Manchmal, auf Reisen, glaubt man schon zu wissen, was hängenbleiben wird. Welche Eindrücke Bestand haben, welche Anekdoten man immer wieder erzählen wird. Kann sein, dass diese Ahnung sich bestätigt. Oder sie ist schon am nächsten Tag überholt, weil man noch so viel mehr erlebt, das sich einprägt.
Weißt Du noch, damals, in Aserbaidschan, was das für ein Tamtam war mit dem Visum? Seitenweise Formularkram, seltsame Transaktionen per Western Union. Lassen die uns rein, obwohl wir Journalisten sind? Obwohl wir letztes Jahr in Armenien waren? Hast Du auch die Geschichte gesehen von dem Franzosen, den sie am Flughafen einfach wieder zurückgeschickt haben?
Im Land dann plötzlich das Gegenteil, das große Willkommen: Wie in der Bibi-Heybat-Moschee die eine Frau mich an der Hand genommen hat, sich mitten unter diese smaragdgrüne Kuppel gekniet hat, mich mit runtergezogen und „Molitwa“ gesagt hat? Wie der Aufpasser meinte, nee, hier keine Fotos, aber ihr könnt gerne mal in den Gebetsraum für Männer gucken, Du gehst rein, Du guckst hier von der Türschwelle aus, ach komm, ich zeig euch auch noch den für Frauen, der wird eh gerade renoviert, da könnt ihr auch Fotos machen. Schön hier? Schön. Da, nehmt noch ein paar Bonbons mit. Frohes Nourouz!
Weißt Du noch, damals, in Aserbaidschan, wie wir zu den Schlammvulkanen wollten, aber unserem Fahrer das nach einem Tag Dauerregen zu riskant war (oder sein Auto einfach zu weiß)? Wie er uns ein Taxi rangeholt hat, roter Lada, die Sitze natürlich mit Häkelüberzug und der Fahrer mit einer Strategie: Wenn die Straße (im weitesten Sinne, Piste oder Suhle trifft es besser) glitschig und aufgeweicht ist, fahren wir halt querfeldein.
Durch die wilde Müllkippe, wo Kühe Plastiktüten im Mund tragen, dann immer an den Strommasten entlang, über Feld, Steine, Gestrüpp. Schräg herunter in die Gräben, um nicht umzukippen. Und gegen die Schlammvariante von Aquaplaning (Lutoplaning?) reißt der Fahrer einfach das Lenkrad alle paar Sekunden von scharf links nach scharf rechts, was nicht funktionieren sollte, aber funktioniert. Respekt dem Manne, der seinen Lada fährt, als hätte er Allradantrieb! Singt ihm Lieder! Und haltet euch fest auf dem Rückweg, wo er dieselbe Heldenleistung noch einmal vollbringt – diesmal aber einhändig, weil die andere Hand eine Zigarette hält.
Weißt Du noch, damals, in Aserbaidschan, dieses Bergdorf im Großen Kaukasus? Die schmalen Gassen, die Schneeschmelze – und der verdammt schmerzhafte Moment, wenn beides zusammen einem die Füße unterm Hintern wegschlägt und die Hand danach nicht mehr schön linear eine Verlängerung des Armes bildet, sonder das Ganze eher versetzt aussieht, wie ein Inbusschlüssel? Die Eskorte zur örtlichen Heilerin, die einen Blick drauf wirft und sagt, das fass ich nicht an, geh zum Arzt – aber immerhin ein Taschentuch voll Schnee drumknotet? Wie das Krankenhaus in der nächsten Stadt – frohes Nouruz! – leider zu ist, der Arzt aber zuhause auf seiner Terrasse zwischen Gartenstühlen und Kartoffelsack einen Blick auf die Hand wirft, sie abtastet, das Gelenk – zack – wieder einrenkt, lautes deutsches Fluchen ignoriert und lobt: Tapfer, gar nicht geweint!
Wie wir daraufhin ein paar Häuser weiter zum Tee eingeladen sind, was heißt: Tee, Brot, kleine Oliven, Rosinenreis, duftendes Lamm mit Aprikose, Salat, Ayran mit Kräutern. Dazu Gespräche auf Russisch, Schäkern mit den zwei wuseligen kleinen Kindern und eine Führung durchs Haus: „Mein Vater war Architekt, und zur Sowjetzeit musste alles, was man baute, gleich aussehen.“ Das hat er bei seinem eigenen Haus so entschlossen kompensiert, dass dessen riesiges Wohnzimmer nun also eine Freitreppe hat, blaurotgrün blinkende Lichtinstallationen unter der Decke und einen Springbrunnen.
Später, abends in Baku, werden wir noch eine ganze Reihe Ärzte kennenlernen, die sich uns Zugereisten auf Englisch als „Doctor + Vorname“ vorstellen. Doctor Ruslan, Doctor Tanya und Doctor Katya werden noch zwei Brüche im Arm finden, dazu einen Orthopäden, der sie richtet, und eine Anästhesistin, die sagt: „Normal dauert das fünf Minuten, bei uns sogar nur drei.“ Es wird, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, Frotzeleien zwischen einem aserbaidschanischen Arzt und seiner armenischen Assistentin geben, eine Gipsschiene, Wartezimmer-Fernsehen, in dem gerade ein Koch Parmesanstücke mit Schokolade überzieht, Blaulicht, Propofol und die Frage, ob das mit den Flüchtlingen in Deutschland wirklich so schlimm ist oder wieder nur russische Fernsehpropaganda. Aber das kommt später. Erst mal gehen wir aus dem Springbrunnenzimmer zurück in die Küche unserer Gastgeber und setzen uns wieder an den Tisch. Baklava kann man auch einhändig essen. Noch einen Tee? Frohes Nourouz!
Öha – erinnern wir uns an deinen Arm oder an den Arm der Begleitung? Wessen auch immer: Gute Heilung!
Wir erinnern uns an meinen – der seinerseits aber so nett ist und sich selbst nicht allzu schmerzhaft in Erinnerung ruft.
Was für eine wundervolle Geschichte! Hat das Tempo, das ich bei der Ladafahrt bergab vermute.
Danke! Die Fahrt war in der Ebene, aber so rasant, als ginge es hin wie zurück bergab.
Sehr anschaulich geschrieben – alles Gute dem Arm.
Ich bin einer von denen, der nur bis zum Transitraum in Baku gekommen ist – im deutschen Text der Aserbaidschanischen Botschaft in Wien stand nichts von „invitation“ in der englischen Version schon.
„If you run with me you can fly with the same plane home“ hat der nette Herr vom Austrian Bodenpersonal zu mir gesagt – aber es steht hoch oben auf der Reise-Wunschliste.