Russball, Folge 64: Gryffindor, Slytherin oder Jenissei?

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Eventuell habe ich in der Dezember-Ausgabe versäumt, mit einem meiner Weihnachtsgeschenke anzugeben. Darum hier kurz nachgereicht: Zwei 100-Rubel-Scheine, die nie im Umlauf waren. Es sind Sonderbanknoten zur Fußball-Weltmeisterschaft, im Supermarkt bekäme man für beide zusammen zwei Kilo Äpfel. Aber auf die Idee kommt eh keiner, schließlich sind das Sammlerstücke.

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Auf der Vorderseite ein Kind, das zuschaut, wie Lew Jaschin nach einem Ball hechtet. Auf der Rückseite die Namen der Gastgeberstädte und eine russische Fahne aus jubelnden Fans. Ich hab die Scheine extra auf einen roten Untergrund gelegt, damit man sieht: Sie sind aus Plastik und an mehreren Stellen durchsichtig – eines von mehreren Sicherheitsmerkmalen. Wer eine Idee hat, wie man die Scheine gut präsentieren kann (rahmen und aufhängen?), möge doch bitte Bescheid sagen. Danke!

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⚽ Im Januar erinnern gläubige Russen daran, wie Jesus im Jordan getauft wurde. Sie tun das, indem sie Löcher in das Eis zugefrorener Flüsse oder Seen hacken und dort dann ins Wasser gehen und dreimal untertauchen (sehenswertes TASS-Video hier, wenn ihr ein bisschen runterscrollt). Manchmal hat das Loch sogar die Form eines orthodoxen Kreuzes. Bei ordentlichen Minustemperaturen, wie wir sie zuletzt hier in Moskau hatten, kann es sich sogar wärmer anfühlen, ins Wasser einzutauchen, als wenn man vorher in Badesachen am Ufer rumsteht.

Nicht nur Glaubensgründe bringen Menschen dazu, so die „Kreschenie“ zu begehen. Angeblich wird, wer das Eiswassertauchbad übersteht, das folgende Jahr lang nicht krank werden. Ob das auch gilt, wenn man wie die Lokomotiv-Spieler schnell mal im Persischen Golf untertaucht – ich weiß ja nicht.

⚽ Apropos Loko. So kann’s gehen: Ein paar Stunden, nachdem ich den Dezember-Newsletter verschickt hatte, erschien bei Instagram ein Post von Erik Stoffelshaus: „Nach zwei wundervollen Jahren in Moskau habe ich entschieden, dass es Zeit ist für etwas Neues in meinem Leben – daher gebe ich meine Position als Sportdirektor bei Lokomotive Moskau auf.“ Wäre ich mal bloß nicht so jahresendtugendhaft gewesen, die Russball-Folge schön früh morgens zu veröffentlichen – dann hätte ich den Abgang noch in der Ausgabe drin gehabt.

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Dear friends, after two wonderful years in Moscow, I decided it was time for something new in my life – that's why I give up my position as the Sporting Director of Lokomotiv Moscow. But not without saying thank you. Thank you for a time that will remain in my memory forever. Celebrating the cup victory and the long-awaited third championship with this club – that was something very special. And one thing is clear: I‘m leaving as the Sporting Director, but I will stay as a supporter of this magnificent club. Thanks for everything and see you soon! Дорогие друзья! После двух замечательных лет в Москве я решил, что настало время для чего-то нового в моей жизни – поэтому я снимаю с себя обязанности спортивного директора «Локомотива». Но не без слов благодарности. Спасибо за время, которое я всегда буду вспоминать с теплотой как в спортивном, так и в бытовом плане. Праздновать вместе с этой командой победу в Кубке России и долгожданный третий титул Чемпиона – это было нечто особенное. И ясно одно: я ухожу как спортивный директор. Но я остаюсь ярым поклонником этого замечательного клуба. Спасибо за все и до скорой встречи! #локомотив #fclokomotiv #рпл #тольколоко #самыйлучшийколлектив

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Jetzt, einen Monat später, reicht wohl eine schnelle Zusammenfassung dessen, was sich da bei Loko getan hat: Erst ging Präsident Ilja Gerkus, dann folgte Stoffelshaus. Trainer Juri Sjomin dagegen bleibt, als neuen Präsidenten hat sich der Verein Wassili Kiknadse ausgesucht, der seit 2013 zum Aufsichtsrat gehört und Sportjournalist ist. Mal sehen, ob der dieselbe Hasen-Instagram-Kompetenz mitbringt wie Gerkus.

