Von hier an Katzenbloggerin

Katzenblogger

Liebe russische Behörden, nur damit da keine Zweifel aufkommen: Ich bin ja Katzenbloggerin. Echt jetzt.

Das nur als Hinweis, während ihr weiter an der Schraube dreht, um Meinungsäußerung und Meinungsvielfalt im Netz einzuschränken. Wie, kann man hier nachlesen. Aber, da das laut jüngsten Angaben eurer Internet-Aufsichtsbehörde ja Katzenblogger nicht betrifft, nehmt dieses Foto.

(Mehr zum Thema Internet-Zensur in Russland auch bei The Verge, in der Süddeutschen und bei Zeit Online. Danke an Anja für das Foto.)

Wie das russische Staatsfernsehen mal zu faul zum Googeln war

Sreenshot Rossija 24

Dass man mit der Bezeichnung „Nachrichtensender“ vorsichtig sein muss, gehört ja inzwischen zum Basiswissen in Sachen Medienkompetenz. In Deutschland zum Beispiel, weil es sich oft eher um ein Rahmenprogramm für Hitlers schönste U-Boote, Europas tiefste Schlaglöcher und Außerirdische in den USA handelt. Oder bei CNN, was abseits der USA ja inzwischen ein Mix ist aus zeitlosen Hintergrund-Magazinen und irgendwelchen Golf- und Segel-Clips, die Werbekunden ein Premium-Umfeld suggerieren sollen.

In Russland heißt der „Nachrichtensender“ Rossija 24 und verdient sich seine Anführungsstriche vor allem durch stramme Linientreue. Ein Staatssender, auf dessen Bildern die ukrainischen Demonstranten auf dem Maidan nie etwas anderes waren als Knüppelschwenker in Sturmhauben. Was der Kreml möchte, dass seine Bürger denken, läuft hier (und auf den größeren Sendern derselben Familie).

Wer noch Bestätigung brauchte, dass Recherche – höflich gesagt – nicht zu den Kernkompetenzen von Rossija 24 gehört, der bekam sie am Tag nach dem 7:1-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft über Brasilien. Ein deutscher Kneipenwirt, berichtete der Staatssender, sei bankrott gegangen, weil er leichtfertig für jedes deutsche Tor einen Schnaps versprochen habe. Armer Kerl, dieser Alexander P, und in seinem Leid nicht alleine: Von den 200 Gästen des Abends seien mehr als 60 mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus gelandet.

Wem die Geschichte nun bekannt vorkommt, der hat Recht: Ausgedacht hat sie sich Der Postillon – mit großem Erfolg: Den Facebook-Post mit der Pleite-Geschichte teilten fast 10.000 Leute. Und irgendwie landete die Sache dann wohl auch bei Rossija 24.

Was die Leute dort nicht getan haben: Auf der Postillon-Seite unter FAQ nachgesehen, wo direkt als Punkt 1 die Sache mit der Satire erklärt ist. Oder mal bei Wikipedia, wo auch gleich im ersten Satz dasselbe Stichwort fällt. Satire heißt auf Russisch fast genau so (сатира), außerdem gibt es Google translate, man hätte also durchaus drauf kommen können.

Natürlich fallen jeden Tag Leute auf den Postillon rein, der das bei Facebook dann auch genüsslich dokumentiert. Aber hier war eine ganze Redaktion zu dumm faul für schlichtestes Gegenchecken – und steht damit nun verdienterweise in einer Reihe mit The People’s Daily. Die Zeitung der Kommunistischen Partei Chinas feierte 2012 auf ihrer Internetseite die Wahl von Kim Jong-un zum Sexiest Man Alive. Gewählt hatte den damals allerdings die Redaktion von The Onion.

Da lacht der Kommunist

Das Dom Knigi, Moskaus großer Buchladen, hat ein ganz solides Angebot an englischsprachigen Büchern. Neulich hab ich dort auf gut Glück „Hammer & Tickle – A History of Communism Told Through Communist Jokes“ mitgenommen und behellige seither Freunde und Verwandte mit Perlen wie dieser:

Was ist der Unterschied zwischen Stalin und Roosevelt? Roosevelt sammelt Witze, die Leute über ihn erzählen. Stalin sammelt Leute, die Witze über ihn erzählen.

Es ist ein Buch zum Film, entstanden aus einem Projekt des Dokumentarfilmers Ben Lewis. Anschaulich, in vielen Anekdoten und an Interviewpartnern entlang erzählt, die im Ostblock Kabarettisten oder Karikaturisten waren, Bürokraten oder Oppositionelle.

