„Spasskaja Baschnja“, das Moskauer Militärmusikfestival

Spasskaja Baschnja Totale 

Erste Male: ein Militärmusik-Festival ansehen. Und das in diesen Zeiten, wo der nichtmusikalische Teil des russischen Militärs sich gerne mal in der Ukraine aufhält, natürlich nur auf Eigeninitiative im Urlaub oder weil er sich verlaufen hat. Trotzdem zum Festival gehen, geht das? Es geht.

„Spasskaja Baschnja“ heißt das Festival, nach dem Erlöserturm des Kremls, aber um es ausländischen Gästen leicht zu machen, ist auf der englischen Version der Homepage lieber vom „Kremlin Military Tattoo“ die Rede. Ein „großes ‚Schlachtfeld‘ der Bands aus verschiedenen Ländern“ sei das, ein „Kampf um die Liebe und Bewunderung des Publikums„, ein „gut gestimmtes Instrument des internationalen Kulturaustauschs“.

Antreten zum Austreten - Soldaten in historischen Kostümen kurz vor Beginn.
Antreten zum Austreten – Soldaten in historischen Kostümen kurz vor Beginn.

Im Vorprogramm reiten russische Soldaten Dressur auf Trakehnern, können Kinder unter Anleitung eines Clowns eine Kanone abfeuern, posieren Männer in historischen Uniformen für Fotos. Dann also internationaler Kulturaustausch, will sagen: Russlands Kapellen haben sich Verstärkung geholt. Aus Serbien und Armenien, Italien und der Türkei, aus der Schweiz, Irland und Mexiko. Und dafür, dass im Gastgeberland Militarismus und Uniformen zum Alltag gehören, ist das Ergebnis ungefähr das flauschigste Musikfestival aller Zeiten.

Ja, es gibt Märsche, aber dazwischen „Venus“, „Unchain my Heart“, „You’re in the Army now“ und „Bésame mucho“ – nur eben mit jungen Gardesoldaten, die dazu in Formation ihre Gewehre samt Bajonett jonglieren und Salutschüsse abgeben. Ein Posaunist und ein Saxophonist in Traumschiff-tauglichen Uniformen wetteifern in Bigband-Solos. „Katjuscha“ auf Dudelsäcken gehört zum Programm, auch „Korobeiniki„, die Tetris-Melodie. Eine Frau singt von der Liebe zu Moskau. Männer marschieren in Formationen, mal zackig, mal bilden sie ein warm angestrahltes Herz. Wem das noch nicht genug Flausch ist, der kann beim Bauchladenmann eine rote Fleecedecke gegen die Abendkälte kaufen.

Ein Herz für Militärmusik, gebildet von Militärmusikern
Ein Herz für Militärmusik, gebildet von Militärmusikern

Manchmal erinnert es an Jugend im Rheinland. Daran, mit Klarinette in der klammen Händen einem Sankt Martin hinterherzustolpern und sich zu wünschen, es gäbe Regen, weil dann nur die Blechbläser spielen müssten. An Karnevalszüge, zu denen der Farbe halber Gruppen aus anderen Ländern eingeladen werden. Ans Schützenfest, bei dem diese Kapelle aus Serbien sicher der kleinste Teilnehmer gewesen wäre zwischen all den Sankt Sebastianern und Hubertusschützen. Et Trömmelsche jeht heute Abend in Moskau. Manchmal synkopiert es sogar und alle, die gerade noch auf Eins und Drei geklatscht haben, gucken irritiert.

Wer ein Ohr fürs Zeitgeschehen hat, hält nicht nur beim Rhythmuswelchsel inne. Sondern auch, wenn die lautstark bejubelte Kapelle aus Sewastopol auftritt und eine Frau im blauweißen Kleid den „Sewastopol-Walzer“ von der Liebe der Matrosen singt. Wenn die Schweizer Sappeure mit ihren weißen Schürzen nach Gemetzel aussehen. Wenn „The Final Countdown“ erklingt. Wenn der Moderator jede ausländische Gruppe in der Landessprache verabschiedet: „Danke, Freunde, für einen großartigen Auftritt. Wir sehen uns nächstes Jahr.“

Wenn sie denn nächstes Jahr noch kommen. 2012 war hier die Bundeswehr dabei, kamen Polen und Franzosen. Noch 2013 wurden auf der Veranstalter-Seite explizit die teilnehmenden Nato-Staaten genannt, außerdem liefen Österreicher, Finnen und Briten auf.

