Sluzki als WM-Experte: Hat da etwa jemand „Nawalny“ gesagt?

sluzki nawalny

Mit Alexej Nawalny geht das russische Staatsfernsehen normalerweise nach dem Voldemort-Prinzip um. „He who must not be named,“ der Oppositionspolitiker findet nicht oder kaum statt, und wenn, dann selten unter seinem Namen. Wenn dich keiner kennt, kann dich auch keiner unterstützen – so einfach ist die Logik, an die sich selbst Präsident Putin hält: Muss er, zum Beispiel bei einer direkten Frage, sich zu Nawalny äußern, vermeidet er trotzdem jegliche Namensnennung.

Aus dem Eifer der Behörden, Nawalny aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden zu lassen, entstand im letzten Winter hier in Moskau sogar ein Trick: Menschen, vor deren Häusern oder in deren Innenhöfen der Schnee nicht geräumt wurden, gingen dazu über, Nawalnys Namen in den Schnee zu schreiben und schwupps – schon sorgte jemand dafür, dass der Schnee verschwand. Zauberei!

Und dann plötzlich das: Leonid Sluzki, früher mal Trainer der russischen Fußball-Nationalmannschaft, ist während der Fußball-Weltmeisterschaft als Experte beim Perwy Kanal im Einsatz, dem Sender, den regelmäßig die meisten russischen Fernsehzuschauer einschalten. Während des Spiels zwischen Deutschland und Mexiko zählte Sportjournalist Kyrill Dementjew gerade auf, welche Alternativen der deutsche Kader noch so hergeben würde (Marco Reus, Mario Gomez), wenn man „nawalnij futbol“ spielen wollte, also alles auf Angriff setzen. Da warf Sluzki ein: „Ob Nawalny wohl Fußball spielt? Na, das wäre doch mal interessant zu sehen.“

Seitdem feiern einige Fernsehzuschauer Sluzki für seinen unverhofften Bruch mit der Voldemort-Regel. „Am besten bei der WM sind bisher Russland, Belgien, Mexiko und Sluzki“, wird er gefeiert, und die Journalistin Tania Felgengauer schreibt: „Der Moment ist gekommen, in dem auf dem Perwy Kanal der Name Nawalny in einem positiven Zusammenhang genannt wurde. Danke, Leonid Sluzki, so ein guter Mann! Ich bin begeistert! Das war sehr lustig!“

Damit nicht genug: Sluzkis Spruch hat etwas ausgelöst. Vor allem bei Twitter wird nun laut überlegt, welche anderen Themen, die sonst im Staatsfernsehen praktisch nicht thematisiert werden, Sluzki als nächstes ansprechen könnte. Das klingt dann so:

Kyrill Dementjew: „Englands 3-4-3-System sieht zweifelhaft aus.“
Leonid Sluzki: „Zweifelhaft sieht (auch) das Referendum auf der Krim aus.“

Kyrill Dementjew: „Ich glaube, das war gar kein Elfmeter.“
Leonid Sluzki: „Genau, es waren ja auch keine russischen Soldaten in der Ukraine.“

Kyrill Dementjew: „Das war ein sehr spätes Abspiel auf Kane.“
Leonid Sluzki: „So spät wie wir jetzt in Rente gehen werden.“

Kyrill Dementjew: „Ein Wechsel bei der tunesischen Mannschaft.“
Leonid Sluzki: „Und bei uns schon 18 Jahre ohne (Macht)wechsel.“

Kyrill Dementjew: „Das werden heute schwierige 90 Minuten für Russland.“
Leonid Sluzki: „So wie die nächsten sechs Jahre.“

Hab ich schon gesagt, wie sehr ich den Humor hier mag?

Foto: Дмитрий Голубович, CSKA-MC (5), Bildschnitt von kscheib.de, CC BY-SA 3.0

Russball, Folge 22: Wir basteln uns einen Stadion-Rasen

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Echt, drei Tage in Tiflis, und du bist für Moskau komplett verdorben. Die freundlichen Menschen! Das grandiose Essen! Die fußgängertauglichen Straßen! Besonders cool an Fabrika, dem Ort, wo wir mit dem Team von Coda Story getagt haben, waren die viele Graffiti – mal schauen, vielleicht wird das noch mal ein separater Blogpost.

