Russball, Folge 62: Boris Rotenberg darf in der Champions League spielen

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Da ist sie also wieder, die Zeit, in der man keine Bundesliga-Konferenz im Radio höen kann, ohne dass einem zwischendurch jemand vom Weihnachtsmarkt erzählt. Auch hier in Moskau laufen die Vorbereitungen auf die Feiertage, im Supermarkt auf der anderen Straßenseite gibt es sogar deutschen Stollen zu kaufen. Dabei ist hier ja nicht Weihnachten, sondern Neujahr das Fest, bei dem die Familie um einen Baum sitzt und gemeinsam feiert – es wäre also durchaus noch Zeit.

Nicht nur Festbeleuchtung glitzert auf den Straßen, auch Schnee und stellenweise Eis. Weshalb es in dieser Russball-Ausgabe auch um die Frage geht: Wie kalt muss es eigentlich werden, damit selbst russische Profisportler einen Anspruch darauf haben, nicht im Freien gegeneinander antreten zu müssen?

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⚽ „Die Passion des Andrei“ – wer so eine Überschrift raushaut, der signalisiert: Es geht um Monumentales. Um das Ende einer Spielerkarriere, die so bisher kein zweiter Russe wiederholen konnte. Andrei Arschawin, der zuletzt in Kasachstan der Rente entgegendribbelte, aber zu seinen Glanzzeiten für Zenit und für Arsenal gespielt hat. Der zu Beginn seiner Zeit in London beeindruckte, aber daraus kein Sprungbrett für eine internationale Karriere machen konnte. Der zwar Nationalspieler war, aber nie bei einer WM mitspielte.

Glorreicher Held oder gescheitertes Talent, „gifted maverick who completed a fairytale rise to the top, or wasted talent who let it all slide when on the edge of greatness“ – für den Guardian sind beides mögliche Deutungen von Arschawins Lebensweg. In Russland klingen die Reaktionen eher wohlwollend: „Der Zar geht und nimmt die Krone mit“, schreibt die Iswestija, und die russische Nationalmannschaft lässt twittern: „Auf Wiedersehen, Legende!“

⚽ Und weil er ja nun Zeit hat, gibt Arschawin dann auch gleich eine ganze Reihe von Interviews. Dass er gegen die Einbürgerung ausländischer Spieler ist, gibt er dort dann zum Beispiel zu Protokoll (eine populäre Praxis, um die russische Nationalmannschaft zu verstärken). Oder er erzählt, wer für ihn derzeit die besten russischen Fußballer sind: „Ich denke, der stärkste ist dem Potenzial nach sicherlich Golowin, der zweitstärkste sitzt leider im Gefängnis. Der Rest spielt auf einem niedrigeren Niveau.“

Das war deutlich. Der Mann im Gefängnis, genau genommen in U-Haft, ist Alexander Kokorin. Er und Pawel Mamajew, beide russische Nationalspieler, werden demnächst für das vor Gericht stehen, was in Russland „Hooliganismus“ heißt: In einem Café sollen sie mehrere Menschen angegriffen und verletzt haben, Mamajew soll sogar mit einem Stuhl auf eines der Opfer eingeschlagen haben. Mamajews Frau hat unterdessen ein Foto von ihrem Instagram-Account gelöscht, auf dem der Name ihres Mannes und ein Stuhl zu sehen waren. Auf einem anderen Bild kann man ihn, wenn man genau hinsieht, noch erkennen.

⚽ Im März hatte ich schon mal auf Tschertanowo Moskau hingewiesen. Der Verein hat die bemerkenswerte Philosophie, für seine Profimannschaft nicht auf teure Spieler-Einkäufe zu setzen, sondern stattdessen auf seine eigenen Nachwuchsspieler. „Russian Football News“, durch die ich auf die Mannschaft aufmerksam geworden war, sind am Thema drangeblieben und berichten nun, wie es seitdem weiterging: Tschertanowo ist in die Erste Division aufgestiegen – Russlands zweithöchste Profiliga – und steht dort aktuell komfortabel auf Tabellenplatz 6.