Die Kasachen jedenfalls, das steht fest, werden wohl auch 2015 keinen Grund haben, nicht zu kommen. Vielleicht spielt ihre Ehrengarde ja dann noch mal „I Like To Move It“.

Russische und sowjetische Werbeposter aus dem Getty-Archiv

(Ein Werbeplakat für die Versicherungsgesellschaft „Russland“ aus dem Jahr 1903)

Ab und zu muss dieses Blog für Fundstücke aus öffentlich zugänglichen Archiven herhalten. Heute ist wieder so ein Tag, diesmal geht es um Bildmaterial von Getty Images. Seit einiger Zeit dürfen Blogger diese Motive kostenlos verwenden – immer vorausgesetzt, sie betten sie ein.

Das hat für die Nutzer diverse Haken – rechtliche, technische, organisatorische, im Detail hier gut zusammengefasst. Hinzu kommt, was beim Embedden immer gilt, egal ob Getty-Fotos, Youtube-Videos oder Tweets: Wo nur Code statt Foto, da auch kein Vorschaubild. Selbst ein knatschbunter, abwechslungsreicher Post wie dieser hier sieht also auf Facebook nur wie ein schrabbeliger Link aus.

(„Raucht Zigaretten des ukrainischen Tabaktrusts – höchste Qualität!)

Alte Werbeplakate aus Russland und der Sowjetunion gibt es bei Getty Images reichlich. Vermutlich sogar mehr, als ich gefunden habe, denn sie sind eher mittelprächtig verschlagwortet. Vor allem die Zeitangaben sind bei Russland-Motiven oft falsch, gerne mal um ein, zwei Jahrhunderte verrutscht. Irgendwer hat da wohl als Default-Einstellung den 1. Januar 1753 gewählt.

Egal. Die Poster wirken auch so, ob als farbige Zeichnung oder Schwarzweißfotografie. Hier also ein paar Lieblingsmotive aus der Zeit, als es einem noch nicht seltsam vorkam, wenn Syndikate, Trusts und Staatsfirmen Konsumgüter herstellten.

(Werbung für die staatliche Parfum-Marke теже/Tesche)

(„Immer ab Lager lieferbar – verlangen Sie Schuhe vom Allrussischem Ledersyndikat.“)

(20 Zigaretten der Marke „Soldat“ für fünf Kopeken, hergestellt von der Tabakfabrik „Kolobow und Bobrow“ aus Sankt Petersburg)

(„Kauf Kalender von Zentrosojus“)

(Werbung für die Transsib aus dem Jahr 1930)

(„Kauft Hefe“)

(„Kaviar vom Stör – ein körniges, leckeres, nahrhaftes Lebensmittel“)

(Puder, Parfum und Crème der Marke „Weiße Nacht“)

Ein Jahr ohne West-Essen als Facebook-Projekt

Am Tag, als Russland seinen Lebensmittelmarkt abschottete, entschied sich Eva Mala für die Öffentlichkeit. Die 29-jährige Tschechin mit russischen Wurzeln lebt in Moskau, gibt hier Sprachunterricht und betreibt neuerdings eine Facebookseite: 365 Days Of Russian Ban On Food. Ein Jahr lang will sie dort Mahlzeit für Mahlzeit dokumentieren, wie sie sich ernährt – und wie sich die Ernährung im Laufe des Jahres verändert.

„Es gibt auf den diversen Websites so viele Kommentare zu dem Thema, die manchmal gar nicht stimmen, also will ich das korrigieren“, erklärt sie. Den Facebooknutzern wolle sie zeigen, wie es tatsächlich hier aussehe, was wirklich geschehe. „Denn die Menschen im Westen denken, hier gibt es nichts mehr zu essen, und die Russen denken, das Einfuhrverbot ist eine super Sache. Keiner von beiden hat Recht.“

Bisher sind es erst knapp über 100 Facebook-Nutzer, die Eva auf den Teller gucken wollen. Dass die Seite schon bald wachsen wird, liegt nahe – denn die Einblicke in Evas Essens-Alltag sind nicht nur anschaulich, sondern auch gut so getextet, dass der Genussmensch durchkommt.

Nicht jedes Glas Wasser will sie posten, sonst aber alles – auch, wenn es am Wochenende mal zu viel Wein war oder eine ganze Tafel Schokolade nach einem harten Tag. Das ist der Plan.

