Eine Email aus #ElectricYerevan

Tatev

Dass Tatev Vardapetyan und ich uns kennengelernt haben, ist erst ein paar Monate her. In einer Kneipe in Jerewan saßen wir auf dem Boden und redeten zwischen Bier und Pizza über die politische Lage in Armenien, über Deutschland, Russland und die Türkei. Ich rede gerne schnell. Tatev redet schneller.

Sie ist 23, hat als Journalistin über Menschenrechtsfragen berichtet und koordiniert außerdem das Projekt „Radio Without Borders South Caucasus„. Und seit einigen Tagen besteht ihre Facebookseite aus immer neuen Posts zur Protestbewegung #ElectricYerevan, aus Fotos von Demonstranten und von Polizisten.

Letzte Nacht haben wir hin- und hergemailt.

Tatev, wo bist Du gerade? Wie antwortest Du auf meine Fragen?

Gerade bin ich auf der Baghramjan-Allee, die immer noch von Demonstranten besetzt ist – schon seit neun Tagen, aber die Menschen sind immer noch hier, wenn auch nicht mehr so viele wie zuvor. Aber die, die noch hier sind, sind motiviert und entschlossen, so lange wie nötig zu bleiben. Mithilfe von Freunden habe ich ein Laptop mit WLAN-Verbindung gefunden.

Wie ist die Atmosphäre um Dich herum?

Im Moment sehe ich zwei Hauptgruppen vor mir: Leute, die patriotische Lieder singen, tanzen und die Slogans der Protestbewegung rufen („Wir sind die Besitzer dieses Landes“, „Wir werden siegen“, „Schließt euch an“ und „Nicht plündern“) und, ein Stück weiter weg, Leute, die im Kreis auf dem Boden sitzen und eine öffentliche Diskussion begonnen haben. Hauptsächlich geht es um die Frage, was wir als nächstes tun sollen. Die Diskussionen sind basisdemokratisch, wir haben keine Führung, kein Richtig oder Falsch. Und wir achten darauf, dass jeder mitmachen kann – bei uns findest Du LGBT-Gruppen und Nationalisten nebeneinander.

Die öffentlichen Diskussionen laufen seit gestern, wir wollen sie jeden Tag zur selben Zeit fortsetzen. Es gibt auch schon Arbeitsgruppen mit festen Agendas – eine von ihnen hat zum Beispiel die Facebook-Gruppe „Electric Yerevan Media Hub“ gegründet. Sie sammeln verlässliche Informationen, Artikel und Neuigkeiten zu den Protesten, um Falschmeldungen und Propaganda in den Medien zu bekämpfen. Das ist wichtig, um Leuten zu zeigen, wie bürgerschaftliches Engagement funktioniert.

Seit wann beteiligst Du Dich an den Protesten?

Ich habe mich den Protesten am 23. Juni angeschlossen, nachdem die Polizei mit Gewalt eine Demonstration aufgelöst und viele Menschen verhaftet hat. Die ganze Gesellschaft war empört über die Brutalität der Polizei, denn die Demonstranten waren und sind friedlich. Tatsächlich war die Härte des Polizeieinsatzes der Hauptgrund, warum sich an dem Tag Tausende Menschen auf der Baghramjan-Allee versammelt haben. Wir verlangen auch, dass die Polizisten sich für ihr Vorgehen rechtfertigen müssen und diejenigen bestraft werden, die Gewalt gegen friedliche Demonstranten eingesetzt haben.

Wer sind Deine Mitdemonstranten?

Nationalisten, Leute von Bürgerinitiativen und NGOs, Menschenrechtler, Leute aus der LGBT-Community, Feministen – alles Mitglieder der armenischen Gesellschaft, und irgendwie haben wir es geschafft, die letzten neun Tage friedlich miteinander zusammenzuarbeiten. Am Anfang gab es noch Anführer, inzwischen organisiert sich die Basis selber.

