Was die re:publica nicht war

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Dieses Jahr sind zur re:publica mehrere Freunde gekommen, für die es das erste Mal dort war. Interessant, von ihnen zu hören, was die Konferenz für sie war oder nicht war: „Guter Ort zum Leutetreffen, aber nichts, wo ich was Konkretes für meine Arbeit mitgenommen habe.“ – „Eine Veranstaltung, wo man sich wünscht, an den Sessions stünde dran ‚für Anfänger‘ oder ‚für Fortgeschrittene'“ – „Endlich sind mal mehr Leute aus unserem Unternehmen hier, damit sich das Wissen von hier auch mal verteilt.“

Ein Anlass, darüber nachzudenken, was die #rp19 für mich war. Dabei ist mir vor allem etwas aufgefallen, was sie nicht war. Zum Beispiel keine Konferenz, bei der man sich erst ins WLAN einwählen müsste – das klappt automatisch noch vom letzten Mal. Sicherlich auch nicht das letzte Mal, dass ich mir etwas anschaue, das Jo Schück moderiert – wie der die Diskussion zwischen Axel Voss und Markus Beckedahl geleitet hat, Respekt.

Vor allem aber ist auffällig, was die re:publica in diesem Jahr nicht war, früher aber schon. Kein Thema mehr, um das die Tagesschau in ihrer Hauptausgabe rumkommt. Kein kleines, kuscheliges Treffen in der Nerdnische. Und, zumindest für mich, auch nicht mehr der Ort, wo man hinfährt, um sich einmal im Jahr rückzuversichern und dann wieder in eine Welt zurückzukehren, wo man als Onliner die leicht seltsame Randfigur ist. Dazu eine kleine Anekdote.

Es ist ein früheres Jahrzehnt und ich bin eine von zwei CvDs in der Onlineredaktion eines großen Zeitungsverlags. So, wie Kinder dazu da sind, ihren Eltern den Computer einzurichten, sind wir (neben dem dafür deutlich qualifizierteren Helpdesk) für alles zuständig, was irgendwie mit Technik zu tun hat. Bisschen seltsam, andererseits freut man sich im Sinne von Kontaktpflege und Kulturwandel ja über jeden Kollegen, der auf einen zukommt. Und wer weiß, vielleicht ist Führungskraft X ja demnächst auch mal bereit, einen Text online zu stellen – jetzt, wo wir ihr gezeigt haben, wie das auf dem Handy mit den Umlauten geht und sie endlich ihren Nachnamen richtig unter ihre Mails schreiben kann.

Eines Nachmittags klingelt eines der Telefone am Desk, jemand wird zu mir durchgestellt, wir stellen uns vor. Es handelt sich um Wichtige Person X – wir kannten uns bisher nicht, dafür ist sie eng verbunden mit Wichtiger Person Y, die man fände, wenn man mit dem Finger auf einem Organigramm von meinem CvD-Posten bis fast ganz nach oben fährt. WP X geht es um ein Wohltätigkeitsprojekt; irgendwas soll zugunsten irgendeines Zweckes verkauft werden, das Geld dann gespendet. Wir reden ein wenig, und je mehr wir reden, desto klarer wird: WP X möchte, dass wir, die Online-Redaktion, dazu eBay nachbauen. Schließlich gibt es etwas zu versteigern, und er hat gehört, dass andere Firmen dafür Plattformen gebaut haben, und wir sind ja nun ein großes Verlagshaus, also ja wohl ausreichend aufgestellt, sowas auch zu bauen, für diese eine Auktion.

Ich versuche, das Ringen um Fassung hintenan zu stellen zugunsten des Aufzeigens von Alternativen. Wir könnten eine bestehende Plattform nutzen. Wir könnten Leuten anbieten, ihre Gebote zu mailen. Wir könnten eine Live-Auktion veranstalten und im Print und online dazu einladen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr, was ich alles angeboten habe, aber WP X wird zunehmend ungehalten und verlangt schließlich, mit der Chefin verbunden zu werden.

