Spaß mit der russischen Post

Mit der russischen Post ist es wie mit den Berliner Taxifahrern: Man kann nie ganz sicher sein, ob man nicht doch gerade in eine Impro-Theateraktion oder ein sonstiges Happening geraten ist.

Eine Briefmarke wollen und einen handtellergroßen Lappen bekommen – okay, da ist wohl ein Ersttagsblatt liegen geblieben. Dem Mann hinterm Schalter „drei Postkarten, bitte nach Deutschland“ geben, worauf er sie zählt und zurückgibt: „Stimmt, sind drei.“ Andere Leute bekommen auch schon mal sexuelle Dienstleistungen angeboten.

So richtig berüchtigt ist Potschta Rossii aber für die Dauer und Unzuverlässigkeit bei der Zustellung. Zu den Faustregeln, die einem die Alteingesessenen hier schnell einbimsen, gehört: „Vermeide die Post, in beide Richtungen.“ Und in der Tat: Auf eine in Köln abgeschickte Weihnachtskarte warten wir inzwischen sieben Monate. Noch ein bisschen länger, und sie wird wieder aktuell.

Zeit also für ein Experiment. Vier Karten, vier Motive, vier Empfänger. Alle in Deutschland, aber schön strategisch verteilt: Hamburg, München, Dortmund, Berlin. Oben, unten, links, rechts – los geht’s.

postkarten

Mittwoch, 20. Mai: Gemeinsam plumpsen die vier Karten in denselben Briefkasten auf der Rückseite des Hotel Ukraina. Gleiche Ausgangslage für alle.

Donnerstag, 21. Mai: Ich sitze in einem Flugzeug nach Düsseldorf und stelle mir kurz vor, die Karten wären im Frachtraum unter mir. Eher unwahrscheinlich, wie sich zeigen wird.

Freitag, 22. Mai: Hätte man die Karten am 20. jemanden in die Hand gedrückt, der mit dem Zug von Moskau Richtung Westen fährt, wären sie jetzt in Deutschland. Stattdessen stehe ich an der Weser und überlege, was wohl der beste Wasserweg von Moskau hierher wäre. Egal, über die Feiertage wird sich eh nichts tun.

Dienstag, 26. Mai: Wären die Karten im Handgepäck mitgeflogen und nach der Landung eingeworfen worden, wären sie spätestens jetzt, am Dienstag nach Pfingsten, bei ihren Empfängern. Bei wichtiger Post ist das darum ein übliches Gespräch unter Moskauer Freunden: Ach, Du fliegst nach Deutschland? Kannst Du einen Brief mitnehmen?

Mittwoch, 27. Mai: 4500 Mitarbeiter der Deutschen Post kommen zu einer Kundgebung in Frankfurt. Es laufen Tarifverhandlungen, Ver.di fordert 5,5 Prozent mehr Lohn. Von den vier Karten keine Spur.

Donnerstag, 28. Mai: Konzertbesuch mit anschließender Übernachtung bei der Dortmunder Postkarten-Adressatin. Haus steht. Hat auch einen Briefkasten. Daran kann’s nicht liegen.

Montag, 1. Juni: Rückflug nach Moskau und das latente Gefühl, dass die Karten da immer noch in einer Postfiliale liegen. Wenn nicht am Grunde des Briefkastens.

Dienstag, 2. Juni: Die russische Post stellt ihre „Filiale der Zukunft“ vor. Sie bekommt demnach viele verschiedene Zonen – eine fürs klassische Postgeschäft, eine fürs Geldabheben und so weiter. Außerdem soll es Terminals geben, die die Kunden selbst bedienen können. Wer in Zukunft die Postkarten nachzählt, bleibt offen.

Mittwoch, 3. Juni: Heute sind die Karten 14 Tage unterwegs. Wenn sie denn unterwegs sind.

Donnerstag, 4. Juni: Ver.di erklärt, dass im Tarifstreit mit der Deutschen Post unbefristete Streiks jederzeit möglich sind. Frank Bsirske versäumt, sich zum Thema „Postverkehr mit Russland“ zu positionieren.

Freitag: 5. Juni: Mit Besuch aus Deutschland durch Moskau schlendern. Den Besuch von der Idee abbringen, Karten nach Hause schicken zu wollen.

Samstag, 6. Juni: „Wer hätte nicht schon die Postmeister verflucht? Wer hätte sich nicht mit ihnen gezankt? Wer hat nicht in zornigen Augenblicken von ihnen das verhängnisvolle Buch gefordert, um eine unnütze Klage über Grobheit, Bedrückung, Fahrlässigkeit und Unzuverlässigkeit einzutragen? Wer hätte sie nicht für Scheusale in Menschengestalt gehalten oder sie doch wenigstens mit den Vizesekretären in Kanzleien oder mit Räubern zusammengestellt?“ Heute vor 216 Jahren wurde Alexander Puschkin geboren; 31 Jahre später begann er mit diesen Worten seine Erzählung „Der Postmeister“.

Die Berliner Karte, mit Beweiskulisse.
Die Berliner Karte, mit Beweiskulisse.

Montag 8. Juni: Morgens eine Nachricht aus Berlin, die erste Karte ist am Ziel! Klar, Ostdeutschland, da war der Weg auch am kürzesten, wobei: München meldet sich kurz darauf und schickt auch direkt ein Beweisfoto. Später zieht Hamburg nach. Drei von vier Karten sind nach 19 Tagen angekommen – und am Nachmittag beginnen unbefristete Streiks bei der Post.

Vorne Moskauer Uni, hinten Hamburger Hafen
Vorne Moskauer Uni, hinten Hamburger Hafen

9. Juni: Einen Tag nach den drei anderen ist nun auch die Dortmunder Karte im Kasten, tief im Westen. So gerade noch durchgeflutscht, ehe der Poststreik richtig greift. Alle vier Karten haben damit ihr Ziel erreicht, alle vier sind – siehe Beweisfotos – dabei heil geblieben.

Moskau und Dortmund - eine Skyline schöner als die andere
Moskau und Dortmund – eine Skyline schöner als die andere

Fazit: Wer es riskiert, seine Post der Potschta Rossii anzuvertrauen, sollte es nicht eilig haben. Knapp drei Wochen muss man schon einplanen – gut zu wissen für Geburtstags-, Weihnachts- und andere Grußkarten. Ob das wohl länger bräuchte, wenn man die nicht von einem zentralen Moskauer Briefkasten aus schickt? Sondern aus Vororten oder gar anderen Städten?

Könnte man gut mal ausprobieren. Aber erst, wenn der Streik in Deutschland durch ist.

Die Münchener Karte mit original Münchener Mac-Tastatur
Die Münchener Karte mit original Münchener Mac-Tastatur

Danke an Antonia, Dominic, Katharina und Kiki!

2 Gedanken zu „Spaß mit der russischen Post“

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