle freundlich-unverbindlich. Interessanter fand ich, was Kahn zum russischen Fußball zu sagen hat, genau genommen zu Igor Akinfejew.

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Der Mann ist, was Kahn auch mal war: Torwart und Kapitän der Nationalmannschaft. Kahn hält, das kommt bei dem Interview gut raus, große Stücke auf Akinfejew und ist selbst verwundert, dass dem der internationale Durchbruch noch nicht gelungen ist. Von einem Torwart zum anderen rät er ihm darum, sein Glück außerhalb des russischen Vereinsfußballs zu suchen: „Er muss sich die Frage stellen, wie weit er im russischen Fußball sein Potenzial realisieren kann. Um sich völlig zu entwickeln, muss er raus aus seiner Komfortzone.“

⚽ Twitter und FOX haben sich zur gemeinsamen WM-Berichterstattung zusammengetan, täglich soll es bei Twitter eine halbstündige Livesendung mit Highlights des Turniers geben. Gedacht ist das Angebot allerdings für Zuschauer in den USA – Twitter-Nutzer in Europa brauchen also vermutlich ein VPN, um mitgucken zu können. Das Studio zur Sendung soll übrigens mitten auf dem Roten Platz stehen – mal sehen, ob das bei den Moskauern auf ähnlich viel Gegenliebe stößt wie vor ein paar Jahren der Louis-Vuitton-Koffer.

⚽ Schlimm: Dass immer noch Leute Überschriften nach dem Prinzip „From Russia with XY“ (oder auf deutsch „XY-Grüße aus Moskau“) machen. Dann doch bitte besser so schmerzhaft kalauernd, aber immerhin originell, wie hier. (Ja, ich musste mir das auch laut vorlesen. Wenn das nicht reicht, hilft dieser Clip euch vielleicht auf die Sprünge.)

⚽ Das „Mannschaft Magazin“ kannte ich bisher nicht, begegnet ist es mir nun durch einen langen Artikel über die Situation schwuler Fußballfans in Russland, der im Gegensatz zu vielen anderen über die bloße Bestandsaufnahme hinausgeht. In der interessantesten Passage des Textes kommt Ale­xander Agapow zu Wort, der Präsident des russischen LGBT-Sportverbandes.

Er berichtet aus der Praxis, wie schwierig es ist, Mitstreiter im Kampf gegen Homophobie zu finden, und wie schwer sich schwule und lesbische Sportfans mobilisieren lassen: „Sie akzeptieren ihre Situation und glauben, sie seien machtlos. Sie sehen nicht, dass ihre Teilnahme etwas bewirken könnte,“ kritisiert Agapow.

⚽ Zwei prominente russische Fußballer haben auf ihren Social-Media-Accounts dazu aufgerufen, am kommenden Wochenende wählen zu gehen – klingt erst mal nicht besonders interessant. Doch Sports.ru hat da etwas beobachtet: Es sind schon ziemlich auffällig ähnliche Bilder, die die beiden Nationalspieler Artjom Rebrow und Alexander Kokorin da gepostet haben, beide mit denselben Hashtags, beide mit abgeschalteter Kommentarfunktion.

Neben den beiden Nationalspielern haben auch andere Promis solche Motive veröffentlicht. Und das, wo jedem klar ist, dass Wladimir Putin die Präsidentschaftswahl ohnehin gewinnen wird – womit die Wahlbeteiligung der eigentliche Gradmesser für seinen Rückhalt in der Bevölkerung ist.

Haben sich die beiden also anwerben lassen für eine Promokampagne, die Putin die erhoffte hohe Wahlbeteiligung bescheren soll? (Schließlich machen die Behörden hier gerade jede Menge Wellen, um Wähler anzulocken – man kann sogar ein Auto gewinnen.) Kokorin hat auf Anrufe von Sports.ru nicht reagiert, und das kurze Interview mit Rebrow ist in all seiner Schlichtheit ziemlich deutlich:

– Ach, lassen Sie uns darüber nicht diskutieren. Das ist doch ein politischer Moment. Kein Kommentar.