Bemerkenswert auch: Obwohl in dieser Liga die Nachwuchsteams mehrerer großer Clubs spielen, ist Tschertanowo die Mannschaft mit dem niedrigsten Altersdurchschnitt. Mehr dazu, unter anderem ein Blick darauf, wie stark sie in den U20-, U18- und noch jüngeren Nationalmannschaften vertreten ist, hier: Chertanovo Moscow – Finally getting the recognition they deserve?

⚽ Im russischen Fußball ist etwas geschehen, was es so zuvor noch nie gab. Es geht um Boris Rotenberg, einen Rekordspieler der besonderen Sorte: Im Sommer hatte ich schon mal über ihn geschrieben, weil er nicht zur russischen WM-Auswahl gehörte, trotz eines Alleinstellungsmerkmals, an das sonst keiner rankommt: Niemand hatte bei so vielen Liga-Spielen bloß auf der Bank gesessen wie Rotenberg.

Darum war das, was da am 28. November beim Spiel zwischen Lokomotive und Galatasaray passiert ist, auch so besonders: In der 90. Minute durfte Rotenberg auf den Platz, eingewechselt für Jefferson Farfán. „Der große Boris Rotenberg debütiert in der Champions League“, twittert Eurosport und frotzelt damit nur ein ganz klein wenig.

⚽ Gleiches Spiel, anderer Spieler: Grzegorz Krychowiak, polnischer Nationalspieler, hat in seiner Vereinskarriere unter anderem beim FC Sevilla gespielt. Derzeit ist er bei Paris Saint-Germain unter Vertrag, von wo er erst nach West Bromwich Albion und aktuell an Lokomotive Moskau ausgeliehen wurde.

Dass er sich auf diesem Karriereweg nicht nur Fußballkönnen angeeignet hat, hat er in einem Interview für den Youtube-Kanal von Loko gezeigt. „How was your emotions?“, fragt der Interviewer nach dem Sieg gegen Galatasaray, und Krychowiak legt los:

⚽ Mutko-Watch, nächste Runde: Der Mann hatte bekanntlich eine ganze Reihe von Ämtern, nicht ganz unprominent darunter z.B. der Job als Sportminister und als Präsident des russischen Fußballverbandes. Letztere Aufgabe ließ er, als der öffentlich Druck wegen der Doping-Vorwürfe zu groß wurde, kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft ruhen. (Wie weit man da wirklich von „ruhen“ sprechen kann und es nicht eher sowas war wie „unter der Bettdecke mit der Taschenlampe weiterlesen, was auch alle wissen, aber keinen stört, weil man da eh von ausgegangen war“ – unklar.)

Klar ist dafür, dass Mutko neuerdings wieder hochrangige Termine für den russischen Fußballverband wahrnimmt und auch beim Training der Nationalmannschaft gerne mal an der Seitenlinie entlangpatroulliert. Heißt dass, das sein Amt nicht mehr ruht? Die Nachrichtenagentur AP hat nachgefragt, Ergebnis: Russlands Fußballverband gibt derzeit keine Auskunft darüber, wer aktuell dort den Präsidentenjob macht.

⚽ Ich hab nachgezählt: Das hier ist nun schon der dritte „Russballl“ in Folge, in der Denis Gluschakow Thema ist. Erst wegen der Sache mit dem Instagram-Like für Kritik am Damals-noch-Trainer von Spartak, Massimo Carrera, dann wegen der Abwesenheit bei dessen Abschiedsessen. Und jetzt? Carrera ist doch inzwischen weg, was kann da noch kommen?