⚽  Eine Neuverpflichtung bei Twitter/Instagram/Facebook zu verkünden, das ist ja inzwischen schon eine kleine Kunstform für sich. Der FK Jenissei Krasnojarsk hat vor ein paar Tagen eine solche Perle des Genres veröffentlicht, dass ich sie in all ihrer Low-Budget-Brillanz hier unbedingt zeigen muss.

„Schwierig, sehr schwierig,“ murmelt der sprechende Hut, der heute mal nicht über Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw oder Slytherin entscheiden soll, sondern über einen neuen Verein für Mittelfeldspieler Konstantin Sawichtschew. Gute Technik, Schnelligkeit, Talent… das kann nur eines heißen: „Jenissei!“ (Am schönsten ist eventuell das Lächeln, das sie Sawitschew da ins Gesicht montiert haben.)

⚽  Jetzt muss man schon „im vergangenen Jahr“ sagen, wenn man von der Fußball-Weltmeisterschaft hier in Russland spricht. Das ändert nichts daran, dass es immer noch reichlich Berichterstattung gibt über ihre Folgen. Zum Beispiel sind von den 650.000 Menschen, die zur WM mit einer Fan-ID (einer Art Visums-Ersatz, ohne den man auch nicht ins Stadion kam) eingereist sind, 5500 immer noch im Land. Laut Andrej Kajuschin, der im Innenministerium den Bereich Migration leitet, waren es zum Jahreswechsel, als die IDs ihre Gültigkeit verloren, sogar noch 12.000 Leute. Die Sicherheitskräfte hätten diese Zahl bereits auf 5500 reduziert, so Kajuschin, alle anderen sollten bis Ende März deportiert werden.

⚽  Noch eine WM-Folge, auch hier geht es um eine Statistik, aber mit willkommenerem Ergebnis: Scheremetjewo in Moskau war 2018 einer der zehn Flughäfen in Europa mit dem höchsten Passagieraufkommen. In den Jahren davor hat es immer ganz knapp nicht geklappt, Scheremetjewo – dessen altes Terminal übrigens nach dem Vorbild des Flughafens Hannover gebaut wurde – landete meist auf Platz 11. Dann kam die WM, brachte gut 14 Prozent mehr Reisende und machte Scheremetjewo damit auch zum europäischen Flughafen mit dem größten Passagierwachstum. Sorry, Fiumicino!

⚽  WM-Spiele gab es in Moskaus Dynamo-Stadion nicht, das steckte zu der Zeit noch im Umbau. Inzwischen ist es wieder eröffnet und gehört jetzt zur sogenannten VTB-Arena, die auch noch eine Eishockeyhalle und ein großes Einkaufszentrum umfasst. Wie sich all das rechnen soll, hat Wedomosti aufgeschrieben. Die Hälfte der Verkaufsfläche wurde demnach von Geschäften gemietet, die Sportwaren verkaufen.

Schwierig könnte es werden, Restaurants und Cafés zu finden, die sich in der Arena einmieten wollen: Weil der Einkaufsbereich zu einer Sportstätte gehört, darf dort nach russischem Recht kein Alkohol ausgeschenkt werden. Trotzdem gehen Fachleute dem Bericht zufolge davon aus, dass der Shopping-Bereich des Komplexes nach acht bis zehn Jahren seine Baukosten wieder reingeholt hat. Zum ersten Heimspiel empfängt Dynamo dann am 10. März Spartak, wenn endlich die Winterpause vorbei ist.

