Durchs wilde Kirgistan

Eine Jurte mit der kirgisischen Flagge, auf der wiederum ein Teil eines Jurtendachs abgebildet ist
Eine Jurte mit der kirgisischen Flagge, auf der wiederum ein Teil eines Jurtendachs abgebildet ist

Landschaftsformen: 5 bis 6

Was da alles drinsteckt, in diesem gar nicht so großen Land! Mal sind es Bergwiesen, satt und grün und lieblich, mit rauschendem Wasser, wilden Pferden und hier und da einer Jurte. Dann ein Canyon, knallrot und heiß, auf dessen staubtrockenen Felsen sich Eidechsen sonnen. Der Yssykköl, zweitgrößter Gebirgssee der Welt, ein paar Angler oder Badende am Rand und sonst nur Wasser bis zum Horizont. Steppe hier. Halbwüste dort. Und immer das Bedüfrnis: noch ein bisschen bleiben, noch etwas länger gucken, noch ein paar Fotos machen.

Im Skaska-Canyon sollen die Felsen an Märchenfiguren erinnern
Im Skaska-Canyon sollen die Felsen an Märchenfiguren erinnern

Mitgebrachte Infusionsbestecke: 3

Wenn auf der Kofferpackliste neben festen Schuhen, Fleecejacke und Sonnenschutz auch Einwegspritzen und Infusionsbestecke stehen, dann hat das Auswärtige Amt mitgeschrieben. Erst fühlte sich das ein bisschen übervorsichtig an – ich werd mir ja wohl nicht zwei Jahre in Folge im Urlaub was brechen. Dann saßen wir abends mit ein paar Freunden zusammen, die alle selbst gerne reisen und teilweise auch für Unternehmen arbeiten, wo Aufenthalte in Ländern mit nicht so guter ärztlicher Versorgung zum Job gehören.

„Spritzen und Infusionsbestecke, das ist ja gar nichts. Bei uns ist neulich ein Kollege nach Indien gereist, dem hat der Betriebsarzt ein komplettes sterilisiertes OP-Besteck mitgegeben.“ – „Ist bei uns auch so, und du kriegst das alles nur, wenn du auch gleichzeitig die Kondome mitnimmst, die er dir mitgibt.“ – „Stimmt, das hatte ich auch schon mal, drei Stück waren das damals.“ – „Nee, heute nur noch eines, wir müssen ja sparen.“

Die russisch-orthodoxe Kirche von Karakol
Die russisch-orthodoxe Kirche von Karakol

Gelesene Buchseiten: unter 100

Sonst war es immer so einfach: Einer fährt, der andere liest und guckt zwischendurch in die Landschaft. Wenn allerdings aus der Straße eine Schotterpiste wird, aus der Schotterpiste ein Trampelpfad und aus dem Trampelpfad irgendwann fast blanker Felsboden, ist er schwer, den Blick auf der Zeile zu halten. Einerseits.

Andererseits soll das nicht heißen, dass der Urlaub frei war von literarischen Stilmitteln, ganz konkret: dem inneren Monolog: Oh mein Gott, da sollen wir rauf? In einem Auto? Ist das nicht ziemlich steil, und schmal, und dann zur Seite plötzlich… okay, der da drüben macht das in einem alten Golf, und ich fahr hier einen Jeep. Aber der ist auch Kirgise! Der hat Übung, Gene… ach guck, hat doch geklappt. Und das da vorne über den Fluss, das soll also eine Brücke… aber… haben Brücken nicht normalerweise Geländer? Und eine ebene Oberfläche statt grob nebeneinander montierte Baumstämme? Das wird nichts. Das kann ich nicht. Wir werden alle sterben, oder zumindest umkippen, oder…

Und laut dann: „Oh Mann, der Blick hier oben. Toll, oder?“ – „Ja, toll.“

Felsen am Südufer des Yssykköl
Felsen am Südufer des Yssykköl

Gescheiterte Polizei-Abzocken: 1

Die Polizei in Kirgistan ist legendär korrupt. Autovermieter, Reiseblogger, Bekannte, alle waren sich einig in ihrer Warnung. Wir hatten uns also vorbereitet: bloß ein paar kleine Som-Scheine ins Portemonnaie und, Faustregel: Wir können heute leider mal so gar kein Russisch. Gesehen haben wir täglich zwei, drei Geschwindigkeitskontrollen, rausgewunken wurden wir erst am vorletzten Tag, in einer 40-km/h-Zone.

