Instagram-Bastelstunde mit russischen Landkarten

Duraki i Dorogi“ hat Maria Kruglaja ihren Instagram-Account genannt, „Idioten und Straßen“. Einer Redensart nach sind das die einzigen Probleme, an denen Russland leidet. Man hätte unter dem Namen also eine umfangreiche Kollektion der schönsten Schlaglöcher zwischen Smolensk und Wladiwostok erwarten können, effektvoll fotografiert – aber nein: Kruglaja postet winzige Ausschnitte russischer Landkarten, als Screenshots. Und lässt dabei die Namen der Flüsse, Städte, Straßen und anderer Landmarken für sich sprechen.

Hier zum Beispiel die Straße von „Быстро“ (Schnell) nach „Ясно“ (Klar), beide in der Nähe von Pskow. Schnell mal von Klar nach Schnell? Geht klar.

So tief wie ein stilles Wasser ist diese Montage aus zwei Flüssen. Links „Reschajuschtschaja“, rechts „Wapros“, das bedeutet zusammen so viel wie „entscheidende Frage“. Besonders feinsinnig, dass sich der „entscheidende“ Fluss auf dem linken Bild gabelt, ein Arm ins Leere läuft und nur der zweite in den Frage-Fluss mündet. Kann aber auch sein, dass ich das gerade überinterpretiere.

Okay, manchmal macht die Sowjetvergangenheit es einem auch einfach. Schließlich wurden da gerne große Ideale bemüht, wenn es um die Namensfindung ging. Da finden sich dann auch schon mal drei Siedlungen namens Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – gepostet zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli.

Etwas länger suchen musste Maria Kruglaja vermutlich für diesen Instagram-Post. Ein Ort, ein Fluss, ein Fluss, ein Ort: Прости меня, моя любовь. Verzeih mir, meine Liebe.

Putin der Woche (XXXIX)

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Gesehen: Im YouTube-Kanal des Musikers und Komikers Oleg Lobowoi, der der Welt damit nicht sein erstes Putin-Lied schenkt.

Begleitung: Gutes Stichwort. Denn auch, wenn Putin selbst in dem Video nicht auftaucht – dass der Akkordeon-Begleiter dieses kleinen Frauenchors zufällig so aussieht, wie er aussieht, kann mir keiner erzählen.

Text: „Höre, geliebte Heimat, mein Lied über Putin: Putin, Putin, wir alle wollen Putin heiraten.“

Subtext: Ihr wollt ein Liebeslied? Ihr kriegt ein Liebeslied. Ein Lied, das ihr liebt, weil einfach alles drin vorkommt: das Vaterland, seine Birken, und ganz viel Putin, alles besungen von Menschen in russischer Tracht. Tadaaadada, daaadada, daaa-daaa, daaa-daaa.

Oben-Ohne-Punkte: 0/10, wegen unsichtbarem Putin

Liebe in der Luft

Love is in the air, dafür hat Wassily Kirsanow gesorgt. Die Millionen von Menschen, die täglich mit der Moskauer Metro fahren, mögen seinen Namen nicht kennen, aber viele verdanken ihm ein Lächeln oder einen Schnappschuss. Denn wenn sie in der Eingangshalle der Haltestelle „Park Kultury“ einen Blick hinauf in die Kuppel werfen, hängen da rote, herzförmige Luftballons. Wassily hat sie dort hochgeschickt.

„Alles fing damit an, dass ich vor zwei Jahren mit der Metro unterwegs war und bei Park Kultury zufällig hochgeguckt habe,“ erzählt er. Zwei Herzballons hingen unter der Decke, er machte ein Foto für den in Russland fast schon obligatorischen Instagram-Account und freute sich. „Es hat sich angefühlt wie die Sorte Glück, die man eigentlich nur als Kind kennt. Ein Glaube an Wunder und Liebe.“ Als er ein paar Tage später wieder vorbeikam, waren die Ballons weg. „Aber da stand mein Entschluss schon fest: Ich werde diese Kuppel mit Herzen füllen!“ Kein philosophischer Überbau, kein komplexes Kunstprojekt. Einfach mal etwas tun, weil man es kann – und weil es anderen Metropassagieren den Alltag ein bisschen bunter macht. Es folgten zwei Jahre Warten, Planen, Sparen – die Ballons kosten zwischen 50 Cent und einem Euro, und dann ist noch kein Gas drin. Inzwischen steht im Zimmer von Wassily , der seit zwei Jahren einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften hat, seine eigene Heliumflasche. Im Dezember, als Moskau besonders grau war, ließ er die ersten Ballons in die Kuppel steigen – mit ordentlich Herzklopfen wegen des Sicherheitspersonals. „Wir leben in schwierigen Zeiten, und vieles, was man in Russland tut, bekommt dann irgendwer in den falschen Hals.“

Die Aufpasser entpuppten sich als entspannt, manchmal erzählte einer von ihnen Wassily, wenn wieder besonders viele Leute zum Fotografieren da gewesen waren. Die Instagram-Bilder, die andere von seinen Herzen machen, sammelt Wassily dort auf dem Account @undergroundhearts. Egal, welche Perspektive und welcher Filter: Wenn sich in der Kassettenstruktur der Decke jeder Ballon seine eigene Vertiefung gesucht hat, wirkt die Kuppel wie ein riesiger Setzkasten. Und Wassily arbeitet daran, ihn weiter zu füllen.

