Russball, Folge 20: Liebe Kaliningrader, bitte keine Fußballfans hauen!

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Goldene Regel für Russlandkorrespondenten: Egal, wie wenig dein Bericht wirklich mit dem Präsidenten zu tun hat, wie wenig der sich für das Thema interessiert oder darauf Einfluss nimmt: Putin muss in die Überschrift.

Dein Redakteur freut sich, weil er sofort weiß, wie er das Thema bebildert. Dein Leser freut sich, weil er jemanden wiedererkennt. Selbst die Suchmaschine würde sich freuen, wenn sie es könnte. Okay, du strickst mit an einem Putin-Bild, das ihm noch mehr Macht zuschreibt, als er ohnehin schon hat. Aber hey, Regeln sind Regeln. Womit wir beim Thema wären.

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⚽ „Wird Russland bei der Fußball-WM 2018 Putin blamieren?“, fragt also regelkonform Newsweek-Autor Teddy Cutler. Was folgt, ist eine ziemlich lange Passage, die grob sagt: Ist echt nicht schön für einen WM-Gastgeber, wenn die eigene Mannschaft beim Turnier im eigenen Land schwach spielt. Cutler meint, sich unter anderem an ein 7:0 von Deutschland gegen Brasilien bei der letzten WM zu erinnern. Joah. Nö.

Was uns der Artikel trotz seiner Putin-Überschrift eigentlich sagen will, kann man auch einfach hier bei TASS nachlesen: Russland ist im monatlichen FIFA-Ranking weiter abgerutscht, auf Platz 65. Das sagt allerdings nur bedingt etwas über die tatsächliche Stärke der Mannschaft aus: Als Gastgeber muss sich Russland nicht für die WM qualifizieren. Während andere Mannschaften also Punkte aus der Quali sammeln, punktet die russische Nationalelf nur bei gelegentlichen Freundschaftsspielen, die für die FIFA-Statistiker deutlich weniger zählen.

⚽ Apropos: Gerade haben sich Russland und Brasilien auf ein Freundschaftsspiel im kommenden Frühjahr geeinigt. 23. März in Moskau, das steht fest – in welchem Stadion wird noch bekanntgegeben. Jedenfalls hat der Präsident des brasilianischen Fußballverbands versprochen, keine B-Mannschaft zu dem Spiel zu schicken, sondern auch Stars wie Neymar.

⚽ Kleiner Service für die Anhänger von Lokomotive Moskau oder generell alle Fußballfans, die sich einfach besser über den russischen Ligafußball informieren wollen: Der aktuelle Tabellenzweite hat seit der vergangenen Woche nun auch einen englischen Twitter-Auftritt. Wer ihm jetzt folgt, kann also später behaupten, von Anfang an dabei gewesen zu sein. Der erste Tweet zeugt schon mal von Humor:

⚽  Rassismus und Hooligans – zwei Themen, um die es hier bei Russball schon oft ging und – traurig, aber garantiert – auch noch öfter gehen wird. Heute diesmal nur ganz kurz und in Zahlen: Rassistische Idioten unter den Fans von Spartak Moskau haben ihrem Verein eine Strafe eingebrockt. Beim nächsten Spiel im Rahmen eines UEFA-Wettbewerbs muss ein Block von mindestens 500 Sitzplätzen frei bleiben. Stattdessen soll dort ein Banner für Toleranz und Gleichberechtigung wehen.

Die zweite Zahl betrifft die bei der Fußball-Weltmeisterschaft gesperrten russischen Hooligans. Stand 9. Oktober stehen auf der offiziellen Liste des russischen Innenministeriums 374 Menschen, die keine WM-Veranstaltungen besuchen dürfen. Manche sind sogar bis zum Jahr 2020 gesperrt. Auch der Name Alexeij Jerunow, einer der brutalsten russischen Hooligans, soll sich auf der Liste finden.

⚽ Kaliningrad wird der westlichste WM-Austragungsort sein, und Bürgermeister Alexander Jaroschuk ist schon voll im Thema. In einem Radiointerview hat er nicht nur eine Vision von Staus und Überfüllung an die Wand gemalt („der Verkehr wird sehr stark eingeschränkt sein, nahezu verboten, bis auf Shuttlebusse für Fans“), sondern auch direkt noch die Kaliningrader zum Wohlverhalten aufgerufen.

Wer Englisch spricht, sagte Jaroschuk, soll sich nützlich machen und Touristen helfen oder zumindest ein bisschen Smalltalk mit ihnen machen. Vor allem aber, ganz wichtig: Bitte keine angereisten Fußballfans verhauen! Ach so, und wer sich fragt, wie eine Stadt von rund 400.000 Einwohnern mit erwarteten 70.000 bis 100.000 Besuchern umgeht – auch da hat der Bürgermeister einen Plan: Die Kaliningrader, schlägt er vor, sollten am besten die Stadt verlassen und sich irgendwo auf dem Lande ein bisschen entspannen.