Man muss auch sagen, dass solche Bürgerbewegungen in Armenien noch sehr neu sind, wir müssen noch viel lernen. Zum Beispiel hatten wir eine Woche lang keine Agenda – wir haben nur getanzt, gesungen, zusammen gegessen, Sprechchöre gemacht und versucht zu verhindern, dass die Polizei unser 24-Stunden-Sit-in auflöst. Das war unsere Schwäche.

Als Präsident Sersch Sargsjan angeboten hat, die Regierung könne die Kosten für die Strompreiserhöhung übernehmen, während unsere Notfallfinanzierung überprüft wird, haben wir „nein danke“ gesagt – das deckt sich nicht mit unseren Forderungen. Denn das würde ja bedeuten, dass sie Mittel aus dem Staatshaushalt nehmen, mit anderen Worten: unser Geld. Daraufhin wurde die Situation hier auf der Baghramjan-Allee sehr unübersichtlich, vor allem als die Polizei drohte, die Straße zu räumen. Einige Demonstranten sind auf den Freiheitsplatz gezogen, um die Situation auf der Allee zu entschärfen, die Leute hier hat das verunsichert: keine Anführer, keine Agenda, keine Pläne, wie es weitergeht. Da haben wir gemerkt, dass wir die öffentlichen Diskussionen brauchen, um die Zukunft zu planen.

Interessiert #ElectricYerevan irgendwen abseits der Hauptstadt?

Unser Hashtag ist zwar #ElectricYerevan, aber Proteste gab es auch anderswo, darum hieß es auch schon #ElectricArmenia. In Gjumri und Wanadsor wird jeden Tag demonstriert. In einigen Dörfern haben Leute ihre Autobahn blockiert. Und wir haben viel Unterstützung aus dem Ausland – Menschen aus der armenischen Diaspora haben in den USA und in Europa Demos organisiert. Es gab Solidaritätsaktionen von Mitgliedern der Gezi-Park-Protestbewegung in der Türkei, von Linken und Sozialisten in Russland, der Ukraine, Georgien und selbst in Aserbaidschan.

Siehst Du Parallelen zwischen eurer Protestbewegung und denen in anderen Ländern?

Ich glaube, #ElectricYerevan ähnelt allen Bewegungen, die von jungen Leuten angestoßen wurden – parteifern und ohne klare Anführer. Und ich hoffe, dass das dazu führt, dass linke Gruppen in Armenien sichtbarer werden und sich besser organisieren.

Was soll euer Protest erreichen?

Im Moment fordern wir, das die Pläne für eine Strompreiserhöhung gestoppt werden und wir eine Diskussion führen über den Preis. Außerdem wollen wir eine Untersuchung der Polizeigewalt am 23. Juni. Bis das passiert, werden wir weiter demonstrieren – auf der Baghramjan-Allee oder anderswo.

Eine Nacht bei Stalins Schwester

Kotelnitscheskaja Moskau 12

Seit wir hier sind, faszinieren mich die Sieben Schwestern – die riesigen Gebäudekomplexe, die Stalin hat hochziehen lassen, um 800 Jahre Moskau zu feiern. Wenn man nicht gerade in einer engen Gebäudeschlucht steht, kann man von überall im Zentrum eine der Schwestern sehen, oft sogar mehrere.

Die Uni, das Außenministerium, das Hotel „Ukraina“ – sie verbreiten eine Atmosphäre irgendwo zwischen Hogwarts und Berlins Karl-Marx-Allee. Imposant sind sie allemal, bei Sonnenlicht wirken ihre Fassaden warm, sonst auch schon mal bedrohlich. An Wintertagen gibt es Momente, in denen es mich nicht überraschen würde, wenn aus dem runden Emblem oben am Ministeriums-Turm Laserstrahlen auf angreifende Aliens gefeuert würden.

