Russball, Folge 48: Bau mir ein Stadion, du kriegst auch was zu Essen!

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Übers Wochenende war ich ein mit Freunden in St. Petersburg und habe, klar, zwischen Eremitage und Kneipentour auch die Augen offen gehalten in Sachen WM-Vorbereitungen. Zwei Dinge sind mir aufgefallen: Am Kiosk gibt es, erstens, inzwischen Unmengen an Süßigkeiten, die mit dem Maskottchen Sabiwaka bedruckt sind – Pfefferminztabletten, Weingummis, Tictacs, Kaugummis, Bonbons.

Zweitens sind die Wegweiser auf Russisch und Englisch nicht nur aufgestellt, sondern auch bereits mit Tags verziert, will sagen: Sie fügen sich harmonisch ein in das Stadtbild dieser Metropole, die im Vergleich zu Moskau weniger geleckt, weniger hochglanzig ist und dafür ein bisschen schmuddeliger und ein bisschen unkonventioneller. Ich mag das ja.

Ein Wegweiser zu einer Metrostation

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⚽  So kann’s gehen: Zwischen „Ich fange mal an, an der neuen Russball-Folge zu arbeiten“ und „Heute muss die neue Folge aber endlich fertig werden“ hat sich die komplette Geschichte rund um Hajo Seppelt abgespielt. Russland verweigert ihm das Visum, weil er nach seiner Doping-Berichterstattung auf einer „Persona non grata“-Liste steht. Die ARD protestiert, die Bundesregierung protestiert. Russlands berühmtester Fußballkommentator kritisiert die Entscheidung, man spiele damit Menschen in die Hände, die von Skandalen lebten. Der Vorsitzende des russischen Journalistenverbands sagt, Seppelts Arbeit sei reine Propaganda, aber man solle ihm dennoch ein Visum geben. Sport Express veröffentlich eine lange Kritik an Seppelt und seiner Berichterstattung unter der ziemlich unfassbaren Überschrift: „Man hat die WM von Seppelt erlöst, das ist eine Hygienemaßnahme“.

Inzwischen hat sich rausgestellt, dass Seppelt nun doch ein Visum bekommen wird. Reist er allerdings nach Russland ein, will ihn das Staatliche Ermittlungskomitee zu seinen Doping-Recherchen vernehmen. Ob Seppelt das tut, kann man – Stichwort Informantenschutz – bezweifeln. Wer weiß, vielleicht gibt es zwischen Dienstag Abend, wo ich hier sitze und diese Zeilen tippe, und Mittwoch früh, wenn der Newsletter in eure Inbox plumpst, ja schon die nächste Entwicklung, zum Beispiel: Seppelt sagt Russland-Reise ab.

⚽ Wie eventuell der ein oder andere mitbekommen hat, steht ja seit gestern der vorläufige deutsche WM-Kader fest. Ich hab mir mal die Mühe gemacht und alle Nationalspieler russlandtauglich gemacht, indem ich ihnen einen Vatersnamen verpasst habe. Nur einer fehlt – falls jemand weiß, wie der Vater von Kevin Trapp mit Vornamen heißt, sagt doch bitte Bescheid! Anschließend hatte sich der DFB noch was ausgedacht: Ein Interview mit Russlands Nationaltrainer Tschertschessow, der als Hologramm mit auf der Bühne saß. Doch, wirklich:

Tschertschessow hat gerade erst selbst seine vorläufige WM-Auswahl präsentiert, wobei zu der sehr viel mehr Spieler gehören als zur deutschen. Eindampfen müssen beide bis Anfang Juni, Russlands schönster Schnäuz und der Bundesjogi. Warum es sich Tschertschessow so viel schwerer gemacht hat, und was er in den paar Tagen noch über seine Spieler rausfinden will, was er bisher noch nicht weiß – keine Ahnung. Hier ist jedenfalls seine Liste, außerdem gibt es noch sieben potenzielle Nachrücker.

⚽ Stell dir vor, die WM rückt näher und dein Stadion ist immer noch nicht fertig. In Nischni Nowgorod haben sie im April offenbar versucht, dieses Problem kreativ zu lösen: Einem Reuters-Bericht zufolge verschickte der städtische Sportminister einen Brief, in dem er Menschen zum kostenlosen Arbeitseinsatz auf der Stadionbaustelle aufrief. Immerhin: Drei warme Mahlzeiten am Tag und eine Unterkunft sollte es geben, Werkzeug, heißt es in dem Schreiben, werde gestellt. Na immerhin.

⚽ „Was Bayern zur Feier seines sechsten Meistertitels verkauft“ ist ein Artikel von Sports.ru überschrieben. Es folgen das Bayern-Grillset, Bayern-Weingummi, eine Bayern-Tasse mit dem Kommentar, seltsamerweise gebe es kein Bayern-Bierglas. Alles eher unspektakulär, warum also erwähne ich es hier? Wegen des Kommentars, den ein Leser unter dem Artikel hinterlassen hat, und den die anderen Leser zum besten Kommentar gewählt haben: „Und was verkauft ZSKA nach der Meisterschaft? Seine besten Spieler.“ Sehr hübsch.

⚽ Was kommt bei Zenit nach Roberto Mancini? In Russland wird in diesen Tagen viel über eine Liste spekuliert, die die Vereinsbosse angeblich zusammengestellt haben. Auslöser dafür war ein Tweet von Georgi Tscherdanzew, einem bekannten Fußballkommentator. Der Mann hat fast 500.000 Follower bei Twitter – kein Wunder also, dass ein Tweet wie dieser hier schnell die Runde macht:

„Hundertprozentiges Insiderwissen von @zenit_spb: Es gibt schon eine Liste mit fünf Trainern, die auf Mancini folgen könnten. Fortsetzung folgt 😉“. Auch in der Redaktion von Championat.com haben sie den Tweet gesehen und brav ihr Handwwerk gemacht, indem sie beim Verein nachgefragt haben, ob das denn auch alles so stimmt. Antwort von Pressesprecher Anton Makarenko: „Ja.“ Wer sind also die fünf Kandidaten? Championat nennt Sergei Semak, Siniša Mihajlović, Miodrag Boschowitsch, Maurizio Sarri und Dick Advocaat, aber kaum ist die Geschichte veröffentlicht, haut Kommentator Tscherdanzew seinen nächsten Tweet raus:

„Hundertprozentiges Insiderwissen von @zenit_spb: Auf der Liste mit fünf Trainern, die auf Mancini folgen könnten, stehen russische Spezialisten. Dick Advocaat steht nicht auf der Liste. Fortsetzung folgt 🔥“.

⚽ Eine Meldung aus der Reihe „Offensichtliches“: Kreml-Sprecher Peskow hat bestätigt, dass Wladimir Putin sich das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Russland und Saudi-Arabien ansehen wird, Ria Nowosti ist das eine eigene Meldung wert. Mit angehaltenem Atem warten wir nun auf weitere Peskow-Statements: „In Russland wird während der WM mit Rubeln bezahlt“, „Nawalny wird bei der nächsten Demo verhaftet“ und „Im Winter rechnen wir mit Schnee, vor allem in Sibirien.“

⚽ Ihn hier wollte ich schon öfter mal erwähnen, hatte aber nie einen guten Text zur Hand. Nun hab ich dieses Porträt gefunden: „Jacob Gardiner-Smith: The Englishman who plays for Zenit“. Aufgefallen war er mir nicht nur durch seine Tweets, sondern auch, weil der Nachname „Gardiner“ bei mir sofort allerlei urenglische Assoziationen weckt, von Jane Austen bis Proms.