– Haben Sie selbst entschieden, das zu posten, oder hat Sie jemand darum gebeten?

– Ich sagte doch: Da reden wir nicht drüber. Das ist doch nicht die Frage. Mit Sport hat das nichts zu tun, stimmt’s? Und über Politik diskutiere ich nicht.

– Aber Sie sind Sportler.

– Aber über Politik rede ich nicht. Zum Thema Sport beantworte ich alle Fragen.

– Sie wollen also überhaupt nichts dazu sagen? Kokorin hat heute einen ähnlichen Post veröffentlicht.

– Genau, da will ich gar nichts zu sagen.

Was Sports.ru noch über die mögliche Kampagne herausgefunden hat, steht hier.

⚽ Schon seit einigen Wochen protestieren Studierende an Moskaus wichtigster Uni gegen Pläne der FIFA, bei ihnen rund ums Gebäude eine Fan-Zone einzurichten. Die Studentinnen und Studenten der Lomonossow-Universität haben Angst, das 40.000 feiernde Fußballfans den Unibetrieb durcheinanderbringen können – das sorgt nicht nur diejenigen, bei denen im Sommer Prüfungen anstehen.

Nachdem von der FIFA niemand auf die Proteste reagiert hat, hoffen sie nun auf Unterstützung von Wissenschaftlern und Studenten aus aller Welt, um endlich Gehör zu finden. Warum sich die FIFA nicht bewegt, dazu haben sie jedenfalls eine simple These: “Vielleicht ignoriert sie das Problem aufgrund ihrer Sponsoren, die ja gute Bilder für ihre Fernsehberichterstattung brauchen.“ Das Unigebäude ist ein Prunkstück der Moskauer Architektur, eignet sich also in der Tat gut als TV-tauglicher Hintergrund für Bilder feiernder Menschen.

⚽ Der Fall Sergei Skripal geht in die zweite Woche, und nein, ich hätte nicht gedacht, dass sich da ein fußballerischer Aspekt dran finden lässt. Aber das Team der BBC-Nachrichtensatireshow „Have I got News For You“ hat sich Mühe gegeben und dann doch einen entdeckt: „England stellt neues Auswärtstrikot für WM in Russland vor“.

⚽ So sehr es sich manchmal anfühlt, als laufe im Fußball im Moment alles nur auf die Weltmeisterschaft hin: Es gibt ein Leben nach der WM, sogar ein fußballerisches. Ja, stimmt, erst mal reist die deutsche Nationalmannschaft im Sommer nach Russland, aus bekannten Gründen. Aber Mitte November gibt es dann einen Gegenbesuch: Russland schickt seine Elf zum Länderspiel nach Deutschland, genau genommen nach Leipzig. Könnt ihr euch ja schon mal in den Kalender eintragen.

⚽ Und dann noch eine Kleinigkeit, die nur indirekt mit Fußball zu tun hat: Seit kurzem bin ich Besitzerin eines Stapels alter Fußballbücher. Design aus der Sowjetzeit, seien es Werbeplakate, Alltagsgegenstände oder Schnittmuster, ist ein Faible von mir.
In dem Bücherstapel ist auch sicher einiges an künftigem Blogmaterial enthalten, aber im Moment bin ich noch perplex und begeistert von drei Fundstücken, die zwischen den Seiten lagen: Olympia-Andenken aus dem Jahr 1980.

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So. Russball ist fertig, bloß der doofe Wartebalken hat es noch nicht mal bis zur Hälfte des Bildschirms geschafft. Vier Stunden lang regelmäßiges Gucken auf diese Info, einschließlich Tippfehler.

