Russball, Folge 44: Die Mutter aller WM-Reiseführer

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Diese Russball-Ausgabe ist etwas anders als sonst. Ich treibe mich mal wieder rum in der Welt, außerhalb von Russland und meist offline. Aktuelles aus dem russischen Fußball gibt es hier also diesmal nicht, dafür aber etwas, das ich seit langem schon mal zusammenstellen wollte.

So viele Leute und Redaktionen haben inzwischen ihre Reiseführer zu den russischen WM-Gastgeberstädten veröffentlicht, unterschiedlich erhellend und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Hinzu kommen die Infos, die abseits der WM schön länger existieren. Aus all dem zusammen habe ich hier, Stadt für Stadt, das Beste rausdestilliert. Die Mutter aller WM-Reiseführer, damit ihr euch nicht selbst durch den Wust an Angeboten lesen müsst. Also: Willkommen auf der Metaebene und viel Spaß bei der Reiseplanung!

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⚽ Nischni Nowgorod. „The city with the best commute“ hat der Guardian Nischni Nowgorod mal genannt, die Stadt mit dem besten Weg zur Arbeit. Denn den legen einige Menschen hier inzwischen mit der Seilbahn zurück, wenn ihr Privatleben auf der einen Seite der Wolga stattfindet und ihr berufliches auf der anderen. Bei Wikitravel sind sie in Sachen Sehenswürdigkeiten nicht unnötig überschwänglich: „Im Kreml gibt es eine Kirche, ein Kriegsdenkmal mit ewiger Flamme, ein annehmbares Kunstmuseum“, der Lonely Planet warnt vor einem „Mangel an guten Hotels“, weist aber immerhin auf schöne Restaurants in Kremlnähe hin (konkrete Restauranttipps hier). Was auch interessant klingt: diese Liste von Herrenhäusern, in einem von ihnen soll Peter der Große übernachtet haben.

Was muss man übers Stadion von Nischni Nowgorod wissen? 45.000 Sitze, die Architektur soll an die Wellen der Wolga erinnern. Nach der WM soll hier der örtliche Zweitligaverein Olimpjets Nischni Nowgorod seine Heimspiele austragen.

⚽ Jekaterinburg. Das Stadion in der östlichsten WM-Stadt ist vor alle für seine Tribüne bekannt, die aus dem Gebäude seitlich herausragt – das sorgt für spektakuläre Bilder. Fußballerisch ist Jekaterinburg allerdings keine Heldenstadt, aber immerhin hat Nationalspieler Fjodor Smolow mal beim FK Ural gespielt.

In Jekaterinburg wurde einst die russische Zarenfamilie ermordet, das Kulturmagazin „Calvert Journal“ weist auf den Weißen Turm hin, einen Wasserturm, der typisch ist für die Architektur des russischen Konstruktivismus (der Fernsehturm musste ja neulich dran glauben). Wer es lieber etwas nerdiger mag, schaut sich das QWERTY-Denkmal an oder sucht in der Stadt nach Spuren des alljährlichen Straßenkunst-Festivals „Stenograffia“. Oh, und ein Igel-Orakel haben sie in Jekaterinburg auch. Weiter geht’s von der östlichen zur westlichsten WM-Stadt.

QWERTY-denkmal

⚽ Kaliningrad. Geopolitisch wichtig, historisch interessant – über das frühere Königsberg gibt es viel zu erzählen. Das Stadion sollte eigentlich Ende März eröffnet werden, Schalke hatte sich, Gazprom sei Dank, angesagt. Das Spiel fiel aus, offiziell wegen Kälte. Während der WM finden hier mehrere Gruppenspiele statt, danach wird das Stadion „Baltika-Arena“ heißen – nicht nach dem Bier, sondern nach dem örtlichen Fußballclub. Apropos Bier: Von den Bars, in denen man in Kaliningrad Fußball gucken kann, kann ich das „Hmel“ (Hopfen) aus eigener Erfahrung empfehlen.

An jeder Ecke kann man in Kaliningrad Bernstein kaufen, oder noch besser: Man fährt aus der Stadt raus nach Jantarny, in den Ort, der nach dem russischen Wort für Bernstein benannt wurde. 95 Prozent der weltweiten Bernsteinmenge kommt hierher. Die offizielle FIFA-Seite empfiehlt, wenn auch in arg holprigem Deutsch, eine ganze Reihe Museen, von denen viele einen Deutschland-Bezug haben. Am Wichtigsten ist aber, dass in Kaliningrad Immanuel Kant geboren wurde und dort auch beerdigt ist. Fußball und Kant – die Verbindung liegt auf der Hand:

⚽ Rostow am Don. Ich bin ja arg versucht, die Liste der Rostower Sehenswürdigkeiten mit dem „Haus, das auf dem Kopf steht“ zu beginnen. Aber vielleicht fangen wir erst mal mit dem Stadion hier an: Es ist eine von mehreren WM-Arenen, die letztlich bescheidener ausfallen als die ursprünglichen grandiosen Pläne es vorsahen. Nach der WM wird die Zahl der Plätze von 45.000 auf 40.000 reduziert, und selbst die zu füllen dürfte schon eine Herausforderung werden für den FC Rostow.

Rostow ist die Partnerstadt von Dortmund und von Gera und liegt nicht weit von der ukrainischen Grenze. Man kann hier viel über die Geschichte der Donkosaken erfahren oder es sich einfach in einem der Fischrestaurants gut gehen lassen. Das Calvert Journal, immer eine gute Anlaufstelle für nicht ganz so mainstreamige Kulturtipps, weist auch auf Rostows Unterführungen hin, in denen man immer wieder Mosaike aus Sowjetzeiten findet, auch ein Bummel über den Markt klingt nach einer entspannten, nicht ganz so touristischen Idee.