Schon vor dem Einfuhrverbot sei das russische Essen nicht allzu gut gewesen, findet Eva, die gerne kocht und nach Einschätzung ihres Freundes auch ziemlich gut. „Seit einem Jahr lebe ich jetzt hier, und das Problem waren immer niedrige Qualität und hohe Preise.“ Das selbstgebackene Brot aus russischem Mehl habe nicht richtig geschmeckt, und nun also auch noch das Einfuhrverbot. Seitdem, sagt Eva, sei ihr vor allem eines aufgefallen: die Sache mit dem Käse.

„Ich finde keinen Parmesan, keinen Camembert, keinen guten Blauschimmelkäse.“ Auch manche Obst- und Gemüsesorten seien in Noginsk, wo sie sich derzeit aufhält, schwer zu bekommen. Alles noch keine ernsthaften Probleme, aber das Einfuhrverbot ist ja auch erst ein paar Tage alt. Die Pizza mit sauren Gurken könnte da nur der Anfang sein.

Moskauer Warenkorb, August 2014

Dieser Blogpost ist leider nicht besonders faszinierend, aber nötig als Ausgangspunkt für andere in der Zukunft. Die werden dann auch hoffentlich wieder interessanter, versprochen. Sorry.

Seit dieser Woche gilt also das russische Einfuhrverbot für viele Lebensmittel aus dem Westen. Nach allen Gesetzen von Angebot und Nachfrage müsste das zu steigenden Lebensmittelpreisen führen – erst recht, weil die Entscheidung so abrupt kommt. Die Lücken gibt es ab sofort, wer sie füllt, klärt sich erst nach und nach. Was also wird teurer, was verschwindet vielleicht ganz aus dem Angebot?

Zeit für einen Warenkorb.

Wissenschaftlich ist das hier nicht, die Auswahl eine Mischung aus Nachdenken und Zufall: Es sollten Obst, Gemüse, Milchprodukte und Fleisch dabei sein; russische Produkte und solche, bei denen mir in der Vergangenheit aufgefallen ist, dass sie importiert waren, etwa Holland-Tomaten. Andererseits gab es zum Beispiel Auberginen, die eigentlich in den Korb sollten, gerade schlicht nicht. Das ist halt manchmal so, auch schon vor dem Importverbot.

Herausgekommen ist darum, der Vollständigkeit halber, ein Warenkorb in zwei Hälften*. Die erste Hälfte sind Preise aus einem echten Supermarkt. Perekrjostok (Kreuzung) ist ein mittelguter, mittelteurer Laden; wer Luxusprodukte will, muss zu Asbuka Vkusa gehen oder zur Perekrestok-Edelschwester Seljonyj Perekrjostok. Die Preise sind die unserer Filiale am Kiewer Bahnhof. Dort gab es diese Woche:

    Möhren für 29 Rubel/Kilo
    Tomaten für 39 Rubel/Kilo
    Rote Paprika für 44,50 Rubel/Kilo
    Weißkohl für 10 Rubel/Kilo
    Äpfel für 44,50 Rubel/Kilo
    Birnen für 69 Rubel/Kilo

    Milch (2,5%) für 63,44 Rubel/Liter**
    Naturjoghurt (bio) für 37,6 Rubel/100g
    Butter für 46,50 Rubel/100g
    Brie für 97,50 Rubel/100g
    Parmesan für 159,50 Rubel/100g

    Hähnchenbrust (aus der Fleischtheke) für 185 Rubel/Kilo
    Schweinekotelett (aus der Fleischtheke) für 406 Rubel/Kilo

Der zweite Teil des Korbes ist umfassender und deutlich leichter recherchiert. Aus dem Angebot von Utkonos (Schnabeltier), einem Lebensmittel-Lieferdienst mit halbwegs zivilen Preisen, habe ich für die kommenden Monate diese Lebensmittel gebookmarkt, auch hier sind die Preise aus dieser Woche.