Ein wütender Fan. Einer von vielen, die sauer sind auf Gluschakow und ihm die Schuld dafür geben, dass Carrera Spartak nicht mehr trainiert. Er rannte beim Spiel gegen Rapid Wien aufs Feld, direkt zu Gluschakow, schubste ihn und schrie auf ihn ein. Die Situation dauerte nicht lang, schnell drängten andere Spartak-Spieler den Mann ab. Was bleibt, ist das Wissen, dass das nur der Gipfel war unter vielen Protesten gegen Gluschakow. Und dieser überaus hilfreiche Artikel (okay, wohl eher native advertising) bei Sports.ru, der erklärt, wie viel Geld man verdienen kann, wenn man darauf wettet, dass er den Verein verlässt oder nicht. Noch sind die Quoten ein wenig besser, wenn man wettet, dass er geht.

⚽ Russischer Fußballhumor im Winter: Vor dem Spiel gegen Amkar Grosny hatte der FK Jenissei noch das hier getwittert, Text: „Wir bereiten uns aufs Spiel vor.“ Anders gesagt: Her mit dem Thermometer, denn in Russland liegt bei -15 Grad die magische Grenze, ab der Vereine verlangen können, dass das Spiel verlegt wird. Schon vor dem Spieltag waren beide Clubs wenig begeistert gewesen von dem, was der Wetterbericht da vorhersagte, Jenissei versuchte sogar durchzusetzen, das Spiel in eine Halle zu verlegen – vergeblich.

Vor dem Anpfiff wurden dann -13,9 Grad auf dem Platz gemessen, das Spiel fand statt. Abgesagt wurde hingegen die Begegnung zwischen dem FK Orenburg und Krylja Sowetow Samara: -17 Grad, und damit die eben zwei Grad unter der entscheidenden Marke. Alles, was wärmer als -15 ist, ist eben kein Grund. Sondern nur normales russisches Winterwetter.

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Zum Schluss noch etwas, das nichts mit Russland zu tun hat, aber viel mit Fußball und mit Profi-Spielern, die zwischen Vereinen in verschiedenen Ländern wechseln. Was wird der Brexit für Folgen haben für Fußballvereine in Großbritannien? Ich wusste vorher nicht, wie das mit der offiziellen Arbeitserlaubnis funktioniert – das wird in Zukunft definitiv nicht einfacher. Und dann ist da noch der englische Fußballverband, der hofft, dass durch den Brexit einheimische Spieler weniger Konkurrenz haben, dadurch mehr Einsätze im Vereinsfußball, dadurch mehr Erfahrung für die Nationalmannschaft…

Die nächste Russball-Folge gibt es… tja. Liest die irgendjemand, wenn sie am Neujahrsmorgen kommt? Wäre es besser schon kurz nach der deutschen Weihnacht? Oder eher kurz vor der russischen? Ich freu mich über Rückmeldungen.



 

Russball, Folge 59: Warten auf Schalke

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Sie haben die Heizung eingeschaltet in Moskau. Ein wichtiger Schritt, denn das geschieht hier zentral – ehe bei der Stadt nicht jemand zum Schluss kommt, dass es ausreichend kalt ist, kann bei sich daheim niemand heizen. Aber gut, vor ein paar Tagen gab es den ersten Hagel, daraufhin hat sich wohl jemand erbarmt.

Das mit dem Herbst geht hier immer schnell, letzte Woche konnte man noch Wäsche auf dem Balkon trocknen. Da hingen sie nebeneinander, ein blau-weißes Trikot und ein blau-weißer Schal, die demnächst hier Großes vorhaben: Es geht in die RZD-Arena, das einzige der großen Moskauer Stadien, in denen ich noch kein Spiel gesehen habe. RZD ist die Abkürzung für Russlands Eisenbahnunternehmen, es ist also nur folgerichtig, dass dort Lokomotive Moskau spielt. Und am 3. Oktober bekommt der Verein Besuch aus Deutschland: Schalke kommt.

