Chinas Staatsmedien und die Ironie

Der Eingang zum Xinhua-Komplex in Peking
Der Eingang zum Xinhua-Komplex in Peking

Dass die staatlich kontrollierten Medien in China nicht immer gut darin sind, Ironie zu erkennen, war hier schon mal Thema. Als The People’s Daily eine satirische Lobeshymne auf Kim jong Un für bare Münze nahm und weiter verbreitete, ging ein Lachen um die Welt.

Bisher noch nicht ausreichend gewürdigt wurde dagegen die Rolle derselben Staatsmedien als Ironie-Lieferant. Als Beispiel taugt dafür die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, bei der ich 2012 über das Medienbotschafter-Programm der Bosch-Stiftung ein paar Tage hospitieren durfte. Eigentlich sollte der Zeitraum länger werden, aber es kam ein Parteitag dazwischen, währenddessen viele chinesische Redaktionen lieber keine Gäste im Haus haben wollten.

Der „Stift“, das Xinhua-Redaktionshochhaus
Am Anfang ist die Marschmusik. Quer über den Innenhof des Xinhua-Geländes ist sie bis zur Schranke am Eingang zu hören, dazu eine Lautsprecherstimme: eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei. Daneben steht aufrecht das Haupthaus, das angeblich an einen Bleistift erinnern soll.

Xinhua ist die große, die einzige und vor allem: die staatliche Nachrichtenagentur in China. Andere Länder haben Sperrfristen, China hat Xinhua. Erst, wenn sie etwas berichtet, ist eine Meldung auf dem Markt – so ist es immer noch oft. Hier wird entschieden, was wahr ist und was öffentlich.

Vom Redaktionsalltag soll nichts Konkretes nach außen dringen, den Zettel muss ich noch vor Praktikumsbeginn unterschreiben. Das ist an sich nicht unüblich, auch in demokratischen Ländern unterschreiben Mitarbeiter solche Klauseln, wenn Firmen ihre Geschäftsgeheimnisse schützen wollen. Hier ist es allerdings doppelt bedeutsam, denn nicht nur Xinhua will sich schützen. Auch das Austauschprogramm beruht auf dieser Vertraulichkeit; wenn ein Medienbotschafter-Jahrgang sie ramponiert, erschwert er dem nächsten die Chance zum Einblick – und brockt den chinesischen Kollegen Ärger ein.

Zur Infrastruktur auf dem Xinhua-Gelände gehören auch Wohnblocks und ein eigenes Hotel.
Um vieles kann es darum in diesem Blogpost nicht gehen. Nicht um die redaktionelle Praxis, die gerade so kurz nach den neuen Beschlüssen des Parteitags interessant war. Nicht um die kritisch-flapsigen Sprüche beim Gang übers Firmengelände, das ein eigener kleiner Kosmos ist, mit Supermarkt, Hotel, Wohnblocks für pensionierte Mitarbeiter, einer Post und dem Souvenir-Shop, in dem der Schnaps der Marke Xinhua leider gerade aus dem Sortiment genommen wurde. Nicht darum, wie man beim Gespräch über den WLAN-Zugang merkt: Ach guck, Nerd ist Nerd, bei uns und bei euch.

Stattdessen eine Beobachtung, für die man nie bei Xinhua gewesen sein muss. Man kann das von außen mitbekommen, wie die Marschmusik, ehe man das Gelände betritt.

Greatfirewallofchina.orgViele Internetseiten, die der Regierung in Peking gefährlich scheinen oder ihr auch nur lästig fallen, sind in China blockiert, gelegentlich kommen neue hinzu. Unter Greatfirewallofchina.org lässt sich das leicht testen: einfach eine URL eingeben und die Seite versucht, sie von China aus aufzurufen. Google? Fail. Twitter? Fail. Facebook? Fail. Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, Wikileaks? Fail, fail, fail.

