Nikola-Leniwets: Wo in Russland die Aliens landen

Wer etwas über Russland, die Raumfahrtnation, erfahren will, der reist am besten nach Kaluga. Hier hat es angefangen, lange vor Sputnik, Laika und Gagarin. Was nicht heißt, dass sie einem hier nicht begegnen: Sputnik, den Satelliten, trägt die Stadt auf ihrer Flagge. Über Laika, die Hündin, erfährt man mehr im großen Raumfahrtmuseum, das gerade noch einmal erweitert wird. Und Gagarin, naja, der hat natürlich den Grundstein für das Museum gelegt, wer auch sonst.

Schließlich gibt es hier die Gagarin-Straße, das Gagarin-Businesscenter, das Gagarin-Einkaufszentrum und die Kneipe „Gagarin“. Doch Kaluga ist groß genug für mehrere Kneipen, und die können nicht alle „Gagarin“ heißen. Also heißen sie „Rocket“, „Belka“, „Hubble“, „Njebo“ (Himmel) oder sogar „Sedmoje Njebo“ (Siebter Himmel).

Warum all das? Wegen Konstantin Ziolkowski. Ein Mathelehrer, geboren 1857, der nach der Arbeit gerne Jules Verne las und Luftschiffe entwarf. Seine Skizzen und Modelle sieht man heute in Kaluga in dem Museum, zu dessen Baubeginn Gagarin in die Stadt kam. Denn Ziolkowski rechnete, tüftelte und entwarf weiter: einen Aufzug, der bis ins All führen sollte. Raketen mit mehreren Stufen. Raumstationen. Keine systematische Forschung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sondern das Hobbyprojekt eines Fricklers in der Provinz.

In der Sowjetunion galt Ziolkowski als der Vater der Raumfahrt und es war Tradition, dass Kosmonauten sein altes Häuschen in Kaluga besuchten. Das Haus ist heute ein Museum, und eine der Wärterinnen hat ganz ausgezeichnetes Timing: Genau in dem Moment, wenn man die Holztreppe zu Ziolkowskis Arbeitszimmer hochsteigt, sagt sie: „Ach ja, auf den Stufen hat vor Ihnen auch schon Gagarin gestanden.“

Wenn Kaluga dafür steht, dass der Mensch hinauf reist ins All, dann ist Nikola-Leniwets der Ort, wo sie runterkommen – die Besucher aus der Weltraum. Das Dorf liegt rund anderthalb Autostunden von Kaluga entfernt. Wer hier durch den Schnee stapft, trifft zwar selten Menschen, steht dafür aber gerne mal vor sowas hier:

nikola leniwets russland skulpturen weißes tor

Oder vor sowas:

nikola leniwets russland skulpturen universeller verstand 5

Oder vor sowas hier – und ja, das da links ist ein Mensch, der einem Hund hinterherrennt, nur so zum Größenvergleich:

nikola leniwets russland skulpturen Beaubourg bobur hund

„Fauler Nikolai“ bedeutet der Name des Dorfes, das in seinen Prachtzeiten mehrere tausend Bewohner hatte. Im Zweiten Weltkrieg wurde es von Wehrmachtstruppen niedergebrannt, später gab es hier noch ein wenig Milchwirtschaft, nach und nach schrumpfte das Dorf zum Dörfchen. Ende der Achtziger sollen es nur noch drei Bewohner gewesen sein, doch dann begann ein Grüppchen von Architekten und Künstlern, sich für Nikola-Leniwets zu interessieren. Heute stehen auf dem Gelände riesige Skulpturen, meist aus Holz. Man läuft schon mal den einen oder anderen Kilometer, wenn man sie alle sehen will – dafür steht jede von ihnen so allein in der Landschaft wie ein frisch gelandetes Raumschiff.

In viele von ihnen kann man hineingehen, wie in den großen Knoten aus verwundenen Holzbahnen. „Universeller Verstand“ heißt das Kunstwerk, anderswo steht das „Weiße Tor“ oder der „Leuchtturm“. Das gigantische Korbgeflecht, das aussieht, als habe sich eine Herde Mammuts mit den Hintern zueinander im Kreis aufgestellt, heißt „Bobur“, eine russifiziert-verballhornte Form von „Beaubourg“.

Im Sommer gibt es in Nikola-Leniwets Festivals, man kann zelten, sich einen Grill mieten – aber gut, das ist dann halt auch voller und wuseliger. Ich bin froh, den faulen Nikolai im Winter besucht zu haben. Denn dieses Gefühl, dass man da einem Ding aus einer anderen Welt gegenübersteht, funktioniert am besten, wenn man ganz alleine ist.