⚽ Kasan. Für Kasan, das muss ich vielleicht vorweg schicken, habe ich eine Schwäche. Die freundlichen Menschen, der Kreml in seiner Kombination aus russischer Orthodoxie und Islam, die Uni, an der Lenin studiert hat. Das wird übrigens, vor allem für chinesische Touristen, ganz gezielt vermarktet. Wikitravel weist zusätzlich auf das „Museum des sozialistischen Lebens“ hin, beim Guardian kann man nachlesen, warum Kasan als Sporthauptstadt Russlands gilt.

Was noch? Mit dem Boot kann man sich von Kasan nach Weliki Bolgar schippern lassen und sich dort den „Tadsch Mahal von Russland“ ansehen (offiziell: die Weiße Moschee). Und wer sich eher für das Stadion interessiert als für Ausflüge ins Umland und Kulturprogramm: Der Guardian erklärt, was das Stadion mit einer Wasserlilie zu tun hat und was sein wichtigstes Alleinstellungsmerkmal ist.

Die Weiße Moschee bei Nacht
Die Weiße Moschee bei Nacht

⚽ Samara. Noch eine WM-Gastgeberstadt an der Wolga, der Fluss prägt das Bild der Stadt. Zu Sowjetzeiten durften Ausländer Samara nicht besuchen, weil die Stadt eine entscheidende Rolle im Raumfahrtprogramm der UdSSR spielte – mehr dazu im örtlichen Raumfahrtmuseum. Der Lonely Planet hält den für Stalin gebauten Bunker für die wichtigste Attraktion der Stadt, Wikitravel zählt eine ganze Reihe an Alternativen auf, die nicht so spektakulär, aber teilweise dennoch interessant sind (Bonus: Viele von ihnen kann man sich vorab per virtueller Tour ansehen).

Zum Stadion: Bilder vom Bau der Samara Arena gibt es hier, aktuell ist es das Stadion, das am weitesten hinter dem Zeitplan zur Fertigstellung hinterherhinkt. Wenn es denn mal fertig ist, soll es knapp 45.000 Zuschauer fassen und, in Anspielung an Samaras Geschichte, aussehen, als sei es gerade aus dem Weltraum gelandet.

⚽ Moskau. Dass Moskau die einzige Gastgeberstadt ist, in der WM-Spiele gleich in zwei Stadien ausgetragen werden, hat der eine oder andere vermutlich schon gehört, vielleicht auch, wie sich die Moskauer Begegnungen auf die beiden Spielorte verteilen und warum das Spartak-Stadion ein Chamäleon ist. Russian Football News hat außerdem einen guten Überblick über die vielen Moskauer Fußballvereine: Dynamo, Lokomotive, Spartak, Torpedo und ZSKA.

Kreml, Roter Platz, Basiliuskathedrale – die Klassikeer muss man hier ja kaum noch erwähnen. Der offizielle FIFA-Guide legt Besuchern neben dem Hotel Ukraina und dem Museum „Garage“ auch das Alte Telegrafenamt ans Herz, vergisst zu letzterem allerdings den Profitipp: Wer seitlich in den Gasjetnij Pereulok abbiegt, am Eingang irgendwas von „Coworking Space“ nuschelt und dann forsch in den Aufzug steigt, kann das Gebäude auch von innen besichtigen. Es ist noch Zeit übrig für einen Tagesausflug ins Umland? Außer dem Goldenen Ring bietet sich auch der Kunstpark in Nikola-Leniwets an.

Das Hotel Ukraina, im Hintergrund das Weiße Haus, Sitz der russischen Regierung
Das Hotel Ukraina, im Hintergrund das Weiße Haus, Sitz der russischen Regierung

⚽ Saransk. Die Hauptstadt von Mordwinien, das klingt erst mal nach Herr der Ringe. Tatsächlich liegt die eher kleine Stadt Stadt östlich von Moskau, ihr im Ausland bekanntester Einwohner ist Gérard Depardieu, der sich ja vor einigen Jahren nach Russland hat einbürgern lassen, der Steuern halber. Der Mann hat dort inzwischen sein eigenes Kulturzentrum. Die Liste der örtlichen Sehenswürdigkeiten ist kurz, zu ihnen gehört sicherlich das Museum für mordwinische Nationalkultur. Wenn das jetzt alles eher enttäuschend klingt, dann soll hier das Calvert Journal zitiert sein: „Saransk ist (…) eine Elegie an Billigbauten mit krass präsentierten farbigen Glasplatten und leuchtend buntem Stuck. Hier kann man die Kontraste, den Irrsinn und die Gastfreundschaft der russischen Provinz in ihrer Bestform erleben.“

Was das Stadion angeht, finden sich in diversen Quellen sehr unterschiedliche Einschätzungen. Während die offizielle FIFA-Seite poetisch textet, der Bau solle „Sonne, Wärme, Offenheit und Gastfreundschaft“ symbolisieren, sieht der Guardian die Vorzüge der Mordwinien-Arena eher nüchtern: Sie „liegt nah genug am Bahnhof wie auch am frisch fertiggestellten Flughafen für alle Fußballfans, denen eher nach Großstadtleben ist.“

⚽ Sotschi. Eigentlich müsste man immer vorweg schicken, dass „Sotschi“ hier nur so halb stimmt – wir reden von Adler, jedenfalls wenn es darum geht, wo die WM-Spiele stattfinden. Der Vorort liegt eine gute halbe Stunde von Sotschis Stadtzentrum entfernt, das kann man gut mit dem Bus fahren oder, für kleines Geld, auch mit dem Taxi. Andererseits, und das ist für anreisende Fans dann wieder sehr praktisch, liegt der Flughafen in Adler, das sorgt für kurze Wege zu vielen Hotels und ins Fischt-Stadion, das tagsüber sehenswert ist und bei Nacht erst recht. Wo kann man schon mal in der Halbzeitpause aufs Meer blicken?