Wie das wohl ist, in so einem Haus zu wohnen? Zwei von den Sieben sind zwar Hotels, aber beide zu teuer, um nur fürs Erlebnis mal dort zu übernachten. Geklappt hat es stattdessen, AirBnB sei Dank, im Wohnblock am Kotelnitscheskaja-Ufer, wo die Jausa in die Moskwa mündet. Wer hier schon mal eine Bootstour gemacht hat kennt das Gebäude als das, vor dem die Schiffe wenden und zurückfahren.

Besonders berühmte Menschen wie die Ballerina Galina Ulanowa haben im Haupthaus gelebt, mittelberühmte wie der Dirigent Konstantin Iwanow in der Wohnung im Seitenflügel, in der wir uns nun für eine Nacht einquartiert hatten. Und selbst der hatte es schon sehr nett, auch wenn er mit Zweizimmerküchebad zufrieden sein musste: hohe Decken, Stuck, Kronleuchter, Parkett, und dann der Blick.

Heute ist die Wohnung gut in Schuss, im Treppenhaus dagegen gibt es, siehe oben, auch ein paar recht idyllisch runtergekommene Stellen. Und, ganz oben, einen halbrunden Mini-Balkon mit einem Gitter, das man sich ein paar Jahre jünger wünschen würde. Egal, ein vorsichtiger Schritt nach draußen muss sein. Der Blick, wie gesagt. Ihr versteht.

Kotenitscheskaja Moskau 15

Putin der Woche (XXV)

Putin der Woche Weihnachten

Gesehen: Auf einer Werbetafel im „Ewropejski“, einem von Moskaus großen Einkaufszentren.

Begleitung: Flockenfall, ein schneebestäubter Christbaum und ein frei schwebendes Herzchen. Und dazu dieser Hund. Ganz ehrlich, ist das der Doge? Hat ihm jemand die Augen zugephotoshoppt? Und wenn ja, war das Faulheit oder subversiv?

Text: Keiner.

Subtext: Noch genau sechs Monate bis Weihnachten da bei euch im Westen! Und jeder weiß, wie lange Post aus Russland zu euch braucht. Also, kauft mich! Jetzt!

Oben-Ohne-Punkte: 0/10 – alles andere verhindert der Norwegerpulli

Fünfmal staunen in der fünften Klasse

Meine-Mutter-postet

Letzte Woche war ich zum ersten Mal an der Deutschen Schule Moskau, zu Gast bei zwei fünften Klassen. Silke, bloggende Fünftklässlermutter, hatte die Idee gehabt: eine Fragestunde rund um soziale Netzwerke, weil die Schüler allmählich in das Alter kommen.

90 Minuten in einem proppenvollen Raum, in einer Atmosphäre, die einem die Kinder sympathisch macht und die Lehrerinnen direkt dazu: Normale Geräuschkulisse, normal viel Konzentration, normal viel Gewusel und Ich-muss-mal-schnell-aufs-Klo. Viele, viele, viele Fragen, und zwar von so gut wie allen.

Gelegentlich souffliert mal eine Mitschülerin das richtige deutsche Wort – einige Kinder hier wachsen zweisprachig auf. 90 Minuten Hin und Her, Frage, Antwort, Nachfrage, bessere Antwort. Alles von „Wer hat Facebook erfunden“ bis „Ist Cyber-Mobbing schlimmer als normales Mobbing?“ Das hier ist mir besonders aufgefallen:

1. Hardware

„Wie viele Geräte gibt es bei euch zuhause, mit denen man ins Internet kommt?“ Die Antworten gehen von zwei bis zu spektakulären 30 (folgt die Beschreibung des zugehörigen Vaters und seines Jobs). Und wehe, man erklärt nicht präzise genug – zum Beispiel den Trend, dass Hardware-Firmen versuchen, immer kleinere, leichtere Geräte auf den Markt zu bringen. „Das iPhone sechs ist aber größer als das fünfer.“ Äh. Ja. Stimmt.