Ich wusste, mehr als 35 war ich nicht gefahren – schon wegen der Schlaglöcher. Der Polizeimann sah das anders, tippte Zahlen auf seinem Handy-Taschenrechner und erklärte auf Russisch: „Hier ist 40. Sie sind 52 gefahren. 3000 Som Strafe.“ Ich: „Why?“ Er: „Hier ist 40. Sie sind 52 gefahren. 3000 Som Strafe.“ Ich: „I don’t understand.“ Nächste Eskalationsstufe: Er malt die 40 und die 52 auf einen Zettel (vielleicht liegt’s am Medium, dass die komische Ausländerin nichts versteht?) und fordert nun auch nur noch 2000 Som.

Ein paar Runden haben wir das Spiel noch gespielt, er mit seinen Zahlen, ich mit „Why“, „I don’t understand“, „I don’t speak Russian“. Dann war es ihm irgendwann zu viel kostbare Zeit, in der man gefügigere, sprachkompetentere Autofahrer hätte abzocken können. Wir fuhren weiter. Mit 35, höchstens.

Der Strand in Bosteri am Nordufer, fotografiert aus der Gondel eines Riesenrads
Der Strand in Bosteri am Nordufer, fotografiert aus der Gondel eines Riesenrads

Staatstragende Motivationskampagnen: 1

Im Vergleich zu vielen anderen -Stanen ist Kirgistan etwas demokratischer, es gab hier seit dem Ende der Sowjetunion schon eine ganze Reihe Präsidenten, einmal sogar eine Präsidentin. Der aktuelle Amtsinhaber, Almasbek Atambajew, wird denn auch nicht so sehr wie seine Kollegen aus den Nachbarländern als omnipräsenter, sonnengleicher Führer inszeniert. Nur einmal ist uns eines seiner Porträts begegnet, am Zaun zu einem Museumsgelände.

Durchaus postsowjetisch fühlt sich dagegen die Plakatkampagne an, deren zahlreiche Motive an den größeren Straßen stehen: Mal sind es uniformierte Soldaten, mal ein Mähdrescher, mal Ärzte im OP, mal Frauen in der Landwirtschaft. Begleitet werden sie vom immer gleichen knappen Slogan, auf Kirgisisch und Russisch: „Wir arbeiten!“ Ob das nun eher „Komm, pack an!“ vermitteln soll oder „Es gibt auch hier Arbeitsplätze, nicht alle müssen nach Russland abwandern“ – schwer zu sagen. 

Frauen verkaufen Kurut auf dem Osch-Basar in Bischkek
Frauen verkaufen Kurut auf dem Osch-Basar in Bischkek

Tage, die mit Kascha begannen: 7

Tage, die mit Lagman – dicken Nudeln mit Gemüse, serviert im Sud und mit vielen Kräutern – endeten: 5. Auch sonst war beim Essen einiges neu fur uns: „Koreanischer Möhrensalat“ zum Beispiel, der ungefähr so koreanisch ist wie Spaghetti-Eis italienisch. Kurut, kleine harte Knubbel, für die Joghurt getrocknet, gesalzen und gerollt wird.

Geröstete Bohnen vom Basar, die man wie Pistazien aus ihrer Schale fischt und dann knabbert. Und Tschalap, ein Getränk wie Ayran, nur salziger und mit viel Kohlensäure. In Bischkek sitzt an jeder zweiten Straßenecke eine Frau mit einem Tschalap-Fass. Vor allem bei 36 Grad zu Beginn unserer Reise genau das richtige Getränk.

Das Ortseingangsschild von Rotfront
Das Ortseingangsschild von Rotfront

Deutsche Spuren: viele

Der Ort „Rotfront“, gegründet von deutschen Mennoniten im Jahr 1927 als „Bergtal“. Die vielen Marx- und Engels- sowie gelegentlichen Thälmannstraßen. Vor allem aber: Autos. Was in Deutschland fürchten musste, nicht mehr durch den TÜV zu kommen oder einfach durch neuere Modelle ersetzt wurde, fährt nun über die Straßen von Kirgistan.