⚽  Bis zum 16. Januar konnte die Hand heben, wer Nachfolger von Witali Mutko als Chef des russischen Fußballverbandes RFS werden will. Die Frist ist vorbei, Kandidaten gibt es genau einen: Alexander Djukow, ein Zenit- und Gazprom-Mann. Beim Fußballverein ist er Präsident, bei Gazprom Neft Vorstandsvorsitzender. Als Forbes 2018 das Vermögen reicher Russen ausgerechnet hat, standen bei Djukow am Ende 500 Millionen Dollar. Nach seiner Wahl Ende Februar plant er „keine Revolutionen“, zumindest bei der Nachwuchsförderung sieht er aber Verbesserungsbedarf.

⚽ Ihr erinnert euch noch an Tschertanowo Moskau, den Verein mit der beeindruckenden Nachwuchsarbeit? Gerade feiern sie dort wieder, weil zwei ihrer jungen Spieler Verträge bei Spartak unterschrieben haben. Nail Umjarow (18) und Maxim Gluschenkow (19) brachten dem Club, der sie ausgebildet hat, zusammen 37,5 Millionen Rubel Ablöse ein, das ist eine halbe Million Euro. „Denkt dran, die Türen unserer Schule stehen für euch immer weit offen“, schrieb Tschertanowo in seinem Gratulationstweet – dieselbe Schule, in der Sergej Pinjajew gelernt hat, Tore wie dieses hier zu schießen.

Sergej Pinjajew ist übrigens 13 Jahre alt. Doch, wirklich. Dreieinhalb Millionen Menschen haben sich dieses Tor bisher bei Instagram angesehen, aber Aufmerksamkeit bei Social Media ist Sergej ja gewohnt: Nachdem er im November sieben Spieler der gegnerischen Mannschaft ausdribbelte, twitterte Russlands Nationalmannschaft einen Clip davon und schrieb dazu: „Glaubt ihr, wenn er älter ist, spielt er mal in der Nationalmannschaft?“

⚽  Vielleicht haben die Erfolge von Tschertanowo-Spielern ja mit dazu beigetragen, dass Spartak nun mehr in die Nachwuchsarbeit investieren will: „Hunderte Fußballschulen“ sollen dazu in den nächsten fünf Jahren in Russland und anderen GUS-Staaten entstehen, nach einem Franchise-Prinzip. Für so eine große Zahl klingt der erste Schritt recht klein: Tatsächlich konkret geplant sind erst mal neun Stück, unter anderem in Moskau, St. Petersburg, Tula und Krasnojarsk.

⚽ Sports.ru hat sowjetische Zeichentrickfilme gesammelt, in denen es um Fußball geht. Trickfilme waren in der Sowjetunion sehr populär, sie heißen auf Russisch „Multfilm“ wegen der Vielzahl einzelner Bilder, die nötig sind, damit der Eindruck einer Bewegung entsteht. Darum hieß das bekannteste Trickfilmstudio auch Sojusmultfilm – das „Sojus“ kommt vom russischen Wort für „Union“, wie in Sowjetunion.

In den gesammelten Filmen spielen zum Beispiel Bären gegen Hasen, Kuscheltiere gegen Fußballer-Figuren und Kosaken gegen deutsche Ritter. Das geht sogar komplett ohne Worte:

Hübsch ist auch ein Blick auf die Nutzerkommentare, die sich bei YouTube unter diesem Film angesammelt haben. Vor Beginn der WM schreibt da jemand: „Hat unsere (russische) Nationalmannschaft das gesehen? Falls ja, habe ich eine Frage: Schämen die sich nicht?“. Nach der WM, bei der Russland seine Fans bekanntlich begeisterte und Deutschland die seinen enttäuschte, klingt das anders: „Würde die deutsche Nationalmannschaft so spielen wie hier, sie gewänne alle Turniere.“

⚽ Ach so, und der BVB wird übrigens nicht Deutscher Meister. Sports.ru hat das mal durchgerechnet und kommt zu dem Schluss: „Favre und Witzel haben die Borussia stärker gemacht, aber sie wird wohl kaum Meister werden.“ Den ganzen, tiefgehenden Text mit allerlei Statistiken und Diagrammen gibt es hier. Tl;dr: Es wird doch wieder der FC Bayern.

