Keine „Netzhaut“ mehr in der WAZ

Im letzten halben Jahr hat vieles neu begonnen, jetzt geht mal was zu Ende: Die WAZ hat ihre Wochenendbeilage umgebaut und dabei ein paar Kolumnen abgeschafft. Dazu gehört auch die „Netzhaut“, in der ich seit ein paar Jahren fürs Print-Publikum über allerlei Internet-Themen geschrieben habe.

Das hat manchmal zu inneren Motzmonologen (Hab kein Thema! Hab zu viele Themen! Text zu lang! Text zu kurz!) geführt, war aber ansonsten immer eine Freude. Die Themen komplett frei wählen können und von zwei klugen, umsichtigen Kollegen redigiert und betreut werden – doppelter Luxus. Fürs Kolumnenbild vom grandiosen Jamiri gezeichnet werden, der auch kleine Extrawünsche („Ich war furchtbar unentspannt, kannst Du die Mundwinkel nicht noch ein bisschen hochzeichnen?“) erfüllt – auch toll.

Die erste Version des Kommentarbildes von Jamiri.
Die erste Version des Kommentarbildes von Jamiri.
Vor allem aber war die „Netzhaut“, als sie mir 2010 in die Hände fiel, schon ein doppeltes Erbstück: Aus den Händen von Katharina Borchert ging sie erst an Marc Hippler, dann an mich. Von beiden bin ich, menschlich wie fachlich, schon lange ein Fan – Katharina war einer der Gründe, 2008 zur WAZ zu gehen. Marc war schon als Volo ein Sparringspartner, der an vielen Tagen meine Motivation oben gehalten hat. So ein Erbe wärmt ganz ungemein.

Die Erbtante ist inzwischen beim Spiegel, der Erbonkel bei der RP und ich in Russland. Und das Erbgut? Ideen, aus denen bisher eine „Netzhaut“-Kolumne geworden wäre, werden in Zukunft Einträge hier im Blog. Dann hat sich auch das Leiden an der Textlänge erledigt.

Genickt, geärgert, gestaunt, gelitten – die re:publica 2013

Kaum drei Tage nach der re:publica und schon ist das Fazit fertig. Heißer Scheiß, dieser Echtzeit-Journalismus.

Am meisten genickt: wenn es um Freiräume fürs Ausprobieren ging. Bei der Session zu „Stimmt das„, dem #ZDFcheck zur Bundestagswahl, gab es viele Detailfragen. Und immer wieder hat Sonja Schünemann dann sowas gesagt wie: Wissen wir noch nicht. Mal sehen. Wir machen das jetzt erst mal. Und dann gucken wir. Experimente haben das so an sich, das muss man gar nicht groß philosophisch überhöhen (kann man aber). Das haben später die „Digital Natives der Herzen“ Jochen Wegner, Katharina Borchert und Stefan Ploechinger später auch noch mal angesprochen (geht kurz nach 19′ los).

Am meisten geärgert: Bei „Citizen Desk: Rewarding Reporting“, einem Vortrag zu einem CMS für Bürgerjournalismus. Adam Thomas hat von Verdade erzählt, einem Zeitungsprojekt in Mosambik. Von einer Bürgerjournalismus-Redaktion, die eine starke Fangemeinde bei Facebook hat, andererseits aber auch viele Leser ohne Internet-Zugang. Darum werden jeden Tag die besten Facebook-Kommentare mit Kreide an eine Wand geschrieben, wo sie jeder offline lesen kann. Und mit Kreide drunterkommentieren – was dann wiederum abgetippt und auf Facebook gepostet wird. Dazu hätte ich gern mehr gehört. Ging aber nicht, weil Thomas an einem Stand in der großen Halle präsentieren musste. Zu viel Lärm, zu viel Gewusel, zu viel Ablenkung. Sollte man nicht mit Referenten machen, wenn man sie ernst nimmt. Nächstes Mal bitte jedem Vortrag seinen Raum.

Am meisten gefreut: beim „Saisonrückblick Social-Media-Recht“. Über die Bestätigung, mit dem Faktenwissen auf Stand zu sein. Und über die vielen neuen Fällen, Dönekes und zwei außergewöhnlichen Referenten. Juristen nämlich, die nicht drumrum reden.

Am meisten beneidet: Linus Neumann für die Trolldrossel in Fefes Blog. Eine geschickte Programmierung, die grob besagt: Wenn Vokabular des Nutzerkommentars auf einen Troll deutet, dann sag ihm bitte: „Sorry, Du hast das Captcha falsch ausgefüllt. Bitte noch mal.“ Auch, wenn es richtig war. Schlicht, schlau, schön böse. Sollte es als WordPress-Plugin geben.

Am meisten geschwitzt: Zwanzig Minuten mit jemandem unterhalten. Netzthemen, Wetter, alles. Auch danach immer noch keine Ahnung gehabt, wer das ist und woher wir uns kennen.

Am meisten gestaunt: bei „How to become a Cyborg“. Den Vortrag von Neil Harbisson und Moon Ribas hab ich seitdem schon mehrfach nacherzählt. Die beiden rüsten ihre Körper technisch auf, um mehr Sinneseindrücke wahrzunehmen als andere Menschen. Und ein Kleid, das „Moon River“ in Farben darstellt, möchte ich bitte auch.

Am meisten gelitten: an der Unterkunft. The Weinmeister ist ein Designhotel. Leider ist die Evolution noch nicht so weit, dass wir mickrigen Menschen den Anforderungen dieser Hotelzimmer gewachsen sind. Vier Nächte in einem Bett mit Schwarzlicht, aber ohne Möglichkeit, die Brille irgendwo hinzulegen. Vier Morgende hellwach dank kaltem Duschwasser. Ist vielleicht noch mal einen eigenen Blogpost wert.

Am meisten genossen: Drei Tage ausgezeichntes WLAN. Respekt.

Am meisten gewundert: Wie wenig die Piraten Thema waren. Günter Dueck hat in seinem Vortrag pauschal angenommen, dass eh alle Anwesenden die Grünen wählen. War kein Protest zu hören. Marina Weisband, die bei den Piraten keine so ganz kleine Nummer war, suchte an Tag 3 vergeblich nach bekannten Gesichtern.

Da könnte man jetzt schön drüber frotzeln, hätte es nicht parallel reichlich Pausen- und Flurgespräche darüber gegeben, wen man als Onliner im September bloß wählen soll. Nicht, weil nun zwingend die Piraten jedermanns erste Wahl gewesen wäre. Aber eben auch nicht, weil es so viele attraktive Kandidaten gäbe, zwischen denen man sich kaum entscheiden könnte. Stattdessen Ratlosigkeit und ein Motto-Vorschlag für die re:publica 2014: #postpiracy.