Sotschi selbst ist ein seit Jahrzehnten populärer Bade- und Kurort, nach Restaurants und Cafés muss man also nicht lange suchen. Auch sonst ist die Stadt, sagen wir mal: touristisch durchaus entwickelt. Oder, etwas drastischer formuliert: „Sotschi ist ein heruntergekommenes Paradies mit Neonschildern, seltsamen Geschäften und sonderbaren Kuranwendungen, hat sich aber trotzdem einen gewissen Charme erhalten.“ Zwischen all dem Geblinke und der Musikbeschallung empfiehlt sich ein Besuch im Dendrarium, einer Art botanischen Garten, der am Hang mit Blick aufs Wasser liegt. Kühl, schattig, halbwegs leise – der perfekte Ort an einem heißen Sommertag.

Auf dem Weg ins Fischt-Stadion in Adler
Auf dem Weg ins Fischt-Stadion in Adler

⚽ Wolgograd. Das Stadion – 45.000 Plätze, ab 2014 ohne größere Zwischenfälle gebaut – liegt in Sichtweite der wichtigsten Wolgograder Sehenswürdigkeit: Auf dem Mamajew-Hügel erinnern eine riesige Frauenstatue und eine Gedenkhalle mit ewiger Flamme an die Opfer der Schlacht von Stalingrad. Selbst bei den Vorbereitungen für den Stadionbau wurden nicht explodierte Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. An neun Tagen im Jahr heißt die Stadt im Gedenken immer noch „Stalingrad“ statt „Wolgograd“.

Wer in Wolgograd lecker essen gehen will, orientiert sich am besten am „Foodball“-Blog, das Wolgograder Sprachstudenten auf Deutsch, Englisch und Russisch betreiben. Und biegt danach vielleicht noch Richtung „Alaska Bar“ ab – dort soll es Wassermelonenbier geben. Wenn das kein Alleinstellungsmerkmal ist.

⚽ Sankt Petersburg. Hier hat der russische Fußball seine Wurzeln, hier wurde selbst während der Belagerung im Zweiten Weltkrieg noch Fußball gespielt, um die Moral in der Bevölkerung zu unterstützen. Natürlich schaut man sich hier die Eremitage, den Newski-Prospekt und die Isaakskathedrale und die Admiralität an, dazu die Auferstehungskirche und und und… ihr seht das Problem, es gibt einfach verdammt viel zu sehen. Schließlich war das hier lange Zeit die russische Hauptstadt. Auch eine Fahrt mit der Metro lohnt sich wegen zahlreicher prächtiger Stationen (wie das Metrofahren funktioniert, steht hier). Und wenn man mit der Stadt durch ist, gibt es ja auch noch die ganzen Ziele im Umland wie den Lagodasee.

Am Stadion wurde rund zehn Jahre gebaut, manchmal leckt das Dach. Passend zur Größe der Stadt und des Topvereins Zenits ist die Arena hier auch deutlich größer, sie fasst rund 64.000 Zuschauer. Das ist schon ein ziemlich spektakuläres Bauwerk geworden – jetzt, wo es endlich fertig ist. Und überhaupt, zur Frage, warum das alles so lang gedauert hat, gibt es doch eine ganz leicht nachvollziehbare Antwort:

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Das Foto der Weißen Moschee ist von Ramil Photo360 unter CC BY-SA 4.0, das QWERTY-Foto ist von Kristina Wienand – vielen Dank! Nächste Woche bin ich dann wieder in Moskau und schreibe von da die nächste reguläre Russland-Folge. Bis dahin, macht’s gut!



 

Russball, Folge 30: WM-Flugtickets für 5 Rubel (aber nicht für euch)

Russball kscheib Suus Agnes 2 signedFaule Journalisten fangen ihre Reportagen ja gerne damit an, dass sie an irgendeinem Ort ankommen und dann erst mal ausgiebig ihren Taxifahrer zitieren. Der erste Russe, mit dem ich mich 2018 unterhalten habe, war ebenfalls ein Taxifahrer – er hat uns auf einen Hügel am Rand von Murmansk gefahren, von wo aus man das Nordlicht sehen konnte. Viel Warten, viel Hochgucken, und dann plötzlich: ein grünes Leuchten am Himmel, das langsam intensiver wird. Einatmen. Ausatmen. Staunen.

Als wir genug nach oben geguckt hatten, gönnte uns der Taxifahrer auf dem Heimweg noch einen Blick in die Zukunft: „Natürlich bin ich mir nicht komplett sicher – aber zu 99,9 Prozent werdet ihr dieses Jahr wieder Weltmeister.“ Für so einen schmeichelhaften WM-Orakelspruch ist hoffentlich auch der „Journalist zitiert Taxifahrer“-Einstieg ausnahmsweise okay.

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⚽  So kann’s gehen: Letzten Mittwoch die neue Russball-Folge veröffentlicht, in der Witali Mutko ankündigt, sein Amt als Chef des russischen Fußballverbandes ruhen zu lassen. Und dann kommt ein paar Stunden später die Meldung, dass Mutko auch als Leiter des WM-Organisationskomitees abtritt. Habt ihr sicherlich alle mitbekommen, darum eher der Vollständigkeit halber hier noch ein Link mit den Details.