Eh das hier jetzt aber komplett in Richtung Georgien-Verklärung kippt, reden wir besser mal über Guram Kashia. Er spielt nicht nur für die georgische Fußball-Nationalmannschaft, sondern auch für den niederländischen Verein Vitesse Arnheim. Als sich unlängst alle Clubs der Eredivisie – also der obersten Liga in den Niederlanden – zusammentaten und ihre Kapitäne mit Regenbogen-Armbinde auflaufen ließen, sollte das ein Zeichen gegen Homophobie sein.

Für Kashia war es der Beginn massiver Anfeindungen. Georgische Fußballfans und Journalisten fordern seitdem, dass er nicht mehr für die georgische Nationalmannschaft spielen darf. Mehr zum Thema gibt es bei der Washington Post.

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⚽ Angriff ist die beste Verteidigung, das gilt auch, wenn sich die Fans daneben benehmen: Beim Europa-League-Spiel gegen Rosenborg Trondheim haben Anhänger von Zenit St. Petersburg den Gästeblock auseinandergenommen. 700 Zenit-Fans waren zu dem Spiel nach Norwegen gereist, 80 Sitze waren hinterher kaputt. Nachdem Trondheim sich bei der UEFA über den Vandalismus der russischen Gäste beschwert hatten, ging Zenit in die Offensive: 80 kaputte Sitze? Jahaaaa, aber der Gästeblock war ja auch gar nicht richtig ausgerüstet für eine Match dieser Klasse.

Da, heißt es weiter, seien schließlich spezielle, vandalismusfeste Sitze üblich. „Zenit will sich nicht der Verantwortung für von unseren Fans verursachte Schäden entziehen“, zitiert TASS aus einem Statement des Vereins. Von böser Absicht könne aber keine Rede sein: „Solche Dinge passieren, wenn die Gasttribüne nicht richtig vorbereitet ist.“ Anders gesagt: Unsere Fans sind keine Vandalen! Sie machen bloß Sitze kaputt, wenn die nicht vandalismusfest sind. (Die UEFA interessiert das übrigens nicht, sie ermittelt trotzdem.)

⚽ „Russische Nationalmannschaft wird Weltmeister im 7-gegen-7-Fußball“, schreibt Argumenty i Fakty – und ich muss erst mal recherchieren, was das ist. Das Ergebnis ist interessant und, mit Blick auf Russland, ermutigend: Bei dieser Fußball-Variante, die auf Deutsch „CP-Fußball“ heißt, treten Sportler gegeneinander an, die nach einer Hirnschädigung im Kindesalter oder nach einem Schlaganfall Probleme haben, ihre Bewegungsabläufe zu kontrollieren. Um Weltmeister zu werden, hat Russland die Nationalmannschaft von Guatemala 4:2 geschlagen.

Ein großer Fortschritt im Vergleich zu noch vor wenigen Jahrzehnten: Als Moskau 1980 die Olympischen Sommerspiele ausrichtete, weigerten sich die sowjetischen Offiziellen, auch die Paralympics zu veranstalten. Offizielle Begründung: Bei uns gibt es keine Behinderten! Auch heute ist das Thema Behinderung hier kein einfaches, aber immerhin: 2014 hat Russland in Sotschi sowohl die Olympischen als auch die Paralympischen Winterspiele ausgerichtet.

⚽ Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt. Er setzt seine Felder und den Rasen von Dynamo Moskau instand. Ja, man kann schon mal lyrische Anwandlungen bekommen bei den Motiven, die der Telegramm-Kanal „Historical Football“ so verbreitet. Dieses Motiv aus dem Frühjahr 1935 ist aber auch einfach zu schön, das muss hier einen Ehrenplatz bekommen.

Frühjahrsaussaat: Das Spielfeld im Dynamo-Stadion wird im nach dem Umbau für die Saison vorbereitet“, heißt die Bildunterschrift in der Sammlung historischer Aufnahmen auf der Internetseite des Vereins. Die lohnt ohnehin das Stöbern – auch wegen dieser Aufnahme der allerersten Dynamo-Mannschaft aus dem Jahr 1924.