Im Fall von Jacob Gardiner-Smith sind die passenderen Asoziationen aber dann doch sein Opa John, ein erfolgreicher Fußballer, der 1936 in Berlin für Großbritannien spielte und sein Vater Barry, ein Labour-Abgeordneter. Interessant jedenfalls, wie Jacob mit 17 schon nach Russland gegangen ist, und warum er anderen zu einem ähnlichen Schritt raten würde – auch, wenn das bedeutet, das vertraute, einfache Leben daheim hinter sich zu lassen.

⚽ Fehlt noch der Hinweis auf ein Medium, das ich hier bisher noch nie verlinkt habe. Doch wenn WM im eigenen Land ist, dann heben selbst Frauenzeitschriften plötzlich Fußballer aufs Cover. So geschehen bei der russischen Vogue, deren Heft zum Thema „Fußball und Mode“ ab heute verkauft wird. Auf dem Titel: Nationalspieler Fjodor Smolow, der als leichte Trainingseinheit das Model Natalja Wodjanowa huckepack durchs Bild trägt. Kann man einfach mal auf sich wirken lassen.

Beim Shooting war Smolow übrigens nicht der einzige Fußballprofi: Auch Julian Draxler machte mit, das sieht dann so aus:

Вперёд, Россия!🇷🇺 Встречайте нашу июньскую обложку, приуроченную к Чемпионату мира по футболу, который пройдёт в России в июне: русская супермодель Наталья Водянова вместе с футболистами Фёдором Смоловым, Юлианом Дракслером и Даниэлом Алвес да Силва предстала в объективе звездного дуэта фотографов Луиджи Мурену и Янго Хенци – в продаже с 16 мая!/ As FIFA World Cup in Moscow approaches, meet our June cover starring @natasupernova @smolovfedor_10 @draxlerofficial @danialves. Photo: @luigiandiango Style: @patrickmackieinsta Hair: @luigimurenu Makeup: @mariaduhart

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Zum Schluss noch ein kleiner Nachtrag zur letzten Russball-Folge. Da hatte ich einen Artikel verlinkt, in dem es darum ging, warum Nachwuchsfußballer, die im Dezember geboren sind, es in Russland schwer haben. Schon da war erwähnt, dass es in Deutschland ein ähnliches Problem gibt. Seitdem haben mir mehrere Leute diesen Artikel hier erreicht, der dem Phänomen auf den Grund geht: Dezemberkinder werden selten Fußballstars. Danke für den Hinweis – und bis nächste Woche!



 

Russball, Folge 47: Ein neuer Job für Witali Mutko

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Zwei Dinge sind geschehen zwischen der letzten Russball-Folge und dieser hier. Erst mal war re:publica in Berlin, eine gute Gelegenheit, den Horizont ein bisschen zu erweitern, Freunde und frühere Kollegen zu treffen. Es gab einen kleinen Talk darüber, wie Podcasts den Sportjournalismus verändern, das fand ich ganz interessant – könnt ihr euch hier ansehen oder anhören.

Außerdem ist eine DFB-Delegation nach Russland gereist, um organisatorische, aber auch sehr viel komplexere Themen anzugehen: Fair Play, Menschenrechte, Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Nach dem, was Präsident Reinhard Grindel dazu am Montag hier in Moskau erzählt hat, nehme ich dem DFB ab, dass er sich ernsthaft bemüht, diesen Themen gerecht zu werden. Warum mich die Haltung zu Russland und Menschenrechten trotzdem nicht überzeugt, habe ich hier aufgeschrieben.

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⚽ Was bedeuten diese vier Emojis? 🚂🏅🔥🙏 Ganz klar: Lokomotive Moskau ist russischer Fußballmeister, und der Mann, der diese Symbole aneinanderreihte, ist deshalb begeistert und dankbar: Ilja Gerkus, Präsident des Vereins, postete kurz nach der Entscheidung diesen Jubeltweet: „Wir sind Meister! Das ist fantastisch, kosmisch, unwirklich. Unglaublich! Aber wir haben es geschafft! Zusammen! Vom allerersten Anfang bis zum Moment des Sieges! Danke an alle, die zu uns gehalten und an uns geglaubt haben. Begreifen werden wir das erst später. Lasst uns uns bis dahin einfach freuen! Lokomotive ist Meister!“ (Bereut schon jemand, dass man bei Twitter heutzutage 280 statt 140 Zeichen hat?)

Seinen Jahresvorrat an Ausrufezeichen hat Gerkus damit aufgebraucht – aber wann denn bitte auch sonst, wenn nicht in diesem Moment? Endlich wieder Meister, nach 14 Jahren Durststrecke, und dann auch noch unter Juri Sjomin, der Jahrzehnte seines Lebens investiert hat, um Lokomotive zu dem Verein zu machen, der er heute ist. Der Mann ist, in den Worten von „Sowetski Sport“, der „letzte russische Toptrainer“. Demnächst wird Sjomin 71. Gerade hat er seinen Vertrag bei Lokomotive verlängert.

⚽ Auch eine Liga weiter unten wird gefeiert: In der WM-Stadt Samara ist der örtliche Klub soeben in die Premjer-Liga aufgestiegen, vor vollem Haus. Und ich möchte dazu gerne mehr lesen und mich mitfreuen und euch hier im Newsletter erzählen, wie begeistert die Fans gefeiert haben. Aber je mehr ich bei Twitter rumsuche, desto lauter plärrt mein pubertierendes Unterbewusstsein dazwischen: „Ziemlich unglücklichen Twitternamen hat der Verein, was? @fckssamara, wer denkt sich denn sowas aus?“ Ich kann so nicht arbeiten.

⚽  Ihr erinnert euch an Witali Mutko und seine vielen, vielen Ämter? In der Politik, als Fußballfunktionär, bei der WM-Vorbereitung? Und wie diese Ämter nach und nach immer weniger wurden, je mehr über das systematische Doping zu seiner Zeit als Sportminister berichtet wurde? Seit dieser Woche hat Mutko nun auch kein Regierungsamt mehr, das irgendwie mit Sport zu tun hat. Bisher war er ja noch Vize-Premierminister mit Zuständigkeit für den Sport.

Witali Mutko bei einem Treffen mit Präsident Putin. Als dieses Bild entstand, war Mutko noch Sportminister.  (Foto: Kremlin.ru)
Witali Mutko bei einem Treffen mit Präsident Putin. Als dieses Bild entstand, war Mutko noch Sportminister.
(Foto: Kremlin.ru)

Nun wurde Wladimir Putin ins Präsidentenamt wiedereingeführt, sein Premierminister Medwedjew stellte die Pläne fürs neue Kabinett vor, und siehe da: Mutko bleibt zwar Vize, muss die Zuständigkeit für den Sport aber abgeben und soll sich stattdessen um Bauprojekte und regionale Entwicklung kümmern. Wenn selbst die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtet, dass die Mutko-Personalie für Unruhe unter den anwesenden Abgeordneten geführt hat, merkt man, wie klar auch den russischen Politprofis ist: Hier wird wieder einmal demonstrativ die Regel bestätigt: Putin ist loyal zu seinen Leuten und sorgt dafür, dass sie versorgt sind.

⚽  Manchmal habe ich das Gefühl, die Berichterstattung über Diskriminierung im russischen Fußball läuft immer in denselben Phasen ab. Erst gibt es einen Vorfall – Affenrufe, beiläufig rassistische Kommentare. Jemand meldet es, gerne Journalisten. Unterdessen Empörungswelle in Russland, das ist ja wohl kein Rassismus, muss man ja wohl noch sagen dürfen, und überhaupt, ich hab nichts gehört. Es folgt meist eine Strafe, die dann recht milde ausfällt. Dann warten alle auf die nächste Runde.

Wer einen tieferen Einblick gewinnen möchte, wie es hier im Land mit Rassismus im Fußball aussieht, der sollte lesen, was Bryan Idowu (Oder Brian? Auch das war ein Aha-Moment) dazu zu sagen hat. Er ist Profifußballer, Sohn eines Nigerianers, in Russland geboren und aufgewachsen, und hat vieles selbst erlebt: Beschimpfungen auf der Straße, Racial Profiling in der Metro, Beleidigungen auf dem Platz. Aber er sieht auch Fortschritt. Faszinierender Mann, das Porträt kann man hier nachlesen.