⚽ Russischer Fußballfan müsste man sein, dann könnte man zu den WM-Spielen der eigenen Mannschaft für nur 5 Rubel – also 7 Cent – anreisen. Mit dem Flugzeug, wohlgemerkt, und auch nicht mit irgendeinem dubiosen Billigflieger, sondern mit Aeroflot. 70.000 solcher Tickets will der Staatskonzern zur Verfügung stellen – oder auch mehr, je nachdem, wie weit Russland im Turnier kommt. Eh einer fragt: Nein, das ist keines dieser Angebote nach dem Ryanair-Prinzip, wo zum Ticketpreis dann noch Gebühren für Gepäck, Kreditkartennutzung, Sitzplatzwahl und Essen an Bord anfallen. In den 5 Rubeln sind bereits alle Gebühren drin, verspricht Aeroflot. Wie das neue Angebot publik gemacht wurde? Bei einem öffentlichkeitswirksamen Gespräch zwischen Vorstandschef Witali Saweljew und Russlands Präsident Wladimir Putin. Der möchte schließlich im März wiedergewählt werden – da gibt es vorher Geschenke an die Wähler, bis hin zu Ticket-Schnäppchen. Den ganzen Wortlaut des Gesprächs („Können die Fans nicht einfach umsonst fliegen?“ – „Nein, aber…“ – „Ich weiß! Für einen Rubel“ – „Nein, aber…“) kann man hier nachlesen.

Aeroflot-Chef Saweljew im Gespräch mit Wladimir Putin (Foto: Kremlin.ru)
Aeroflot-Chef Saweljew im Gespräch mit Wladimir Putin (Foto: Kremlin.ru)

⚽ Preisfrage: Welche Heimatstadt eines deutschen Bundesligisten wird hier beschrieben? „In XY leben mehr als 500.000 Menschen. Für junge Leute gibt es hier nichts zu tun, also ziehen sie zum Studieren und Arbeiten in respektablere, lebendigere Städte wie Düsseldorf, Berlin oder Frankfurt.“ Liebe Dortmunder, ihr seid gemeint! So stuft euch jedenfalls Witali Subzow ein, der für Sports.ru recherchiert hat, wie man auch bei fast ausverkauftem Stadion noch an Karten für ein BVB-Spiel kommt.

Das Touristen-Paket – mit Ticket, Unterkunft, Begrüßungsmappe, Eintritt ins BVB-Museum und weiterer Bespaßung – scheint Subzow sehr beeindruckt zu haben. Selbst die Stadionwurst („exzellente Qualität“) wird lobend erwähnt. Alles in allem liegt ein Hauch des Staunens über Subzows Erlebnisbericht. Selbst Russlands Top-Mannschaften spielen nur selten vor ausverkauften Stadien. Und hier, in dieser wenig respektablen, wenig lebendigen Stadt, gehen die Eintrittskarten „schneller weg als das neue iPhone oder Turnschuhe von Kanye West.“ Entsprechend bringt der Autor seinen Lesern dann auch noch ein deutsches Wort bei: „ausverkauft“.

⚽ In Russland ist ja nicht Weihnachten, sondern Neujahr das Fest, wo man mit der Familie um einen festlich geschmückten Baum sitzt und Geschenke auspackt. Das nur für den Hinterkopf, damit klar ist, warum diese Neujahrs-Videos von ZSKA Moskau für unseren Geschmack so weihnachtlich aussehen. Inhaltlich sind sie jedenfalls eine Übung in Selbstironie. An einer Pinnwand sollen die Spieler Zettel mit ihren Plänen und guten Vorsätzen für 2018 anbringen. Pontus Wernbloom, bekannt für sein Temperament, will seine Selbstbeherrschung verbessern – hat ja auch direkt super geklappt:

Der Brasilianer Vitinho möchte gerne für die Nationalmannschaft spielen – schon erscheint ein Mitspieler und winkt mit einem russischen Pass. Auf dem Zettel von Trainer Wiktar Hantscharenka steht „Stürmer kaufen“ – ZSKA-Präsident Jewgeni Giner nimmt den Zettel grinsend wieder ab. Und was passiert, wenn dein Plan fürs neue Jahr „Kapitän werden“ heißt – und dann kommt der aktuelle Kapitän vorbei, während du gerade den Zettel an die Wand pinnst? Auftritt Alexander Golowin und Igor Akinfejew:

⚽ Auch Jewgeni Sirjankin, Fußballexperte von Sport Express, hat seine Neujahrswünsche aufgeschrieben. Ganz oben auf der Liste steht selbstverständlich das Thema Fußball-WM. Der Wunsch, der sich da in Großbuchstaben manifestiert, ist so realistisch, dass es schon fast Satire ist: „RUSSLANDS NATIONALMANNSCHAFT ERREICHT DAS VIERTELFINALE DER WELTMEISTERSCHAFT“ – “!!!111!!!!einself!!”, möchte man hinzufügen.

„Wenn dieses Wunder geschieht“, schreibt Sirjankin weiter, „kann sich die Nationalmannschaft schon zu den Siegern des Turniers zählen. Denn darüber hinaus gibt es nur noch die unerreichbaren Sterne.“ Glücklich der Fan, der seine Wünsche so auswählt, dass sein Team sie auch erreichen kann.

⚽  Wer Moskau von seiner besten Seite sehen will, muss rauf auf die Sperlingsberge. Zur einen Seite die Moskauer Lomonossow-Universität (MGU), ein Prunk- und Prachtstück im stalinistischen Zuckerbäckerstil. Zur anderen Seite die Aussicht runter auf die Stadt, mit so gut wie allen Sehenswürdigkeiten auf einen Blick. Wenn wir Besuch in Moskau haben, fahren wir oft abends dort hoch, weil das Panorama im Dunkeln besonders schön ist.