Hammer and Tickle Book CoverDass sich Lewis wie ein braver Wissenschaftler an der Hypothese abarbeitet, der Humor habe zum Fall des Eisernen Vorhangs beigetragen, stört nicht weiter beim Lesevergnügen. Soll er gern tun, aber auch ohne Weltformel des kommunistischen Witzes gibt es hier viel zu entdecken.

Zum Beispiel die Geschichte von Iwan Burilow, der unter Stalin zu acht Jahren im Gulag veruteilt wurde. Er hatte 1917 auf seinen Wahlzettel das Wort „Komödie“ geschrieben, das reichte dem Staat als Rechtfertigung. So scheint immer wieder Bitteres durch – egal, um welches Land und welches Jahrzehnt es gerade geht.

– Hast Du schon gehört, dass sich seit dem Frühling die Lebensqualität in Rumänien verdoppelt hat? Vorher haben wir gefroren und gehungert, jetzt hungern wir nur noch.

– Wann feuert ein guter Grenzsoldat den Warnschuss ab?
– Am Ende vom zweiten Magazin.

– Wie wird 1964 die Ernte?
– Durchschnittlich – schlechter als 1963, aber besser als 1965.

Dafür, dass er über die subversive Kraft von Witzen schreibt, kommt Ben Lewis selbst oft ganz schön verbissen und humorlos rüber. Wenn er Gespräche mit seiner Freundin wiedergibt, ist er der Rechthaber in Siegerpose, der ihr stets gern und ungefragt immer wieder erklärt, warum das kommunistische System, in dem sie aufgewachsen ist, scheitern musste.

Von oben herab sind meist auch die Sätze, mit denen er seine Zeitzeugen einführt. Keine Ahnung, ob da ein Dokumentarfilmer dem geschriebenen Wort nicht traut und meint, er müsste dem Leser auch gleich noch immer durchbuchstabieren, was er von wem zu halten hat.

Abgesehen davon aber ist das Buch saftige, unterhaltsame Lektüre. Epoche für Epoche ordnet Lewis die Witze, die er aus teilweise ziemlich obskuren Quellen zusammenträgt, in den geschichtlichen Zusammenhang ein. Dazu gehört auch ein Exkurs zum Humor im Nationalsozialismus – und zum Schluss ein Blick auf Humor im post-kommunistischen Russland:

Wladimir Putin geht mit den Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern in ein Restaurant. Der Kellner kommt und will Putins Bestellung aufnehmen.
– „Ich nehme das Steak.“
– „Und was ist mit dem Gemüse?“
– „Die nehmen auch das Steak.“

Wer jetzt noch nicht genug hat, kann sich hier von einem gelernten Vortragskünstler weitere Witze aus Sowjetzeiten erzählen lassen. (Gesehen bei Breakfast in Moscow.)

An der schönen blauen Moskwa

Katjuscha Graffiti Strogino
Chor-Picknick in einem Birkenwäldchen am Moskwa-Ufer in Strogino. Da, am Moskauer Stadtrand, erkennt man den Fluss kaum wieder: sandiges Ufer, Entenküken paddeln hinter der Mutter her, manchmal zieht ein Boot einen Wasserski-Fahrer durchs Bild.

Es riecht, natürlich, mal wieder nach Schaschlik – Dirigent am Grill – und wir versuchen rauszufinden, wie viele Sprachen der Moscow International Choir wohl beherrscht. Russisch und Englisch, klar, Italienisch, Französisch, Rumänisch und Deutsch. Holländischbrocken. Zählt Latein? Eine Russin, deren Deutsch nach Tirol klingt, hat neulich erzählt, dass sie als nächstes Kölsch lernen will.

Tütenweise frische Kirschen stehen auf dem Tisch, Brot, Salate, Pistazien, Chips und etwas, was nach Tofu-Quadern aussieht, aber wie Apfel-Mäusespeck schmeckt: Pastila. Wieder was gelernt. Dazu Weihnachtskonzert-Pläne (es ist nie zu früh, sowas kommt ja immer total unverhofft), es wird wohl was von dem Mann werden, der hier „Joseph Gaydn“ ausgesprochen wird. Und weil das hier Russland ist, trinken wir unseren Saft und Wein nicht einfach, sondern stoßen immer wieder an, gern auch mit Trinkspruch. „Auf die Schönheit, und dass wir alle schön sind“, legt ein Sopran vor. Völlig übliches Kaliber, das lernt man als Nichtrusse hier schnell.

