Russball, Folge 70: Angriff auf den Thron

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Wir können nicht über Russland reden, ohne die Gewalt zu erwähnen, mit der dort im Moment gegen Menschen vorgegangen wird, die für mehr Demokratie auf die Straße gehen. Dieser Mann zum Beispiel wurde von Sicherheitskräften zu Boden geworfen und abgeführt, nachdem er Spartak-Fangesänge gesungen hatte. Diesen Demonstranten halten mehrere Polizisten fest, während einer von ihnen auf ihn einprügelt. Journalistenkollegen, denen ich seit gemeinsamen Moskauer Zeiten bei Twitter folge, posten dort plötzlich (hier und hier), dass sie bei der Arbeit trotz Akkreditierung festgenommen werden.

Beeindruckt hat mich ein Text des Geschichtsprofessors Sergej Radschenko, indem er erklärt, warum er trotz der drohenden Polizeigewalt an den Protesten teilnimmt: „Wir – Russland, Europa, die Welt – waren schon einmal an diesem Punkt. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Unterdrückung zurückkehrt.“

Und jetzt reden wir über Fußball.

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Mitte Juli waren wir zum ersten Mal in Moskau, seit wir Anfang des Jahres dort weggezogen sind – ich hab damit gerechnet, gelegentlich sentimental zu werden und zu schwelgen. Aber dass sich einem die Stadt schon aus der Ferne an den Hals wirft, war dann doch eine Überraschung: Wir sitzen in Schönefeld, dieser Flughafen-Parodie, als auf dem Handy aufplöppt: Ihr Boardingpass hat sich geändert – ein Upgrade in die Business Class. Sekt, ausgestreckte Beine und vom Zeitungswägelchen eine Sport Express, Flugcharme rundum.

Auf Seite 1 haben die Blattmacher eine Ladung Dramatik geschaufelt: „Die neue Saison der Premjer-Liga, Episode: ANGRIFF AUF DEN THRON„. Wir haben Großbuchstaben! Wir haben Spieler von Krasnodar, Lokomotive, Spartak und ZSKA, die um den Game-of-Thrones-Thron rumstehen! Aber darauf sitzen darf nur Artjom Dsjuba von Zenit, dem amtierenden Meister!

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Nach der Landung, auf dem Weg ins Zentrum, sage ich zu Markus: Dir ist natürlich klar, dass ich diese Stadt betrete mit der Erwartung, zufällig auf der Straße jemanden zu treffen, den ich kenne. Er macht angesichts von zwölf Millionen Einwohnern ein paar Geräusche. Ich glaube, einen halblustigen Witz gemacht zu haben darüber, wie sehr sich diese Stadt immer noch wie zuhause anfühlt. Soweit alles normal, nur dass wir am nächsten Tag auf dem Roten Platz stehen (wir sind jetzt Touristen, wir machen Touristendinge) und das hier geschieht:

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Eine Nachricht von Jura – wir waren mal zusammen im Stadion, als Schalke nach Moskau gekommen ist, um dort in der Champions League gegen Lokomotive anzutreten. Als Chef der Russischen Knappen, Russlands Schalke-Fanclub, hatte Jura damals die Karten organisiert und uns im strömenden Regen vorm Stadion getroffen, damit wir die anderen Schalke-Fans auch finden. Also, schnell einmal treffen neben dem Leninmausoleum, ein gemeinsames Foto, gemacht von Juras Vater, die beiden wollen später zum Spiel Sotschi – Spartak gehen. Ach so, Jura ist übrigens keineswegs aus Moskau, sondern aus Krasnodar, mehr als 1000 Kilometer entfernt. Was dieses Treffen hier auf dem Roten Platz noch unwahrscheinlicher macht.