⚽  Mit dem Wort „Diskriminierung“ fasst auch Sport Express einen Sachverhalt zusammen, von dem ich noch nie gehört hatte. Wer es im russischen Profifußball zu etwas bringen will, der sollte am besten im Januar oder Februar geboren werden, lieber nicht im November oder Dezember. Ich dachte erst, das soll eine Glosse werden – eine statistische Anomalie benennen, dann ein bisschen weiterspinnen, ein oder zwei Pointen finden. Aber nein, Autor Gosha Chernov hat seine statistischen Hausaufgaben gemacht, hat möglicher Verzerrungen durch die Geburtenrate rausgerechnet, es bleibt dabei: Schau dir die besten Spieler beim russischen Fußballnachwuchs an, egal in welcher Altersklasse – sie sind zu Beginn des Jahres geboren.

Warum? Die Auflösung hat mit dem System zu tun, wie Nachwuchsförderung in Russland funktioniert: Vielversprechende Talente werden immer jahrgangsweise gesichtet – und da haben die Januarkinder den Dezemberkindern nun mal ein ganzes Jahr an körperlicher Entwicklung voraus. „Stellen Sie sich das mal vor“, schreibt Chernov, „Sie bringen ihren Sechsjährigen zu einer der besten (Sport)schulen des Landes. Die Trainer schauen sich aufmerksam hundert oder mehr Kinder an, aber Ihr Kind wird nicht angenommen mit den Worten: ‚Kommen Sie nächstes Jahr wieder, der Kleine muss noch wachsen.‘… Und das geschieht dann jedes Jahr.“

Wozu das führt, zeigt eine Grafik, für die Chernov alle Spieler der beiden obersten russischen Ligen nach Geburtsmonat sortiert hat: Der Januar schlägt sie alle, um Längen. Offenbar lässt sich das sogar teilweise auf den deutschen Fußballnachwuchs übertragen, von der Schalker U17 zum Beispiel sind nur vier Spieler in der zweiten Jahreshälfte geboren. Ich hab das dann spaßeshalber auch mal schnell bei der deutschen Nationalmannschaft durchgezählt, am Beispiel des Kaders für das Länderspiel am 27. März. Was soll ich sagen: 26 Mann, die Hälfte davon feiert zwischen Januar und April Geburtstag. Ein Phänomen, von dem ich noch nie gehört hatte, und das mich jetzt ziemlich fasziniert.

⚽ Von den riesigen Entfernungen, die russische Ligafußballer zu ihren Auswärtsspielen zurücklegen müssen, war hier ja schon öfter die Rede. Dass das selbst bei einem Derby gelten kann, zeigt aktuell dieser Tweet:

⚽ Dann hat noch Andrei Arschawin das Ende seiner Spielerkarriere angekündigt, was man vielleicht ein enig einordnen muss. Ja, okay, der Mann spielt aktuell irgendwo in Kasachstan. Aber zu seinen besten Zeiten hat er nicht nur mit Zenit St. Petersburg einen Erfolg nach dem anderen eingefahren, er war auch einer der wenigen russischen Spieler in jüngerer Zeit, die den Durchbruch im internationalen Spitzenfußball geschafft haben.

Als Arschawin 2009 zu Arsenal nach London ging, war er der teuerste Spieler im gesamten Team. Was nun kommt, nach dem Ende der aktiven Karriere? Normalerweise würde man ein Statement erwarten wie „Mehr Zeit mit der Familie“, allerdings scheint Arschawins Frau einen ziemlichen Vollschuss zu haben. Da klingt es ganz plausibel, dass er direkt von möglichen anderen Aufgaben im Profifußball spricht, die er sich vorstellen kann.

⚽ An dieser Überschrift konnte ich einfach nicht vorbeiscrollen: „Wie geht es dem ältesten Fußballclub in Russland – der offiziell schlechtesten Mannschaft des Landes?“ Der Autor verspricht eine Geschichte darüber, „wie eine große Vergangenheit unter dem Druck der harten Gegenwart bröckelt.“ Das ist dann aber auch genug Lyrik, es geht ab nach Orechowo-Sujewo. In Deutschland wäre das eine Großstadt, hier ist es halt irgendein Provinzort, eine Stunde Autofahrt von Moskau. Zehn Jahre vor der Russischen Revolution gründeten Fußballfans hier den Verein „Snamja Truda“, übersetzt heißt das „Das Banner der Arbeit“.

Heute weht das Banner auf Halbmast, bestenfalls: Wer den Verein in einer Tabelle finden will, der muss schon im drittklassigen Bereich gucken – und dann am besten unten anfangen. Die Spieler, berichtet Bombardir, bekommen hier so niedrige Gehälter, dass sie sich anderswo etwas hinzuverdienen müssen – aber immerhin, sie werden pünktlich bezahlt, das ist im russischen Profifußball keineswegs garantiert. Trotzdem ist das hier keine Reportage aus dem Tal der Tränen. Die Fans haben mit ihrem Verein Tragödien überstanden, gegen die die aktuelle Saison mit einer Tordifferenz von -50 kaum erwähnenswert ist. Es ist auch eine Geschichte über Tradition und über Stolz, die sich zu lesen lohnt.

⚽ Zenit St. Petersburg verdient sich ganz gut was dazu, indem es die Spieler, die gerade nicht erste Garnitur sind, an andere Vereine verleiht. So weit, so bekannt. Ein Mitarbeiter von Championat.com hat jetzt mal nachgezählt, und siehe da: In diesem Sommer kommt gleich eine komplette Fußballmannschaft aus der Ausleihe zurück zu Zenit – elf Spieler, die bisher in Frankreich, Griechenland, der Türkei oder anderswo in Russland im Einsatz waren. Das Timing ist auch deshalb interessant, wiel alles danach aussieht, dass Trainer Roberto Mancini bei Zenit aufhört, um die italienische Nationalmannschaft zu übernehmen. Der neue Trainer kann dann also aus dem Vollen schöpfen.

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Zum Schluss verlassen wir noch kurz Russland und blicken über die Grenze rüber, in die Ukraine. Ihr erinnert euch an die vielen russischen Hotels, die dabei erwischt wurden, wie sie rechtzeitig zur Weltmeisterschaft ihre Preise drastisch erhöhten? In Kiew sieht es ganz ähnlich aus: Die ukrainische Hauptstadt ist Ende des Monats Gastgeber für das Champions-League-Finale, auch hier wollen sich Hoteliers damit eine goldene Nase verdienen.

Doch ukrainische Fußballfans halten dagegen, sie wollen die Abzocke verhindern. „Gratis-Unterkunft für Fans“ nennen sie ihren Service, den sie über Facebook organisieren. Anreisenden Fußballfans können sich dort melden und sollen dann einen Schlafplatz bei Fans vor Ort finden. Fußball-Couchsurfing, als Solidaritätsaktion. „Los jetzt“, heißt es auf der Facebookseite unter einer Suchanfrage von vier Liverpool-Fans aus Malta, „zeigen wir ihnen, dass Kiew eine gastfreundliche Stadt ist!“

Nächste Woche mehr – bis dahin könnt ihr eure Freunde, Kolleginnen und Familie gerne auf den Russball-Newsletter hinweisen. Es ist zwar nur mein kleines Spaßprojekt, aber je mehr Leute mitlesen, desto größer die Motivation. Bis dann, macht’s gut!