Was haben wir alte Audis gesehen, die sich tapfer über Schotterpisten kämpften. Und die Klein- und Großlaster erst, oft noch mit den ursprünglichen Werbeaufschriften: „www.Reifers-Reisen.de“ – „Otte: Qualitätsgemüse frisch aus deutschen Landen – schmackhaft und gesund“. Nur der Mercedes Sprinter vom Hüpfburgverleih, der kam aus Holland.

Unterwegs mit zwei PS
Unterwegs mit zwei PS

Ungelöste Globalisierungsrätsel: 2

Alte Frachtcontainer sind hier als Baumaterial, sogar als Wohngebäude populär. Wir sind an großen Geländen vorbeigefahren, die komplett mit Containerwänden umzäunt waren, Kirchen mit einem Container als Nebengebäude, sogar ein Haus, das einfach aus sechs gestapelten Containern bestand. Ob das billiger ist als Mauern? Hier, wo doch an vielen Orten Ziegelsteine hergestellt werden?

Vor allem aber, Rätsel Nummer zwei: Warum sieht man hier ständig Plastiktüten von Morrisons, der britischen Supermarktkette? Obst auf dem Basar – in der Morrisonstüte. Mineralwasser im Laden – in der Morrisonstüte. Selbst im Hotelbadezimmer hängt eine Morrisonstüte im Mülleimer, eine obdachlose Frau in Bischkek trägt ihre Habseligkeiten in drei Morrisonstüten rum. Morrisons hat keine Filialen in Kirgistan, es reicht außerhalb der britischen Inseln gerade mal für Gibraltar. Also, werden die Tüten nebenan in China hergestellt und beim Transport über Land ist regelmäßig ordentlich Schwund? Oder kann es daran liegen, dass es alles Tüten mit dem alten Logo sind, die in Großbritannien keiner mehr haben wollte? Und dann wurden die irgendwie nach Kirgistan verramscht?

Angeln mit Bergpanorama
Angeln mit Bergpanorama

Fotografierte Bushaltestellen: 8

Ob alte deutsche Audis oder neue japanische Modelle: ein Auto ist etwas, das sich bei weitem nicht jeder in Kirgistan leisten kann. Tatsächlich sieht man ab und an noch Eselskarren, wirklich entscheidend für die Fortbewegung sind aber Marschrutki, die weißen Sammeltaxis. Egal, ob du vom Stadtzentrum von Bischkek schnell mal zum Basar willst oder von einer Stadt hunderte Kilometer in die nächste: Die Marschrutka bringt dich hin. Und wo Busse fahren, braucht man Bushaltestellen.

Die Exemplare an unserer Route waren, immer wieder, Kompromisse zwischen Beton und Spieltrieb. Seltsam, wie viele unterschiedliche Formen man finden kann für ein Dach mit Stützen und eventuell noch einer Rückwand. Fliesen, Mosaike, Putz, alles nicht mehr ganz neu. Aber in all seinem bröckeligen, verspielten Charme doch immer wieder ein Grund, langsam zu fahren, anzuhalten und etwas zu fotografieren, das in keinem Reiseführer als Sehenswürdigkeit vorkommt.

Jurtenlager in Bokonbajewo
Jurtenlager in Bokonbajewo

Die Fotos hat übrigens Markus gemacht, mehr hier.

Donnerstags bis 21 Uhr geöffnet

Moskau Museum Oldtimer kscheib

19.50 Uhr. Kasse des Museums der Stadt Moskau.

– Guten Tag, eine Eintrittskarte für „Kleider und Autos“, bitte.
– Auf 1000 Rubel kann ich nicht rausgeben.
– Okay, dann kauf ich die Karten für meine Freunde gleich mit – drei Stück, dann müssen Sie nur 400 rausgeben.
– Ich kann überhaupt nichts rausgeben. Das Geld ist schon gezählt und weggepackt. (geht ab)

20.04 Uhr.
– Hi, da bist Du ja. Ich sag Dir gleich, das wird nichts, die wollte mir eben kein Ticket verkaufen und jetzt ist sie weg.
– Vielleicht weiß die andere ja was? Hallo, wir möchten gerne Karten für „Kleider und Autos.“
– Das ist zu spät.
– Aber das Museum hat doch heute bis neun auf!
– Schon, aber Karten gibt es nur bis acht.
– Ist da nicht noch ein bisschen Spielraum?
– Weiß ich nicht, ich mach hier nur die Garderobe. Aber versuchen Sie’s mal in Gebäude 3.