Und was macht Xinhua? Betreibt einen eigenen Twitter-Account mit derzeit fast 800.000 Followern, mit offiziellem Verifizierungs-Häkchen. Dort posten die Redakteure zum Beispiel Fotos vom aktuellen Militärmanöver. Von einem Schönheitswettbewerb in Peking. Chinas eigenes Computerbetriebssystem soll im Oktober vorgestellt werden. Mehr private Investoren für die chinesische Eisenbahn gesucht. Chinesische Promis machen mit bei der Ice Bucket Challenge. Die Schlagzahl der Tweets ist hoch, oft sind es mehrere pro Stunde.

Technisch ist es kein Problem, trotz geblockter Seite auch von Peking aus zu twittern. Das geht bequem per VPN oder, etwas umständlicher, auch mit einem IFTTT-Recipe nach dem Prinzip „Wenn ich eine Mail von diesem Account an jenen Account schicke, dann poste deren Inhalt auf meinen Twitter-Account.“

Wie gesagt, technisch keine große Nummer. Aber in Sachen Ironie ist eine staatliche Nachrichtenagentur, die jeden Tag ein paar Dutzend Mal die Zensurmaßnahmen ihrer eigenen Regierung umschifft, schon bemerkenswert. Erst recht, wenn sie dabei auch direkt noch auf „China View“, ihren Auftritt bei YouTube hinweist.

Auch YouTube ist in China geblockt.

Bloggen ist schön, macht aber viel Arbeit. Unter dem Motto “Schönes bleibt” nutze ich deshalb den Moskauer Sommer, um ein paar Dinge aufzuschreiben, für die sonst immer die Zeit fehlte.

Wie David Sedaris einmal fragte, ob ich mich ausziehen würde

Auf der Liste der Dinge, die ich nicht verstehe, ist eine nicht ausverkaufte Lesung von David Sedaris ziemlich weit oben. „Me Talk Pretty One Day“ war das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe. Seitdem dann so gut wie jedes, fast alle mit Hingabe, weil: so klug, so lustig, so lakonisch. Als er letzten Herbst zu einer Lesung nach Köln kam, war das also ein Pflichttermin.

Vor der Lesung hat er schon mal alles an Büchern wegsigniert, was ihm so unterkam. Neben der Schlange stand dabei – vier, fünf Wartende von Sedaris entfernt – eine Frau vom Verlag, fragte die Leute nach ihren Vornamen und schrieb die dann auf ein Post-It. Ergebnis: kein „Neinnein, Reiner mit E!“, keine Extrawartezeit für die dahinter. Clever.

Aus dem Signieren ist auch der Titel von Sedaris‘ aktuellem Buch entstanden. Bei „Fresh Air“ auf NPR hat er erzählt, wie unangenehm es ihm wäre, irgendwelchen Nullachtfünfzehnkram in ein Buch zu schreiben.

Als also nach einer Lesung in den USA eine Frau vor ihm stand und partout für ihre Tochter ein total motivierendes „Explore your possibilities!“ als Widmung wollte, hat Sedaris sich gedrückt, aber höflich das „explore“ behalten und weitergedreht: „Lets explore diabetes with owls“ steht nun in dem Mutter-Tochter-Buch. Und auf dem Cover seiner aktuellen Sammlung an Essays.

Der Mensch vor mir in der Kölner Schlange hatte auch einen Sonderwunsch. Und zwei Post-Its.

„Could you sign these two, please? One is for my friend, Anna.“
„Is she your friend or your girlfriend?“
„Oh no, she’s, uhm, she’s just a friend!“
„Have you seen her naked?“
„No!“
„Well, if you gave her, say, twenty euros, and said ‚Can I please see you naked‘ – do you think she’d do it?“

Gedruckse, Filzstiftgeräusch, nächster bitte.

„Ah, how about you?“
„Huh?“
„If I gave you twenty euros, could I see you naked?“
„Uhm – I think I’d wait for a better offer.“
„That’s probably a good idea.“

Ins Buch hat er mir dann ein eher lahmes „To Katrin, with friendly friendship“ reingeschrieben. Dafür kann ich mit der hypothetischen Frage eines schwulen Humoristen – die ich natürlich als ernstgemeintes Angebot deute – seitdem angeben. Danke dafür.