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⚽ Das Champions-League-Spiel zwischen Schalke und Loko ist nicht nur für diesen einen Moskauer Schalke-Fan-Haushalt interessant, zu dem ich gehöre. Beide Vereine stehen deutlich schlechter da als vergangene Saison und brauchen dringend ein Erfolgserlebnis: Lokomotive, russischer Meister der vergangenen Saison, steht nur auf dem 6. Tabellenplatz, Schalke ist sogar noch tiefer gefallen, from Vizevorjahresmeister zum aktuell Vizetabellenletzten.

Besonders spannend wird das Spiel durch die, sagen wir mal, personellen Verbindungen zwischen Schalke und Loko. Der Sportdirektor (und Ex-Schalker) Erik Stoffelshaus hat Benedikt Höwedes nach Moskau geholt, Jefferson Farfan spielt schon seit 2017 bei Lokomotive. Ein kleines Nest an früheren Schalkern also. Wie sich das für die drei anfühlt, hat Stoffelshaus in einem Interview mit Transfermarkt umrissen. Höwedes selbst kommt bisher in Moskau nur selten zum Einsatz und muss mit Kommentaren wie diesem leben: „Höwedes mag Weltmeister sein, aber er ist ein Pilot, der nicht abhebt.“

Wie blickt Russlands Sportpresse auf das Spiel am 3. Oktober? „Schalke ist schrecklich in die Bundesliga gestartet, Loko muss gewinnen“, schreibt Bombardir, Sports.ru veröffentlicht eine tiefgehende Analyse, was bei Schalke derzeit alles schief läuft – kommt aber letztlich zu dem Fazit, dass Tedesco dennoch der richtige Trainer für den Verein ist. Und, auch wichtig: Lokomotive muss gegen Schalke auf einen großen Namen verzichten, nachdem Fjodor Smolow sich an der Schulter verletzt hat.

⚽ Wen man mal im Auge behalten sollte: Maxim Warnawskij. Er ist 16 Jahre alt, spielt für den FK Kuban und hat dort gerade dieses Zückerchen hier geliefert:

⚽  Die Geschichte mit Pjotr Wersilow habt ihr in den vergangenen Tagen sicherlich verfolgt. Der Pussy-Riot-Aktivist, der als einer von vier Flitzern (bei russischen Fußballfunktionären scheint da eine gewisse Unklarheit über die Anzahl zu herrschen, aber lassen wir das mal beiseite) beim WM-Finale gegen Polizeigewalt protestiert hatte, wurde allem Anschein nach vergiftet und daraufhin zur Behandlung nach Deutschland gebracht. Inzwischen geht es ihm langsam wieder besser.

Bemerkenswert ist, dass er nur wenige Tage zuvor ein Interview zur Frage gegeben hat, wie sich das Verhalten der russischen Polizei verändert hat – jetzt, wo die Weltmeisterschaft vorbei ist, das Interesse der Welt an Russland nachgelassen hat und die Inszenierung von fröhlichem Alltag mit nachsichtig-entspannten Ordnungshütern keine Priorität mehr hat. Daraus entstand ein Text, den zu lesen sich lohnt: „Two months after World Cup final, Russian police no longer relaxed“.

⚽ Wie das so ist im Pokal: Da muss man selbst als halbwegs etablierter Verein plötzlich an entlegene Orte fahren, wo man sonst nie hinkäme. Für den FK Jenissei Krasnojarsk war es diesen Monat Welikije Luki, das musste ich auch erst mal googlen – und dann ordentlich rauszoomen, um zu sehen, wo diese Stadt liegt: Wer auf die Idee kommt, mit dem Auto von Moskau Richtung Lettland zu fahren, der stößt irgendwann auf Welikije Luki. (Ich hatte sehr gehofft, dass der Name „Große Zwiebeln“ bedeutet, aber wenn man sich das Stadtwappen ansieht, ist hier wohl eher die zweite Bedeutung von „Luki“ gemeint, nämlich Bögen. Schade.)