Der perfekte Ort also, um dort während der WM eine Fan-Zone einzurichten, oder? Kommt drauf an, wen man fragt. Viele Studierende der MGU sind alles andere als begeistert von der Idee, einen Monat lang jeden Tag Remmidemmi direkt vor der Haustür zu haben – zumal das Unigebäude nicht nur aus Hörsälen, Seminarräumen und Büros besteht, sondern zu einem großen Teil auch Studentenwohnheim ist. Krach, Verkehrskollaps, Störungen beim Vorlesungsbetrieb, betrunkene Fans – auf einem Flyer haben die Gegner der Fan-Zone ihre Sorgen aufgelistet.

kscheib russball studenten protest MGU fanzoneMehr als 10.000 Nutzer informieren sich bei VKontakte über den Protest. „Ich weiß gar nicht, was mich mehr nervt – die eigentlichen Beeinträchtigungen selbst, oder die Achtlosigkeit und der Mangel an Dialog. Wahrscheinlich eher letzteres,“ sagt Michail Schirjajew, der Fußballfan ist, an der MGU Materialwissenschaften studiert und den Protest mit organisiert. Nur die Universitätsleitung sei in die Pläne von WM-Organisatoren, Stadt und FIFA eingebunden gewesen. Wie andere Studierende zu der Fan-Zone vor ihrer Haustür stehen, und wie die Planer ihr Projekt verteidigen, hat Sports.ru gegenübergestellt.

⚽ Endlich steht fest, welche russischen Fernsehsender die WM übertragen werden: Das Konsortium „2 Sport 2“ hat die Rechte gekauft, es vertritt drei Sender, darunter den erst vor ein paar Jahren gegründeten Sport-Kanal „Match TV“. 32 Millionen Dollar sollen die Rechte gekostet haben – ziemlich wenig, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die FIFA dafür ursprünglich 120 Millionen haben wollte. Der Hollywood Reporter verspricht eine Erklärung unter der Überschrift: „Why Russian Networks Got Soccer World Cup Rights for a Fraction of the Asking Price“. Im Text dann: keine Erklärung, nur der Hinweis, dass die russischen Geschäftspartner nun mal nicht mehr bezahlen wollten. Soso. Aha.

⚽ Amkar Perm kämpft ums Überleben. Dem Erstliga-Club fehlt das Geld, so einfach ist es, aber dann auch wieder nicht. Denn hinter den Sorgen des Vereins steckt auch ein strukturelles Problem im russischen Vereinsfußball: Viele Mannschaften gehören bis heute dem Staat – sei es direkt, oder durch einen Staatskonzern. In Perm ist es die Regionalregierung, die wiederum hat seit Jahresbeginn einen neuen Sportminister, und der will lieber in den Breitensport investieren als in einen Verein, der irgendwo unten in der Erstligatabelle rumdümpelt.

Bricht einem Verein, der in Privatbesitz ist, ein Investor weg, dann macht er sich auf die Suche nach einem neuen. Amkar Perm hat diese Option nicht, es gibt schließlich keine zweite Regionalregierung mit zweitem Haushalt und zweitem Sportminister. Bis zum 11. Januar, so die Vereinsführung, müsse die Finanzierung für die Rückrunde stehen. Sonst werde der für den Tag geplante Abflug des Teams ins Trainingslager abgesagt. Stand Ende Dezember gab es immerhin noch Verhandlungen zwischen Verein und Regierung.⚽ Zum Schluss noch was Historisches. Es geht um einen Putschversuch, nicht allzu lange nach dem Ende der Sowjetunion. Ein sportpolitischer Staatsstreich, quasi: Kurz vor der Weltmeisterschaft in den USA forderten 14 Spieler der russischen Nationalmannschaft einen neuen Trainer – auf ganz großer Bühne, per offenem Brief an Boris Jelzin.

Die Geschichte war mir komplett neu, und sie ist so interessant, dass man sogar den ziemlich krautigen Stil verzeihen kann, in der Russian Football News sie erzählt. Einfach beim dritten Absatz einsteigen, wo es um den Begriff „Refusenik“ geht, und ein Stück postsowjetischer Sportgeschichte nacherleben.

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Ach so, mein Neujahrswunsch ist übrigens: Falls ihr dass Gefühl habt, das Russball euch gut informiert, unterhält oder gar beides, dann sagt das doch gerne weiter – dem Kollegen am Nebentisch, der Freundin auf dem Bolzplatz oder einfach den Followern bei Twitter. Ich mach das hier gerne und freue mich über jeden, der mitliest. Bis dann!



Cybercrime, der Podcast zu Verbrechen im Netz

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Neulich WannaCry, jetzt Petya – das erinnert mich, dass ich hier noch über das Thema Cyberkriminalität bloggen wollte. Dazu muss ich allerdings ein bisschen ausholen.

Einmal im Jahr fahren wir in die Pampa. Wir, das sind eine Handvoll Freunde aus Uni-Zeiten, die gemeinsam zu Journalisten wurden; begleitet von ihren Partnern und Kinder. Die Pampa, das ist irgendwo recht mittig in Deutschland, wo es grün ist, neben einem Fluss. Fußball, Lagerfeuer, Lesen im Garten, Tischtennis. Reden, Essen, Reden, Trinken, Reden. Die großen Kinder ziehen als sich selbst verwaltende Horde durch die Pampa und machen zu meiner bleibenden Verwunderung manchmal den Abwasch. Die kleinen wandern von Schoß zu Schoß und beschallen uns abends zum Bier durchs Babyfon. Einer kocht immer Milchreis. Einer brät immer Burger. Es ist komplett unspektakuläre Routine und eines der Highlights des Jahres.