⚽ Zur Halbzeit in der Premjer-Liga versucht sich Russian Football News an einer Zwischenbilanz. Leider ist das Ergebnis eher gut gemeint als gut gemacht – es sei denn, man steht auf stream of consciousness und atemlose Endlossätze. Aber gut, für den Fall, dass hier ein Hardcore-Fan von Achmat Grosny, Amkar Perm, Anschi Machatschkala oder Arsenal Tula mitliest: Hier findet ihr Teil 1 der Halbzeitbilanz.

⚽ Ein Update ist nötig, vielleicht sogar eine Korrektur zur Russball-Folge der vergangenen Woche. Dort hatte ich einen Bericht von RBK zitiert, wonach Russland rund eine Million US-Dollar bezahlt, damit Argentinien seine Nationalmannschaft zu einem Freundschaftsspiel nach Moskau schickt. Nun allerdings hat sich Witali Mutko zu Wort gemeldet, Russlands oberster Fußballfunktionär.

Russlands Fußballverband habe nichts für diese Begegnung gezahlt, zitiert ihn die staatliche Nachrichtenagentur TASS, und hätte Mutko an dieser Stelle aufgehört, es wäre ein hartes Dementi. Doch es folgt ausführliches Lavieren über Kosten für Unterkunft, Flüge, Trainingseinrichtungen, Transfers der Gäste, es ist die Rede von „einem gewissen System an Interaktionen zwischen den Nationalmannschaften“. Will sagen: Russland hat vielleicht (noch?) nichts bezahlt für das Freundschaftsspiel. Aber wenn so eine Aufwandsentschädigung für die Anreise, Unterkunft etc. sich nun auf eine Million Dollar summiert, na dann…

Die Argentinier, das steht jedenfalls fest, sind schon mal in Moskau eingetrudelt. Und dieses Twitter-Video, bei dem sie aus einem Minibus steigen, hat bei fußballinteressierten Russen schon viel Spaß ausgelöst. Schließlich gehört das Fahren mit solchen „Marschrutkas“ zum Alltag all jener Moskauer, die nicht im unmittelbaren Zentrum der Stadt unterwegs sind.

⚽ Nur noch 217 mal schlafen, dann ist auch schon Fußball-Weltmeisterschaft. Moskaus Stadtverwaltung hat direkt mal durchgezählt, wer denn da wohl alles anreist und woher. Ergebnis: Mehr als die Hälfte aller Hotelreservierungen in Moskau während der WM kommt von Menschen aus nur drei Ländern: den USA (22 Prozent), China (16) und Mexiko (15). Insgesamt sind rund 60 Prozent der verfügbaren Hotelzimmer in Moskau bereits belegt.

Heißt das also, dass die größten Fangruppen bei der WM aus diesen drei Ländern kommen werden? Nicht zwingend. Gerade in diesen letzten Wochen des Jahres, wo wir den Resturlaub verbraten, ist uns doch allen präsent, wie leicht sich ein reserviertes Zimmer auch wieder stornieren lässt – online oft sogar bis einen Tag vor der Ankunft. Auf solche Stornierungen müssen sich Moskaus Hoteliers sicherlich einstellen. Denn auch, wenn die Fans optimistisch geplant haben – weder die USA noch China haben sich für die Weltmeisterschaft qualifiziert.

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Falls ihr übrigens auch mit der Idee spielt, zur WM im nächsten Jahr nach Russland zu kommen: Es gibt neuen Infos zu den Zügen, in denen Fans kostenlos vom einen Austragungsort zum anderen fahren dürfen. Keine ideale Lösung, wenn man nach Jekaterinburg will, aber für kurze Strecken wie Moskau – St. Petersburg durchaus machbar; erst recht, wenn man mehr Zeit als Geld hat.

Besonders empfehlen kann ich nach meinen Zugerfahrungen hier in Russland die „Lastotschka“, übersetzt „Schwalbe“ – ein Schnellzug, neu, schick und oft sogar mit WLAN. Alles weitere hier – macht’s gut und bis nächste Woche!