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⚽ Sotschi, das gegen Spartak dann übrigens 0:1 verloren hat, ist ein Neuzugang in der Premier-Liga. Die hat ihre Saison 2019/20 zwar mit einem Zuschauerrekord begonnen, dafür hat es mit einer großen Neuerung nicht hingehauen: Der Videobeweis, für den die Russen die englische Abkürzung VAR übernommen haben, war nicht rechtzeitig zum Saisonbeginn am Start. Dabei war die Fußball-WM 2018 doch das große VAR-Vorzeigeturnier gewesen.

Woran’s lag? Zu viele Beteiligte, die sich bei der Umsetzung nicht einig geworden sind. So hat es jedenfalls zum Saisonbeginn Alexander Djukow erklärt, der Präsident des russischen Fußballverbands. Zum zweiten Spieltag sollte es klappen, meinte er da noch, letztlich wurde es der dritte. Ärgerlich ist das für Sotschi, denn das Siegtor für Spartak war alles andere als regelkonform: Fernsehbilder zeigen deutlich, wie sich Spartaks Samuel Gigot bei seinem Kopfballtreffer auf einen Spieler von Sotschi aufstützt. Sport Express titelt dazu: „VAR hätte so einen Sieg nicht zugelassen“.

⚽ Noch mal Spartak: Die haben da jetzt ja diesen frisch ausgeliehenen neuen Spieler im Kader, dessen Ü im Nachnamen im Russischen als ю, also [ju] wiedergegeben wird. „Andre Schjurrle“ also hat nach seinem ersten Spartak-Spiel (0:0 gegen Dynamo) Sowjetski Sport ein Interview gegeben, das meiste waren höfliche Floskeln, die Fans von BVB und Spartak seien sich sehr ähnlich, sowas. Eine Passage fand ich aber doch ganz lustig: Offenbar ist in der Umkleide einer der jungen Spartak-Spieler auf Schürrle zugekommen und hat sinngemäß gesagt: „Hey, ich hab beim FIFA-Zocken immer als du gespielt!“ Fühlt man sich da geehrt? Alt? Schürrle jedenfalls hat im Interview von seinen eigenen FIFA-Spielzeiten erzählt: Er war am liebsten Lampard oder Ballack.

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Auf die Liste der zehn wichtigsten Sommertransfers im russischen Fußball hat es Schürrle nicht geschafft – die war schon veröffentlicht, als er bei Spartak anfing. Dafür punktet er mit Sprachkompetenzdialektik: Auf die Interviewfrage, ob ihm seine aus Kasachstan stammende Frau denn schon Russisch beigebracht habe, hat er mit „Ich spreche kein Russisch“ geantwortet. Auf Russisch.

⚽ Noch mal Spartak, dann ist aber echt Schluss: Leonid Fedun, Besitzer des Vereins, bekommt bei Gol.ru eine, tja… Würdigung? Anklage? Jedenfalls ein ungewöhnliches Artikelformat. Aufgehängt an Feduns Versprechen aus dem Januar, Zé Luís und Luiz Adriano würden noch jahrelang für Spartak spielen (heute ist der eine beim FC Porto unter Vertrag und der andere bei Palmeiras São Paulo) hat die Redaktion eine Liste veröffentlicht: „14 Beispiele, in denen Fedun das eine sagt und das andere tut“. Besonders hübsch, im April 2011: „Den neuen Trainer verkünden wir wahrscheinlich am Donnerstag.“ Tatsächlich hat es noch mehr als ein Jahr gedauert.

⚽ Es gibt ja so journalistische Projekte, die man gerne verfolgt, bei denen man aber schon auch arg froh ist, sie nicht selber umsetzen zu müssen. Andrew Flint hat sich so eins ausgedacht. Er lebt seit Jahren in Tjumen in Sibirien, und in dieser Saison will er alle Spiele des Drittliga-Vereins FK Tjumen besuchen. Diese Liga ist aufgeteilt in Regionen, Tjumen tritt im Bereich Ural-Wolga an gegen Vereine, die wie Autos heißen – Kamaz, Wolga, dazu der doppelte Lada aus Lada Dimitrowgrad und Lada Togliatti. Dass zwei Wochen vor Saisonbeginn noch nicht bekannt war, welcher dieser Clubs wann gegen wen spielen würde ist nur eine der vielen Randbeobachtungen, über die Flint bei Futbolgrad berichtet.