Bloggen ist schön, macht aber viel Arbeit. Unter dem Motto „Schönes bleibt“ nutze ich deshalb den Moskauer Sommer, um ein paar Dinge aufzuschreiben, für die sonst immer die Zeit fehlte. Danke an Monika für das Foto!

Moppern über Méthode

Manches fehlt, im neuen Leben in der neuen Stadt. Und manches fehlt sowas von gar nicht.

Eidos Méthode ist ein CMS, auf dem gar nicht mal so wenige Zeitungen produziert werden. In Deutschland zum Beispiel die NRW-Titel der Funke-Mediengruppe (bei der ich im Prinzip arbeite, im Moment aber freigestellt bin), die Stuttgarter Zeitung, die Westfälischen Nachrichten und der Schwarzwälder Bote.

Weil in jeder Redaktion übers CMS geflucht wird, habe ich die letzten Jahre in Essen über Méthode geflucht. Das ist, nebenbei bemerkt, auch mutig, einem Redaktionssystem solch einen Namen zu geben. Gags mit „Der Wahnsinn hat…“ machen sich da von selbst, wenn wieder mal ein Artikel verschüttgegangen oder ein Export Richtung online gescheitert ist.

Nenn es Schadenfreude, nenn es Katharsis – jedenfalls hab ich mir den Spaß gemacht, Tweets zu Méthode zu sammeln. Nicht die vom Hersteller, sondern von Journalisten. Schließlich macht uns beim Fluchen in Vehemenz und Eloquenz so schnell keiner was vor. So lässt sich bei Twitter gut nachvollziehen, wo überall gerade Méthode eingeführt wird. (Wer etwas mehr Zeit hat: Hier ein ziemlich unfassbarer Mailwechsel dazu aus Australien.)

Am ausdauerndsten in seiner Frustration ist aber erkennbar der Mann von weiter oben: Chuck Plunkett, Politikchef der Denver Post. Nicht mehr ganz ein young man, aber angry, definitiv.

Druck macht Diamanten, Leid macht Dichter. Darum gehört das letzte Wort Dan Zak von der Washington Post:



Bloggen ist schön, macht aber viel Arbeit. Unter dem Motto „Schönes bleibt“ nutze ich deshalb den Moskauer Sommer, um ein paar Dinge aufzuschreiben, für die sonst immer die Zeit fehlte.

Schönes bleibt

Als dieses Foto entstand, gab es WDR 4 noch nicht.
Als dieses Foto entstand, gab es WDR 4 noch nicht.

Ein Lieblingsfoto. Es gibt keinen Anlass, das hier zu posten, außer dass ich es so sehr mag. Es muss aus den Fünfzigern sein, denn das da hinten ist meine Mutter, Jahrgang 1949, und vorne ihre große Schwester, meine Lieblingstante. Es sieht aus nach der Zeit, als die Deutschen anfingen, von Italien zu träumen – oder wie eine WDR4-Werbung aus dieser alten Kampagne. Schönes bleibt.

Für einige Blogposts, die hier in den nächsten Tagen veröffentlicht werden, gibt es ebenfalls keinen Anlass. Nichts aktuell Erlebtes, Gesehenes, Gelesenes, auch keine Wochenendkolumne aus der WAZ, sondern: Wir sind jetzt ein halbes Jahr hier in Russland (doch, wirklich), es gibt sowas wie Alltag – und Zeit, ein paar Dinge aufzuschreiben, nur aus Lust am Thema.

„Zeitlos schön“ sollte das Ganze erst heißen, aber das klingt zu sehr nach Redaktionsjargon, nach „gammelt seit drei Wochen im Stehsatz, müsste dringend mal mit, aber der vorletzte Absatz ist nicht mehr aktuell, und die Autorin ist ja jetzt auch im Urlaub, also vielleicht doch lieber ein Ausfallhonorar zahlen und hoffen, dass der Chef es abnickt“.

Stattdessen also: „Schönes bleibt“, als Schlagwort und als Hashtag. Mehr demnächst.