Die besten Threads aus dem August

kscheib threads august pixabay

Ein paar Wochen ist es her, da habe ich hier mal ein paar der interessantesten, klügsten, schönsten Threads zusammengebloggt, die Twitter so hergab. Das hat mir großen Spaß gemacht, euch offenbar auch (danke für die Rückmeldungen), außerdem wurde seitdem schon wieder eine ganze Reihe neuer Threads veröffentlicht, die ich gerne festhalten und feiern möchte.

Darum versuche ich das ab sofort mal monatlich, als kleine Thread-Kollektion – so, wie die Lieblingstweets von Anne Schüßler, der Kaltmamsell oder Maximilian Buddenbohm.  Erkennen könnt ihr diese Blogpost-Reihe an ihren formschönen Stockfotos mit allerlei Nähgarn. (Threads, geddit?). Jeweils den ersten Tweet eines Threads binde ich ein, wer weiterlesen will, muss nur draufklicken. 

1. Streets of Mannheim

Stell dir vor, du willst abbgiegen, aber die Straße auf deiner Karte gibt es nicht. Warum sollte man Stadtpläne oder Landkarten bewusst fälschen? So viele Gründe!

2. Professionelle Pflegekräfte

Diesen Thread habe ich mit Rührung gelesen – und mit dem Gefühl, dass ihn bitte auch all diejenigen lesen sollen, die den Pflegenotstand beenden wollen, indem sie Schulabgänger dienstverpflichten.

3. Mehr als nur Arielle

Nicht jede Meerjungfrau ist weiß – egal, wie oft man „Arielle“ guckt.

4. Ein Haar-Spickzettel

Afros, Dreadlocks, Braids, Weaves kannte ich. Conks, Twists, Instadreads und TWAs (teeny weeny afros) nicht. Ein Frisuren-Thread mit vielen politischen Aspekten.

5. Doping im Detail

Wer wie Mehmet Scholl nicht mit diesen leidigen Berichten über Doping in Russland behelligt werden will, der sollte diesen Thread besser überspringen. Zu dreist und zu absurd ist, was dort beschrieben wird.

6. Technik, die begeisterte

Vor gar nicht allzu langer Zeit haben viele Menschen Zeit und Erfindungsreichtum investiert, um Taschenrechner praktischer, kleiner und manchmal auch schöner zu machen.

7. Der Fotofund

Noch eine Zeitreise, diesmal deutlich weiter zurück. Zwischen Faszination, Grusel und Grinsen über diesen Typen, der auf dem Flohmarkt einen Verkäufer knallhart noch von 5 auf 4 Pfund runtergehandelt hat, um dies hier zu erstehen:

8. Für Radioleute

Es gab Zeiten, da hatte ich mal denselben Job wie dieser Twitterer hier: Bei einem kleinen Radiosender am Wochenende morgens als einzige auflaufen, und dann einen Tag lang darauf achten, dass die Musik wie geplant läuft. Hätte ich mal, statt zwischendurch Verkehrshinweise vorzulesen, lieber so einen großarigen Patzer gemacht wie er:

9. Lenins Fahrradpannen

Lenin und Slapstick, das fällt einem aus dem Stand nicht zusammen ein. Diese Sammlung an Missgeschicken, die ihm beim Radfahren geschehen sind, ist um so lustiger.

Das war’s mit den Threads für August. Wenn euch welche begegnen, die in der Septemberausgabe dringend dabei sein sollten, dann sagt gern Bescheid – in den Kommentaren, bei Twitter oder wie auch immer ihr mögt.

Eine Stimme für Jewgenia

Links das Mikrofon, rechts die Teetasse, in der Mitte der Bildschirm. Es ist lange her, dass ich in einer Sprecherkabine stand – damals™, als noch Radioschichten die Miete bezahlt haben. Das hier ist aber dann doch anders, Fernsehen halt – und ehe ich etwas sagen darf, muss immer erst Jewgenia, die Tattoo-Künstlerin auf dem Bildschirm, anfangen zu reden.

Ein, zwei Wörter von ihr auf Russisch, dann der Einsatz für den deutschen Text. Voice-over für eine Doku über Frauen in Russland, gedreht von Golineh Atai. Sie hat Jewgenia begleitet bei ihrem Engagement für Frauen in Russland, die von ihren Männern misshandelt wurden. Sie erzählen von Messerstichen, Schlägen, Drohungen. Jewgenia hört zu und tätowiert währenddessen über die Narben der Frauen hinweg. Nicht mehr die Gewalt des Partners soll ihre Spuren hinterlassen, sondern die Nadel der Tätowiererin – nach den Motivwünschen der Frauen.

Zwischendurch spricht Jewgenia auch über eine Gesetzesänderung, die Anfang des Jahres in Russland verabschiedet worden ist. Seitdem ist häusliche Gewalt nicht mehr unbedingt strafbar: Wer es schafft, seine Frau so zu schlagen, dass es zwar schmerzt, aber keine unmittelbare Bedrohung ihrer Gesundheit bedeutet, begeht damit nun keine Straftat mehr, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit, wie Falschparken. Keine Gefängnisstrafe mehr für die Täter, sondern eine Geldbuße oder, maximal, 15 Tage Arrest. Jewgenia kann es auch Monate später kaum fassen.