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Dieses Jahr musste ich daran denken, wie das war, als wir uns alle kennengelernt haben, als Erstsemester in Dortmund. Irgendein Dozent machte damals diesen Spruch, sinngemäß: „Das, was ihr hier lernt, hat sich in ein paar Jahren eh alles überholt. Ihr werdet in eurer Karriere zwei- bis dreimal komplett neue Berufe lernen müssen.“ Ich fand das damals gruselig, der eine Beruf schien schon so weit weg. Das noch mal und noch mal? Und noch mal?

Heute weiß ich: Gut gekocht, schlecht serviert. Die These, dass man immer wieder dazulernen muss – die stimmt. Aber das Aufbauschen, dass das dann schon ein neuer Beruf sein soll – kompletter Unsinn. Von den Uni-Freunden sind die allermeisten auch heute noch Journalisten. Aber im Moment heißt das zum Beispiel, dass immer mehr von ihnen Podcasts machen. Das wäre vor ein paar Jahren noch nicht so gewesen (Zahlen zum rasanten Wachstum von Podcasts in jüngster Zeit gibt es bei Pew Research, die taz stellt exemplarisch ein paar deutsche Podcasts und ihr Millieu vor.).

Manche Podcasts von früheren Mit-Dortmundern hab ich hier ja schon mal erwähnt. Die Seriendialoge (hier reden Ulrike und ich über The West Wing) und die Seriensprechstunde. Der Anhalter. Diesmal schließlich habe ich im Auto unterwegs in die Pampa „Cybercrime“ gehört. Darin zeigen Oliver Günther und Henning Steiner in drei Erzählsträngen unterschiedliche Aspekte der Kriminalität im Netz auf.

Es geht um BKA-Ermittlungen in einem Fall von Kinderpornografie, um einen Hacker-Angriff auf ein DAX-Unternehmen, und, besonders spannend, um das Leben von Anna, einer Hackerin. Anschaulich, konkret und mit vielen Aha-Momenten. Für mich hätte das ganze zwar etwas zügiger erzählt werden können, aber klar, es müssen ja alle Hörer folgen können. Egal, wie gut sie sich mit Internetthemen auskennen.

kscheib cybercrime hr studio

Beim Einblick in die Polizeiarbeit hat mich vor allem das Kleinklein der Ermittlungsarbeit beeindruckt. Das war in vielen Situationen sehr viel weniger High Tech und sehr viel mehr Fleißarbeit, als ich vermutet hatte. Bei dem Hackerangriff lag die Faszination in der Figur des Security-Experten Avi Kravitz: ein Glücksfall von einem Protagonisten, sympathisch, eloquent, engagiert.

Aber am meisten Spaß hatte ich wie gesagt an den Interviews mit Anna, an der Kombination aus ihrer nüchternen Art, ihrem lakonischen Humor und der Parallelwelt, in der sie sich bewegt und mit Illegalem gutes Geld verdient. Irritiert hat mich allerdings, dass die Interview-Protokolle von einer Computerstimme und nicht von einer normalen, menschlichen Sprecherin eingesprochen wurden. Das klang für mich, als ginge es eher um künstliche Intelligenz als um Hacker.

Interessant fand ich auch, wie sehr einerseits viele Leute, die derzeit mit Podcasts zu tun haben, ständig auf Serial verweisen. Und wie sich die Macher von „Cybercrime“ trotzdem verkniffen haben, das eins zu eins ins Deutsche zu übertragen. Denn Journalisten als Protagonisten, die permanent laut reflektieren, was gerade in ihnen vorgeht, das ist für deutsche Hörer eher ungewohnt und kippt leicht ins Absurde. Erst recht in der Dialogform: Was du nicht sagst. Das ist ja bemerkenswert. Oh mein Gott, ich muss mir an den Kopf fassen.

Bei „Cybercrime“ treten die beiden Autoren zwar als Erzähler auf, die Struktur der Folgen ist durchaus auf Dialog angelegt. Trotzdem nehmen die beiden sich zurück. In einem Bereich, der für viele Neuland ist, sind sie die Reiseführer, nicht die Attraktionen.

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Vier Podcast-Folgen hab ich vor dem langen Wochenende in der Pampa gehört, fünf nach und nach im Anschluss. Darum hat das mit diesem Blogpost auch ein bisschen gedauert. Aber ihr versteht schon: Lagerfeuer, Tischtennis, Reden, Trinken, Milchreis. Ich war halt anderweitig ausgelastet.

Wedding Crashers in Machatschkala

Freitag Ausstellung, Samstag Theater, Sonntag Ballett. Das vergangene Wochenende war so bildungsbürgerlich, das glaubt einem wieder keiner. Eine empirische Anomalie, drei ganz unterschiedliche Abende. Beim Balet Moskva gab es „Equus“, ein Stück, das damit spielt, was eigentlich so einen geschundenen Tänzerkörper von dem eines Arbeitstieres wie dem Pferd unterscheidet. Die Grenzen zwischen Keuchen und Schnauben sind da ebenso fließend wie die zwischen Kostüm und orthopädischer Bandage. Und dazu auch noch Livemusik von drei Streichern und einem Pianisten – runde Sache.

Das Theater am Samstag war – mal wieder – eine Empfehlung der besten aller möglichen Russischlehrerinnen, genau genommen von ihr und ihrer Enkelin: Puschkins Erzählungen am Theater der Nationen, inszeniert von Robert Wilson, mit Musik von Cocorosie.

Prall, lebhaft, verspielt, mit viel musikalischem Schmackes und einem Schuss Pekingoper. Und obendrauf noch der Stolz, erstmals eine Theateraufführung komplett auf Russisch zu sehen, ohne Obertitel, ohne andere Hilfsmittel, und der ganzen Handlung folgen zu können. Jetzt verstehe ich, warum es so schwer ist, dafür Karten zu bekommen.