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Vier Stunden das Gefühl, dass „more than an hour“ mindestens Schönfärberei ist, vielleicht auch einfach Spott. Mal sehen, ob sich in den nächsten vier Stunden was tut, aber so lange müsst ihr ja nicht warten – wir sprechen uns in einer Woche wieder. Bis dann!



 

Russball, Folge 10: Wir haben in Russland die längste Liga der Welt

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Dieser Russball ist ein bisschen anderes als die bisherigen Russbälle. Wenn ihr das hier lest, bin ich schon seit ein paar Tagen irgendwo, wo weder Russland noch Deutschland ist, und gucke aufs Wasser. Keine Umstände, unter denen man dringend am Laptop sitzen und russische Fußballwebsites sichten möchte.

Diese Ausgabe muss daher ohne Aktuelles auskommen. Wer wissen will, was sich in der Premjer-Liga tut – bitte googeln. Wer dagegen Interesse hat an hintergründigen, zeitlos schönen Texten über den Fußball in Russland: Bitte scrollen Sie weiter, hier gibt es etwas zu sehen.

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⚽  Ende Juli ist im Spiel zwischen Krasnodar und Lyngby ein Tor gefallen, an dem entlang man viel erzählen kann über den aktuellen Zustand des russischen Fußballs. Geschossen hat es Magomed-Schapi Sulejmanow, Jahrgang 1999, und damit nun der jüngste Russe, der je in einem UEFA-Turnier getroffen hat. Interessant ist an Sulejmanow aber nicht nur, wie jung er ist, sondern auch, wie er es ins Team des FK Krasnodar geschafft hat.

Der Verein ist noch keine zehn Jahre alt, hat aber bei seiner Gründung auch direkt eine Fußball-Akademie ins Leben gerufen, deren Schüler nach und nach in Krasnodars Team hineinwachsen sollen. Dass Nachwuchsarbeit gerade angesichts der eher mittelprächtigen Kaufkraft der meisten russischen Vereine wichtig ist, spricht sich auch im russischen Fußball allmählich rum. Russian Football News analysiert darum anhand von Sulejmanow und seinen Altersgenossen, wie sich Krasnodars Strategie nach einem knappen Jahrzehnt zu rentieren beginnt: „Die elfjährigen Jungen, die in der Frühzeit der Akademie dort ihre Ausbildung begannen, schaffen gerade den Durchbruch in die erste Mannschaft und zeigen so, dass es doch noch positive Aussichten im russischen Fußball gibt.“

⚽ So still hat man Russlands Spitzenfußballer selten gesehen: Für die Reihe „Lyrik des Fußballs“ tragen Fjodor Smolow, Denis Gluschakow, Alexei Beresuzki und andere Spieler Werke russischer Dichter vor. Das ist ganz leise inszeniert und funktioniert wahrscheinlich auch nur deshalb. Blicke, Gesten, Worte – kein lautes Deklamieren. Stattdessen Iwan Bunin über die Kindheit, Sergei Jessenin über Träume, Anna Achmatowa über die Einsamkeit. Männer, die es gewohnt sind, dass alle auf sie blicken, stehen hier mal aus einem anderen Grund im Mittelpunkt.

⚽ Neulich war hier schon mal die Rede von den „Russischen Pillendrehern“, einem russischen Fanclub von Bayer 04 Leverkusen. Allmählich denke ich, es könnte sich lohnen, mal zu sammeln, welche Bundesligavereine hier noch alle ihre eigenen Fanclubs haben. Auf der Liste stünden dann auch die wackeren Schalke-Fans, die sich eben falls in ihrem eigenen Club zusammengefunden haben. Der heißt, natürlich: Russische Knappen.

⚽ Kennt jemand Igor Belanow? Langjährige junge Fans von Borussia Mönchengladbach vielleicht, dort hat er Ende der Achtziger mal gespielt. Aber sonst? Der Name ist lange nicht so geläufig wie, sagen wir mal, Franz Beckenbauer, Kevin Keegan, Christiano Ronaldo oder Lionel Messi. Trotzdem gehört Belanow mit ihnen in eine Reihe – als Gewinner der Fußballtrophäe Ballon d’Or.

