Da lacht der Kommunist

Das Dom Knigi, Moskaus großer Buchladen, hat ein ganz solides Angebot an englischsprachigen Büchern. Neulich hab ich dort auf gut Glück „Hammer & Tickle – A History of Communism Told Through Communist Jokes“ mitgenommen und behellige seither Freunde und Verwandte mit Perlen wie dieser:

Was ist der Unterschied zwischen Stalin und Roosevelt? Roosevelt sammelt Witze, die Leute über ihn erzählen. Stalin sammelt Leute, die Witze über ihn erzählen.

Es ist ein Buch zum Film, entstanden aus einem Projekt des Dokumentarfilmers Ben Lewis. Anschaulich, in vielen Anekdoten und an Interviewpartnern entlang erzählt, die im Ostblock Kabarettisten oder Karikaturisten waren, Bürokraten oder Oppositionelle.

Hammer and Tickle Book CoverDass sich Lewis wie ein braver Wissenschaftler an der Hypothese abarbeitet, der Humor habe zum Fall des Eisernen Vorhangs beigetragen, stört nicht weiter beim Lesevergnügen. Soll er gern tun, aber auch ohne Weltformel des kommunistischen Witzes gibt es hier viel zu entdecken.

Zum Beispiel die Geschichte von Iwan Burilow, der unter Stalin zu acht Jahren im Gulag veruteilt wurde. Er hatte 1917 auf seinen Wahlzettel das Wort „Komödie“ geschrieben, das reichte dem Staat als Rechtfertigung. So scheint immer wieder Bitteres durch – egal, um welches Land und welches Jahrzehnt es gerade geht.

– Hast Du schon gehört, dass sich seit dem Frühling die Lebensqualität in Rumänien verdoppelt hat? Vorher haben wir gefroren und gehungert, jetzt hungern wir nur noch.

– Wann feuert ein guter Grenzsoldat den Warnschuss ab?
– Am Ende vom zweiten Magazin.

– Wie wird 1964 die Ernte?
– Durchschnittlich – schlechter als 1963, aber besser als 1965.

Dafür, dass er über die subversive Kraft von Witzen schreibt, kommt Ben Lewis selbst oft ganz schön verbissen und humorlos rüber. Wenn er Gespräche mit seiner Freundin wiedergibt, ist er der Rechthaber in Siegerpose, der ihr stets gern und ungefragt immer wieder erklärt, warum das kommunistische System, in dem sie aufgewachsen ist, scheitern musste.

Von oben herab sind meist auch die Sätze, mit denen er seine Zeitzeugen einführt. Keine Ahnung, ob da ein Dokumentarfilmer dem geschriebenen Wort nicht traut und meint, er müsste dem Leser auch gleich noch immer durchbuchstabieren, was er von wem zu halten hat.

Abgesehen davon aber ist das Buch saftige, unterhaltsame Lektüre. Epoche für Epoche ordnet Lewis die Witze, die er aus teilweise ziemlich obskuren Quellen zusammenträgt, in den geschichtlichen Zusammenhang ein. Dazu gehört auch ein Exkurs zum Humor im Nationalsozialismus – und zum Schluss ein Blick auf Humor im post-kommunistischen Russland:

Wladimir Putin geht mit den Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern in ein Restaurant. Der Kellner kommt und will Putins Bestellung aufnehmen.
– „Ich nehme das Steak.“
– „Und was ist mit dem Gemüse?“
– „Die nehmen auch das Steak.“

Wer jetzt noch nicht genug hat, kann sich hier von einem gelernten Vortragskünstler weitere Witze aus Sowjetzeiten erzählen lassen. (Gesehen bei Breakfast in Moscow.)

Die Bibliothek an der Haltestelle „Lenin-Bibliothek“

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Preisfrage: Welche Bibliothek liegt in Moskau an der Metro-Haltestelle „Lenin-Bibliothek“? Wer jetzt „die Russische Staatsbibliothek“ sagt, der hat natürlich völlig Recht. Kein Lenin mehr im Namen, schon seit Anfang der Neunziger nicht mehr – wobei er nur bei der Bibliothek gestrichen wurde, die Metrostation darf weiter nach ihm heißen: „Библиотека имени Ленина“ – „eine Bibliothek namens Lenin“, quasi.

Auch drinnen ist reichlich Lenin, fast so viel wie Stuck. Aber vor allem eine riesige Prachthalle mit dem umfassendsten Zettelkastensystem, das ich je gesehen habe. Großartig zum Stöbern, und beim Blättern in den teils noch handgeschriebenen Zetteln kommt die Erkenntnis: Keine Ahnung, was „ausleihen“ heißt, „Frist“ oder „raussuchen“. Aber die Schilder auf den einzelnen Kästen erschließen sich sofort. Ah ja, Zellkunde. Mikrobiologie. Fotosynthese. Gott segne die Lehnwörter.

Beim Stöbern stört keiner, beim Rumlaufen auch nicht. Gänge entlang, Treppen rauf und runter. Lesesäle, Vitrinen, ein Flur, in dem ein Mann im Anzug sitzt und laut mit einem kleinen Kind skypt. Lesetische mit grünen Lampen, die Lichtschalter aus Holz. Tiefe Ledersessel, Sofas, spisselige Grünpflanzen. Studenten. Hinter einer Tür, nicht weiter ausgeschildert, eine kleine Ausstellung mit historischen Werbeplakaten. Esst mehr Würstchen. Esst mehr Speiseeis. Esst mehr Apfelmus. Ich würde mich hier klaglos über Nacht einschließen lassen.

So lange das keine Option ist, lohnt sich auch ein Besuch über Tag. Eintrittskarten kosten kein Geld, bloß Zeit und Nerv. Mehr zu den Formalitäten, um ein Ticket zu bekommen, hier.

Ach so, und was „ausleihen“ oder „Frist“ heißt, ist übrigens furchtbar egal. Die frühere Lenin- und heutige Staats- ist eine Präsenzbibliothek.