Nach ein paar Minuten stellt die Chefin WP X wieder zurück zu mir. Ihre Aussage war wie meine, aber mit Chefinnensiegel. Und tatsächlich hat WP X immerhin die Größe, sich zu entschuldigen. Nein, nicht etwa mit den Worten „Da hatten Sie wohl recht“ oder, gesichtswahrend, „Da haben wir wohl aneinander vorbei geredet.“ WP X sagt zu mir am Telefon: „Tut mir leid, Frau Scheib – ich wusste nicht, dass Sie auch einen Dienstgrad haben.“

Solche Geschichten waren es, die wir uns bei der re:publica erzählt haben, als sie noch kleiner und quasi eine dreitägige Therapiesitzung für Onliner in Offlinehäusern war, für mich, und für zig andere in derselben Situation. „Wie hast du das bei dir gelöst“ – „Wen hast du dir als Verbündeten gesucht“ – „Wie hast du erklärt, warum…“ – „Welche Zahlen hast du ihnen gezeigt, damit…“ Rückversicherung und Reality Check.

Vielleicht hat mir die Lesung des Techniktagebuchs das vor Augen gefühlt: Was damals™ wichtig, ernst oder unumgänglich war. ist heute oft vor allem lustig. Wenn ich heute die Verbündeten von damals sehe, wenn wir zusammen in Sessions zu Emojis oder Podcasts oder Presserecht sitzen – dann muss ich daran denken, wie froh ich bin, dass die re:publica heute nicht mehr der Ort ist, wo man sich dringend nötige moralische Unterstützung in ganz grundlegenden Onlinefragen holt.

Kann gut sein, dass andere Leute aus anderen Konstellationen immer noch solche Gespräche führen, sich bei der Konferenz immer noch den Rückhalt von Mitkämpfern holen. Aber wenn ich mir anschaue, wie sich die re:publica in Sachen Relevanz und Akzeptanz weiterentwickelt hat, dann gönne ich mir manchmal den Optimismus, zu glauben, dass wir in den vergangenen Jahren doch ein bisschen vorangekommen sind mit diesem Onlinedings.

Die #rpTEN – jenseits von Snapchat

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Wozu war die zehnte re:publica gut, wenn man schon vorher wusste, wie Snapchat funktioniert? Ja, der Jahresrückblick Social-Media-Recht war mal wieder großartig, Randall Munroe ist live genau so unterhaltsam wie als Buch, die Verifizierungs-Arbeit von Bellingcat ist faszinierend und die Lesung aus komplett abwegigen Bürgermails an Bundestagsabgeordnete hat einen Heidenspaß gemacht.

Trotzdem musste ich diesmal vor allem an die vergangenen re:publicas denken. Über den Daumen war ich bei knapp der Hälfte dabei, auch schon so mit „in der Kalkscheune und es gab kein Internet“ – wobei letzteres ja eh die Große Konstante dieser Konferenz ist. Und dieses spiegelige Dekor der #rpTEN, mit ihren Discokugeln und reflektierenden, sich ständig verdrehenden Namensschildern, hat bei mir tatsächlich funktioniert und eigene Reflektionen ausgelöst.

An der alljährlichen Floskel vom Klassentreffen der Digitalbranche ist nicht nur das „Klassentreffen“ nervig und ausgelutscht, sondern auch das mit der Digitalbranche. Heute, ja, mag sein – aber bei den frühen re:publicas waren wir keine Digitalbranche. Wir waren vielleicht die Anfänge von sowas, in meinem Fall: eine Onlinerin in wechselnden Verlagshäusern, die für zwei, drei Tage plötzlich nicht mehr die Exotin mit den seltsamen Ansichten und Anliegen war.

Re:publica, das war der Ort, wo man plötzlich unter Seinesgleichen war und sich gegenseitig ermutigen konnte: Ja, dieselben Probleme gibt es bei uns im Haus auch – und so hab ich versucht, sie zu lösen. Nein, Du liegst mit Deiner Einschätzung nicht falsch, Du musst sie nur besser erklären. Du glaubst, Du hast die beste Anekdote zu Beharrungskräften im Printjournalismus? Na, da solltest Du aber erst mal meine hören – komm, wir holen uns ein Bier.

So war das damals, und darum ist die re:publica heute kein Klassen-, sondern ein Familientreffen. Neu kennengelernt hab ich diesmal nur wenige Leute. Aber ein paar Dutzend Freunde, Kollegen, Mitstreiter wiedergesehen und eine Handvoll Twitter-Bekanntschaften endlich auch mal ins richtige Leben rübergehoben, mit Bier oder ohne.