 

Russball, Folge 40: Zenits Trainer pöbelt bei Instagram zurück

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Diese Russball-Folge entsteht, während im Browser-Tab nebenan ein Wartebalken von links nach rechts kriecht. Die letzte Phase des Kartenverkaufs für die Fußball-Weltmeisterschaft hat begonnen, diesmal nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, kauft zuerst“. Spätestens jetzt muss es also klappen – kann doch nicht sein, dass in meiner Stadt WM ist und ich geh nicht hin! Also, falls ihr in diesem Text Tippfehler, unnötige Wiederholugnen oder Tippfehler findet, dann seht es mir nach. Ich bin ein bisschen abgelenkt.

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⚽ Letzte Woche Spekulation, diese Woche Tatsache: Leonid Sluzky wird neuer Trainer bei Vitesse Arnheim. So ein russischer Trainer im europäischen Ausland ist durchaus eine Rarität – um so bemerkenswerter also, dass Sluzky nach Hull nun schon seine zweite solche Station in kurzer Zeit antritt. (Und wie hübsch: Auf Niederländisch schreiben ihn einige Medien dort ‚Sloetski‘.)

⚽ Zenit St. Petersburg steht auf Tabellenplatz 5, das sah schon mal deutlich besser aus. Auch beim Spiel gegen Leipzig neulich kam Zenit nicht wie ein allzu bedrohlicher Gegner rüber, am Ende gewann Leipzig 2:1. Entsprechend sauer sind die Fans derzeit, vor allem Trainer Roberto Mancini steht in der Kritik: „@mrmancini10 Va fa’n’culo!“, schrieb ein wütender Zenit-Fan unter sein Instagram-Foto, was nichts anderes als „Fick dich“ bedeutet.

Nun ist @mrmancini10 der Instagram-Name von Roberto Mancini. Aber der Trainer ist ja Profi, auch im Umgang mit der Öffentlichkeit. Was wird er also tun? Den Post ignorieren? Zur Sachlichkeit aufrufen? Äh, nein. Der Trainer reagierte auf die Pöbelei unter dem Foto höchstselbst, und im selben Ton: „Tu e tua sorella“, antwortete er dem Fan, „Dich und deine Schwester.“ Nun ja.

kscheib zenit mancini instagram

⚽ Russlands Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow hat sich im brasilianischen Fernsehen zu den Themen Rassismus und Hooligans in Russland geäußert. Leider bewegt sich seine Äußerung auf dem Niveau von Franz „Ich hab noch nicht einen einz’gen Sklaven in Katar g’sehn“ Beckenbauer: Das mit dem Rassismus ist gar nicht so schlimm, und das mit den Hooligans ebenfalls alles halb so wild. (Warum ich das anders sehe, steht hier.)

⚽ So, das muss aber jetzt erst mal reichen an Trainer-Geschichten. Reden wir vom Titan: Die Iswestija hat Oliver Kahn ein paar Fragen gestellt, zum Einstieg geht es um Russlands Rolle als WM-Gastgeberland, die Antworten sind alle freundlich-unverbindlich. Interessanter fand ich, was Kahn zum russischen Fußball zu sagen hat, genau genommen zu Igor Akinfejew.

kscheib russball oliver kahn

Der Mann ist, was Kahn auch mal war: Torwart und Kapitän der Nationalmannschaft. Kahn hält, das kommt bei dem Interview gut raus, große Stücke auf Akinfejew und ist selbst verwundert, dass dem der internationale Durchbruch noch nicht gelungen ist. Von einem Torwart zum anderen rät er ihm darum, sein Glück außerhalb des russischen Vereinsfußballs zu suchen: „Er muss sich die Frage stellen, wie weit er im russischen Fußball sein Potenzial realisieren kann. Um sich völlig zu entwickeln, muss er raus aus seiner Komfortzone.“

⚽ Twitter und FOX haben sich zur gemeinsamen WM-Berichterstattung zusammengetan, täglich soll es bei Twitter eine halbstündige Livesendung mit Highlights des Turniers geben. Gedacht ist das Angebot allerdings für Zuschauer in den USA – Twitter-Nutzer in Europa brauchen also vermutlich ein VPN, um mitgucken zu können. Das Studio zur Sendung soll übrigens mitten auf dem Roten Platz stehen – mal sehen, ob das bei den Moskauern auf ähnlich viel Gegenliebe stößt wie vor ein paar Jahren der Louis-Vuitton-Koffer.

⚽ Schlimm: Dass immer noch Leute Überschriften nach dem Prinzip „From Russia with XY“ (oder auf deutsch „XY-Grüße aus Moskau“) machen. Dann doch bitte besser so schmerzhaft kalauernd, aber immerhin originell, wie hier. (Ja, ich musste mir das auch laut vorlesen. Wenn das nicht reicht, hilft dieser Clip euch vielleicht auf die Sprünge.)

⚽ Das „Mannschaft Magazin“ kannte ich bisher nicht, begegnet ist es mir nun durch einen langen Artikel über die Situation schwuler Fußballfans in Russland, der im Gegensatz zu vielen anderen über die bloße Bestandsaufnahme hinausgeht. In der interessantesten Passage des Textes kommt Ale­xander Agapow zu Wort, der Präsident des russischen LGBT-Sportverbandes.

Er berichtet aus der Praxis, wie schwierig es ist, Mitstreiter im Kampf gegen Homophobie zu finden, und wie schwer sich schwule und lesbische Sportfans mobilisieren lassen: „Sie akzeptieren ihre Situation und glauben, sie seien machtlos. Sie sehen nicht, dass ihre Teilnahme etwas bewirken könnte,“ kritisiert Agapow.

⚽ Zwei prominente russische Fußballer haben auf ihren Social-Media-Accounts dazu aufgerufen, am kommenden Wochenende wählen zu gehen – klingt erst mal nicht besonders interessant. Doch Sports.ru hat da etwas beobachtet: Es sind schon ziemlich auffällig ähnliche Bilder, die die beiden Nationalspieler Artjom Rebrow und Alexander Kokorin da gepostet haben, beide mit denselben Hashtags, beide mit abgeschalteter Kommentarfunktion.

Neben den beiden Nationalspielern haben auch andere Promis solche Motive veröffentlicht. Und das, wo jedem klar ist, dass Wladimir Putin die Präsidentschaftswahl ohnehin gewinnen wird – womit die Wahlbeteiligung der eigentliche Gradmesser für seinen Rückhalt in der Bevölkerung ist.

Haben sich die beiden also anwerben lassen für eine Promokampagne, die Putin die erhoffte hohe Wahlbeteiligung bescheren soll? (Schließlich machen die Behörden hier gerade jede Menge Wellen, um Wähler anzulocken – man kann sogar ein Auto gewinnen.) Kokorin hat auf Anrufe von Sports.ru nicht reagiert, und das kurze Interview mit Rebrow ist in all seiner Schlichtheit ziemlich deutlich:

– Ach, lassen Sie uns darüber nicht diskutieren. Das ist doch ein politischer Moment. Kein Kommentar.

– Haben Sie selbst entschieden, das zu posten, oder hat Sie jemand darum gebeten?

– Ich sagte doch: Da reden wir nicht drüber. Das ist doch nicht die Frage. Mit Sport hat das nichts zu tun, stimmt’s? Und über Politik diskutiere ich nicht.

– Aber Sie sind Sportler.

– Aber über Politik rede ich nicht. Zum Thema Sport beantworte ich alle Fragen.

– Sie wollen also überhaupt nichts dazu sagen? Kokorin hat heute einen ähnlichen Post veröffentlicht.

– Genau, da will ich gar nichts zu sagen.

Was Sports.ru noch über die mögliche Kampagne herausgefunden hat, steht hier.

⚽ Schon seit einigen Wochen protestieren Studierende an Moskaus wichtigster Uni gegen Pläne der FIFA, bei ihnen rund ums Gebäude eine Fan-Zone einzurichten. Die Studentinnen und Studenten der Lomonossow-Universität haben Angst, das 40.000 feiernde Fußballfans den Unibetrieb durcheinanderbringen können – das sorgt nicht nur diejenigen, bei denen im Sommer Prüfungen anstehen.