20.08 Uhr. Gebäude 3. Hinter der Theke ziehen sich zwei ältere Damen gerade ihre Jacken an, eine junge Frau im Jeanskleid mustert uns und nimmt das Gespräch sofort auf Englisch auf.
– Guten Abend, wir möchten die Ausstellung „Kleider und Autos“ sehen, aber die Kasse war nicht mehr besetzt.
(Sie spricht mit ihren Kolleginnen.) Tut uns leid, aber es ist schon nach acht, Karten gibt es nur bis acht.
– Ich hab es um zehn vor schon versucht, da war die Kasse auch schon zu.
– Hm, ich frag meine Kollegin noch mal. (…) Nein, es tut mir so leid, aber sie sagt, sie kann Ihnen keine Tickets mehr verkaufen.
(Die beiden älteren Damen ziehen Mützen und Handschuhe an und gehen.)
– Das ist aber schade, wir hatten uns so auf die Ausstellung gefreut!
– Warten Sie mal. (Die Frau im Jeanskleid spricht mit dem Wachmann. Die Frau im Jeanskleid spricht mit den beiden Wärterinnen. Die Frau im Jeanskleid kommt zurück.) So. Sie können die Ausstellung sehen, und Sie brauchen auch keine Tickets zu kaufen. Bitte, seien Sie unsere Gäste, wir laden sie ein!
– Wow, herzlichen Dank! Wir haben aber ja auch das Geld, wir können das bei Ihnen lassen und Sie tun es morgen früh in die Kasse.
– Das ist nett, aber das wird zu kompliziert, morgen arbeite ich auch nicht. Schauen Sie sich einfach um. Wir schließen um 20.50 Uhr.

(„Kleider und Autos“, noch bis Sonntag, 20. März. Eintritt 200 Rubel, ermäßigt 100, Öffnungszeiten – nun ja.)

Moskau Museum Mode

Mit Top Gear von der Ukraine Richtung Weißrussland

Als wir noch recht neu hier in Moskau waren, hing in vielen Metro-Zügen Werbung für die Live-Show von „Top Gear“. Hingegangen sind wir zwar nicht, so gerne ich mal eine Runde Auto-Fußball live gesehen hätte – noch zu viele Baustellen, zu viel Trubel im Leben. Aber zu den Moskauern und ihrer Liebe für protzige, dicke Autos, die reichlich billigen Sprit wegsaufen, passt die Sendung ausgezeichnet.

Wenn aus einem Fiat Panda eine Stretch-Limo wird, aus einem anderen Kleinwagen ein Space Shuttle oder für eine Fahrt zum Nordpol die Reifen mit Wodka gekühlt werden, dann läuft Top Gear. (Ganz abgesehen von den Prominenten im „reasonably priced car“, von denen man sich immer gut ein paar Clips angucken kann.) Es gab hier in Russland sogar mal einen eigenen Ableger der Show, aber der war ein Flop – die Russen wollten lieber das britische Original sehen. Wer mal beim Durchschalten auf N24 „Top Gear USA“ erwischt hat, kann das Gefühl vermutlich nachvollziehen.

An die Originalsendung mit Jeremy Clarkson, Richard Hammond und James May kommt halt kein Ableger ran – auch wenn Clarkson ein ziemlicher Möpp ist, mit zweifelhaftem Humor und Kolumne in der Sun. Darum hier ein kleiner Wochenendfund: Clarkson, Hammond und May fahren durch die Ukraine, in besonders sparsamen Wagen. Ihre Aufgabe: Den Tank trotzdem möglichst schnell leerfahren – denn ihre Route führt Richtung Weißrussland, nach Tschernobyl.