Einen Monat lang kam täglich ein Herz hinzu, ihr Absender sammelte unterdessen Erfahrungen: Wie lange hält sich so ein Herz wohl in der Luft? Eins weiß er jetzt: Das hängt nicht nur von dem Ballon und dem Helium darin ab. 30 Ballons kamen in vier Wochen zusammen – und verschwanden dann auf einen Schlag. „Man hat mir gesagt, dass die Metro-Mitarbeiter die Ballons alle runtergeholt haben, mit einer Zwille. Davon gab es sogar einen kleinen Clip im Fernsehen.“

Sauer sei er am Anfang schon gewesen, sagt Wassily, aber den Metro-Leuten nehme er das nicht übel. „Die machen ja nur ihren Job. Und mein Job ist eben, Ballons da hochzuschicken. Also habe ich am nächsten Tag ein neues Herz in die leere Kuppel aufsteigen lassen.“ Knapp 20 Euro gibt er dafür im Monat aus, zum Geldverdienen jobbt er in einem Souvenirladen.  Wie es weitergeht mit den Ballons? Vielleicht ja mit einem Flashmob, der gleich eine ganze Wolke Ballons auf einmal aufsteigen lässt. Wassily hat genug Ideen, die Frage ist eher, wie lange ihm Zeit für die Umsetzung bleibt. „Wer weiß, vielleicht verbieten sie irgendwann, in der Metro Ballons steigen zu lassen. Kann sein, wir leben in Russland.“ Bis dahin aber werden über den Köpfen der Metro-Passagiere weiter rote Herzen hängen. Vor kurzem ist Wassily trotz Wirtschaftskrise auf teurere, größere Ballons umgestiegen. „Die können die Leute besser sehen.“

Die Liebe und Lake Wobegon

Liebe ist schwer zu erklären. Darum wird dies hier ein eher ungelenker Versuch, auf eine neulich erst gehörte Folge eines meiner Podcast-Favoriten hinzuweisen. Das hat sicher auch mit Sentimentalität zu tun, wir Rheinländer können das ja gut, dazu muss man nicht mal „En unserem Veedel“ kennen.

Nostalgie, Sentimentalität, Heimatgefühl, die drei sind gerne zusammen unterwegs. Und nach diesem Prinzip funktioniert auch einer der schönsten Podcasts, den ich kenne: die „News from Lake Wobegon“ von Garrison Keillor. Ein Ausschnitt aus dem „Prairie Home Companion“, einer Radiosendung, die so speziell und so bezaubernd altmodisch ist, dass Robert Altman sie in seinem letzten Film verewigt hat:

Die „News from Lake Wobegon“ berichten aus einem kleinen, überzeugend erfundenen Kaff in den USA, das von europäischen Einwanderern, Frömmigkeit, kaltem Wetter und spleenigen Menschen geprägt ist. Die deutschstämmigen Bewohner beten in der Kirche „Our Lady of Perpetual Responsibility“, die Bewohner mit skandidavischen Wurzeln sind Protestanten, zum Einkaufen gehen sie zu „Ralph’s Pretty Good Grocery“ und ihr Männerchor heißt „Sons of Pitches“.

Man kann das albern, lustig oder satirisch finden, auch gleichzeitig. Jedenfalls habe ich beim Nachhören verpasster Folgen die vom 8. September 2012 gefunden, in der es um Mozart geht, um Fauré, ums Singen im Chor und um die Liebe eines Bassbaritons zur schönen Mary Jo, die im Schulchor in der Reihe vor ihm steht. Einmal gehört und seitdem noch mehrfach, weil sie einfach so viele Knöpfe bei mir drückt. Chor! Americana! Radio! Hach!

Zum Nachhören hier die ganze Folge. Direkt zu Beginn kommt das Lied über Mary Jo, wer danach aussteigt, verpasst die schmerzhaft akkurate Beschreibung, wie sich ein Akkord langsam durch einen Chor ängstlicher Sänger stiehlt. Wer dagegen bis zum Ende durchhört, erfährt, wie das mit Mary Jo ausging und kann danach über die immer gleiche Abmoderation grinsen, die inzwischen sogar in die Wissenschaft eingegangen ist: „That’s the news from Lake Woebegon, where all the women are strong, all the men are good-looking, and all the children are above average.“