Das letzte Mal, dass ich in so kurzer Zeit so viele Leute umarmt habe, war Weihnachten. Und ich wünsche den 4000 Teilnehmern, für die 2016 ihre erste re:publica war, dass es ihnen bei der #rpTWENTY genau so geht.

Genickt, geärgert, gestaunt, gelitten – die re:publica 2013

Kaum drei Tage nach der re:publica und schon ist das Fazit fertig. Heißer Scheiß, dieser Echtzeit-Journalismus.

Am meisten genickt: wenn es um Freiräume fürs Ausprobieren ging. Bei der Session zu „Stimmt das„, dem #ZDFcheck zur Bundestagswahl, gab es viele Detailfragen. Und immer wieder hat Sonja Schünemann dann sowas gesagt wie: Wissen wir noch nicht. Mal sehen. Wir machen das jetzt erst mal. Und dann gucken wir. Experimente haben das so an sich, das muss man gar nicht groß philosophisch überhöhen (kann man aber). Das haben später die „Digital Natives der Herzen“ Jochen Wegner, Katharina Borchert und Stefan Ploechinger später auch noch mal angesprochen (geht kurz nach 19′ los).

Am meisten geärgert: Bei „Citizen Desk: Rewarding Reporting“, einem Vortrag zu einem CMS für Bürgerjournalismus. Adam Thomas hat von Verdade erzählt, einem Zeitungsprojekt in Mosambik. Von einer Bürgerjournalismus-Redaktion, die eine starke Fangemeinde bei Facebook hat, andererseits aber auch viele Leser ohne Internet-Zugang. Darum werden jeden Tag die besten Facebook-Kommentare mit Kreide an eine Wand geschrieben, wo sie jeder offline lesen kann. Und mit Kreide drunterkommentieren – was dann wiederum abgetippt und auf Facebook gepostet wird. Dazu hätte ich gern mehr gehört. Ging aber nicht, weil Thomas an einem Stand in der großen Halle präsentieren musste. Zu viel Lärm, zu viel Gewusel, zu viel Ablenkung. Sollte man nicht mit Referenten machen, wenn man sie ernst nimmt. Nächstes Mal bitte jedem Vortrag seinen Raum.

Am meisten gefreut: beim „Saisonrückblick Social-Media-Recht“. Über die Bestätigung, mit dem Faktenwissen auf Stand zu sein. Und über die vielen neuen Fällen, Dönekes und zwei außergewöhnlichen Referenten. Juristen nämlich, die nicht drumrum reden.

Am meisten beneidet: Linus Neumann für die Trolldrossel in Fefes Blog. Eine geschickte Programmierung, die grob besagt: Wenn Vokabular des Nutzerkommentars auf einen Troll deutet, dann sag ihm bitte: „Sorry, Du hast das Captcha falsch ausgefüllt. Bitte noch mal.“ Auch, wenn es richtig war. Schlicht, schlau, schön böse. Sollte es als WordPress-Plugin geben.

Am meisten geschwitzt: Zwanzig Minuten mit jemandem unterhalten. Netzthemen, Wetter, alles. Auch danach immer noch keine Ahnung gehabt, wer das ist und woher wir uns kennen.

Am meisten gestaunt: bei „How to become a Cyborg“. Den Vortrag von Neil Harbisson und Moon Ribas hab ich seitdem schon mehrfach nacherzählt. Die beiden rüsten ihre Körper technisch auf, um mehr Sinneseindrücke wahrzunehmen als andere Menschen. Und ein Kleid, das „Moon River“ in Farben darstellt, möchte ich bitte auch.

Am meisten gelitten: an der Unterkunft. The Weinmeister ist ein Designhotel. Leider ist die Evolution noch nicht so weit, dass wir mickrigen Menschen den Anforderungen dieser Hotelzimmer gewachsen sind. Vier Nächte in einem Bett mit Schwarzlicht, aber ohne Möglichkeit, die Brille irgendwo hinzulegen. Vier Morgende hellwach dank kaltem Duschwasser. Ist vielleicht noch mal einen eigenen Blogpost wert.

Am meisten genossen: Drei Tage ausgezeichntes WLAN. Respekt.

Am meisten gewundert: Wie wenig die Piraten Thema waren. Günter Dueck hat in seinem Vortrag pauschal angenommen, dass eh alle Anwesenden die Grünen wählen. War kein Protest zu hören. Marina Weisband, die bei den Piraten keine so ganz kleine Nummer war, suchte an Tag 3 vergeblich nach bekannten Gesichtern.