Belanow kam aus der heutigen Ukraine, spielte für die Sowjetunion und hatte bei der Fußball-WM in Mexiko durchaus gezeigt, was er konnte. Wie er es jedoch schaffte, Gary Lineker auszustechen und die begehrte Auszeichnung zu bekommen, ist schon einer der interessanteren Momente der Fußballgeschichte. When Saturday Comes bringt die Sache so auf den Punkt: „Heute ist der Ballon d’Or der sichere Weg zu Weltruhm und zum Lebenswandel eines Popstars. Dass ihn einst ein Mann, der aussieht, also ob er einfach Igor heißen muss, mit einer altbackenen Mannschaft gewinnen konnte, kommt einem heutzutage unglaublich vor.“

⚽ Noch eine kleine Zeitreise: Der Twitter-Account @OldFootball11 ist ein steter Quell der Freude, wenn man sich für Fußball, Siebzigerjahrefrisuren oder stilvolle alte Mannschaftstrikots interessiert. Neulich beim Rumstöbern ist mir dort diese Perle begegnet: Lew Jaschin, legendärer russischer Fußball- und nebenbei auch Eishockeytorwart, als Coverboy einer schon damals nicht ganz unbekannten Publikation: „Kicker – die Sportrevue“.

⚽ Russland ist ja eines dieser verwirrenden Länder, in denen etwas gleichzeitig „erste Division“ heißt und trotzdem die zweite Liga ist. Einfacher ist es vielleicht, wenn man sie im Kopf einfach unter FNL ablegt – im Gegensatz zur RFPL, der Premjer-Liga. Die FNL jedenfalls hat ein massives Problem, das mit der schieren Größe Russlands zu tun hat: Vom westlichsten Ligaverein, Baltika Kaliningrad, bis zum östlichsten, Lutsch-Energija Wladiwostok, sind es mal eben 7000 Kilometer Luftlinie.

Reisen dauert, und reisen ist teuer. Es ist also ein Zeit-, vor allem aber ein Geldproblem, das Russlands Zweitligavereine haben. Wladiwostok ist ja auch nicht der einzige fernöstliche Verein, auch zum Auswärtsspiel beim SKA-Energija Chabarowsk ist man viele Stunden unterwegs, nur um dann 90 Minuten auf dem Platz zu verbringen. Manche Teams, die eigentlich in der FNL spielen dürften, haben darum bereits dankend abgelehnt. Mehr zur größten bzw. längsten Fußball-Liga der Welt gibt es bei Russian Football News: „Die Probleme mit der transsibirischen Fußballiga“. Und auch die Premjer-Liga bleibt von solchen Reiseproblemen nicht verschont.

⚽ Zum Schluss noch ein kleiner Servicelink, gefunden beim Sonntagsblatt. Den Kollegen dort ist aufgefallen, dass im kommenden Sommer Fußball-Weltmeisterschaft und Hochzeitssaison kollidieren. Wer zum Beispiel am 7. 7. heiraten will, riskiert, dass abends bei der Feier die Gäste lieber das Viertelfinale gucken wollen. Guten Rat, wie man Feiern und Fußballgucken verbindet, geben eine Hochzeitsplanerin und – Jobs, von denen ich auch vorher noch nie gehört hatte – der Sportpfarrer der bayerischen Landeskirche.

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Das war’s dann auch schon mit der ausnahmsweise etwas hintergründigeren Russball-Folge. Mich würde ja interessieren, wie ihr diese ungewohnte Variante fandet – interessant oder eher nicht so? Eine gute Idee für Urlaubszeiten, oder nächstes Mal besser komplett pausieren? Sagt mir doch mal Bescheid, in den Kommentaren oder bei Twitter. Ich freu mich drüber – also, wenn ich zurück in Moskau bin. Bis dann!