Kartoffeln für 28 Rubel/Kilo
Zwiebeln für 34 Rubel/Kilo
Gurken für 109 Rubel/Kilo
Zucchini (hellgrüne, nicht die dunklen, die wir in Deutschland kennen) für 26 Rubel/Kilo
Auberginen für 145 Rubel/Kilo
Rote Bete für 17 Rubel/Kilo
Eisbergsalat für 75 Rubel/Stück
Kohlrabi für 85 Rubel/Kilo

Nektarinen für 117 Rubel/Kilo
Zitronen für 139 Rubel/Kilo
Papaya für 415 Rubel/Kilo
Mango für 330 Rubel/Kilo
Bananen für 47 Rubel/Kilo
Orangen für 85 Rubel/Kilo
Grapefruit für 82 Rubel/Kilo
Kiwi für 229 Rubel/Kilo

Milch für 66,10 Rubel/Liter
Butter für 49,88 Rubel/100 g

Graubrot, geschnitten, für 76,56/Kilo
Toastbrot für 79,80 Rubel/Kilo

Rinderhack für 412 Rubel/Kilo
Ganzes Hähnchen für 150 Rubel/Kilo
Durchwachsener Speck für 650 Rubel/Kilo

Kabeljau (TK) für 228 Rubel/Kilo
Lachssteak (TK) für 576 Rubel/Kilo

Damit ist der langweilige Blogpost auch schon vorbei. Mehr dann im September, wenn es was zu vergleichen gibt. Und für alle, die bis hierher durchgehalten haben: ein Bild vom einem Schnabeltier, dem Namenspatron des Lieferdienstes.

* Im Supermarkt, wo man leicht den Blick schweifen lassen kann, gilt immer der Preis für die billigsten Äpfel, den billigsten Liter Milch. Bei Lieferservice mit seinem Riesenangebot, das man tatsächlich nicht nach Kilopreis sortieren kann, ist es jeweils ein Produkt von einer Marke, also zB immer die 1,5%-Milch von „Häuschen auf dem Lande“.

**Krumme Preise wie dieser liegen meist daran, dass hier viel mit Packungsgrößen getrickst wird. Bei der Milch zum Beispiel waren es im Original 59 Rubel für eine 930-Milliliter-Flasche.

Der bisher schönste Tweet des Tages (IV)

…ist heute einer, wie er mir bei Twitter noch nie begegnet war – und bei dem ich auch erst nicht verstanden habe, wie er funktioniert. Hier ist er, nicht eingebettet, sondern als Screenshot. Aus Günden.

tweet russia 1 von 2

„Aus der Rubrik: Klicken Sie auf das Bild“ hat @zhgun drüber geschrieben. Wer das tut, sieht statt einer Login-Maske für „Russia“ auf einmal das hier:

russia tweet 2 vn 2

Warum ist das bemerkenswert? Nicht nur wegen der politischen Aussage, sondern vor allem, weil es derselbe Tweet ist, der da so unterschiedlich aussieht. Okay, seit ein paar Monaten kann man ja mehr als ein Foto an einen Tweet anhängen – hängt hier also ein weißes Russland-Bild und ein schwarzes USSR-Bild dran? Nachschauen ergibt: nein, nur ein einziges Motiv. Auch kein GIF, kein Video, nichts Komplexes. Ganz schlicht, und schlicht zu hoch für mich.

Die Auflösung kommt, natürlich, via Twitter (danke, Jan Wienken): Es liegt im Kern daran, dass es zwei verschiedene Arten sind, den Tweet anzuzeigen. Einmal in der Timeline, und einmal nach dem Klick als Overlay. Und da gelten in der Benutzeroberfläche von Twitter seit einiger Zeit verschiedene Designs, bei denen die transparenten Teile eines Bildes unterschiedlich ausgefüllt werden.

Wer sich genauer einlesen oder es selbst probieren will, findet hier eine genaue Anleitung, einschließlich Norman-Rockwell-Beispielbild. Ein schöner, verspielter Hack, der das Twitter-Design klug ausnutzt. Und jetzt, zum Rumspielen, der Tweet des Tages in der klickbaren Version – und noch ein paar, die nach demselben Prinzip funktionieren.

So lange der Vorrat reicht

Hamsterkauf

„Wenn sie noch mehr wollen, kann ich Ihnen auch noch was holen“, sagt die Supermarkt-Mitarbeiterin. Von sich aus, mit einem Lächeln, was für Moskauer Verhältnisse ungewöhnlich ist. Aber gut, ich steh hier jetzt auch schon fünf Minuten an der Milchtheke und staple Brie und Ziegenfrischkäse in den Wagen, Halloumi und Mozzarella, Milch und Joghurt.

Vor drei Stunden hat Dmitri Medwedew verkündet, welche Lebensmittel aus den USA, der EU und einigen anderen Ländern ab sofort nicht mehr nach Russland eingeführt werden dürfen. Die Liste ist so umfassend, dass man besser aufzählt, was künftig von dort noch ins Land darf: Getränke und Babynahrung.