Ein paar Schritte weiter hat jemand „Katjuscha“ an einen ollen Schuppen gesprüht, die russische Koseform von „Katrin“. Auf das Foto drängeln sich noch ein paar Klischeebirken mit drauf. „Graffiti nennst Du das? Ich nenn das Vandalismus“, sagt eine Mitsängerin. Für mich fühlt sich Moskau gerade sehr nach zuhause an. Ist noch Schaschlik da?

Russland, China und diese eine Szene aus „Friends“

Vokabelkarte pivotWährend die Kluft zwischen Russland und dem Westen wächst, rücken Russland und China immer enger zusammen. Allein in diesem Monat gab es nicht nur den massiven Gas-Liefervertrag, sondern auch Absprachen für eine engere Zusammenarbeit im Weltraum und für den Bau einer Brücke über den Amur.

Erst gestern Abend haben China und Russland gemeinsam einen Resolutionsentwurf zu Syrien im UN-Sicherheitsrat blockiert, und das gemeinsame Seemanöver soll auch noch in den Mai fallen.

Die Tücke daran ist, dass sich die englischsprachigen Medien auf einen Begriff für diese Hinwendung Russlands nach China geeinigt haben, der sich unsprünglich auf das Verhältnis zwischen Washington und Peking bezog: „Russia makes its own pivot to Asia„, schreibt die FT, für CNN ist „Putin’s China pivot: All tactics, no trust“ und Charles Krauthammer schreibt in der Washington Post: „Who made the pivot to Asia? Putin.

Pivot bei Reuters, pivot bei Bloomberg, pivot hier, hier und dort – und hey, Alliteration: Putin’s Pivot.

Was natürlich dazu führt, dass ich seit Wochen jeden Tag das hier im Hinterkopf habe.

Wie wir die Moskauer Siegesparade nicht mal ansatzweise sahen

Die besten Orte, um am 9. Mai die große Moskauer Militärparade zu sehen, sind: 1. Die VIP-Tribüne auf dem Roten Platz. 2. Die Pressetribüne. 3. Der Fernsehsessel. 4. Sonstwo auf dem Roten Platz.

Unser Frauengrüppchen ist unterwegs zu Nummer 5: Mit der Metro bis zur Haltestelle Twerskaja, wo es um 9 noch gute Stehplätze in der zweiten Reihe hinterm Absperrgitter gibt.

müllauto Seitenstraßen blockieren die Paradenplaner gerne mal mit geparkten Müllautos, die daraufhin sofort als Aussichts-Plattform umgenutzt werden. Wir sehen auch von hier unten: dunkelgrüne Armee-Gefährte, die ich leichtfertig für Panzer halte.

Die Korrektur kommt kurz darauf via Twitter: Das ist doch self-propelled artillery! Anfängerfehler.

Lang wird uns die Stunde bis zum Beginn nicht, zu interessant ist das Leutegucken. Wieder überall schwarz-orangene Bänder, dazu Russlandfahnen; als die Nicht-Panzer ihre Motoren anwerfen, brandet kurz Jubel auf. Sie rollen weg und es bleibt das, was beim Rosenmontagszug die Putz- und Baggagewagen sind: drei, vier grüne Trumms, die man gut auf einem Abenteuerspielplatz parken könnte. Kein einziges Regiment marschiert vorbei, stattdessen sehen wir das Geschehen auf dem Roten Platz beim netten Nebenmann auf dem Tablet-Bildschirm.

Nein, die Twerskaja ist nicht der beste Ort, wenn man ein Paradengefühl erleben will. Aber als Gegenpol zu den durchchoreografierten Fernsehbildern ist sie genau richtig. Die entspannten Soldaten, die gelangweilten Wachhunde. Der Dreck und Lärm, den solche Motoren machen. Die Zuschauer, die auf ein Gerüst klettern und wieder runtergescheucht werden. Familien, die für den Nachmittag Schaschlik-Pläne schmieden.

6Auch zum Flugzeugegucken stehen wir hier falsch: Dass gerade wieder neue Maschinen der russischen Luftwaffe unterwegs zu uns sind, hören wir nur am Jubel aus den Wohnhäusern gegenüber. Denn die Helikopter, Transport- und Kampfflugzeuge fliegen hinter uns vorbei – bis wir sie sehen, sind sie nur noch kleine Tupfen in Keilformation. Im Herbst gingen sie als Kraniche durch.