Nachdem von der FIFA niemand auf die Proteste reagiert hat, hoffen sie nun auf Unterstützung von Wissenschaftlern und Studenten aus aller Welt, um endlich Gehör zu finden. Warum sich die FIFA nicht bewegt, dazu haben sie jedenfalls eine simple These: “Vielleicht ignoriert sie das Problem aufgrund ihrer Sponsoren, die ja gute Bilder für ihre Fernsehberichterstattung brauchen.“ Das Unigebäude ist ein Prunkstück der Moskauer Architektur, eignet sich also in der Tat gut als TV-tauglicher Hintergrund für Bilder feiernder Menschen.

⚽ Der Fall Sergei Skripal geht in die zweite Woche, und nein, ich hätte nicht gedacht, dass sich da ein fußballerischer Aspekt dran finden lässt. Aber das Team der BBC-Nachrichtensatireshow „Have I got News For You“ hat sich Mühe gegeben und dann doch einen entdeckt: „England stellt neues Auswärtstrikot für WM in Russland vor“.

⚽ So sehr es sich manchmal anfühlt, als laufe im Fußball im Moment alles nur auf die Weltmeisterschaft hin: Es gibt ein Leben nach der WM, sogar ein fußballerisches. Ja, stimmt, erst mal reist die deutsche Nationalmannschaft im Sommer nach Russland, aus bekannten Gründen. Aber Mitte November gibt es dann einen Gegenbesuch: Russland schickt seine Elf zum Länderspiel nach Deutschland, genau genommen nach Leipzig. Könnt ihr euch ja schon mal in den Kalender eintragen.

⚽ Und dann noch eine Kleinigkeit, die nur indirekt mit Fußball zu tun hat: Seit kurzem bin ich Besitzerin eines Stapels alter Fußballbücher. Design aus der Sowjetzeit, seien es Werbeplakate, Alltagsgegenstände oder Schnittmuster, ist ein Faible von mir.
In dem Bücherstapel ist auch sicher einiges an künftigem Blogmaterial enthalten, aber im Moment bin ich noch perplex und begeistert von drei Fundstücken, die zwischen den Seiten lagen: Olympia-Andenken aus dem Jahr 1980.

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So. Russball ist fertig, bloß der doofe Wartebalken hat es noch nicht mal bis zur Hälfte des Bildschirms geschafft. Vier Stunden lang regelmäßiges Gucken auf diese Info, einschließlich Tippfehler.

kscheib fifa wartebildschirm

Vier Stunden das Gefühl, dass „more than an hour“ mindestens Schönfärberei ist, vielleicht auch einfach Spott. Mal sehen, ob sich in den nächsten vier Stunden was tut, aber so lange müsst ihr ja nicht warten – wir sprechen uns in einer Woche wieder. Bis dann!



 

Russball, Folge 38: Fußball bei eisigen Temperaturen

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Was man so macht bei einer Kältewelle in Russland: Erst mal angrillen. Neben dem Gefühl, zu den ganz Harten zu gehören, nehme ich auch eine Erkenntnis mit: Irgendwann ist es so kalt, da beginnt sogar der russische Supergrillanzünder (Mit Kirscharoma! Und ner halbnackten Frau auf der Flasche!), langsam zu gefrieren. Wer den so entstandenen Slushie auf die Kohle kippt, läuft Gefahr, mit Grillanzünder das Feuer zu löschen – und damit die Ironieschallmauer zu durchbrechen.

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⚽ Was das mit Fußball zu tun hat? Viel, denn an diesem Wochenende ist nach 80 langen Tagen die russische Winterpause vorbei. Endlich wieder Liga-Fußball! Glückliche Fans rennen in die Stadien – am Sonntag bei vorhergesagten 6 Grad unter null zum Beispiel zum Lokalderby zwischen Lokomotive Moskau und Spartak. Für die Begegnung versprach Loko-Präsident Ilja Gerkus gestern schon einen Rekord mit Ansage: „Fünf Tage vor dem Spiel (…) sind mehr als 85 Prozent der Eintrittskarten verkauft. Wir können schon jetzt sagen, dass wir bei den Einnahmen aus diesem Spiel einen neuen Vereinsrekord aufstellen werden.“

Loyale Fans in Ehren, ganz unumstritten sind Fußballspiele bei Minusgraden in Russland aber nicht. Lutsch-Energija Wladiwostok zum Beispiel muss heute Abend gegen den FK Tosno ran, auch das voraussichtlich bei Temperaturen deutlich unter null. Für Trainer Aleksandr Grigoryan bedeutet das nichts anderes, als willentlich die Gesundheit von Spielern und Fans aufs Spiel zu setzen. „Was ist das für ein Fußball, wenn sich die Leute die Zehen abfrieren? (…) Fußball soll Freude bringen und keine Folter sein.“ Irgendwann, ist sich Grigoryan sicher, werde ein Spieler sich schwer verletzen oder erkranken, und dann müsse jemand die Verantwortung übernehmen.

⚽ Apropos Winterwetter: Bei Zenit St. Petersburg hatten sie sich ja ein schönes Trainingslager in Italien einfallen lassen. Flucht aus dem kaltfingerigen Würgegriff von Väterchen Frost, ab in den Süüüüden. Hat ja auch super geklappt. Nicht.

⚽ Wenn sie aus Italien zurück sind, müssen die Zenit-Jungs dann am 8. März gegen RB Leipzig ran. Da lohnt sich doch ein Blick darauf, was russische Fußballfans aus der örtlichen Fachpresse über den Europa-League-Gegner der Petersburger erfahren. Zenit-Trainer Roberto Mancini betreibt schon mal Erwartungsmanagement und spricht von einem „jungen Team mit viel Erfahrung“, das ein sehr schwieriger Gegner sein werde.

Alexander Bubnow von Sport FM hält dagegen: Im Vergleich zur letzten Saison sei Leipzig diesmal deutlich schwächer, mit 100 Prozent Einsatz könne Zenit das deutsche Team also schlagen. Als „gut organisierte, disziplinierte Mannschaft, die ergebnisorientiert spielt“ wird Leipzig anderswo beschrieben, für Fußballverhältnisse sei der junge Klub „noch ein richtiges Kleinkind“. Und Sport Express fasst zusammen: „Aktives Pressing (…), schneller Wechsel von der Verteidigung zum Angriff und viel Kombinationsspiel – in seiner aktuellen Form ist Leipzig sehr stark.“

⚽ Gerade ist in der Hauptstadt wieder ein großes Infrastrukturprojekt abgeschlossen worden, seit Montag hat Moskaus ohnehin riesiges Metronetz fünf neue Haltestellen. Auf diesem Bild sind sie als kurze, türkisfarbene Linie dargestellt:

kscheib russball moskau metro

Vom Delowoi Zentr, der Haltestelle unter den Hochhäusern von Moscow City, kommt man nun also schneller zu den Stationen ZSKA und Petrowski Park/Dynamo. Anders gesagt: zu zwei Moskauer Fußballstadien, in denen bei der Fußball-Weltmeisterschaft nun so gar keine Spiele stattfinden. (Dynamo ist im Moment sogar nur eine große Baustelle.) Andererseits: Einem U-Bahn-System, mit dem an Spitzentagen knapp zehn Millionen Menschen unterwegs sind, tut jede Entlastung gut – erst recht im Stadtzentrum. Und wenn das Dynamo-Stadion wirklich so schick wird, wie sich das in diesem Video andeutet, dann lohnt es sich für WM-Touristen auch, da ohne Spiel einfach mal vorbeizuschauen.