Über Tjumen wusste ich bisher nur, wo es grob liegt und dass man es auf der zweiten Silbe betont. Ein Blick in die Vereinschronik zeigt, dass das einer dieser Sowjetclubs war, die alle paar Jahre einen neuen Namen bekamen. So stand der Verein immer wieder für andere Berufsgruppen und hieß: Geologe Tjumen, Ölarbeiter Tjumen, Bauarbeiter Tjumen, später dann wieder Geologe. Wenn Andrew Flint sein Saisonprojekt wirklich durchzieht – wer weiß, was da noch alles an Nischenwissen über den sibirischen Fußball rauskommt.

⚽ Rammstein sind gerade auf Tour durch Russland, am Freitagabend sind sie im Stadion von Krasnodar aufgetreten. Ja genau, Rammstein, die mit den spektakulären Bühnenshows. Ja genau, das Stadion, wo am Samstag ein Spiel der Premjer-Liga anstand, Krasnodar gegen Zenit. Sportreporter Goscha Tschernow war bei dem Konzert und hat gefilmt, wie viele Menschen da zehn Minuten nach dem letzten Lied schon mit dem Abbau beschäftigt waren:

Tatsächlich hat es geklappt, kurz nach Samstagmittag waren Bühne, Lautsprecher und andere Aufbauten weg und der Rasen wieder freigelegt. „Ein Rekord“, schrieb der Konzertveranstalter bei Instagram und dankte allen Mitarbeitern für die „heiße Nacht“, nach der das Stadion wieder anpfifftauglich aussah:

⚽ Was macht eigentlich Andrei Arschawin? Vergangenes Jahr hat er seine Spielerkarriere beendet, seitdem hört man von Arschawin, wenn er zum Beispiel aus einem Petersburger Strip-Club rauskommt und auf einem Pferd davonreitet. Aber immerhin, wenn ihn ein Fernsehsender als Fußballexperten bucht, scheint er das ja ernst zu nehmen und sich anständig vorzubereiten. Oder so.

⚽ Die Älteren werden sich erinnern: Franz Beckenbauer war einst nicht Bundestrainer der westdeutschen-Fußball-Nationalmannschaft, er war ihr Teamchef – für alles andere fehlte ihm die Lizenz. Also wurde nominell jemand anderes Bundestrainer, Beckenbauer als Teamchef dessen Vorgesetzter. Das Modell hatte über Jahre Bestand und endete mit einem Weltmeistertitel für die DFB-Mannschaft.

Beim FK Krasnodar haben sie das ganz ähnlich versucht: Murad Mussajew trainiert den Verein seit einem guten Jahr, allerdings fehlt die Lizenz. Offizieller Cheftrainer war also jemand anderes, Mussajew als Obertrainer dessen Vorgesetzter. Ergebnis: Krasnodar qualifizierte sich zum ersten Mal für die Champions League, muss aber wegen der Nummer mit dem Trainer, der eigentlich gar keiner sein darf, 50.000 Euro Strafe zahlen. Außerdem hat die Uefa entschieden: Die Lizenz, die Mussajew braucht, um offiziell den FK Krasnodar trainieren zu dürfen, kann er frühestens in einem Jahr machen.

⚽  Möglicherweise verfolge ich nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit, wie die Begegnungen der einzelnen Champions-League-Runden ausgelost werden. Jedenfalls habe ich erst nachträglich mitbekommen, was da am 22. Juli geschehen ist: Das Los wollte es so, dass da demnächst eine russische und eine ukrainische Mannschaft gegeneinander antreten. Das aber will die UEFA nicht, mit gutem Grund, weshalb eine Sonderregel gegriffen hat:

Ein wenig Nachlesen ergab: Diese Regel gilt bereits seit 2014, dem Jahr, in dem Russland die Krim annektiert hat. Die Fußballverbände der beiden Länder hatten ebenso Sicherheitsbedenken wie die Uefa selber. Nach denselben UEFA-Regeln werden Vereinen aus Armenien keine Gegner aus Aserbaidschan zugelost, Teams aus Spanien müssen nicht gegen Teams aus Gibraltar antreten.