Eigentlich wollte ich aber – hallo, Überschrift – von der Ausstellung am Freitag erzählen. Die Surab-Zereteli-Galerie hier in Moskau steht und hängt voll mit Dingen, bei denen ich im Hinterkopf meinen Vater höre: „Kunst kommt von Können. Das hier ist Wunst.“ Überlebensgroße Ganzkörperporträts von Charlie Chaplin. Sich von der Wand runterbeulende Keramikblumensträuße. Entwürfe für Skulpturen wie das „Ist-es-nun-Peter-der-Große-oder-doch-Kolumbus“-Denkmal.

Gottseidank hat das Goetheinstitut hier zwei Säle leerräumen lassen und eine eigene Ausstellung veranstaltet, „Die Grenze“. Es geht grob darum, wo Europa endet und wo Asien beginnt, zu diesem Thema haben Künstler Videos, Installationen und Skulpturen beigetragen.

Taus Makhacheva hat von ihren Fotos gleich stapelweise Abzüge machen lassen, die Besucher dürfen sich bedienen. „19 a day“ heißt die Serie, denn im September 2014 hat Taus sich schick gemacht und den ganzen Tag damit verbracht, in der Stadt Machatschkala in Dagestan auf möglichst vielen Hochzeiten zu tanzen. Oder zu essen. Oder mit dem Brautpaar zu posieren. Oder einfach nett mit den anderen Gästen zu plaudern, auch wenn sie sie keinen von ihnen kannte – Taus war auf keiner der Hochzeiten eingeladen.

Dutzende prunkvolle Hochzeitssäle gibt es in Machatschkala; viel Gold, viel Glanz, und im September sind sie quasi durchgängig ausgebucht. Bräute mit Kopftuch, Bräute mit Krönchen, Bräute mit Schleier. Das mag sich nach Asien anfühlen oder nach Europa, der ungeladene Gast auf 19 Hochzeiten zu sein, spielt jedenfalls noch auf einer ganz anderen Ebene mit dem Thema Grenze und Grenzüberschreitung.

19 a Day

Allein schon dieses Motiv hier drüber: Die Brautleute, die wahrscheinlich gerade beide denken „Also von meiner Seite ist die nicht!“. Der Mann links, betont ernsthaft. Die Frau rechts, betont abgelenkt. Und über allem die Künstlerin, die in einer halben Stunde schon wieder mit einem anderen Paar posieren wird. Und keiner hat’s gemerkt.

Freitag Ausstellung, Samstag Theater, Sonntag Ballett. Ein abwechslunsgreiches, unterhaltsames Wochenende mit vielen Denkanstößen.

Nächsten Samstag gehen wir mal wieder zum Fußball.

Film-Fundstücke aus dem Pathé-Archiv: Dortmund

Von dem großartigen Fundus an historischen Filmen, der seit knapp vier Wochen bei Youtube steht, war hier ja schon mal die Rede. Und klar: Dass sich zu einer Millionenstadt wie Moskau reichlich Material in den Pathé-Archiven findet, ist keine Überraschung.

Überraschend war dagegen, was es an sehenswerten Clips auch aus Dortmund gibt und wie weit sie zurückreichen. Zu den frühesten musste ich mir den genauen Hintergrund erst mal anlesen (gute Zusammenfassungen hier und hier). Kurzfassung: Weil Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg mit den Reparationszahlungen in Verzug geriet, besetzten französische Truppen erst Düsseldorf und Duisburg, später dann das ganze Ruhrgebiet.

Ganz leicht ist es nicht, diese Filme zu verstehen, zumal ohne Ton. Uniformierte führen andere Uniformierte ab – am ehesten lassen sich Deutsche und Franzosen noch an den verschiedenen Kopfbedeckungen unterscheiden. Sich an Gebäuden zu orientieren, ist dagegen schwierig. Der erste Reflex: Ach guck, das Klinikviertel! Dann die Erkenntnis: Das kann überall sein – vor den Bomben des Zweiten Weltkriegs sahen viele Ecken in Dortmund so aus.

Die Auswirkungen der Besatzung beschreibt die Stadt Dortmund heute so: „Als die Franzosen am 22. Oktober 1924 die Stadt Dortmund schließlich räumten, waren fast 90 Prozent aller Erwerbstätigen arbeitslos und 78 Zechen im Oberbergamtsbezirk Dortmund stillgelegt.“

1947 geht es um den Wohnungsmangel im Ruhrgebiet – und damit vor allem um Bergleute. In Dortmund entsteht gerade eine neue Bergmannssiedlung, im Krieg beschädigte Bergmannshäuser werden gleichzeitig repariert:

SPD und Dortmund – es gab eine Zeit, da waren das fast Synonyme. Was die Massen an Menschen erklärt, die hier 1952 dem neuen Parteichef (und gebürtigen Bochumer) Erich Ollenhauer zuhören:

Wenn Pathé die Filme für britische Kino-Wochenschauen gedreht hat, wird natürlich die britische Beteiligung hervorgehoben – so wie hier beim Bericht über eine schwere Explosion in einem Wohnhaus:

Und zum Schluss, als bunter Rausschmeißer, die Erkenntnis: Es gab offenbar eine Zeit, da war „Holiday on Ice“ ein ganz großes Ding. Und Dortmund hatte Europas größte Eislaufhalle.

Mehr Dortmund-Filme aus dem Pathé-Archiv gibt es hier.

Sightsmap zeigt Dortmunds meistfotografierte Orte

Treffen sich zwei Datensätze. Der eine aus Google Maps, der andere aus Googles Foto-Sharingseite Panoramio. Zusammen entsteht daraus Sightsmap, eine Heatmap der meistfotografierten Orte der Welt.

