Friedrich Engels und der Eisfischer von Kasan

Mit Moskauer Erwartungen nach Kasan zu kommen, bringt viele Überraschungen. Lächelnde Menschen auf der Straße. Blickkontakt im Restaurant. Autos, die an Zebrastreifen halten. Die Museumswärterin, die merkt, dass wir den Anfang der Ausstellung zur tatarischen Geschichte nicht finden und sagt, „na, kommen Sie, ich zeig es Ihnen“, dann mit Blick aufs Ziel mir freundlich den Arm tätschelt und die Richtung weist.

Okay, das Familienzentrum, das aussieht wie eine gusseiserne Schale auf einem langsam in die Grätsche gehenden Stövchen, ignoriert sein eigenes Öffnungszeitenschild und hat geschlossen. Aber wären wir nicht durch den Schneematsch hierher gestapft, hätten wir sie nicht gesehen, die Handvoll Kapuzengestalten, denen der Sonntagmorgen zwei Dinge bringt: einen kalten Hintern und einen guten Fang. 

Kasan Russland Eisfischer 2

Breit ist die Kasanka hier, wo sie sich mit der Wolga trifft. Und selbst so nah am Stadtzentrum ist es, Winterwetter sei dank, so still, dass man am Ufer hört, wie die Eisfischer ihren Bohrer ansetzen. Ein Riesentrumm, fast so groß wie die Angler selbst, und so schlicht wie eine schnell hingezeichnete Skizze. Schraube unten, Griff oben, dazwischen was zum Drehen. 

Kasan Russland Eisfischer 1

Später laufen wir uns über den Weg, zwei der Männer sind auf dem Weg runter vom Eis, zum Auto, ins Warme. „Entschuldigung, aber darf ich ein Bild von Ihnen machen mit…“ – ich weiß das Wort für Ausrüstung nicht. „Mit den Fischen?“, souffliert der eine und grinst. „Nein, mit… dem Instrument da.“ – „Ah, eine Foto-Session? Aber sicher!“ Und schon wirft er sich in Pose. Ein Mann, ein Bohrer. 

Kasan Russland Eisfischer 5

Ein paar Fragen hat er dann auch noch: Wie gefällt Ihnen Kasan (gut), was genau (Architektur, Geschichte), woher kommen Sie (aus der Nähe von Düsseldorf). „Kenn‘ ich nicht, ich kenne nur Trier, da haben Freunde von mir mal gearbeitet.“ – „Ah, ja, schöne alte Stadt, waren Sie da auch mal?“ – „Nein, aber ich weiß, dass es die Stadt von Karl Marx ist.“ – „Und ich komme aus der Nähe von Wuppertal, der Stadt von Friedrich Engels.“ – „Dann kommen Sie doch am 5. August wieder und wir feiern zusammen!“ Gelächter, großes Hallo, Verständigung findet statt. 

Er zeigt noch seinen Fang, „Sudak“, mit feinem Muster auf der Haut und ordentlichen Zähnen. Ein Zander. Dann fahren die beiden nach Hause, wir gehen einen Tee trinken, und die restlichen Fischer sitzen weiter tapfer auf dem Eis.

Kasan Russland Eisfischer 3

Kasan Russland Eisfischer 4

Drei Monate China in Fragen

Letztes Wochenende kam eine Anfrage von Newsroom.de ob wir mal übers Medienbotschafter-Programm reden können. Haben wir gemacht – und dabei auch das Thema gestreift, welche Fragen Chinesen mir in den letzten drei Monaten über Deutschland gestellt haben. Das waren allerdings deutlich mehr, als ins Interview gepasst haben:

Ist es in Deutschland teuer, zum Arzt zu gehen? Stimmt es, dass sich bei euch Fremde auf der Straße zulächeln? Bist Du verheiratet? Warum nicht? Ist „Sissi“ ein amerikanischer Film? Mögt ihr Frau Merkel?

Warum habt ihr so viel Grammatik? Hat Deutschland auch eine Kommunistische Partei? Bist Du religiös? Stimmt es, dass in Deutschland die Finanzkrise nicht so schlimm ist? Kennen alle Deutschen Oberst Stauffenberg? Bist Du Amerikanerin, Deutsche sollen doch ernst und still sein?

Kannst Du mit Stäbchen essen? Wie kriegt ihr für eure Tweets viele Replies? Gibt es bei euch auch „The Voice“? Du willst also Journalistin werden? Was verdient bei euch ein Ingenieur?

Hast Du Geschwister? Wie ist das Essen in eurer Kantine? Fahren alle Deutschen deutsche Autos? Wie spricht man Jürgen Klinsmann richtig aus? Stimmt es, dass man bei euch kostenlos studieren kann? Kennst Du Wuppertal?

Vielleicht doch lieber fliegen

 

Ein Witz, angeblich von Johannes Rau:

Ein Mann möchte gerne von Wuppertal nach Peking reisen, hat aber Flugangst. Also fragt er am Bahnhof nach einer Fahrkarte nach Peking. Geht nicht, heißt es da – von hier können Sie nur eine Karte nach Berlin buchen. In Berlin dasselbe, es gibt nur ein Ticket bis nach Moskau. So bucht er nach und nach weiter und kommt irgendwann in Peking an.

Nach zwei Woche in der Stadt packt ihn das Heimweh und er will zurück. Geht also in Peking an den Fahrkartenschalter: „Guten Tag, ich hätte gerne ein Ticket nach Wuppertal.“ Sagt der Verkäufer: „Balmen oder Elbelfeld?“

Was da an Stereotypen über umständliche Deutsche und effiziente Chinesen mitschwingt. Dortmund – Peking sind mit dem Zug jedenfalls 170 Stunden. Bestimmt eine schöne Reportage. Die aber bitte jemand anders schreiben soll.