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So ist das, eine Russball-Folge während der Winterpause: viel Buntes und Hintergründiges, wenig auf’m Platz oder im Stadion. Apropos: Der Guardian hat Beispiele von Fußballvereinen gesucht, bei denen die komplette Bevölkerung ihres Heimatortes ins Stadion passt. Ja, Hoffenheim ist auch dabei.

Die nächste Russball-Folge gibt es Ende Februar – dann nicht mehr aus der Heimatstadt von Lokomotive, Spartak. Dynamo und ZSKA, sondern aus der von Hertha und Union. Bis dahin, macht’s gut!



 

Ein Stapel Noten

Zwischen allerlei gebrauchten Büchern bin ich neulich im der Secondhand-Ecke von St. Andrew’s, der anglikanischen Kirche hier in Moskau, auf ein kleines Regal voller alter Klaviernoten gestoßen. Kann ich zwar nur vom Blatt summen, nicht spielen, aber darum geht es auch gar nicht: Mitgenommen habe ich einen dicken Stapel wegen des Designs.

Denn da hat jemand – vielleicht eine Klavierlehrerin oder ein Barpianist – über Jahrzehnte hinweg Noten gesammelt. Mehr U als E, gedruckt in Russland oder anderen Ostblock-Ländern, einige auch in der DDR, was man halt so bekommen konnte. Und viele von ihnen sind so typisch für ihre Epoche, so sehenswert in Sachen Gestaltung und Typographie – die mussten mit.

noten prasdnik

Ein „Feiertagslied“ aus dem Jahr 1949, bebildert mit den strahlenden Gesichtern der sowjetischen Jugend, natürlich in Rot, unter blauem Himmel und umrankt von Girlanden. Im Lied geht es um Menschen, die auf der Straße feiern, alles ist voller Gesang, „da sind ja Kolja und Nastja, da ist unsere ganze Brigade.“ Nachkriegsoptimismus.

Viele der Lieder sind in Rumänien komponiert oder zumindest dort veröffentlicht worden. „Na sarje“ zum Beispiel, „bei Sonnenaufgang“, in dem eine Werkssirene den hellen neuen Tag verkündet. „Wenn du verstehst, dass du dich verliebt hast“ – das Lied mit dem adrett genähten Herz auf dem Cover ist übrigens ein Mambo (!). „Mondnacht in Bukarest“ – diese schiefen Häuser, die Blautöne und über allem der Mond als das O von notsch, Nacht. Damit keine Hauptstadt unbesungen bleibt auch gleich noch die russische Variante, statt mit Sternen lieber mit Scheinwerferlicht und Feuerwerk: „Moskau, ich habe mich in dich verliebt!“

Und dann die Frau, die mit Pfeil und Bogen so etepetete hantiert, als hielte sie in jeder Hand ein Teetässchen. „Sag mir, was ich tun soll“, heißt das Lied auf Russisch, im rumänischen Original etwas detaillierter: „Sag mir, was ich tun muss, damit du mich ein bisschen magst.“ Fun fact, mit Dank an die Twitter-Übersetzungshelfer: Das Wort „puțin“, das mir im Originaltitel aufgefallen war, bedeutet „ein bisschen“.

noten fabrik bei nacht

noten herz

noten bukarest bei nacht

noten verliebt in moskau

noten amor

1965, noch unter dem Eindruck von Chruschtschows Tauwetter, ist dann in Moskau dieser Sammelband erschienen, „Amerikanische Lieder für die Jugend“. Was da für ein positives Amerikabild auf dem Einband gezeigt werden durfte: Ein geräumiges Haus im Grünen, davor steht ein ziemlich neues Auto, Menschen haben sich um einen Mann versammelt, der Gitarre spielt, und über allem reitet ein Cowboy.

Die ersten Lieder im Heft wurden so ausgewählt, dass sie zu den sowjetischen Idealen passten (If I Had a Hammer, Down by the Riverside), später wird es dann mit Old MacDonald, Home on the Range und Polly-Wolly-Doodle etwas weniger programmatisch.

noten amerika

Aus demselben Jahr ist auch dieses Heft mit drei kleinen Singspielen für Kinder. Aufs Cover kam im Jahr vier nach Gagarin natürlich „Zu Gast bei den Sternen“, und natürlich ist das Kind, das den Astronauten spielen darf, ein Junge und die Mädchen sind wieder nur niedliche Sternchen in pastellfarbenen Kleidchen. Trotzdem: Die Illustrationen, mit einem Blumenstrauß für „Tante Luna“ und den schnittigen, roten Raketen – das ist schon ein ziemliches Prachtexemplar seiner Zeit. Vor lauter Stolz gibt es natürlich auch ein Lied, das „Sputnik“ heißt.