Für mich ist das lästig, aber letztlich ein Lifestyleproblem. Da ich meinen Joghurt gerne ohne Zuckerzusatz und Konservierungsstoffe habe, kam der bisher aus Lettland. Die Milch ist finnisch, der Käse italienisch, deutsch oder französisch – denn das sonstige Käseangebot kennt zwar viele Darreichungsformen (bis hin zur Käseschnur, gerne auch als Zopf), an Geschmacksrichtungen aber nur Fifty Shades of Salt.

Was noch? Russischen Tofu hab ich bisher nirgends gesehen, ärgerlich für einen Halbvegetarierhaushalt. Andererseits ist die Blockade von Fleischimporten da kein großes Problem, dann schon eher die von Fisch. Beim Rest – Obst und Gemüse, Mehl, Müsli, Nüsse – bleibt vor allem das Gefühl, dass künftig manches ein bisschen suspekter sein wird. „Bio“ ist hier kein großes Thema, und von der Lebensmittelaufsicht hört man vor allem, wenn Politiker westliche Firmen schikanieren wollen oder ein paar junge Sibirier meinen, sie seien Kleopatra.

Was für Europäer mit Europäergewohnheiten und Europäergehalt nur ein Verlust an Lebensqualität ist, trifft die Russen sehr viel härter. Die billigen polnischen Äpfel gibt es schon ein paar Tage nicht mehr, auch anderes Obst und Gemüse wird teurer werden, denn Russland ist weit davon entfernt, sich selbst versorgen zu können. Und wer das russische Durchschnittseinkommen von monatlich 23,000 Rubel (knapp 490 Euro) zur Verfügung hat – viele haben nicht mal das – , für den macht es einen Unterschied, ob die Tomaten 48 Rubel fürs Kilo kosten oder 68, die Birnen 95 oder 115.

KäseIn einem Land mit ohnenhin erschreckend niedriger Lebenserwartung heißt das: Für viele wird es schwieriger werden, sich gesund zu ernähren – und für einige, sich überhaupt zu ernähren. Über allzuviel öffentlichen Protest muss sich Putin trotzdem keine Gedanken machen. So ein gemeinsamer Feind, das eint – und die frisch annektierte Krim hat seiner Beliebtheit sicher auch nicht geschadet. Jede Umfrage liefert neue Rekordwerte.

„Und ab morgen gibt es das alles nicht mehr?“, frage ich die Supermarktfrau vorm Käseregal. „Wer sagt das?“, will sie wisen, und ihr Gesicht zeigt nur ganz kurz, dass sie diese Frage heute nicht zum ersten Mal hört. „Wir haben noch viel auf Lager“, sagt sie dann, „und das verkaufen wir auch.“

(Tafelbild via Chalkboard Generator)

Mit Top Gear von der Ukraine Richtung Weißrussland

Als wir noch recht neu hier in Moskau waren, hing in vielen Metro-Zügen Werbung für die Live-Show von „Top Gear“. Hingegangen sind wir zwar nicht, so gerne ich mal eine Runde Auto-Fußball live gesehen hätte – noch zu viele Baustellen, zu viel Trubel im Leben. Aber zu den Moskauern und ihrer Liebe für protzige, dicke Autos, die reichlich billigen Sprit wegsaufen, passt die Sendung ausgezeichnet.

Wenn aus einem Fiat Panda eine Stretch-Limo wird, aus einem anderen Kleinwagen ein Space Shuttle oder für eine Fahrt zum Nordpol die Reifen mit Wodka gekühlt werden, dann läuft Top Gear. (Ganz abgesehen von den Prominenten im „reasonably priced car“, von denen man sich immer gut ein paar Clips angucken kann.) Es gab hier in Russland sogar mal einen eigenen Ableger der Show, aber der war ein Flop – die Russen wollten lieber das britische Original sehen. Wer mal beim Durchschalten auf N24 „Top Gear USA“ erwischt hat, kann das Gefühl vermutlich nachvollziehen.

An die Originalsendung mit Jeremy Clarkson, Richard Hammond und James May kommt halt kein Ableger ran – auch wenn Clarkson ein ziemlicher Möpp ist, mit zweifelhaftem Humor und Kolumne in der Sun. Darum hier ein kleiner Wochenendfund: Clarkson, Hammond und May fahren durch die Ukraine, in besonders sparsamen Wagen. Ihre Aufgabe: Den Tank trotzdem möglichst schnell leerfahren – denn ihre Route führt Richtung Weißrussland, nach Tschernobyl.