Das Spiel in Welikije Luki jedenfalls bedeutet für die Jenissei-Spieler: erst der Flug nach Moskau, von dort aus dann fast acht Stunden weiter mit dem Zug. Die Tweets von der Zugfahrt umweht ein Hauch von Klassenfahrt, vor allem einer von ihnen spiegelt sehr genau wieder, mit welcher logistischen Souveränität Russen solche langen Zugfahrten antreten: „Wir haben ein Hähnchen in Alufolie, wir haben hartgekochte Eier, wir haben Doschirak gekauft. Fehlt noch was?“ Doschirak ist die Marke, unter der hir allerlei Nudelsnacks verkauft werden, die man nur noch mit heißem Wasser aufgießen muss. Das nämlich kann man in vielen russischen Langstreckenzügen bequem aus einer Art Riesen-Samowar im Gang zapfen.

⚽ Zwei, vielleicht drei Tage nach dem Umzug nach Russland Anfang 2014 muss das gewesen sein, als mir diese Meldung hier begegnete: Ein Streit zwischen zwei Freunden darüber, was besser ist, Dichtung oder Prosa, dazu Alkohol, der Streit eskaliert – am Ende ist der Freund, der Gedichte kritisiert hatte, tot, der andere wird später zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.

Mir wurde also halbwegs flau, als ich hörte, dass zwei Spartak-Spieler in einen Streit um ein Gedicht verwickelt waren. Die Wahrheit war hier dann aber gottseidank etwas weniger dramatisch: Denis Gluschakow und Andrey Yeshchenko sollen beide ein Instagram-Video geliked haben, in dem der Schauspieler Dmitri Nasarow ein Spottgedicht über Massimo Carrera aufsagt. Kleiner Haken: Der Mann ist Trainer bei Spartaak, Gluschakow und Yeshchenko haben also dem eigenen Coach ans Bein geliked. Ergebnis: Alle Beteiligten noch am Leben, aber die beiden durften nicht mit zum Spiel gegen Rapid Wien.

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#fcsm

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⚽ Lang keine Debatte mehr gehabt über Reformbedarf im russischen Fußball, da hat die Gute-Laune-WM tatsächlich mal für ein paar Wochen verhältnismäßige Ruhe gesorgt. Aber jetzt geht’s wieder los, diesmal kommt der Impuls von Leonid Fedun, dem Präsidenten von Spartak Moskau. „Ohne Reformen ist unser Fußball dazu verdammt, dahinzuvegetieren“, sagt er und fragt: Wie kann man den Schwung der erfolgreichen WM nun mitnehmen, so dass er dauerhaft dem Fußball in Russland verbessert?

Mehr Geld für die Vereine aus Fernsehrechten wünscht sich Fedun zum Beispiel, aber seine Kritik ist sehr viel grundlegender. Weil in Russland immer noch viele Vereine im Besitz des Staates oder von Staatsunternehmen sind, fehle „in 95 Prozent der Fälle ein Zusammenhang zwischen dem finanziellen Wohlstand und dem sportlichen Erfolg der russischen Profi-Clubs.“ Das müsse sich dringend ändern, als Erfolgsanreiz. Feduns weitere Ideen (wie etwa den Vorschlag, nur diejenigen Vereine in die Premjer Liga zu lassen, deren Stadion mindestens Platz für 20.000 Fans bietet – sorry, Orenburg! Sorry, Ufa! Knapp Schwein gehabt, Tula!) könnt ihr hier nachlesen.

⚽ Was machst du, wenn du in der Nationalmannschaft spielst und deinem Trainer, dem ollen Schnauzbartträger, für den WM-Erfolg danken willst? Klar, kommste auch mit Schnäuzer zum Training. In diesem Sinne: Heiner-Brand-Gedächtnispreis für die russischen Spieler, und bravo, Stanislaw Tschertschessow!