⚽ Wenn das mal keine Knaller-Überschrift ist: „Russische und ausländische Fans dürfen psychotrope Substanzen zu WM-Spielen mitnehmen“. Substanz ist dann aber genau das, was dem eigentlichen Artikel fehlt. Es geht, schlicht gesagt, um Menschen, die von ihrem Arzt zum Beispiel Cannabis verordnet beommen haben. Die dürfen, wenn sie einen beglaubigten Schrieb vom Arzt dabei haben, dieses Cannabis auch im Stadion dabeihaben, jedenfalls in einer für Medizin üblichen Menge.

Was anfängt wie eine Skandalmeldung, ist Ende für fast alle Leser egal – und für einige Menschen mit Multipler Sklerose oder chronischen Schmerzen die Möglichkeit, trotz ihrer Erkrankung ein WM-Spiel zu sehen. Aber das ist natürlich sehr viel weniger spektakulär als die urprüngliche Überschrift.

⚽ Nun findet ja jeder andere Dinge attraktiv, aber: Täusche ich mich, oder ist „durchtrainierter Fußballspieler mit ambitioniertem Bart sitzt halbnackt auf seinem zerwühlten Bett und baut an einem Modellboot“ schon eine ziemlich spezifische Nische? Championat.com besetzt sie aktuell mit einem großen Interview mit Maksim Beljajew, der sich ansonsten vor allem über seine Liebe zu Büchern auslässt und in Moskaus größtem Buchladen fotografiert wurde.

Beljajew, der seine Karriere bei Lokomotive Moskau begann und aktuell bei Arsenal Tula spielt, spricht über Agatha Christie, J.R.R. Tolkien, Jules Verne und die Scifi-Romanreihe „Metro 2033“. Und wenn er dazwischen so Klopper raushaut wie „Wir brauchen einen Alleinherrscher, der alles kontrolliert, sonst gibt es Chaos“, dann scrollt man halt drei Zeilen weiter: Ob er am 18. März zur Wahl gehen wird, will der Interviewer wissen – och nö, sagt Beljajew, eher nicht, da ist bestimmt irgendwas, ein Fußballspiel oder so. Aber wenn irgendwie doch, dann natürlich Putin. Ach ja. Alleinherrscher. Dann passt’s ja.

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Zum Schluss noch was für euren Kalender: Gerade hat Russlands Nationalelf ihre Länderspielplanung fürs restliche Jahr veröffentlicht. Nach der WM im eigenen Lande ist erst mal Pause bis September, dann folgen bis Jahresende sechs Begegnungen. Eine davon wollt ihr euch vielleicht schon mal notieren: Am 15. November kommen die Russen zu einem Spiel nach Deutschland.

Sobald bekanntgegeben wird, in welcher Stadt die beiden Nationalmannschaften gegeneinander antreten, erfahrt ihr’s hier. Und falls ihr Freunde habt, die das auch interessiert, können sie sich hier für den Russball-Newsletter anmelden. Bis nächste Woche, macht’s gut!



 

Russball, Folge 24: Liebeserklärung an eine alte Schachtel

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Diese Woche machen wir das hier mal ein bisschen anders. Es gibt so viele kleine Meldungen rund um die kommende Fußball-Weltmeisterschaft in Russland, die aber untereinander nicht viel miteinander zu tun haben. Darum hat diese Russball-Ausgabe am Schluss einen kleinen Block mit Kurzmeldungen. Aber erst mal reden wir über die Liebe.

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⚽ Denn es ist ganz klar eine Liebeserklärung, die der Journalist Jegor Arefjew da verfasst hat. Er feiert darin das, wozu die Russen Korobka sagen, also Schachtel. Gemeint sind damit die umzäunten kleinen Plätze, oft im Innenhof russischer Wohnkomplexe, in denen nicht nur Kinder gerne Fußball spielen. „Der Boden war aus Erde, was heute eine Seltenheit ist“, erinnert sich Arefjew an die Korobka seiner Jugend. „Ein bisschen mehr Gras, und es wäre das Luschniki-Stadion im Miniformat gewesen. Unsere Zuschauer waren die Bewohner der beiden fünfgeschossigen Häuser nebenan und die Leser in der Bibliothek.“

Kaputte Knie, zerschossene Fensterscheiben im Erdgeschoss. Eine buntgemischte Subkultur mit ihren eigenen Regeln, zu der jedes Kind, jeder Jugendliche Zugang hatte. Es ist ein romantisches Bild, das Arefjew von dieser russischen Institution zeichnet. Das Calvert Journal hat vor ein paar Jahren mal ein Foto-Essay zu dem Thema zusammengestellt, das zeigt: Eine Korobka kann runtergekommen sein, mit Graffiti besprüht, mit rostigen Gittern oder Wänden aus nacktem Beton. Alles egal, es zählt, was man daraus macht. Und, schöner Zufall: Der Tagesspiegel hat auch gerade eine Hymne an die Korobka veröffentlich, in ihrer Berliner Variante. Mit dem wunderschönen ersten Satz: „Manche Menschen brauchen Käfige, um frei zu sein.“

kscheib russball korobka in bischkek

Das Foto ist in Kirgistan entstanden, bei einem abendlichen Spiel in einer Korobka in Bischkek – leicht verwischt, aber eine schöne Erinnerung. Auch unsere Wohnanlage hier in Moskau hat übrigens eine Korobka, auch wenn sie selten zum Fußballspielen genutzt wird. Dafür ist es ein untrügliches Zeichen für den Frühling, wenn die indischen Nachbarskinder darin wieder Cricket spielen.

⚽ Die Zeitschrift „Futbol“ zeichnet die Verletzungsprobleme von Manuel Neuer nach. „Ein neuer Lew Jaschin“ hätte Neuer werden können, heißt es dort in Erinnerung an die sowjetische Torwart-Legende.

Stattdessen stehe Deutschlands bester Torwart nun am Abgrund und werde auch nicht mehr zu seiner alten Form zurückfinden – da ist sich die Autorin sicher. Aber gut, das ist dieselbe Frau, die auch behauptet, im Stadion des VfL Osnabrück werde das Bier in Anderthalbliterbechern ausgeschenkt. Wäre ja schön, wenn sie in Sachen Manuel Neuer genau so falsch läge.

⚽ Keine Woche ohne Neuigkeiten zum Petersburger Krestowski-Stadion (ja, das mit der Korruption und dem undichten Dach). Laut Sports.ru wurde der Pressebereich dort so gebaut, dass sich dadurch das Spielfeld nicht mehr aus dem Stadion rausrollen lässt. Kann man ändern, kostet dann aber halt auch 300 Millionen Rubel, also 4,3 Millionen Euro.

Wenn eh gerade die Handwerker im Haus sind, kann ja vielleicht auch gerade mal jemand auf den Bot gucken, der zu jedem Spiel twittert, ob das Stadiondach offen oder zu sein wird. Der leider nämlich gerade an akuter Redundanz, will sagen: Er wiederholt sich. Oft.

⚽ Wo wir schon in Petersburg sind: Roberto Mancini legt Wert auf die Feststellung, dass er Trainer von Zenit bleiben will. Der Job als italienischer Nationaltrainer reize ihn nicht, auch wenn er nicht überrascht sei, dass sein Name als möglicher Nachfolger von Gian Piero Ventura im Gespräch sei. Der hatte den Job ja verloren, nachdem Italien in der WM-Quali gescheitert war.

„Surreal und extrem traurig“ fühle sich die Aussicht auf eine Fußball-Weltmeisterschaft ohne Italien für ihn an, sagte Manchini weiter. Er will sich aber ganz darauf konzentrieren, mit Zenit den russischen Meistertitel zu holen.