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Der Rausschmeißertext kommt diesmal aus Großbritannien. Über spektakuläre Transfers reden alle, über mittelwichtige Spieler, die sich ein Fußballteam vom anderen ausleiht, eher nicht. Deshalb fand ich so interessant, was die New York Times berichtet: wie sich Vertreter vor allem europäischer Clubs an einem Nachmittag in London zu einer Art Speed-Dating treffen, um dort in Begegnungen à 15 Minuten zu klären: Wen kann ich bei euch leihen? Wen könnt ihr von uns brauchen?

„To be sure, this is not the place where Cristiano Ronaldo or Lionel Messi will move from one club to another, but rather where useful, reasonably priced players change teams“, heißt es taktvoll in dem Artikel. „Reasonably priced“ bedeutet demnach: 20, maximal 25 Millionen Pfund.



 

Russball, Folge 64: Gryffindor, Slytherin oder Jenissei?

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Eventuell habe ich in der Dezember-Ausgabe versäumt, mit einem meiner Weihnachtsgeschenke anzugeben. Darum hier kurz nachgereicht: Zwei 100-Rubel-Scheine, die nie im Umlauf waren. Es sind Sonderbanknoten zur Fußball-Weltmeisterschaft, im Supermarkt bekäme man für beide zusammen zwei Kilo Äpfel. Aber auf die Idee kommt eh keiner, schließlich sind das Sammlerstücke.

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Auf der Vorderseite ein Kind, das zuschaut, wie Lew Jaschin nach einem Ball hechtet. Auf der Rückseite die Namen der Gastgeberstädte und eine russische Fahne aus jubelnden Fans. Ich hab die Scheine extra auf einen roten Untergrund gelegt, damit man sieht: Sie sind aus Plastik und an mehreren Stellen durchsichtig – eines von mehreren Sicherheitsmerkmalen. Wer eine Idee hat, wie man die Scheine gut präsentieren kann (rahmen und aufhängen?), möge doch bitte Bescheid sagen. Danke!

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⚽ Im Januar erinnern gläubige Russen daran, wie Jesus im Jordan getauft wurde. Sie tun das, indem sie Löcher in das Eis zugefrorener Flüsse oder Seen hacken und dort dann ins Wasser gehen und dreimal untertauchen (sehenswertes TASS-Video hier, wenn ihr ein bisschen runterscrollt). Manchmal hat das Loch sogar die Form eines orthodoxen Kreuzes. Bei ordentlichen Minustemperaturen, wie wir sie zuletzt hier in Moskau hatten, kann es sich sogar wärmer anfühlen, ins Wasser einzutauchen, als wenn man vorher in Badesachen am Ufer rumsteht.

Nicht nur Glaubensgründe bringen Menschen dazu, so die „Kreschenie“ zu begehen. Angeblich wird, wer das Eiswassertauchbad übersteht, das folgende Jahr lang nicht krank werden. Ob das auch gilt, wenn man wie die Lokomotiv-Spieler schnell mal im Persischen Golf untertaucht – ich weiß ja nicht.

⚽ Apropos Loko. So kann’s gehen: Ein paar Stunden, nachdem ich den Dezember-Newsletter verschickt hatte, erschien bei Instagram ein Post von Erik Stoffelshaus: „Nach zwei wundervollen Jahren in Moskau habe ich entschieden, dass es Zeit ist für etwas Neues in meinem Leben – daher gebe ich meine Position als Sportdirektor bei Lokomotive Moskau auf.“ Wäre ich mal bloß nicht so jahresendtugendhaft gewesen, die Russball-Folge schön früh morgens zu veröffentlichen – dann hätte ich den Abgang noch in der Ausgabe drin gehabt.