2. Wissensstand

Jaja, alles Digital Natives, schon klar. Aber wenn ich auf die Frage hin, ob Leute per Computer Banken das Geld wegnehmen können, erkläre, was ein Hacker ist – und sofort der Hinweis kommt: „Es gibt aber auch gute Hacker, die nur gucken, ob alles sicher genug ist.“ Wenn es um WhatsApp-Alternativen geht und ein halbes Dutzend Schüler Threema kennt. Wenn einer wissen will, wo Edward Snowden gerade ist und ein anderer, ob Amerika echt Merkels Handy abhört. Dann ist das schon ziemlich beeindruckend.

3. Kompromisse

Vielleicht am interessantesten fand ich, welche Deals die einzelnen Schüler mit ihren Eltern haben. Genauer gesagt: Unter welchen Bedingungen sie in sozialen Netzwerken aktiv sein dürfen. „Keine Fotos aus unserer Wohnung.“ – „Den Instagram-Account so einstellen, dass man jeden Kontakt erst erlauben muss.“ – „Ich darf keine Fotos posten, aber meine Zeichnungen.“ Klang alles sehr pragmatisch.

4. Kettenbriefe

Kettenbriefe sind echt immer noch ein Ding. „Sind die immer fake?“, hieß die Ausgangsfrage – wir haben dann noch etwas allgemeiner über Gerüchte im Internet gesprochen. Populär war in der Klasse vor allem die Behauptung, bei einem Online-Spiel (hab den Namen leider nicht mitbekommen) sitze hinter den Augen der Katzen auf dem Bildschirm ein Mensch und gucke einem beim Spielen zu.

5. Privatsphäre

Ich dachte immer, das klassische Muster ist: Kinder geben leicht zu viel preis und Eltern müssen sie davor schützen. Stimmt aber gar nicht immer, mehrere Schüler haben vom umgekehrten Problem erzählt: „Meine Mutter postet Bilder von mir bei Facebook und ich will das nicht.“ – „Meine Mutter hat ein Bild von mir gepostet und ich find doof, was sie da druntergeschrieben hat.“ Bei allen Kindern, die sowas angesprochen haben, war es die Mutter.

Und hier die ganze Liste der Fragen – zumindest die vorher eingesammelten:

  • Spioniert man mich bei Facebook aus?
  • Instagram: Kann sich jemand in meine Kamera hacken und Fotos nehmen?
  • Kann jemand lesen, was wir im Internet schreiben?
  • Kann man die Bilder, die wir posten, für Werbung benutzen?
  • Sind alle Kettenbriefe („schicke das an 10 Personen weiter und Du bekommst…“) fake?
  • Wer hat Facebook erfunden?
  • Kann man mich auf den Netzwerken ausspionieren?
  • Wieso gibt es Cybermobbing und warum machen manche das?
  • Welches der sozialen Netzwerke ist am bedrohlichsten?
  • Wer hat Whats-App erfunden?
  • Ist Cyber-Mobbing schlimmer als normales Mobbing?
  • Sollte man auf einer Sozialen Netzwerk-Seite sein?
  • Wie wurden die Sozialen Netzwerke so erfolgreich?
  • Warum gibt es WhatsApp nur für Handy und nicht für Tablets?
  • Warum muss man auf Facebook seine Identität bestätigen?
  • Sind alle Sozialen Netzwerke sicher?
  • Gibt es viele Leute, die die sozialen Netzwerke missbrauchen?
  • Wenn man was auf Deutsch schreibt, können andere Menschen, die die Sprache nicht sprechen, den Post automatisch lesen (wird er automatisch übersetzt)?
  • Wieso wurde Faceboook gegründet?
  • Ist es möglich, Cyber-Mobbing zu verhindern?
  • Welches soziale Netzwerk ist am sichersten?
  • Wozu ist Snapchat gut?
  • Warum kann man Kommentare, die andere Leute beschimpfen, nicht blockieren?
  • Wie kommt man zu Bing?
  • Wie entstehen soziale Netzwerke?
  • Ab wie vielen Jahren darf man soziale Netzwerke benutzen?
  • Sagen Sie uns jetzt, dass WhatsApp und so doof ist?
  • Kann jeder einfach mein Kontakt sein?
  • Wie funktioniert Werbung in sozialen Netzwerken?