Weiterblättern im Notenstapel. „Atlanta“ – ein Foxtrott – wie großartig ist bitte dieses Bild? Der „West-Fox-Trot“, sichtbar aus derselben Epoche, liefert eine Jahreszahl mit: veröffentlicht in Moskau im Jahr 1927. Das nächste Stück – dessen Cover ein wenig an das Rodtschenko-Werbeposter für Schnuller erinnert – ist laut Aufschrift sowohl ein Charleston als auch ein Foxtrot namens „Charly-Fox.“ Und apropos Rodtschenko: Diese „Exzentrischen Tänze“ in Schwarzweißrot sind ja auch ziemlich eindeutig von ihm inspiriert.

noten atlanta

noten west

noten charlie

noten ekzentrishc

Ein Notenblatt zum Schluss noch, das mir gar nicht als etwas Besonderes aufgefallen war. Dann war abends H. zu Besuch, der sich sowohl mit Kunstgeschichte als auch mit rusisscher Geschichte auskennt. Wo ich nur „Die Rose von Stambul“ gelesen und einen orientalisch kostümierten Frauenkopf wahrgenommen hatte, sah er ganz andere Dinge: „Oh, das muss vorrevolutionär sein! Schau mal, da hatten noch ganz viele Wörter ein „Ъ“ am Ende und das „I“ ist mal als „і“ und mal als „и“ geschrieben – das haben die ja dann bei der Alphabetreform nach der Revolution abgeschafft. Okay, 6 Rubel, das ist ein ziemlich hoher Preis – andererseits haben die ja auch öfter mal den Rubel abgewertet…“

noten rose von istanbul

Glücklich, wer kluge Freunde hat. Der Rest ist schnell recherchiert: „Die Rose von Stambul“ ist eine Operette von Leo Fall. Sie wurde tatsächlich 1916 uraufgeführt und in der deutschsprachigen Ausgabe sah der Einband des Klavierauszugs so aus. Zum prärevolutionären Fundstück gibt es auch eine postrevolutionäre Aufnahme, gesungen von Rudolf Schock:

Nicht alle Notenblätter aus dem Fundstapel haben in diesem Blogpost Platz. Darum werde ich weitere schöne Exemplare nach und nach hier twittern.

So viel Spaß für wenig Geld: 2000 Rubel

Keine WM mehr, das heißt: Endlich Zeit, das zu bloggen, was in den letzten Wochen liegengeblieben ist. Dazu gehört ein 2000-Rubel-Schein, der hier auf dem Schreibtisch lag, damit ich ihn nicht versehentlich ausgebe.

Der 2000er und der 200er sind beide noch recht neu im russischen Banknotensortiment. Ich wusste also, dass sie bunter sind als die anderen, mit leuchtenderen Farben, und dass sie irgendwelche tollen Sicherheitsmerkmale haben. Auf der einen Seite des 2000ers ist das Kosmodrom Wostotschny zu sehen, der Weltraumbahnhof, der mal Baikonur ablösen soll:

2000 rubel augmented reality wostotschny

Die andere Seite zeigt die Russki-Brücke von Wladiwostok:

2000 Rubel augmented reality

Das war mein Kenntnisstand, bis wir mit ein paar Leuten in einem Café saßen und P., meine frühere Sprachtandem-Partnerin, sagte: Jetzt passt mal auf, ich zeig euch was. Handy raus, App geöffnet, Ergebnis: Fünf Menschen machen große Augen. Denn zu den Geldscheinen gibt es eine Augmented-Reality-Version. Also hab ich nachgeschlagen, wie man das Bild auf seinem Handybildschirm mitschneidet, und dann auf der Fensterbank ein kleines Experiment gestartet.

