Fünfmal staunen in der fünften Klasse

Meine-Mutter-postet

Letzte Woche war ich zum ersten Mal an der Deutschen Schule Moskau, zu Gast bei zwei fünften Klassen. Silke, bloggende Fünftklässlermutter, hatte die Idee gehabt: eine Fragestunde rund um soziale Netzwerke, weil die Schüler allmählich in das Alter kommen.

90 Minuten in einem proppenvollen Raum, in einer Atmosphäre, die einem die Kinder sympathisch macht und die Lehrerinnen direkt dazu: Normale Geräuschkulisse, normal viel Konzentration, normal viel Gewusel und Ich-muss-mal-schnell-aufs-Klo. Viele, viele, viele Fragen, und zwar von so gut wie allen.

Gelegentlich souffliert mal eine Mitschülerin das richtige deutsche Wort – einige Kinder hier wachsen zweisprachig auf. 90 Minuten Hin und Her, Frage, Antwort, Nachfrage, bessere Antwort. Alles von „Wer hat Facebook erfunden“ bis „Ist Cyber-Mobbing schlimmer als normales Mobbing?“ Das hier ist mir besonders aufgefallen:

1. Hardware

„Wie viele Geräte gibt es bei euch zuhause, mit denen man ins Internet kommt?“ Die Antworten gehen von zwei bis zu spektakulären 30 (folgt die Beschreibung des zugehörigen Vaters und seines Jobs). Und wehe, man erklärt nicht präzise genug – zum Beispiel den Trend, dass Hardware-Firmen versuchen, immer kleinere, leichtere Geräte auf den Markt zu bringen. „Das iPhone sechs ist aber größer als das fünfer.“ Äh. Ja. Stimmt.

2. Wissensstand

Jaja, alles Digital Natives, schon klar. Aber wenn ich auf die Frage hin, ob Leute per Computer Banken das Geld wegnehmen können, erkläre, was ein Hacker ist – und sofort der Hinweis kommt: „Es gibt aber auch gute Hacker, die nur gucken, ob alles sicher genug ist.“ Wenn es um WhatsApp-Alternativen geht und ein halbes Dutzend Schüler Threema kennt. Wenn einer wissen will, wo Edward Snowden gerade ist und ein anderer, ob Amerika echt Merkels Handy abhört. Dann ist das schon ziemlich beeindruckend.

3. Kompromisse

Vielleicht am interessantesten fand ich, welche Deals die einzelnen Schüler mit ihren Eltern haben. Genauer gesagt: Unter welchen Bedingungen sie in sozialen Netzwerken aktiv sein dürfen. „Keine Fotos aus unserer Wohnung.“ – „Den Instagram-Account so einstellen, dass man jeden Kontakt erst erlauben muss.“ – „Ich darf keine Fotos posten, aber meine Zeichnungen.“ Klang alles sehr pragmatisch.

4. Kettenbriefe

Kettenbriefe sind echt immer noch ein Ding. „Sind die immer fake?“, hieß die Ausgangsfrage – wir haben dann noch etwas allgemeiner über Gerüchte im Internet gesprochen. Populär war in der Klasse vor allem die Behauptung, bei einem Online-Spiel (hab den Namen leider nicht mitbekommen) sitze hinter den Augen der Katzen auf dem Bildschirm ein Mensch und gucke einem beim Spielen zu.

5. Privatsphäre

Ich dachte immer, das klassische Muster ist: Kinder geben leicht zu viel preis und Eltern müssen sie davor schützen. Stimmt aber gar nicht immer, mehrere Schüler haben vom umgekehrten Problem erzählt: „Meine Mutter postet Bilder von mir bei Facebook und ich will das nicht.“ – „Meine Mutter hat ein Bild von mir gepostet und ich find doof, was sie da druntergeschrieben hat.“ Bei allen Kindern, die sowas angesprochen haben, war es die Mutter.