Zum Weiterlesen:

Osterbesuch mit Kindern in Moskau

Ein Facebook-Trick für große Nachrichtenlagen

Color Run in Moskau – alles so schön bunt hier

Man muss gar nicht mitlaufen beim Color Run, um eine Breitseite Farbe abzubekommen. Anfeuern und dann noch ein bisschen bleiben reicht völlig. Denn nach dem Lauf treffen sich alle, die auf der Strecke noch nicht genug Farbe abbekommen haben, vor der Bühne.

„Haltet eure Farbpäckchen wie Trinkgläser,“ ruft die Mikrofonstimme. Dann beginnt der Countdown – und alles wird bunt. (Der Ton zum Video lässt sich unten rechts anschalten.)

Putin der Woche (XXIV)

Putin Onesie

Gesehen: Beim Flohmarkt in St. Andrews, Moskaus englischer Kirche.

Begleitung: Camouflage-Hose. Hut. Sonnenbrille. Angel.

Text: „Wladimir ist echter Mann“

Subtext: Ein я anstelle eines R. Ein fehlender unbestimmter Artikel. Und Putin in der klassischen Variante, als Outdoor-Kerl mit ohne Hemd. Du, lieber Träger dieses Leibchens, wirst in eine komplizierte Welt hineinwachsen. Gut, dass es da wenigstens ein paar Konstanten gibt.

Oben-Ohne-Punkte: 10/10, endlich mal wieder

„Archanoid“- das Handy-Spiel zu Moskaus verlorener Architektur

„Sie haben Chamowniki zerstört – Glückwunsch!“ Egal, ob die da gutes Bier brauen, egal, ob man da schön spazieren gehen kann, egal, ob eine nette Kollegin da wohnt. Chamowniki ist hin. Mal wieder. Denn seit ein paar Tagen machen die Leser der Nachrichtenseite Meduza Moskauer Stadtteile platt, mit dem Handy. Und Chamowniki ist eines der Level, das man in der App kostenlos spielen kann.

Archanoid Khamovniki

Das eigentliche Spiel ist alt – Gameboy-Kinder kennen es als „Alleyway“, davor hieß es schon „Breakout“ oder auch „Arkanoid“. Man lenkt einen Ball gegen Steine, angetitschte Steine verschwinden, der Ball kommt zurück, man muss ihn wieder in Richtung der Steine schlagen.

Weil in „Archanoid„, der Moskauer Variante, abgeschossene Steine für historische Gebäude stehen, die hier in den letzten Jahrzehnten abgerissen wurden, erscheint mit jedem Stein oben auf dem Bildschirm der Name des Hauses, das man soeben zerstört hat.

Archanoid Gameplay

In dieser Ansicht ist das eher ein Gimmick – wer nicht gerade im Anfängermodus spielt, hat einfach keine Zeit, ständig hochzublicken und Gebäudeinfos nachzulesen. Das Spiel über einen Smartphone-Touchscreen zu steuern wird ab einem gewissen Tempo ebenfalls zur Herausforderung, weil nur bei extrem trockenen Fingerspitzen alles funktioniert.

Aber abseits von Bällen und Steinen enthält die App eine Enzyklopädie mit Details dazu, wie viel an historischer Architektur in Moskau verloren gegangen ist. Mit Infos zu jedem Bauwerk, das man gerade auf dem Handy weggeballert hat; oft auch mit Fotos. Das erste Haus, das Fjodor Schechtel in Moskau bauen ließ. Moskaus einzige Moschee aus Sowjetzeiten. Das Trubetskoi-Anwesen, ältestes Holzgebäude der Stadt.