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Dear friends, after two wonderful years in Moscow, I decided it was time for something new in my life – that's why I give up my position as the Sporting Director of Lokomotiv Moscow. But not without saying thank you. Thank you for a time that will remain in my memory forever. Celebrating the cup victory and the long-awaited third championship with this club – that was something very special. And one thing is clear: I‘m leaving as the Sporting Director, but I will stay as a supporter of this magnificent club. Thanks for everything and see you soon! Дорогие друзья! После двух замечательных лет в Москве я решил, что настало время для чего-то нового в моей жизни – поэтому я снимаю с себя обязанности спортивного директора «Локомотива». Но не без слов благодарности. Спасибо за время, которое я всегда буду вспоминать с теплотой как в спортивном, так и в бытовом плане. Праздновать вместе с этой командой победу в Кубке России и долгожданный третий титул Чемпиона – это было нечто особенное. И ясно одно: я ухожу как спортивный директор. Но я остаюсь ярым поклонником этого замечательного клуба. Спасибо за все и до скорой встречи! #локомотив #fclokomotiv #рпл #тольколоко #самыйлучшийколлектив

Ein Beitrag geteilt von Erik Stoffelshaus (@estoffelshaus) am

Jetzt, einen Monat später, reicht wohl eine schnelle Zusammenfassung dessen, was sich da bei Loko getan hat: Erst ging Präsident Ilja Gerkus, dann folgte Stoffelshaus. Trainer Juri Sjomin dagegen bleibt, als neuen Präsidenten hat sich der Verein Wassili Kiknadse ausgesucht, der seit 2013 zum Aufsichtsrat gehört und Sportjournalist ist. Mal sehen, ob der dieselbe Hasen-Instagram-Kompetenz mitbringt wie Gerkus.

⚽  Eine Neuverpflichtung bei Twitter/Instagram/Facebook zu verkünden, das ist ja inzwischen schon eine kleine Kunstform für sich. Der FK Jenissei Krasnojarsk hat vor ein paar Tagen eine solche Perle des Genres veröffentlicht, dass ich sie in all ihrer Low-Budget-Brillanz hier unbedingt zeigen muss.

„Schwierig, sehr schwierig,“ murmelt der sprechende Hut, der heute mal nicht über Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw oder Slytherin entscheiden soll, sondern über einen neuen Verein für Mittelfeldspieler Konstantin Sawichtschew. Gute Technik, Schnelligkeit, Talent… das kann nur eines heißen: „Jenissei!“ (Am schönsten ist eventuell das Lächeln, das sie Sawitschew da ins Gesicht montiert haben.)

⚽  Jetzt muss man schon „im vergangenen Jahr“ sagen, wenn man von der Fußball-Weltmeisterschaft hier in Russland spricht. Das ändert nichts daran, dass es immer noch reichlich Berichterstattung gibt über ihre Folgen. Zum Beispiel sind von den 650.000 Menschen, die zur WM mit einer Fan-ID (einer Art Visums-Ersatz, ohne den man auch nicht ins Stadion kam) eingereist sind, 5500 immer noch im Land. Laut Andrej Kajuschin, der im Innenministerium den Bereich Migration leitet, waren es zum Jahreswechsel, als die IDs ihre Gültigkeit verloren, sogar noch 12.000 Leute. Die Sicherheitskräfte hätten diese Zahl bereits auf 5500 reduziert, so Kajuschin, alle anderen sollten bis Ende März deportiert werden.

⚽  Noch eine WM-Folge, auch hier geht es um eine Statistik, aber mit willkommenerem Ergebnis: Scheremetjewo in Moskau war 2018 einer der zehn Flughäfen in Europa mit dem höchsten Passagieraufkommen. In den Jahren davor hat es immer ganz knapp nicht geklappt, Scheremetjewo – dessen altes Terminal übrigens nach dem Vorbild des Flughafens Hannover gebaut wurde – landete meist auf Platz 11. Dann kam die WM, brachte gut 14 Prozent mehr Reisende und machte Scheremetjewo damit auch zum europäischen Flughafen mit dem größten Passagierwachstum. Sorry, Fiumicino!