Immer, wenn bei Panoramio jemand zu seinem Bild auch Geodaten angibt, trägt er ein Pixel mehr Farbe zur Sightsmap bei. Über Lila, Rot und Orange bis hin zu Knatschgelb an den Orten, wo Fotografen am aktivsten sind.

Also einmal ganz rauszoomen und Überblick verschaffen: Im Herzen von Afrika ist es finster (wenige Fotos oder nur wenige Panoramio-Nutzer?), in den USA ziehen sich schmale gelbe Streifen an beiden Küsten hoch. Auch Neuseeland, Japan, die Ostküsten von Australien und China leuchten. Aber nirgends ist es so strahlend gelb wie in Mitteleuropa.

Mit ein bisschen Gefrickel lässt sich der Kartenausschnitt auch einbetten – so wie hier die meistfotografierten Orte in Dortmund. Dass unter den Top Ten auch so Perlen wie das Vapiano am Hansaplatz liegen, deutet auf kleine absolute Zahlen an Fotos. Interessant ist dir Motivauswahl trotzdem.


Größere Kartenansicht

So lange der Name nicht allzu verwechelbar ist (Springfield dürfte schwierig werden), lässt sich die Kartenansicht für eine einzelne Stadt immer nach demselben Prinzip aufrufen: http://www.sightsmap.com/stadtname.

Being Manuel Saiz

Was wir über Manuel Saiz wissen:

Manuel Saiz ist ein Künstler, der sich unter anderem mit dem Thema Sprache befasst.

Eines der Werke von Manuel Saiz wird gerade im Dortmunder U gezeigt.

Das Video von Manuel Saiz dauert keine zwei Minuten. Das Staunen und Nachdenken über zeitliche Abfolgen dauert länger.

Manuel Saiz lässt es sich 7,95 Euro im Monat kosten, dass andere seine Videos nicht einbetten können.

Specialized Technicians Required: Being Luis Porcar from Manuel Saiz on Vimeo.

Was wir über John Malkovich wissen: Er ist ne coole Sau.

Das schönste Wikipedia-Blog nördlich der Alpen

Dortmund ist ja das beste Beispiel für eine Großstadt am östlichen Rand des Ruhrgebiets. So stand es in einem Buch, das Pflichtlektüre für Dortmunder Journalistik-Studenten war. Hängengeblieben ist der Satz wegen des konstruierten Superlativs, der seltsamen Verortung.

Nach demselben Prinzip funktioniert der Charme eines kleinen Blogs, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Wikipedia zu durchforsten. Immer auf der Suche nach einer Formulierung, die zwar nichts mit Dortmund zu tun hat, aber doch mit einer geografischen Floskel: „Nördlich der Alpen“. Das klingt nach Hannibal und seinen Elefanten, nach der Trapp-Familie, die sich nach der letzten Strophe „Edelweiß“ auf den Weg in die Freiheit macht.

Ein Foto, ein paar Zeilen Text, viel mehr steckt gar nicht drin in so einem Blogpost. Und das Aha, was wir hier nördlich der Alpen doch alles an Unikaten zu bieten haben. Den besterhaltenen römischen Backofen nördlich der Alpen. Den längsten einröhrigen, im Gegenverkehr betriebenen Straßentunnel – nördlich der Alpen. Die früheste Darstellung einer Brille. Nördlich der Alpen.

Gemacht wird das Blog von @colognella, neue Posts erscheinen gleichzeitig auch als Tweets. Seit ich den letzten gesehen habe, frage ich mich, was an einer Nacktdarstellung autonom sein kann:

Man merkt, das ist lehrreich – wie an der Uni: Die größte Population von Mauereidechsen nördlich der Alpen lebt am Hauptbahnhof in Zürich. Die älteste Kamelie nördlich der Alpen blüht in der Nähe von Dresden. Und die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen liegt in NRW. Wo genau, das kann man hier nachsehen.

(Dieser Text stand so ähnlich auch als “Netzhaut”-Kolumne in der WAZ-Wochenendbeilage.)

Zahlen, bitte

2 Fliegen, nicht mehr, darf es per Verordnung nur noch auf öffentlichen Toiletten in China geben.

5 von 5 Sternen hat derzeit dieser „Dinge mit Gesicht“-Eintrag zu einem traurigen Mandarin-Schriftzeichen.

10 Glückskekse kosten im Dortmunder Asia-Supermarkt 5,99 Euro. Ein Karton mit 300 Stück kostet 19,99. Marktwirtschaft macht Spaß. Der Ausstand auch.

23 Kilo Gepäck sind wenig. Gerade, wenn man für Winterwetter mit packen muss.

56 Länder kommen vor China, wenn man sie  – wie es die Vereinten Nationen getan haben – danach sortiert, wie einflussreich Frauen in der Gesellschaft sind. Mit einem Gender Empowerment Measure (GEM) von 0,5354 liegt China zwischen Venezuela und El Salvador. Deutschland kommt mit einem GEM von 0,831 auf Rang 9.

240 Gramm sind einfach zu viel für ein einzelnes T-Shirt. Raus damit aus dem Koffer.

250 ist auf Chinesisch ein Schimpfwort.

8000 Karmapunkte (ein ungefährer Wert) bin ich schon vor der Abreise im Defizit. Und immer noch beeindruckt, wie hilfsbereit Leute sein können. Freunde, Bekannte, Fastfremde. Danke an Andreas, Dirk, Guido, Katharina, Martin, Martina, Nina, Sami. Danke, Familie. Danke an die Kollegen, die die Stellung halten. Danke an die, die es nicht mögen, in Blogs erwähnt zu werden.

11.25 Uhr landet der Flieger in Peking.