Eine Runde Rumdaddeln auf sowjetischen Spielautomaten

Der Bildschirm grau in grau, der Joystick klappert - aber die Jagd auf feindliche Flugzeuge funktioniert einwandfrei.
Der Bildschirm grau in grau, der Joystick klappert – aber die Jagd auf feindliche Flugzeuge funktioniert einwandfrei.

Tankodrom! Scharfschütze! Seekampf! Jagd auf Enten, Hasen und Flugzeuge! Es ist nicht gerade die große Pazifismus-Kollektion, die in diesem hellen Raum in der Nähe der Moskauer Haltestelle „Baumanskaja“ ausgestellt wird.

Baumann war ein russischer Ur-Revolutionär; es kursiert die Geschichte, dass er mit seinem grausamen Humor sogar eine Frau in den Tod getrieben hat. Insofern passt es, dass gerade an seiner Haltestelle diese Ausstellung Tod und Spiele bunt blinkend zusammenbringt.

Das Museum für sowjetische Spielautomaten ist allerdings nicht nur Abknallerei. Das Militaristische nimmt zwar einiges an Platz ein, aber dazwischen wuselt die Schneekönigin pixelig über einen frühen Farbbildschirm, grinst ein Clown am Flipper, müssen Spieler Verkehrsschilder ihrer Beschreibung zuordnen.

Basketball, Elfmeterschießen, Pferderennen, sogar eine Art Pong – wohin zuerst mit den alten Kopekenmünzen, die es zur Eintrittskarte gibt? Denn die meisten Geräte funktionieren tatsächlich noch, auch wenn die Joysticks ein wenig ausgeleiert oder die Plastikknöpfe verschrammt sind.

Dass das hier ein Liebhaberprojekt ist, merkt man auch an den anderen Geräten, die sich unter die Spielautomaten mischen: ein altes Wählscheibentelefon hängt an der Wand, am Eingang können Besucher aus beige-grauen Getränkeautomaten für 50 Rubel einen Becher zapfen – Mineralwasser, Orangenlimonade, Kwas oder Tarhun, eine knatschgrüne Estragonlimonade aus Georgien.

350 Rubel kostet der Eintritt, dafür kann man hier gut mal nach Feierabend ein paar Kopeken auf den Kopp hauen. Und wer anderswo lebt als in Moskau: Die Seeschlacht gibt es auf der Museumsseite auch online zum Ausprobieren – ohne den altmodischen Charme, aber mit genau so vielen Torpedos und Explosionen.

Kleine Wladimir-Putin-Titelseiten-Kritik

Gleich mehrere große englischsprachige Zeitschriften haben in ihrer aktuellen Ausgabe ein Putin-Cover. Aus Blattmacher-Sicht spricht da neben der aktuellen Nachrichtenlage sicherlich auch für, dass sich Putin in der Öffentlichkeit gern machtvoll, maskulin und autoritär inszeniert – gutes Fotomaterial, um daraus bedrohliche Szenarien aufzubauen. Auch wenn Newsweek dann diese Woche vielleicht doch arg dick aufträgt:

Ob die Feuerbälle in den Augen eine Anspielung an dieses Cover aus dem Herbst 1961 sein sollen? Damals hatte TIME einen furchteinflößenden Chruschtschow auf die Titelseite gehoben. Diese Woche dagegen ist das TIME-Cover zwar weniger dramatisch gestaltet, die Aussage aber trotzdem stark.

Der Economistum den man sich im Moment eh Gedanken machen muss – fällt mit diesem Titel dagegen deutlich ab. Da hilft es auch nciht, dass sie Putins Augenfarben an das Spinnennetz angepasst haben.

Ob nach den ganzen englischen Vorlagen das Spiegel-Cover am Sonntag auch wieder ein Putin-Motiv bekommt? Das hier aus dem Frühjahr hat damals unter Russen im Internet einige Aufmerksamkeit bekommen.

Vielleicht lohnt sich ja in Zukunft eine kleine Reihe mit Putin-Titeln hier im Blog. Genug Zeitschriften, die den russischen Präsidenten regelmäßig auf die Titelseite heben, gibt es bestimmt. Aber erst noch zwei ältere Putin-Cover, die einfach zu schön sind, als dass sie hier fehlen dürften.