⚽  WM-Spiele gab es in Moskaus Dynamo-Stadion nicht, das steckte zu der Zeit noch im Umbau. Inzwischen ist es wieder eröffnet und gehört jetzt zur sogenannten VTB-Arena, die auch noch eine Eishockeyhalle und ein großes Einkaufszentrum umfasst. Wie sich all das rechnen soll, hat Wedomosti aufgeschrieben. Die Hälfte der Verkaufsfläche wurde demnach von Geschäften gemietet, die Sportwaren verkaufen.

Schwierig könnte es werden, Restaurants und Cafés zu finden, die sich in der Arena einmieten wollen: Weil der Einkaufsbereich zu einer Sportstätte gehört, darf dort nach russischem Recht kein Alkohol ausgeschenkt werden. Trotzdem gehen Fachleute dem Bericht zufolge davon aus, dass der Shopping-Bereich des Komplexes nach acht bis zehn Jahren seine Baukosten wieder reingeholt hat. Zum ersten Heimspiel empfängt Dynamo dann am 10. März Spartak, wenn endlich die Winterpause vorbei ist.

⚽  Bis zum 16. Januar konnte die Hand heben, wer Nachfolger von Witali Mutko als Chef des russischen Fußballverbandes RFS werden will. Die Frist ist vorbei, Kandidaten gibt es genau einen: Alexander Djukow, ein Zenit- und Gazprom-Mann. Beim Fußballverein ist er Präsident, bei Gazprom Neft Vorstandsvorsitzender. Als Forbes 2018 das Vermögen reicher Russen ausgerechnet hat, standen bei Djukow am Ende 500 Millionen Dollar. Nach seiner Wahl Ende Februar plant er „keine Revolutionen“, zumindest bei der Nachwuchsförderung sieht er aber Verbesserungsbedarf.

⚽ Ihr erinnert euch noch an Tschertanowo Moskau, den Verein mit der beeindruckenden Nachwuchsarbeit? Gerade feiern sie dort wieder, weil zwei ihrer jungen Spieler Verträge bei Spartak unterschrieben haben. Nail Umjarow (18) und Maxim Gluschenkow (19) brachten dem Club, der sie ausgebildet hat, zusammen 37,5 Millionen Rubel Ablöse ein, das ist eine halbe Million Euro. „Denkt dran, die Türen unserer Schule stehen für euch immer weit offen“, schrieb Tschertanowo in seinem Gratulationstweet – dieselbe Schule, in der Sergej Pinjajew gelernt hat, Tore wie dieses hier zu schießen.

Sergej Pinjajew ist übrigens 13 Jahre alt. Doch, wirklich. Dreieinhalb Millionen Menschen haben sich dieses Tor bisher bei Instagram angesehen, aber Aufmerksamkeit bei Social Media ist Sergej ja gewohnt: Nachdem er im November sieben Spieler der gegnerischen Mannschaft ausdribbelte, twitterte Russlands Nationalmannschaft einen Clip davon und schrieb dazu: „Glaubt ihr, wenn er älter ist, spielt er mal in der Nationalmannschaft?“

⚽  Vielleicht haben die Erfolge von Tschertanowo-Spielern ja mit dazu beigetragen, dass Spartak nun mehr in die Nachwuchsarbeit investieren will: „Hunderte Fußballschulen“ sollen dazu in den nächsten fünf Jahren in Russland und anderen GUS-Staaten entstehen, nach einem Franchise-Prinzip. Für so eine große Zahl klingt der erste Schritt recht klein: Tatsächlich konkret geplant sind erst mal neun Stück, unter anderem in Moskau, St. Petersburg, Tula und Krasnojarsk.