Erst, als Putin und die Paradeure Feierabend haben, wird es bei uns noch einmal kurz spektakulär. Denn nun rollen reichlich Fahrzeuge vorbei, mit Raketen (non-self propelled rockets?) hinten drauf oder mit wehenden Fahnen. Sehr nah, sehr grün, und nie ganz zu sehen wegen all der Fotohandys. War’s das jetzt? Das war’s. In der U-Bahn-Haltestelle legt ein alter Mann in Uniform Blumen vor einem Kriegerdenkmal nieder. Wenn ein Bild von heute bleibt, mehr als rollende Militärmaschinerie, ist es das.

veteran

Warten auf die Panzer

– Meinst Du, die kommen noch?
– Weiß nicht, noch ist ganz normaler Verkehr.
– Naja, irgendwann müssen sie ja kommen.
– Vielleicht fahren sie auch wo anders lang.
– Komm, wir gehen schlafen.
– Hm.
– Komm.
– Halbe Stunde noch.

Es ist der 8. Mai, kurz vor Mitternacht. Wir stehen am Wohnzimmerfenster, gucken über den dunklen Innenhof auf den Kutusowskij-Prospekt und warten auf die Panzer.

Angeblich ist unsere Straße manchmal die Zufahrtsstrecke am Abend vor der großen Parade. Unklar, warum die Möglichkeit, dass da gleich Militär durch die eigene Straße rollt, uns wachhält. Irgendwo zwischen gruselig und faszinierend muss der Grund liegen.

Letztlich gewinnt dann aber doch das Bett.

Film-Fundstücke aus dem Pathé-Archiv: Moskau

Mitte April hat British Pathé sein komplettes Archiv bei Youtube veröffentlicht – 85.000 Filme, der älteste aus dem Jahr 1896. Wochenschauen aus dem Kino, ruckeliges Rohmaterial, viel Schwarzweißes und ein bisschen Farbe.

Keine drei Wochen ist das her, was erklärt, warum viele faszinierende Clips erst ein paar Dutzend Mal gesehen wurden. Das dauert halt, das alles zu durchstöbern.

Die schiere Masse hat auch die Idee zunichte gemacht, darüber einen Blogpost zu schreiben. Einer reicht einfach nicht, um so in den Filmen zu schwelgen, wie sie es verdient haben. Es wird also wohl eine kleine Serie werden – zum Start hier meine historischen Lieblingsvideos aus Moskau.

1. Ohne Ton, aber mit reichlich Schnee entstanden 1924 diese Bilder von Lenins Beerdigung. 35 Grad unter null waren es an diesem Tag, trotzem lief ein langer Trauerzug an der Basilius-Kathedrale vorbei zum Kreml.

2. Kein Video aus Moskau, aber mit Moskauer Bezug: Zwei Jahre vor seiner ermordung wendet sich Leo Trotzki im mexikanischen Exil an die Öffentlichkeit. Er rechnet mit Stalin ab und verurteilt die Schauprozesse in seiner früheren Heimat.

3. Nicht alles im Pathé-Archiv ist große Geschichte, aber auch die Filme aus dem Alltag in Moskau erzählen Geschichten. Wie bei diesem Staffelrennen: Kein Zehnkampf, kein Fünfkampf, kein Triathlon – die Disziplinen sind Laufen, Radfahren, Rudern und Motorradfahren.

4. Konrad Adenauer 1955 zu Besuch in Moskau – „der wichtigste Staatsbesuch seit dem Krieg.“ Eine halbe Minute, nicht mehr, und am Schluss der Hinweis, dass es auch um die BRD und die DDR gehen soll. Schließlich, so der Sprecher, sei beiden Seiten klar, dass die Wiedervereinigung für den Frieden in Europa nötig sei.

5. Gott, ist das hölzern, was diese Kinder auswendig lernen mussten und nun hier aufsagen. Trotzdem eine große Überraschung, dass es 1960 hier schon eine Schule gab, in der nur Englisch gesprochen wurde. Heute sind internationale Schulen in Moskau normal, damals war es einen eigenen Bericht wert.

6. Trockenhauben und Toupierkämme – ein Blick auf das Schönheitsideal im Moskau der frühen Sechzigerjahre.

7. Schauspieler des National Theatre reisen nach Moskau, um dort „Othello“ aufzuführen und zwischendurch als Protagonisten für diesen Film über das Russland der Sechziger aufzutreten. Schwer zu sagen, was interessanter ist – die Bilder aus der Hauptstadt oder der Sprecher-Kommentar: „Unsere Schauspieler wollen hier auch russische Leute treffen“, sagt er in perfekter received pronunciation. „Wie leben diese geheimnisvollen Menschen, die einst im Krieg unsere Verbündeten waren, aber für uns stets eine unbekannte Größe sind?“

Fundstück bei 5’15“: eine Kamerafahrt bei uns am Haus vorbei – leider mit Blick in die andere Richtung. Dafür gibt es zum Schluss dann noch Sir Laurence Olivier als Othello.