Und hier die ganze Liste der Fragen – zumindest die vorher eingesammelten:

  • Spioniert man mich bei Facebook aus?
  • Instagram: Kann sich jemand in meine Kamera hacken und Fotos nehmen?
  • Kann jemand lesen, was wir im Internet schreiben?
  • Kann man die Bilder, die wir posten, für Werbung benutzen?
  • Sind alle Kettenbriefe („schicke das an 10 Personen weiter und Du bekommst…“) fake?
  • Wer hat Facebook erfunden?
  • Kann man mich auf den Netzwerken ausspionieren?
  • Wieso gibt es Cybermobbing und warum machen manche das?
  • Welches der sozialen Netzwerke ist am bedrohlichsten?
  • Wer hat Whats-App erfunden?
  • Ist Cyber-Mobbing schlimmer als normales Mobbing?
  • Sollte man auf einer Sozialen Netzwerk-Seite sein?
  • Wie wurden die Sozialen Netzwerke so erfolgreich?
  • Warum gibt es WhatsApp nur für Handy und nicht für Tablets?
  • Warum muss man auf Facebook seine Identität bestätigen?
  • Sind alle Sozialen Netzwerke sicher?
  • Gibt es viele Leute, die die sozialen Netzwerke missbrauchen?
  • Wenn man was auf Deutsch schreibt, können andere Menschen, die die Sprache nicht sprechen, den Post automatisch lesen (wird er automatisch übersetzt)?
  • Wieso wurde Faceboook gegründet?
  • Ist es möglich, Cyber-Mobbing zu verhindern?
  • Welches soziale Netzwerk ist am sichersten?
  • Wozu ist Snapchat gut?
  • Warum kann man Kommentare, die andere Leute beschimpfen, nicht blockieren?
  • Wie kommt man zu Bing?
  • Wie entstehen soziale Netzwerke?
  • Ab wie vielen Jahren darf man soziale Netzwerke benutzen?
  • Sagen Sie uns jetzt, dass WhatsApp und so doof ist?
  • Kann jeder einfach mein Kontakt sein?
  • Wie funktioniert Werbung in sozialen Netzwerken?

Zum Weiterlesen:

Osterbesuch mit Kindern in Moskau

Ein Facebook-Trick für große Nachrichtenlagen

Drei kleine Geschichten zur Medienkompetenz

Als Arne klein war, hat seine Mutter ihm erklärt, dass man nicht zu allem seinen Senf dazu geben muss. Wer den großen Arne kennt – schlau, schnell, schlagfertig – kann sich vorstellen, dass der kleine Arne diese Erklärung öfter als nur einmal gehört hat. Der große Arne hat gerade keine Zeit, das zu bestätigen. Er sucht seit Wochen nach den richtigen Worten, um zu sagen: „Mama, bei aller Liebe: Bloß weil Du jetzt auch bei Facebook bist und noch nicht so viele Leute kennst, heißt das nicht, dass Du jeden meiner Einträge kommentieren musst.“

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„Mein Kollege liest, was Du schreibst. Kannst Du nicht mal beiläufig darüber schreiben, dass es sich gehört, im Büro das Handy auf lautlos zu stellen? Seins klingelt auf „Don’t worry, be happy“, und es macht mich raderdoll.“ Erledigt. Bitteschön. Ach so: dasselbe gilt übrigens für das Auslöser-Geräusch beim Fotografieren mit dem Handy. Nichts zu danken.

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Skypen mit Patenkind 2 (inzwischen fünf Jahre alt) und seinem Vater. Als der kurz aus dem Zimmer geht, hat P. sofort den Finger in der Nase.
– „…und Vietnam grenzt auch an China. Laos ja auch und…“
– „Komm, P., jetzt nicht popeln.“
– „…Nordkorea, die Mongolei…“
– „Echt jetzt, Finger aus der Nase!“
– „…Afghanistan…(geht zwei Schritte zur Seite, damit er nicht mehr im Bild ist) „…und Pakistan auch.“

(Dieser Text ist so ähnlich auch in der Wochenendbeilage der WAZ erschienen.)