Da könnte man jetzt schön drüber frotzeln, hätte es nicht parallel reichlich Pausen- und Flurgespräche darüber gegeben, wen man als Onliner im September bloß wählen soll. Nicht, weil nun zwingend die Piraten jedermanns erste Wahl gewesen wäre. Aber eben auch nicht, weil es so viele attraktive Kandidaten gäbe, zwischen denen man sich kaum entscheiden könnte. Stattdessen Ratlosigkeit und ein Motto-Vorschlag für die re:publica 2014: #postpiracy.

Steve Jobs als Abendprogramm bei der re:publica?

Noch gibt es kein offizielles Programm für die re:publica im Mai, nur diese Beta-Version. Also lohnt es sich hoffentlich noch, eine Idee anzubringen. Vorschlag also: Liebe Macher der #rp13, bitte ladet doch Andreas Beck ein! Nicht als Redner, sondern fürs Abendprogramm, als Gastspiel.

Andreas Beck in „Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“ (Foto: Theater Dortmund)
Beck spielt seit Herbst 2012 am Theater Dortmund die Haupt- und einzige Rolle in „Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs„. Letzten Samstag hatten wir endlich Karten, und es waren 90 grandiose Minuten. Theater, erzählte Reportage, Kabarett. Irgendsowas ist das, ein Monolog jedenfalls, über Apple, Globalisierung, das Leben als Nerd, Steve Jobs und die Arbeitsbedingungen bei Foxconn.

Wer jetzt Betroffenheitstheater erwartet, liegt leider falsch. Der Abend geht von komisch bis beklemmend, und wenn der Text zur Predigt wird, merkt man, dass Mike Daisey durchscheint. Von ihm stammt das englische Original des Textes, und ja, er ist erkennbar ein Mann mit Mission.

Tischdeko bei der Aufführung im Studio des  Dortmunder Theaters
Tischdeko bei der Aufführung im Studio des Dortmunder Theaters
Mike Daisey war in China, er hat mit Foxconn-Arbeitern gesprochen, und seitdem empört er sich. Er kritisiert Steve Jobs – und profitiert mit seinem Theaterprojekt zugleich von dessen Prominenz. (Zur Debatte, ob Daisey wegen seiner Arbeitsweise nun ein zweifelhafter Journalist ist oder einfach ein Künstler, der sich Freiheiten nimmt, kann man hier und hier und in Daiseys Blog einiges lesen).

In der Dortmunder Aufführung geht Andreas Beck zwischen den Zuschauern herum, die in kleinen Gruppen sitzen. Holt hier was aus dem Regal, legt dort einem Gast ganz päpstlich die Hand auf den Kopf. Ein Kraftakt sind diese 90 Minuten, hinterher gibt es Lesematerial zum Mitnehmen, man soll doch mal an Tim Cook mailen, wird da vorgeschlagen. Vor allem aber sorgt Beck mit seinen Schlussworten dafür, dass es sich nach dem Theater anders anfühlt als vorher, das Handy rauszuholen, zu entsperren und auf den Bildschirm zu tippen.

Also, liebe re:publica: Habt ihr für dieses Stück und diesen Schauspieler nicht vielleicht Platz im Abendprogramm? Kann ja nicht jeder in Dortmund wohnen. Da steht „Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“ im April wieder auf dem Spielplan.

Lorenz Lorenz-Meyer über Social Media in China

Zur Vorbereitung noch mal dieses Video ausgegraben und geguckt. Den Vortrag hab ich bei der re:publica 11 zwar gesehen, aber nur gewohnt unlerserliche Notizen dazu gemacht. Danach ein kleiner Anfalls von „Man müsste mal“: Man müsste mal diesen Link ausgraben zu dem Chrome-Plugin, mit dem man bei Sina Weibo mitlesen kann, ohne Chinesisch zu können. Überhaupt klingt das, was Lorenz Lorenz-Meyer über Sina Weibo erzählt, als sollte Twitter da mal Ideen klauen. Bei jedem Retweet noch mal 140 Zeichen? Super Sache.

Mit dem Nochmalgucken ist die Vorfreude auf China jedenfalls gestiegen. Und so ein Gras-Schlamm-Pferd wäre doch das perfekte Weihnachtsgeschenk für Patenkind 1, 2 und 3. Mal sehen, ob es das als Nerd-Kuscheltier gibt.