Kaliningrads Bürgermeister Alexander Jaroschuk
Kaliningrads Bürgermeister Alexander Jaroschuk
(Foto: Westpress Kaliningrad/ A. Podgorchuk, Klops.ru/ CC-BY-SA 4.0)

⚽  Selbst die Militär- und Geheimdienstexperten vom Fachdienst Jane’s widmen sich der Fußball-Weltmeisterschaft. Den Fußballfans, die zur WM nach Russland reisen, sagen sie „ein erhöhtes Risiko von Verletzungen und Schäden an ihren Besitztümern“ voraus.

Weitere Kernaussagen: Cyberattacken seien wahrscheinlich, bei Taschendiebstahl oder Raub müsse man sich darauf gefasst machen, dass die russische Polizei wenig hilfreich sei und dem Vorfall womöglich gar nicht erst nachgehe. Russlandreisende „mit nicht-weißem ethnischem Hintergrund“ müssten außerdem damit rechnen, „zum Angriffsziel von Fußballfans oder von radikalen Gruppen zu werden.“ Weitere Details will das Jane’s-Team veröffentlichen, wenn im Dezember die Spielansetzungen feststehen.

⚽ Wo wir gerade bei Warnungen für WM-Reisende sind: Die ägyptische Website „Youm7“ greift einmal ganz tief in die Stereotypenkiste und warnt die Fußballfans unter ihren Lesern davor, sich eine Russin anlachen zu wollen. Geldgierig seien die, entweder sehr dünn oder sehr dick, selten irgendetwas dazwischen. AP hat mit der Autorin des Artikels gesprochen – sie legt Wert auf die Feststellung, das seien keine Vorurteile, sondern ihre persönlichen Erfahrungen.

Einen Grund gibt es übrigens tatsächlich, weshalb die WM-Reisevorbereitungen für Ägypter deutlich aufwendiger sind als für andere Landsleute: Seit Ende 2015 ein russisches Passagierflugzeug über dem Sinai abgestürzt ist, hat Russland alle Flugverbindungen zwischen den Ländern gestoppt. Dass sie in den wenigen Monaten bis zur Weltmeisterschaft wieder aufgenommen werden, ist unwahrscheinlich.

⚽ Und noch ein WM-Reisender, aber fangen wir mit einer kleinen Textaufgabe an: Joseph B. ist Präsident eines großen Sportverbandes. Im Rahmen eines Korruptionsskandals sperrt ihn der Verband im Jahr 2015 für acht Jahre von all seinen Sportveranstaltungen. B. geht in Berufung, die Sperre wird auf sechs Jahre reduziert. In welchem Jahr darf Joseph B. wieder zu einer Sportveranstaltung gehen? Rechne vorteilhaft.

Wer als Antwort 2021 ausgerechnet hat, darf sich zwar ein Fleißkärtchen nehmen, wird sich aber im kommenden Jahr wundern. Denn was die Textaufgabe vergaß, zu erwähnen: Joseph B. ist gut befreundet mit Wladimir P., in dessen Land 2018 eine große Sportveranstaltung stattfindet. Dank persönlicher Einladung seines Freundes wird B. nun also doch im Stadion sein. Der Sportfunktionär B. mag gesperrt sein, der Privatmann B. hingegen reist zur Weltmeisterschaft. Und was sagt die FIFA? „So lange er dort keine offizielle Funktion hat, dürfte das in Ordnung gehen.“

⚽  Ziemlich viel Ausblick auf die WM war das jetzt, darum zum Schluss noch ein Blick in die Neue Zürcher Zeitung. Deren Autor denkt einen Schritt weiter und geht der Frage nach, was eigentlich nach dem Turnier aus den prächtigen neuen Stadien wird. In Wolgograd zum Beispiel spielt dort dann der FC Rotor, der sich aktuell so gerade noch in der 1. Division (Russlands zweiter Liga) hält. Eine Arena, von der in Deutschland selbst mancher Erstligist nur träumen kann:

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Zum Schluss noch eine Frage. Fändet ihr es nützlich, wenn ich in Zukunft in jeder Russball-Folge einen Tipp zur WM-Reisevorbereitung einbaue? Was man vorher kaufen, runterladen, lesen, einpacken sollte? So ein bisschen wie diese App-Sammlung hier, aber eben auch Bücher, Kleidung, Sprachkurse und anderes Reisezubehör für Fußballfans? Sagt mir gerne Bescheid, was ihr davon haltet – entweder per Blog-Kommentar oder bei Twitter. Ich bin gespannt!