⚽ Wer kann langfristig von der Fußball-WM in Russland profitieren und wer nicht? Den kleineren Vereinen, die plötzlich in schicken neuen Stadien spielen, hat das Turnier offenbar mehr genutzt als den schon etablierten Spitzenclubs. AP hat dazu eine gute Analyse samt Ausblick: „The challenge now is to maintain that World Cup buzz through the winter, and to pay for the costly stadiums.“

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Als Rausschmeißer nun noch ein Video von einem dieser öffentlichen Heiratsanträge, bei denen ich mir nie ganz sicher bin, ob sie nun niedlich sind oder bloße Nötigung. (Danke an David Hagemeister für den Tipp.) Während ihr euch diesen Clip mit Torjubel und roten Rosen anseht, such ich dann schon mal die die blau-weiße Schminke raus. Wie oben ja schon ganz kurz erwähnt: Schalke kommt!



 

Russball, Folge 21: Was ihr bei der Fußball-WM um den Hals hängen habt

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Diese Russball-Folge muss am Anfang kurz mal Dänball sein. Wir waren eine wunderbare Woche lang auf Fanø, vier Große, zwei Kleine – oder anders gesagt, zwei Schalker und vier mehr oder weniger langjährige BVB-Fans. Was tut man nicht alles, um dem Patenkind und seinem Bruder vorzuleben, dass es noch andere Optionen gibt: „Stimmt, das ist cool, dass da jemand einen Drachen steigen lässt, der aussieht wie die BVB-Biene. Aber hast du dir mal den restlichen Himmel angeguckt? Alles blau und weiß!“

Auf der Insel gibt es auch eine Schule, flankiert von einer Bücherei, allerlei Kletter- und Hüpfmöglichkeiten und einer Sportanlage. Nicht nur für Schüler, sondern offen für alle. Beeindruckt hat mich dort der Aushang am Fußballfeld, der vor allem im Herbst und Winter nützlich ist: Schicke eine SMS an diese Nummer, und die Beleuchtung wird für eine Stunde eingeschaltet.

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Sehr einfach, sehr schlau – jetzt wüsste ich nur noch gerne, ob das automatisiert ist oder am anderen Ende ein Mensch sitzt, der einen Lichtschalter drücken muss. So oder so: Falls ihr Fußball spielenden Kindern eine Stunde Strom organisieren oder einfach als Kunstprojekt mitten in der Nacht einen dänischen Bolzplatz beleuchten wollt: Die Ländervorwahl ist +45, der Rest steht auf dem Zettel.

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⚽ Sports Illustrated hat einen Auszug aus dem Buch „Under the Lights and In the Dark: Untold Stories of Women’s Soccer“ veröffentlicht. Es geht um die junge amerikanische Fußballerin Danielle Foxhoven, die 2012 für Energija Woronesch gespielt hat – eine gruselige Erfahrung. Kurzentschlossen hatte sie dem Club zugesagt, nachdem ihr Job bei einem US-Verein weggebrochen war. Der Artikel beginnt mit einer krassen Szene, in der ihr russischer Trainer sie ins Gesicht schlägt, weil sie sich auf den kalten Boden gesetzt hat. Es folgen Sexismus, Beschimpfungen, als Vitamine getarntes Doping.

Man kann das kaum lesen, ohne sich zu fragen, wie leidensfähig man als Profisportlerin eigentlich sein muss – und wie naiv man sein kann: Tabletten einfach schlucken, unerklärte Spritzen einfach akzeptieren. Wer über den Buchauszug hinaus weiterlesen will: Danielle Foxhoven hat über ihre Zeit in Russland gebloggt. Hier etwa über den traurigen Entschluss, mit dem Russischlernen aufzuhören: Sonst, so die Logik, würde sie noch mehr von den Seitenhieben ihrer Mitspielerinnen verstehen.