Kein leichter Stoff, trotzdem hat dieser Einsatz als Sprecherin Spaß gemacht. Vielleicht, weil man in so einer Kabinensituation noch genauer zuhört, oder weil man sich zwangsläufig mit der Frau identifiziert, der man da seine Stimme leiht. Sicher auch wegen der alten Radioliebe und der Herausforderung, dass da jemand was anderes von deiner Stimme will als „hier, sing mal das da“.

Jewgenia ist nicht die einzige Protagonistin dieser Doku. Parallel tritt auch Swetlana auf, die gegen die berufliche Diskriminierung russischer Frauen vor Gericht zieht. Die Doku über Jewgenia und Swetlana – „Russlands Frauen: Versteckte Narben“ – läuft diesen Samstag um 16.30 Uhr im Ersten.

Digitaler Journalismus im Zentralen Telegrafenamt

Zentrales Telegrafenamt Moskau

Da saßen wir also, reihenweise Journalisten, und hörten Referenten vom Guardian und vom Calvert Journal zu. Der Guardian macht derzeit eine Moskau-Woche (letztes Jahr gab es sowas schon mal mit Mumbai), und heute sollte es um Journalismus gehen: Welche Stereotypen westliche Medien nach Ansicht russischer Journalisten über deren Land verbreiten (Wodka, Kriminalität, Expansionismus, Dashcam-Videos) und umgekehrt. Was für Erzählformen sich online in letzter Zeit entwickelt haben. Wie man englischsprachigen Medien Themen anbietet. Was ein guter Einstieg ist. Wie Social Media hilft, die Reichweite zu steigern (selbst dann, wenn Dein Hashtag gekapert wird).

Vieles war sehr grundlegend, aber die Zielgruppe waren auch eher Berufseinsteiger, darunter eine ganze Gruppe Journalismus-Studenten. Da konnte man also zwischendurch gut mal ein wenig durchs Gebäude stromern und staunen.

Denn „DI Telegraf“ ist heute ein Veranstaltungsort und Coworking Space, aber früher war der Zwanzigerjahre-Bau an der Twerskaja das Zentrale Telegrafenamt. Als die Bürger der Sowjetunion Ende Juni 1941 übers Radio vom Angriff Hitlerdeutschlands auf ihr Land erfuhren, saß Molotow in diesem Gebäude und sprach zu ihnen.

Seltsam, dass ein solcher Gebäudekomplex in dieser Lage nicht längst ein Einkaufszentrum, ein Hotel oder der Hauptsitz einer Immobilienfirma ist. Seltsam, aber schön – denn das Gebäude mit seinem industriellen Charme, den freiliegenden Ziegelwänden und dem rauen Putz ist rundum sehenswert.

Wer nach den Fotos Lust bekommen hat: Man kann da einfach reingehen – am Portier vorbei, als gehörte man hierher, dann mit dem Aufzug in den 5. Stock. Der Eingang ist in einer Seitenstraße, dem Gasjetni Pereulok. Auch, wenn die nach Zeitungen benannt ist statt nach Radio oder Digitalem.

Die Liebe und Lake Wobegon

Liebe ist schwer zu erklären. Darum wird dies hier ein eher ungelenker Versuch, auf eine neulich erst gehörte Folge eines meiner Podcast-Favoriten hinzuweisen. Das hat sicher auch mit Sentimentalität zu tun, wir Rheinländer können das ja gut, dazu muss man nicht mal „En unserem Veedel“ kennen.

Nostalgie, Sentimentalität, Heimatgefühl, die drei sind gerne zusammen unterwegs. Und nach diesem Prinzip funktioniert auch einer der schönsten Podcasts, den ich kenne: die „News from Lake Wobegon“ von Garrison Keillor. Ein Ausschnitt aus dem „Prairie Home Companion“, einer Radiosendung, die so speziell und so bezaubernd altmodisch ist, dass Robert Altman sie in seinem letzten Film verewigt hat:

Die „News from Lake Wobegon“ berichten aus einem kleinen, überzeugend erfundenen Kaff in den USA, das von europäischen Einwanderern, Frömmigkeit, kaltem Wetter und spleenigen Menschen geprägt ist. Die deutschstämmigen Bewohner beten in der Kirche „Our Lady of Perpetual Responsibility“, die Bewohner mit skandidavischen Wurzeln sind Protestanten, zum Einkaufen gehen sie zu „Ralph’s Pretty Good Grocery“ und ihr Männerchor heißt „Sons of Pitches“.

Man kann das albern, lustig oder satirisch finden, auch gleichzeitig. Jedenfalls habe ich beim Nachhören verpasster Folgen die vom 8. September 2012 gefunden, in der es um Mozart geht, um Fauré, ums Singen im Chor und um die Liebe eines Bassbaritons zur schönen Mary Jo, die im Schulchor in der Reihe vor ihm steht. Einmal gehört und seitdem noch mehrfach, weil sie einfach so viele Knöpfe bei mir drückt. Chor! Americana! Radio! Hach!

Zum Nachhören hier die ganze Folge. Direkt zu Beginn kommt das Lied über Mary Jo, wer danach aussteigt, verpasst die schmerzhaft akkurate Beschreibung, wie sich ein Akkord langsam durch einen Chor ängstlicher Sänger stiehlt. Wer dagegen bis zum Ende durchhört, erfährt, wie das mit Mary Jo ausging und kann danach über die immer gleiche Abmoderation grinsen, die inzwischen sogar in die Wissenschaft eingegangen ist: „That’s the news from Lake Woebegon, where all the women are strong, all the men are good-looking, and all the children are above average.“