 

Kackbratze, Mostschädel, Furzknoten: Wie ich einmal Deutschland war

Das hier ist, trotz des Wahlergebnisses von Sonntag, kein politischer Blogpost. Es sei denn, man definiert das Fluchen als einzig mögliche Reaktion auf das Abschneiden der AfD, dann vielleicht schon. Und immerhin geht es um Deutschland.

Eine Woche lang, von Sonntag bis Sonntag, habe ich den Twitter-Account @I_amGermany übernommen. Jede Woche twittert dort ein anderer Mensch aus Deutschland für über 8000 Follower, die Englisch sprechen und sich für Deutschland interessieren. Oft, weil sie in Deutschland leben, Deutsch sprechen oder es zumindest mal gelernt haben.

Wir haben viel übers Wählen gesprochen in der Woche – einige Follower haben zwar ihr Zuhause in Deutschland, dürfen dort aber nicht wählen. Andere haben von wichtigen Abstimmungen in ihren jeweiligen Heimatländern getwittert, mehr als einmal ging es um den Brexit. Wir haben uns darüber unterhalten, was wir „entlernen“ mussten, als wir ins Ausland gezogen sind – es waren fast immer unterschiedliche Auffassungen von Pünktlichkeit, Direktheit und, lustigerweise, Straßenverkehrsregeln. Wir haben, als ich am Flughafen rumsaß, über dieses Gebäckstück diskutiert.

Vor allem aber haben wir zusammen geflucht. Regionale Sprachunterschiede sind eh ein Steckenpferd von mir, siehe das Rosinenbrötchen: Da, wo ich herkomme, ist das ein Mürbchen. Eine halbe Stunde Autobahnfahrt in die eine Richtung, und es ist ein Weckchen. Eine halbe Stunde in die andere, und es ist ein Stütchen. Daraus entstand die Idee, sich mal umzuhören, wie die Follower in den diversen Regionen so fluchen. Das Ergebnis war bunter, kraftvoller und deutlich weniger schmutzig als erwartet.

Und weil heute ein Tag ist, an dem man vielleicht den ein oder anderen Kraftausdruck mehr braucht, hier eine kleine Auswahl.

Ganz gut zum Dampfablassen, was? Aber so wunderbar originell diese Begriffe auch alle sind, sie werden noch übertroffen von dem, was sich kurz danach auf dem finnischen Gegenstück zu @I_amGermany abspielte.

Sagen wir mal so: Wenn ich jemals das Gefühl habe, den deutschen Fluchwortzschatz komplett durchgespielt zu haben, wird auf jeden Fall ins Finnische gewechselt. Man muss sie nicht mal verstehen – selbst wenn man sich diese Tweets nur laut vorliest, sind diese Schimpfwörter ungemein befriedigend.

Fünfmal staunen in der fünften Klasse

Meine-Mutter-postet

Letzte Woche war ich zum ersten Mal an der Deutschen Schule Moskau, zu Gast bei zwei fünften Klassen. Silke, bloggende Fünftklässlermutter, hatte die Idee gehabt: eine Fragestunde rund um soziale Netzwerke, weil die Schüler allmählich in das Alter kommen.

90 Minuten in einem proppenvollen Raum, in einer Atmosphäre, die einem die Kinder sympathisch macht und die Lehrerinnen direkt dazu: Normale Geräuschkulisse, normal viel Konzentration, normal viel Gewusel und Ich-muss-mal-schnell-aufs-Klo. Viele, viele, viele Fragen, und zwar von so gut wie allen.

Gelegentlich souffliert mal eine Mitschülerin das richtige deutsche Wort – einige Kinder hier wachsen zweisprachig auf. 90 Minuten Hin und Her, Frage, Antwort, Nachfrage, bessere Antwort. Alles von „Wer hat Facebook erfunden“ bis „Ist Cyber-Mobbing schlimmer als normales Mobbing?“ Das hier ist mir besonders aufgefallen:

1. Hardware

„Wie viele Geräte gibt es bei euch zuhause, mit denen man ins Internet kommt?“ Die Antworten gehen von zwei bis zu spektakulären 30 (folgt die Beschreibung des zugehörigen Vaters und seines Jobs). Und wehe, man erklärt nicht präzise genug – zum Beispiel den Trend, dass Hardware-Firmen versuchen, immer kleinere, leichtere Geräte auf den Markt zu bringen. „Das iPhone sechs ist aber größer als das fünfer.“ Äh. Ja. Stimmt.