⚽ Was ich ja allmählich nicht mehr lesen kann, sind diese ganzen „Was läuft nur schief im russischen Fußball“-Artikel. Nicht, weil es da keine Probleme gäbe oder sie schwer zu benennen wären, nein – mangelnde Jugendarbeit, zu hohe Spielergehälter und Clubs, die sich nicht genug um die Fans kümmern, das sind schon alles legitime Sorgen. Aber dieses Déjà-vu, wenn jede Woche eine andere Website das grundsätzliche Lamentieren anstimmt…

Diesmal ist also Bombardir.ru dran und fragt: „Worin besteht das Hauptproblem des russischen Fußballs?“. Russian Football News hält dagegen und sammelt Zeichen dafür, dass die Mannschaft im Vorfeld der WM Fortschritte macht. Aber die vielleicht beste, weil konkreteste Bestandsaufnahme liefert Sports.ru: Wäre morgen schon WM, wie sähe dann die bestmögliche russische Nationalmannschaft aus? (Spoiler: Im Tor steht Igor Akinfejew.)

⚽ Mit zwei Instagram-Posts 20.000 Abonnenten erreichen – das schafft nicht jeder. Aber Juri Sjomin hat gerade halt auch einen Lauf. Als Trainer hat er Lokomotive Moskau auf den ersten Tabellenplatz gebracht, zuletzt gab es einen 1:0-Sieg gegen Anschi Machatschkala. (Wie die Chancen stehen, diese Position zu verteidigen, kann man hier nachlesen.)

Jetzt also auch noch Instagram. Sjomin, Jahrgang ’47, hat es klug angefangen und sich Hilfe von einem Digital Native aus der eigenen Familie geholt. Der – oder vielmehr: die – darf dann auch direkt mit aufs erste Bild: „Meine Enkelin hatte die Idee, hier einen Account zu eröffnen. Sie sagt, die Leute lesen und gucken sowas gerne, und ich hab hab was zu erzählen. Na dann mal los.“

Und jetzt, wie versprochen, noch ein paar kleine Meldungen rund um die WM:

⚽ Studenten an den WM-Austragungsorten sollen nun doch nicht aus dem Wohnheimen vertrieben werden, um Platz für Sicherheitskräfte zu schaffen. Das hat das russische Bildungsministerium versprochen. Stattdessen sollen die Nationalgardisten nur in den Zimmern derjenigen Stundenten einziehen, die zufällig genau dann, wenn an ihrem Studienort die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet, im Urlaub sind.

⚽  1. Dezember, 16 Uhr deutscher Zeit – dann werden in Moskau die WM-Gruppen ausgelost. Mit prominentem Personal: Miroslav Klose trägt den Pokal rein, es moderieren Gary Lineker und die russische Sportjournalistin Maria Komandnaja. Sie ist auch die Frontfrau dieses virtuellen Rundgangs durchs Luschniki-Stadion:

⚽ Apropos: Die Länder, die ein Spiel in Rostow am Don zugelost bekommen, wissen schon mal, dass ihre Mannschaft und deren Fans an einem frisch gebauten Flughafen landen. Im Frühling soll er eröffnet werden, jetzt durfte schon mal ein Fernsehreporter durchs Gebäude gehen.

⚽  Noch mal apropos: Russlands Fluglinien hoffen selbstverständlich, dass die WM ihnen einen ordentlichen Gewinn beschert. Im Moment sieht es danach aus: Laut Interfax werden Flüge zwischen Moskau und St. Petersburg im kommenden Sommer 40 Prozent teurer sein als üblich. Bei Austragungsorten wie Jekaterinburg oder Sotschi ist der Anstieg nicht ganz so hoch.

⚽ Falls jemand Ambitionen hat, bis zur Weltmeisterschaft sein Russisch aufzupolieren: Sports.ru hat ein Quiz gebaut, bei dem man alle WM-Teilnehmerländer aufzählen soll. Auf Russisch natürlich, in kyrillischen Buchstaben. Wer am Laptop keine kyrillische Tastatur hat, probiert es also vielleicht am besten per Handy.

⚽ „Überall auf der Welt weihnachtet es, so auch in Langenfeld.“ So hat mir im Volontariat mal ein Redakteur erklärt, wie man große Geschichten aufs Lokale runterbricht. Nach demselben Prinzip gibt es gerade allerlei Berichte dazu, welcher Bundesliga-Verein welche Spieler zur WM nach Russland schickt – Eintracht Frankfurt zum Beispiel, Borussia Mönchengladbach oder auch der HSV und St. Pauli.

⚽ Die Doping-Proben, die bei der WM genommen werden, sollen nicht in Russland untersucht werden, sondern dafür extra ins Ausland gebracht werden. Schließlich ist die russische Anti-Doping-Agentur immer noch suspendiert, weil sie sich nicht an die Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur hält.

⚽ Zwölf WM-Stadien werden es kommendes Jahr sein, fünf davon bekommen ihren Rasen aus Frankreich. Der soll besonders widerstandsfährig sein, schreibt der Courrier de Russie.

⚽ Sehr schmeichelhaft, was die Leser von Lenta.ru da für die Fußball-Weltmeisterschaft vorhersagen: Rund 3000 von ihnen haben sich bisher an einer Umfrage beteiligt, wer der nächste Fußball-Weltmeister wird, und beinahe jeder zweite hat für Deutschland gestimmt. Immerhin 8 Prozent antworteten auf „Wer wird bei der WM 2018 gewinnen“ mit „Die Freundschaft“. Hach!

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Die Schlusspointe kommt in dieser Russball-Folge von Wjatscheslaw Nesterow. Er ist Illustrator und arbeitet gerade an einem satirischen Kalender, der bis ins Jahr 2120 gehen und sich komplett um Wladimir Putin drehen soll. Für jedes Jahr hat sich Nesterow außerdem eine Überschrift ausgedacht. Eine davon passt in ihrer ganzen Bosheit, die sich erst nach der Hälfte des Satzes zeigt, hier sehr hübsch rein: „2030 – die russische Fußball-Nationalmannschaft gewinnt den Hauptpreis im Sportlotto.“



 

Russball, Folge 23: Ein Rückschlag für die WM-Vorbereitung

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Mitte November und die Temperatur hier in Moskau hält sich so gerade noch im positiven Bereich: ein Grad über null. Während ich das hier tippe, sammelt sich der Schneeregen vorm Fenster in großen Pfützen. Am Wochenende soll es die ersten Minusgrade geben. Russland halt.

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⚽ Novemberfrost in Russland ist in etwa so überraschend wie die These, die Zenit-Trainer Roberto Mancini gerade in einem Interview aufgestellt hat: „Wir werden den Meistertitel holen“, sagt er mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, dessen Team die bisherige Saison so dominiert hat, dass es fast schon langweilig wurde. Dass aktuell Lokomotive Moskau knapp an der Tabellenspitze steht und Zenit nur auf Platz zwei, ist da schon eine willkommene Abwechslung.

Genervt von der aktuellen Saison in Russlands oberster Liga ist auch Alan Dsagojew, der für ZSKA Moskau spielt. Ein wirkliches Fußballspiel komme nur gegen Zenit, Spartak und Krasnodar zustande, gegen alle anderen sei es der reine Kampf, ließ er in einem Interview wissen. Nach längerem Nachdenken sei er daher zu dem Schluss gekommen: „Das hier ist die schlechteste Meisterschaft in den letzten zehn Jahren.“

⚽  Manche Leute halten ja „Never read the comments“ für die wichtigste Regel, um online nicht völlig zu verzweifeln. Beim folgenden Tweet, in dem Russlands Nationalmannschaft ihr neues Heimtrikot vorstellt, trifft das auf jeden Fall zu. Mir gefällt das Outfit eigentlich ganz gut, die Kommentare der russischen Fans dagegen rangieren von unzufrieden über frustriert bis gemein.