Archanoid Enzyklopädie

Und die Achievements, die man im Laufe des Spiels so erreichen kann, sprechen Bände: Zerstöre alle historischen Gebäude, die Moskau unter Bürgermeister Luschkow verloren hat. Zerstöre alle historischen Gebäude, die Moskau unter Bürgermeister Sobjanin verloren hat. Werde Bauunternehmer und kauf Dir das Recht, Moskaus historische Gebäude zu zerstören.

Der Trailer fürs Spiel (zählt das jetzt als Hochkantvideo?) zeigt, welche Bonusse und Spielvarianten es noch so gibt. Aber im Zweifel lohnt, Spiel hin oder her, schon die Architektur-Enzyklopädie die 99 Cent für den Download der Vollversion.

Spaß mit der russischen Post

Mit der russischen Post ist es wie mit den Berliner Taxifahrern: Man kann nie ganz sicher sein, ob man nicht doch gerade in eine Impro-Theateraktion oder ein sonstiges Happening geraten ist.

Eine Briefmarke wollen und einen handtellergroßen Lappen bekommen – okay, da ist wohl ein Ersttagsblatt liegen geblieben. Dem Mann hinterm Schalter „drei Postkarten, bitte nach Deutschland“ geben, worauf er sie zählt und zurückgibt: „Stimmt, sind drei.“ Andere Leute bekommen auch schon mal sexuelle Dienstleistungen angeboten.

So richtig berüchtigt ist Potschta Rossii aber für die Dauer und Unzuverlässigkeit bei der Zustellung. Zu den Faustregeln, die einem die Alteingesessenen hier schnell einbimsen, gehört: „Vermeide die Post, in beide Richtungen.“ Und in der Tat: Auf eine in Köln abgeschickte Weihnachtskarte warten wir inzwischen sieben Monate. Noch ein bisschen länger, und sie wird wieder aktuell.

Zeit also für ein Experiment. Vier Karten, vier Motive, vier Empfänger. Alle in Deutschland, aber schön strategisch verteilt: Hamburg, München, Dortmund, Berlin. Oben, unten, links, rechts – los geht’s.

postkarten

Mittwoch, 20. Mai: Gemeinsam plumpsen die vier Karten in denselben Briefkasten auf der Rückseite des Hotel Ukraina. Gleiche Ausgangslage für alle.

Donnerstag, 21. Mai: Ich sitze in einem Flugzeug nach Düsseldorf und stelle mir kurz vor, die Karten wären im Frachtraum unter mir. Eher unwahrscheinlich, wie sich zeigen wird.

Freitag, 22. Mai: Hätte man die Karten am 20. jemanden in die Hand gedrückt, der mit dem Zug von Moskau Richtung Westen fährt, wären sie jetzt in Deutschland. Stattdessen stehe ich an der Weser und überlege, was wohl der beste Wasserweg von Moskau hierher wäre. Egal, über die Feiertage wird sich eh nichts tun.

Dienstag, 26. Mai: Wären die Karten im Handgepäck mitgeflogen und nach der Landung eingeworfen worden, wären sie spätestens jetzt, am Dienstag nach Pfingsten, bei ihren Empfängern. Bei wichtiger Post ist das darum ein übliches Gespräch unter Moskauer Freunden: Ach, Du fliegst nach Deutschland? Kannst Du einen Brief mitnehmen?

Mittwoch, 27. Mai: 4500 Mitarbeiter der Deutschen Post kommen zu einer Kundgebung in Frankfurt. Es laufen Tarifverhandlungen, Ver.di fordert 5,5 Prozent mehr Lohn. Von den vier Karten keine Spur.