⚽ Dass Moskaus renoviertes Luschniki-Stadion mit einem Freundschaftsspiel gegen Argentinien wiedereröffnet werden soll, ist ja schon ein paar Tage bekannt. Neu sind aber die Infos, die RBK zu den Kosten für dieses Spiel recherchiert hat. Demnach zahlt Russland rund eine Million Dollar, damit die Argentinier dem Eröffnungsspiel den nötigen fußballerischen Glanz verleihen.

Bemerkenswert sind an dem RBK-Bericht zwei Details. Zum einen zitiert er einen Experten mit den Worten, Argentinien verlange normalerweise eher zwei Millionen pro Spiel. Der Russland-Rabatt entstehe dadurch, dass aktuell „alle Nationalmannschaften froh darüber sind, im Land der nächsten Weltmeisterschaft zu trainieren.“ Derselbe Experte veranschlagt dann auch noch schnell, welcher Anteil der Millionensumme dafür fällig wird, dass Lionel Messi mit anreist: zwischen 35 und 50 Prozent. So fühlt es sich also an, argentinischer Nationalspieler, aber nicht Messi zu sein: Schau mal, der da drüben ist genau so viel wert wie wir restlichen alle zusammen.

⚽ Neuer Tabellenführer in der Premjer Liga: Lokomotive Moskau hat den bisherigen Spitzenreiter Zenit St. Petersburg sowas von geschlagen – 3:0, und das auswärts. Zwei der Tore hat Jefferson Farfán geschossen, das dritte für Alexei Mirantschuk vorbereitet, das sah dann so aus:

Was heißt das nun für die restliche Saison? Einerseits ist der Verlust der Tabellenspitze noch keine Krise. Zenit war im vergangenen Jahrzehnt viermal russischer Meister, Lokomotives letzte Meisterschaft war 2004. Andererseits, das fasst der Chefredakteur von Russian Football News hier gut zusammen, haben die Moskauer eine deutlich leichtere Rückrunde vor sich. Bei Lokomotive jedenfalls ist der Jubel groß – schließlich bedeutet der Spitzenplatz auch, dass man vor den drei Lokalrivalen ZSKA, Spartak und Dynamo liegt.

⚽ Noch 225 Tage bis zur Fußball-WM, dazu machen hier gerade zwei Zahlen die Runde. Zum einen werden die Kosten für das Turnier höher liegen als bisher geplant: 678 Milliarden Rubel statt 643,5 Milliarden – umgerechnet ist das ein Anstieg von rund 500 Millionen Euro. Warum? Die offizielle Verlautbarung nennt keine Gründe. Aber solche Preissteigerungen sind bei Großereignissen nicht unüblich – und in Russland, wir erinnern uns an den Stadionbau in St. Petersburg, erst recht nicht.

Auch Zahl Nummer zwei liegt höher als bisher erwartet, das dürfte allerdings die meisten WM-Teilnehmer freuen. Die FIFA erhöht das Preisgeld, um das die Mannschaften bei der Weltmeisterschaft konkurrieren. 344 Millionen Euro oder, schön rund, 400 Millionen Dollar sind nun im Topf. Wer schon in der Gruppenphase ausscheidet, nimmt 8 Millionen mit heim, dem Weltmeister winken 38 Millionen. Alle Stufen dazwischen hier zum Nachlesen.

⚽ Falls ihr zur Weltmeisterschaft nach Russland kommen wollt, werdet ihr übrigens das hier um den Hals hängen haben – das neue Design wurde gerade vorgestellt:

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Die Fan-ID ist, wie schon beim Confed-Cup diesen Sommer, der Ausweis, ohne den nichts geht. Nur wer ihn vorzeigen kann, darf ins Stadion – die Eintrittskarte allein reicht da nicht. Auch wer ohne Visum einreisen oder einfach nur kostenlos mit der Metro zum Stadion fahren will, braucht die Fan-ID.