„Ein schlimmeres Trikot habe ich noch nie gesehen“, schreibt ein Fan, ein anderer ergänzt: „Wie das Spiel der Mannschaft, so auch das Trikot“ und fügt, um auf keinen Fall missverstanden zu werden, ein kotzendes Emoji hinzu.

Zu schlicht, zu retro, zu langweilig, das sind so die Hauptkritikpunkte – „da hatte Adidas wohl noch ein paar Stoffreste aus Sowjetzeiten rumliegen.“ Und während ein Fan mit einem Hilferuf an Adidas-Konkurrent Nike reagiert, herrscht bei anderen schon völliger Fatalismus: „Was macht es schon für einen Unterschied, in welchem Trikot man verliert?“

⚽ Wer bei der Wiedereröffnung von Moskaus Luschniki-Stadion eine Blamage für Russlands Nationalmannschaft befürchtet hatte, darf aufatmen: Kein öffentliches Abwatschen, die Gäste aus Argentinien gewannen das Freundschaftsspiel bloß mit 1:0. Blamabel war allerdings, was sich nach dem Abpfiff tat: Lange Wartezeiten, um aus dem Stadion herausgelassen zu werden. „Es ist furchtbar kalt! Weinende Kinder! Mütter und Väter ziehen ihre Kleidung den Kindern über, um sie zu wärmen,“ postete ein wartender Fan aus dem Stadion. Ein anderer Stadionbesucher kritisierte die „schreckliche Organisation am Luschniki-Ausgang: 80.000 Menschen und nur ein schmaler Durchgang. Wenn das bei der WM auch so wird, ist es eine Schande.“

Wer einmal draußen war, brauchte bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt bis zu zwei Stunden, um es in die warme Metro zu schaffen. Offenbar hatte die Polizei einige Straßen und Metro-Eingänge gesperrt, außerdem standen nicht genug Züge bereit, um die Fans abzutransportieren. Ärgerlich für die Fans, peinlich für die Organisatoren. Denn bei der WM sollen im frisch renovierten Luschniki-Stadion sowohl das Eröffnungsspiel als auch das Finale stattfinden.

⚽ Noch eine Geschichte dreht sich diese Woche um ein russisches Fußballstadion, diesmal in St. Petersburg. Die Liste der Skandale rund um das Krestowski-Stadion in Russlands „zweiter Hauptstadt“ ist lang: Verzögerungen, Kostenexplosion und Korruption schon in der Bauphase. Später dann immer wieder Lecks im Dach, durch die es reinregnete – an denen sollten, wir erinnern uns, spitze Vogelschnäbel schuld sein. Lustige These, stimmte aber dann doch eher nicht.

Ein tatsächlicher Schuldiger fand sich dagegen jetzt vor Gericht wieder. In diesem Fall ging es nicht um das undichte Dach, sondern um Korruption. Marat Oganessjan hat gestanden, als Vize-Gouverneur den Auftrag für eine Videowand im Stadion einem befreundeten Unternehmer zugeschustert zu haben – wohl wissend, dass der das Geld einstreichen würde, ohne dafür die bestellte Wand zu liefern. Aufgrund von Oganessjans Aussage sollen nun weitere Beteiligte an illegalen Deals beim Stadionbau verfolgt werden.

⚽ Nicht nur Luschniki ist renoviert worden, auch am Stadion von Dynamo Moskau wird gebaut. Eine Gruppe Sportmanagement-Studenten durfte jetzt die Baustelle besuchen, ein Reporter von Sport Express hat sich ihnen angeschlossen. Gemeinsam waren sie sowohl im Stadion als auch in den Katakomben unterwegs.

Genau genommen entsteht hier ein ganzer Sportkomplex, auch Eishockey- und Basketballspiele sollen auf dem Gelände ausgetragen werden. Dass die Besuchergruppe abends im Dunkeln unterwegs war, lässt die Bilder, die Sport Express zu der Reportage veröffentlicht hat, besonders eindrucksvoll wirken.

⚽ Ach komm, eins noch! Das ist dann aber auch das letzte Stadion in dieser Russball-Ausgabe: In Jekaterinburg haben sie ja, um Platz zu schaffen, eine Tribüne so weit verlängert, dass sie jetzt aus dem Stadion herausragt. Kommste raus, kannste reingucken. Dazu noch das aktuelle Winterwetter, und ein Hauch von Eiger-Nordwand umweht das Gebäude, in etwa so:

⚽  Schlaf schneller, Genosse, auf dein Bett wartet schon ein anderer: Studenten in mehreren russischen Städten sollen während der Sommersemesterferien aus dem Wohnheim ausziehen, damit dort Sicherheitskräfte für die Fußball-Weltmeisterschaft wohnen können. In Nischni Nowgorod, Samara, Saransk und Jekaterinburg – alles WM-Austragungsorte – haben die Unis laut Moscow Times auf Anweisung des russischen Bildungsministeriums bereits so umgeplant, dass das Semester früher endet.

Am 14. Mai sollen dann Mitglieder der Nationalgarde in die Studentenwohnheime ziehen. Russlands Studentenorganisation hat sich allerdings bereits mit einem Protestbrief an Regierungsschef Medwedjew gewandt. Schließlich bräuchten viele Studenten ihre Wohnheimzimmer, weil sie während der Semesterferien Praktika machen. Ein Zimmer auf dem freien Markt wäre für viele von ihnen zu teuer – erst recht, wenn die WM die Preise in die Höhe treibt. (Servicehinweis am Rande: Das Internationale Moskauer Filmfestival wird übrigens ebenfalls wegen der WM verlegt.)

⚽  Das war ein komisches Gefühl neulich im Russischunterricht: Sie habe ja nun „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann endlich durch, sagte meine Lehrerin, wie ich das denn fände? Hüstel, nuschel, leider nie gelesen. Es folgte eine kurze Analyse, warum sich das dringend ändern muss, wie das Werk sich zur Josephsgeschichte der Bibel verhält und wie zu Manns Gesamtwerk. Der klassische Literaturkanon ist hier in Russland immer noch sehr wichtig, wichtiger als anderswo.

Dazu passt eine Umfrage, die Bombardir.ru neulich gemacht hat: „Was lesen russische Fußballspieler“, wollte die Website wissen. Ergebnis: Sergei Ryschikow von Rubin Kasan liebt Hemingway, Rostows Wladimir Djadjun gibt „Der Letzte Mohikaner“ als Lieblingsbuch an. Auch deutschsprachige Literatur ist gut vertreten: Jewgeni Baschkirow von Krylja Sowetow Samara nennt „Mein Name sei Gantenbein“, sein Kollege Nikita Baschenow vom FSK Dolgoprudny schwört auf den „Steppenwolf“. Je länger man durch die Liste scrollt, desto ungebildeter fühlt man sich – bis man zu Sergei Parschiwljuk kommt. Der Mann ist immerhin russischer Nationalspieler, und was hat er als Lieblingsbuch angegeben? „Der Teufel trägt Prada“. Danke!

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Zum Schluss noch eine Runde Schadenfreude? Ach kommt, ihr wollt es doch auch! „Sitz gerade“, „Nimm die Füße da runter“, „Nicht kippeln“ – na, auch gerade eure Eltern im Ohr gehabt? Die von Wasiliy Utkin haben bestimmt auch versucht, ihm das alles abzugewöhnen. Alles ohne Erfolg – der Fußballkommentator von Sport FM hat sich trotzdem bei der Arbeit so richtig schön hingefläzt, gut sichtbar im Livestream. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen – und das tat es auch nicht, wie dieses Video zeigt.

Beeindruckend, wie Utkins Kollege erst noch versucht, weiter zu moderieren. Utkin selbst nahm die Sache mit einer großen Portion Selbstironie. Er twitterte den Clip, bei dem seine Adidas-Schuhe plötzlich ins Zentrum des Geschehens rücken, mit dem schlichten Kommentar: „Schuhwerbung. Teuer. #adidas“