2. Wissensstand

Jaja, alles Digital Natives, schon klar. Aber wenn ich auf die Frage hin, ob Leute per Computer Banken das Geld wegnehmen können, erkläre, was ein Hacker ist – und sofort der Hinweis kommt: „Es gibt aber auch gute Hacker, die nur gucken, ob alles sicher genug ist.“ Wenn es um WhatsApp-Alternativen geht und ein halbes Dutzend Schüler Threema kennt. Wenn einer wissen will, wo Edward Snowden gerade ist und ein anderer, ob Amerika echt Merkels Handy abhört. Dann ist das schon ziemlich beeindruckend.

3. Kompromisse

Vielleicht am interessantesten fand ich, welche Deals die einzelnen Schüler mit ihren Eltern haben. Genauer gesagt: Unter welchen Bedingungen sie in sozialen Netzwerken aktiv sein dürfen. „Keine Fotos aus unserer Wohnung.“ – „Den Instagram-Account so einstellen, dass man jeden Kontakt erst erlauben muss.“ – „Ich darf keine Fotos posten, aber meine Zeichnungen.“ Klang alles sehr pragmatisch.

4. Kettenbriefe

Kettenbriefe sind echt immer noch ein Ding. „Sind die immer fake?“, hieß die Ausgangsfrage – wir haben dann noch etwas allgemeiner über Gerüchte im Internet gesprochen. Populär war in der Klasse vor allem die Behauptung, bei einem Online-Spiel (hab den Namen leider nicht mitbekommen) sitze hinter den Augen der Katzen auf dem Bildschirm ein Mensch und gucke einem beim Spielen zu.

5. Privatsphäre

Ich dachte immer, das klassische Muster ist: Kinder geben leicht zu viel preis und Eltern müssen sie davor schützen. Stimmt aber gar nicht immer, mehrere Schüler haben vom umgekehrten Problem erzählt: „Meine Mutter postet Bilder von mir bei Facebook und ich will das nicht.“ – „Meine Mutter hat ein Bild von mir gepostet und ich find doof, was sie da druntergeschrieben hat.“ Bei allen Kindern, die sowas angesprochen haben, war es die Mutter.

Und hier die ganze Liste der Fragen – zumindest die vorher eingesammelten:

  • Spioniert man mich bei Facebook aus?
  • Instagram: Kann sich jemand in meine Kamera hacken und Fotos nehmen?
  • Kann jemand lesen, was wir im Internet schreiben?
  • Kann man die Bilder, die wir posten, für Werbung benutzen?
  • Sind alle Kettenbriefe („schicke das an 10 Personen weiter und Du bekommst…“) fake?
  • Wer hat Facebook erfunden?
  • Kann man mich auf den Netzwerken ausspionieren?
  • Wieso gibt es Cybermobbing und warum machen manche das?
  • Welches der sozialen Netzwerke ist am bedrohlichsten?
  • Wer hat Whats-App erfunden?
  • Ist Cyber-Mobbing schlimmer als normales Mobbing?
  • Sollte man auf einer Sozialen Netzwerk-Seite sein?
  • Wie wurden die Sozialen Netzwerke so erfolgreich?
  • Warum gibt es WhatsApp nur für Handy und nicht für Tablets?
  • Warum muss man auf Facebook seine Identität bestätigen?
  • Sind alle Sozialen Netzwerke sicher?
  • Gibt es viele Leute, die die sozialen Netzwerke missbrauchen?
  • Wenn man was auf Deutsch schreibt, können andere Menschen, die die Sprache nicht sprechen, den Post automatisch lesen (wird er automatisch übersetzt)?
  • Wieso wurde Faceboook gegründet?
  • Ist es möglich, Cyber-Mobbing zu verhindern?
  • Welches soziale Netzwerk ist am sichersten?
  • Wozu ist Snapchat gut?
  • Warum kann man Kommentare, die andere Leute beschimpfen, nicht blockieren?
  • Wie kommt man zu Bing?
  • Wie entstehen soziale Netzwerke?
  • Ab wie vielen Jahren darf man soziale Netzwerke benutzen?
  • Sagen Sie uns jetzt, dass WhatsApp und so doof ist?
  • Kann jeder einfach mein Kontakt sein?
  • Wie funktioniert Werbung in sozialen Netzwerken?

Zum Weiterlesen:

Osterbesuch mit Kindern in Moskau

Ein Facebook-Trick für große Nachrichtenlagen

Wer wird Volontär

Zwei Tage Assessment-Center, um neue Volontäre auszusuchen. Wäre einen langen Blogpost wert, aber erst mal muss sich alles setzen. Bis dahin, für Genießer, ein Zitat aus der letzten Runde an Tag 2.

– „Und in welchen Sozialen Netzwerken sind Sie so aktiv?“
– „StudiVZ und Myspace.“
– „…“
– „War ein Scherz.“

Nenn es Nerdhumor. Wir haben, nach einer Schrecksekunde, sehr gelacht.