⚽ Sports.ru hat sowjetische Zeichentrickfilme gesammelt, in denen es um Fußball geht. Trickfilme waren in der Sowjetunion sehr populär, sie heißen auf Russisch „Multfilm“ wegen der Vielzahl einzelner Bilder, die nötig sind, damit der Eindruck einer Bewegung entsteht. Darum hieß das bekannteste Trickfilmstudio auch Sojusmultfilm – das „Sojus“ kommt vom russischen Wort für „Union“, wie in Sowjetunion.

In den gesammelten Filmen spielen zum Beispiel Bären gegen Hasen, Kuscheltiere gegen Fußballer-Figuren und Kosaken gegen deutsche Ritter. Das geht sogar komplett ohne Worte:

Hübsch ist auch ein Blick auf die Nutzerkommentare, die sich bei YouTube unter diesem Film angesammelt haben. Vor Beginn der WM schreibt da jemand: „Hat unsere (russische) Nationalmannschaft das gesehen? Falls ja, habe ich eine Frage: Schämen die sich nicht?“. Nach der WM, bei der Russland seine Fans bekanntlich begeisterte und Deutschland die seinen enttäuschte, klingt das anders: „Würde die deutsche Nationalmannschaft so spielen wie hier, sie gewänne alle Turniere.“

⚽ Ach so, und der BVB wird übrigens nicht Deutscher Meister. Sports.ru hat das mal durchgerechnet und kommt zu dem Schluss: „Favre und Witzel haben die Borussia stärker gemacht, aber sie wird wohl kaum Meister werden.“ Den ganzen, tiefgehenden Text mit allerlei Statistiken und Diagrammen gibt es hier. Tl;dr: Es wird doch wieder der FC Bayern.

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So ist das, eine Russball-Folge während der Winterpause: viel Buntes und Hintergründiges, wenig auf’m Platz oder im Stadion. Apropos: Der Guardian hat Beispiele von Fußballvereinen gesucht, bei denen die komplette Bevölkerung ihres Heimatortes ins Stadion passt. Ja, Hoffenheim ist auch dabei.

Die nächste Russball-Folge gibt es Ende Februar – dann nicht mehr aus der Heimatstadt von Lokomotive, Spartak. Dynamo und ZSKA, sondern aus der von Hertha und Union. Bis dahin, macht’s gut!



 

Russball, Folge 63: Endlich sponsert Gazprom mal was!

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Ja, sorry, kein Weihnachtsgeschenk von mir dieses Jahr – schließlich kommt der Newsletter erst jetzt, zwischen den Jahren. Dafür schenkt euch die folgende Anekdote vielleicht ein Lächeln. Und weil das allein noch nicht rechtfertigt, dass sie hier vorkommt, leitet sie auch ganz zauberhaft zu den Fußballthemen über.

In meinem ersten Jahr als Redakteurin bei der Moscow Times saßen wir morgens zu zweit im Büro, links die Frühdienst-Kollegin und daneben ich als Social-Media-Frau. Da twitterte uns plötzlich der Präsident von Estland, Toomas Hendrik Ilves, an. Nicht komplett unerhört – Berichterstattung aus Russland auf Englisch, das hatte ich bereits gelernt, bringt einem viele Leser mit blauem Twitter-Häkchen. Aber warum regte der Präsident an, wir sollten uns doch vielleicht diese eine Überschrift, die wir gerade veröffentlicht hatten, noch mal ansehen?

Ein Klick, ein Schock, ein Umdrehen zur Kollegin – was war passiert? Zunächst einmal eine Massenprügelei in einem russischen Krankenhaus. Der Frühdienst hatte die Meldung wie gewohnt in einem Google-Doc vorgeschrieben. Beim Umheben in unser Redaktionssystem allerdings hatte die Überschrift ihren ersten Buchstaben verloren. Wo also „Mass Brawl in Russian Hospital Prompts Firing of Government Officials hätte stehen sollen, stand nun exakt dasselbe – nur ohne das erste M. Ass brawl, ein Kampf der Ärsche – es ist die Sorte Fehler, bei der man sicher sein kann: Wenn sie einem passiert, dann wird es garantiert niemand Geringerem auffallen als einem Staatsoberhaupt.