Okay, das ruckelt ein bisschen, wenn ich zu nah dran gehe, aber ansonsten ist das schon sehr schick gemacht: Wie die Planeten da um die Sojus-2-Rakete kreisen, die auf dem Weltraumbahnhof auf ihren Start wartet. Habt ihr die Erde gesehen? Warte, da kommt sie wieder vorbeirotiert!

Dann die Rückseite, das mit den Autos auf der Brücke ist auch ziemlich klasse – auch, wenn beim Rauszoomen irgendwann die Bereiche der Straße ins Blickfeld kommen, wo die animierten Autos plötzlich verschwinden. Unterm Strich aber eine feine Spielerei, und die Zutaten – Geld und Handy – hat man ja meistens dabei. Nächstes Mal bin also ich diejenige, die im Café sagt: Jetzt passt mal auf, ich zeig euch was.

(Mit Dank an Matt fürs Identifizieren der Rakete und an Iuliia für Hilfe beim Video.)

Putin der Woche (XXXIII)

putin der woche putinwallet

Gesehen: In meinem Spam-Ordner. Endlich ist es so weit, dass der „Putin der Woche“ zu mir kommt, statt dass ich nach ihm die Augen offen halten muss. Russifizierung erfolgreich abgeschlossen!

Begleitung: Ein Bär und die Initialen von Wladimir Wladimirowitsch Putin. Das Werbevideo (siehe unten) zeigt außerdem: In der Geldbörse stecken stapelweise 5000-Rubel-Scheine

Text: „Putin-Wallet. Porte­mon­naie-Sonderausgabe mit männlichem Charakter.“ Weiter unten im langen, langen Begleittext findet sich auch noch der wichtige Hinweis, dass „dieses Accessoire es vermag, die Aufmerksamkeit des schönen Geschlechts auf sich zu ziehen.“

Subtext: Nichts sagt „Kaufkraft“ wie ein Porte­mon­naie mit dem Bildnis des Mannes, unter dem sich der Rubel so tippitoppi entwickelt hat. Von wegen „einem nackten Mann in die Tasche greifen“ – Putin ist schließlich nur halbnackt, und in seiner Tasche stecken lauter große Scheine. Müssen sie ja auch, wegen der Inflation.

Oben-Ohne-Punkte: 10/10

Von 800 Rubeln und 19 Prozent

Rubelmünzen 
Wenn Börsenanleger auf fallende Rubelkurse wetten, ist das Spekulation. Tun es Journalisten, fällt das unter Recherche, oder sagen wir mal: kollegiales Kräftemessen in Sachen ökonomisches Urteilsvermögen. Ein Kampf des Intellekts und des Pragmatismus. Eine Fingerübung in Russlandkunde, geboren aus Weltanschauung, Bauchgefühl und tiefgehendem Hintergrundwissen.

Okay, es war Fatalismus.

In anderen Redaktionen gibt es Wahlwetten – wie viel Prozent für wen, wie viele Sitze, welche Gewinne und Verluste. Oder komplexe Fußball-Tippspiele, einschließlich vom Hausboten eingesammeltem Geld. Bei uns, die wir alle in Rubel bezahlt werden, waren die Regeln schlichter: am 30. Oktober raten, wo am 30. November der Rubel im Vergleich zum Dollar steht – und dann warten.

Heute kam die Auflösung per Rundmail, und mit ihr die Erkenntnis: Auch, wer nur zum Wirtschaftsteil greift, um in der Bahn die Füße auf den Sitz gegenüber legen zu können, hat Chancen. Siegesjubel dank der Strategie, den Kursverfall der letzten Oktobertage einfach linear fortzuschreiben! Her mit dem 800-Rubel-Jackpot!

Unter den zwei Letztplatzierten befindet sich mindestens eine Führungskraft, ein echter Russlandexperte. Dass die Schadenfreude trotzdem nicht so richtig aufkommen will, liegt vielleicht an dem Nachsatz des Kollegen, der das Prognose-Spiel angeleiert hat. In seiner Mail schreibt er: „Der Preis von 800 Rubeln ist jetzt 19 Prozent weniger wert als beim Einsammeln am 30. Oktober.“