Neulich bin ich in in ein Paralleluniversum geraten, eigentlich sogar in zwei. Wir waren übers Wochenende in Deutschland, ich bin ein paar Schritte durch Oberhausen gelaufen und stand plötzlich vor einem Laden mit Matrjoschka-Schild.
Drinnen, Paralleluniversum Nummer eins: ein Produktsortiment, wie ich es hier in Moskau aus dem Supermarkt an unserer Straße kenne. Nicht nur die Lebensmittel selber, nein sogar die Marken sind identisch. Die grünen Pakete mit Hüttenkäse (in der russischen Küche sehr viel populärer als in der deutschen). Kondensmilch in den Dosen mit blauem Retro-Design. Tarchun und Djuschess, also Estragon- bzw. Birnenlimonade, so bunt wie süß.
Vor lauter Begeisterung wollte ich mir einen Sirok (Quarkriegel mit Schokoglasur) kaufen, aber genau die gab es leider nicht. Also wieder raus, vorbei an der Kasse. Und dahinter, auf einem Tischchen an der Wand, lag das Portal in das zweite Paralleluniversum: „Telegraf NRW“, die „monatliche regionale russischsprachige Informationszeitung“. 24 Seiten irgendwo zwischen Zeitung und Anzeigenblättchen, nach Angaben des Verlags mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren.
Die Titelseite besteht komplett aus Anzeigen, Aufmacher auf Seite 2/3 dann: „Welchen Fehler machten die deutschen Massenmedien bei der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise?“ (Es geht um die Hamburger Studie, wonach deutsche Medien im Jahr 2015 und Anfang 2016 in ihrer Berichterstattung oft zu nah an den Regierungspositionen und zu wenig differenziert beim Blick auf Kritiker gewesen sein sollen.)
Es folgt die übliche Mischung, die man von Printprodukten mit älterer Leserschaft und kleinem Budget kennt: Meldungsspalten, ein paar Servicestücke zu Streitschlichtung, Gesundheit, Rechtsfragen. Eine Doppelseite mit Polizeimeldungen, gefolgt von weiteren Gesundheitsthemen, dann ein bisschen Panorama, Horoskop, Rätsel, Witze. Redaktionelle Inhalte, deren Hauptaufgabe es ist, ein Umfeld für Werbung zu bieten und die Leser ansonsten nicht zu überfordern oder sonstwie zu vergrätzen.
Und die Werbung ist dann auch das, wo es noch mal spannend wird in diesem parallelen Printuniversum: Zwischen Busreisen in die Ukraine, Rechtsanwälten, Grabsteinen, Klavierstimmern, noch mehr Grabsteinen, Pflegediensten und Konzerten von Stas Michailow bis Leningrad findet sich in der aktuellen Ausgabe des „Telegraf“ auch Wahlwerbung, und zwar genau eine. Auf der Seite mit dem Schwerpunkt Flüchtlinge und Medienkritik inseriert Jewgeni/Eugen Schmidt, AfD-Kandidat aus Köln.
Das Wahlprogramm in Stichpunkten: „Migrationschaos beenden, die Sicherheit unserer Bürger gewährleisten, angemessene Renten erreichen, die traditionelle Familie schützen, christliche Traditionen bewahren, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu Russland wiederherstellen.“ Dazu eine Deutschlandfahne.
Was mich daran beschäftigt, ist nicht nur die Tatsache, dass die AfD da inseriert. Das ist, so sehr mir ihre Positionen zuwider sind, ihr gutes Recht, Wahlkampf ist Wahlkampf. Wirklich ärgerlich finde ich, dass keine der der anderen Parteien dagegenhält.
Nicht die SPD, die hier im Ruhrgebiet ihre vielzitierte „Herzkammer“ hat. Nicht die CDU, die den NRW-Ministerpräsidenten stellt und für eine tendenziell ältere, tendenziell konservative Leserschaft sicherlich das ein oder andere zu christlichen Werten in ihrem Wahlprogramm gefunden hätte. Auch keine der kleineren demokratischen Parteien – niemand ist auf die Idee gekommen, für diese Nische der russischsprachigen Leser eine Anzeige zu schalten.
Eine Eckanzeige wie die des AfD-Kandidaten kostet laut Übersicht des „Telegraf“ 180 Euro, zuzüglich Mehrwertsteuer. Keiner der etablierten Parteien war es also rund 200 Euro wert, bei den Lesern den Effekt zu verhindern, der nun unvermeidlich ist: „Siehst du, die AfD ist einfach die einzige Partei, die sich für uns interessiert.“
Nebenbei aber auch interessant wie andere Gruppen von der AfD massiv angefeindet werden, weil Sie kein deutsch lernen, aber diese Gruppe wird hofiert…
Noch schlimmer: Man überlässt der AfD die Entspannungspolitik, früher mal ein Markenzeichen der SPD.
Jörg Tauss, des Kremls neuestes willfähriges Werkzeug…
Entspannungspolitik damals war auch Stärke, siehe z.B. der NATO-Doppelbeschluß,
und es war auf der anderen Seite auch der Wille zur Entspannung gegeben, Putin zettelt einen Krieg an in der Ukraine, bombt in Syrien alles kurz und klein, unterstützt rechtsextrem auf der ganzen Welt, lässt seine Hacker auf sämtliche Demokratien los. Seine ganze Agenda beruht nur auf wir gegen „diese Bösen“. Da ist überhaupt kein Raum für Entspannung, er wär in wenigen Quartalen am Ende wenn er auf Entspannung machen würde…
Die SPD ist heute weit Appeasement-mäßiger unterwegs, als sie es damals jemals war. Ein Willy Brandt oder Helmut Schmidt hätten andere Reaktionen auf die Krim Invasion oder die destruktive Agenda Russlands auf der ganzen Welt gefunden, als die heutige Genossengeneration.