Was mich übrigens interessieren würde: Warum ist die ID das einzige, was zwar zur WM gehört, aber nicht im WM-Design gestaltet ist? Dieses Planschbecken-Stadion, aus dem da der Ball raushüpft, hat nichts mit dem Look des Turniers zu tun. Nicht mal die Schrifttype stimmt, das müsste Duscha (Душа) sein. Beim Confed-Cup war das auch schon so – was es nicht leichter macht, wenn man versucht, den Ort zu finden, wo man seinen Ausweis abholt.

⚽ Maslow, Maslow, warum kommt mir der Name noch mal bekannt vor? Ach ja, die Bedürfnispyramide, damals im SoWi-Unterricht. Erfunden hat sie Abraham Maslow, dessen Namensvetter Denis heute Geschäftsführer beim FK Amkar Perm ist. Und es wäre mir ein akutes Bedürfnis, dass der Mann seine schwulenfeindlichen Statements künftig für sich behält – oder ihm zumindest ordentlich Kritik entgegenschlägt, wenn er sowas hier sagt:

„Schwule im russischen Fußball? Gottseidank bin ich noch keinem begegnet und ich hoffe, das bleibt auch so. (…) In der Bibel steht, dass Gott Adam und Eva schuf, nicht Adam und Adam.“ Bei den Spieler von Perm sei er sich jedenfalls sicher, dass alle „eine traditionelle Orientierung“ haben, behauptet Maslow weiter: „Alle Jungs sind entweder verheiratet oder leben mit ihrer Freundin.“ (Was, die leben unverheiratet zusammen? Was sagt denn da die Bibel?)

Lenta.ru protokolliert Maslows Äußerungen und weist zur darauf hin, dass es in Europa durchaus offen schwule Männer im Fußball gibt: Thomas Hitzlsperger als Profifußballer, den Briten Ryan Atkin als Schiedsrichter. Und ich frage mich, ob man da unten auf die Fan-ID vielleicht nicht nur „Say no to racism“ drucken könnte, sondern auch „Say no to homophobia“. Oder, ganz schlicht, „Don’t be an idiot.“

⚽ Zum Runterkommen eine kleine Nachricht von der Rheinland-Russland-Schiene. Normalerweise ist Konstantin Rausch ja immer der FC-Köln-Spieler, der auch zur russischen Nationalmannschaft gehört. Heute also mal andersrum: Der russische Nationalspieler Konstantin Rausch hat seinen Vertrag beim 1. FC Köln verlängert und bleibt nun bis 2021. Soundtrack zur Entscheidung: Wat och passeet, dat Eine es doch klor: Mer blieven, wo mer sin, schon all die lange Johr.

⚽ Begonnen hat diese Russball-Ausgabe mit einer leidensfähigen Fußballerin, enden soll sie also mit zwei nicht minder unerschütterlichen Nachwuchsmannschaften. Am Samstag sollten die Jugendteams des FK Amkar Perm und des FK Ural gegeneinander antreten – in Perm, also fast schon im asiatischen Teil Russlands. Anfangs war das auch ein ganz normales Spiel. Bis zur 35. Minute.

Nein, das ist kein Nebel. Das ist Schnee.

Viel Schnee.

Verdammt viel Schnee.

Wie sagt man noch mal „Abbrechen wegen Unbespielbarkeit“ auf Russisch? Keine Ahnung, und auch egal. Die 90 Minuten wurden ganz normal runtergespielt, nur der schwarzweiße Ball gegen einen bunten ausgetauscht. Am Ende stand es 5:1 für die Gastgeber; die dann vor lauter Glück noch eine endlose Fotostrecke des Schneematches veröffentlicht haben.

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Während ihr das hier gelesen habt, bin ich auf dem Weg nach Tiflis – das Team von Coda Story, zu dem ich als Social Media Editor gehöre, trifft sich dort zur Redaktionsklausur. Mal sehen, vielleicht erzählt ja jemand am Rande eine interessante Geschichte vom georgischen Fußball. Die lest ihr dann nächsten Mittwoch hier – bis dahin, macht’s gut!