Donnerstag, 28. Mai: Konzertbesuch mit anschließender Übernachtung bei der Dortmunder Postkarten-Adressatin. Haus steht. Hat auch einen Briefkasten. Daran kann’s nicht liegen.

Montag, 1. Juni: Rückflug nach Moskau und das latente Gefühl, dass die Karten da immer noch in einer Postfiliale liegen. Wenn nicht am Grunde des Briefkastens.

Dienstag, 2. Juni: Die russische Post stellt ihre „Filiale der Zukunft“ vor. Sie bekommt demnach viele verschiedene Zonen – eine fürs klassische Postgeschäft, eine fürs Geldabheben und so weiter. Außerdem soll es Terminals geben, die die Kunden selbst bedienen können. Wer in Zukunft die Postkarten nachzählt, bleibt offen.

Mittwoch, 3. Juni: Heute sind die Karten 14 Tage unterwegs. Wenn sie denn unterwegs sind.

Donnerstag, 4. Juni: Ver.di erklärt, dass im Tarifstreit mit der Deutschen Post unbefristete Streiks jederzeit möglich sind. Frank Bsirske versäumt, sich zum Thema „Postverkehr mit Russland“ zu positionieren.

Freitag: 5. Juni: Mit Besuch aus Deutschland durch Moskau schlendern. Den Besuch von der Idee abbringen, Karten nach Hause schicken zu wollen.

Samstag, 6. Juni: „Wer hätte nicht schon die Postmeister verflucht? Wer hätte sich nicht mit ihnen gezankt? Wer hat nicht in zornigen Augenblicken von ihnen das verhängnisvolle Buch gefordert, um eine unnütze Klage über Grobheit, Bedrückung, Fahrlässigkeit und Unzuverlässigkeit einzutragen? Wer hätte sie nicht für Scheusale in Menschengestalt gehalten oder sie doch wenigstens mit den Vizesekretären in Kanzleien oder mit Räubern zusammengestellt?“ Heute vor 216 Jahren wurde Alexander Puschkin geboren; 31 Jahre später begann er mit diesen Worten seine Erzählung „Der Postmeister“.

Die Berliner Karte, mit Beweiskulisse.
Die Berliner Karte, mit Beweiskulisse.

Montag 8. Juni: Morgens eine Nachricht aus Berlin, die erste Karte ist am Ziel! Klar, Ostdeutschland, da war der Weg auch am kürzesten, wobei: München meldet sich kurz darauf und schickt auch direkt ein Beweisfoto. Später zieht Hamburg nach. Drei von vier Karten sind nach 19 Tagen angekommen – und am Nachmittag beginnen unbefristete Streiks bei der Post.

Vorne Moskauer Uni, hinten Hamburger Hafen
Vorne Moskauer Uni, hinten Hamburger Hafen

9. Juni: Einen Tag nach den drei anderen ist nun auch die Dortmunder Karte im Kasten, tief im Westen. So gerade noch durchgeflutscht, ehe der Poststreik richtig greift. Alle vier Karten haben damit ihr Ziel erreicht, alle vier sind – siehe Beweisfotos – dabei heil geblieben.

Moskau und Dortmund - eine Skyline schöner als die andere
Moskau und Dortmund – eine Skyline schöner als die andere

Fazit: Wer es riskiert, seine Post der Potschta Rossii anzuvertrauen, sollte es nicht eilig haben. Knapp drei Wochen muss man schon einplanen – gut zu wissen für Geburtstags-, Weihnachts- und andere Grußkarten. Ob das wohl länger bräuchte, wenn man die nicht von einem zentralen Moskauer Briefkasten aus schickt? Sondern aus Vororten oder gar anderen Städten?

Könnte man gut mal ausprobieren. Aber erst, wenn der Streik in Deutschland durch ist.

Die Münchener Karte mit original Münchener Mac-Tastatur
Die Münchener Karte mit original Münchener Mac-Tastatur

Danke an Antonia, Dominic, Katharina und Kiki!