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⚽  Eine andere Überschrift der Moscow Times hat mich diesen Monat in ihrer Wortspielfreude doch sehr gefreut: „GOAT on a Horse: Russian Football Star Arshavin Spotted Leaving Strip Club by Steed“. GOAT, klar, das ist der Greatest Of All Time: Als Russlands Premjer-Liga letztes Jahr ihren 25. Geburtstag feierte, ließ Sport Express abstimmen, und ja, Arschawin wurde zum besten Spieler aller Zeiten gewählt. (Wobei „aller Zeiten“ hier eben bedeutet: innerhalb von 25 Jahren russischem Erstligafußball.)

Ein GOAT/goat 🐐 auf einem Pferd, das ist schon recht hübsch getextet für folgenden Sachverhalt: Arschawin, der ja vor kurzem seine Spielerkarriere beendet hat, soll aus einem Club in St. Petersburg rausgeschwankt und dann auf einem Pferd in den Sonnenuntergang von dannen geritten sein. Das mit dem Pferd ist so ungewöhnlich nicht, im Petersburger wie im Moskauer Nachtleben begegnen einem immer mal wieder Leute, die mit Pferd am Zügel vor Kneipen warten, ob vielleicht jemand eine Runde drehen will. Arschawin, kann man weiter lesen, wurde offenbar sogar von der Polizei angehalten – er soll nicht genug für den Ritt bezahlt haben.

⚽  Je mehr ich über diese Arschawin-Geschichte nachdenke, desto lauter tuscheln in meinem Hinterkopf tausend russische Großmütter: „Nachts in St. Petersburg, im Dezember und dann auch noch hoch zu Ross – warum macht der Junge nicht die Jacke zu? Und wo ist seine Mütze?“ Sehr viel Babuschka-tauglicher ist da Denis Gluschakow, der hier passend zur Winterpause die vorbildliche Kleidung für einen russischen Fußballer präsentiert. Vielen Dank dafür.

⚽ Fünf Monate nach dem Ende der Fußball-Weltmeisterschaft hat das Meinungsforschungsinstitut Lewada 1600 Russen gefragt, was 2018 die wichtigsten Ereignisse in ihrem Land waren. Ergebnis: Die WM schafft es nicht unter die Top 3. Stattdessen sieht das Ranking so aus: 1. Die Eröffnung der Krim-Brücke über die Straße von Kertsch (ja, das ist die, zu der die Chefin von RT eine Begleit-Romcom schreiben durfte). 2. Die Rentenreform, die schön parallel zur WM durchgedrückt werden sollte, aber dann doch auffiel, zu starken Protesten führte und Wladimir Putin die Popularitätswerte ramponierte. 3. Die Präsidentschaftswahl im Frühjahr, als an vielen WM-Stadien noch gebaut wurde.

Mit Platz 4 war die Weltmeisterschaft den befragten Russen allerdings immer noch deutlich wichtiger als zahlreiche politische Themen, vom russischen Militäreinsatz in Syrien über den Krieg in der Ostukraine bis hin zu den Sanktionen von und gegen Russland. Interessant auch: Bei derselben Umfrage sollten die Teilnehmer sagen, ob das Jahr 2018 ihrer Meinung nach für Russland leichter, schwieriger oder genau so war wie das Vorjahr. Die sommerliche WM-Begeisterung scheint keine langfristigen Auswirkungen auf die Stimmung gehabt zu haben: Nur 11 Prozent stimmten für „leichter“, die Zahlen für „schwieriger“ (45) und „genau so“ (44) liegen deutlich höher. (Ach so, für Wladimir Putin gab es 2018 zwei Ereignisse, die „emotional am bedeutsamsten“ waren: seine Wiederwahl und die WM.)

⚽  Auf einen sehr viel größeren Datensatz als nur 1600 Befragte kann die russische Suchmaschine Yandex zurückgreifen. Sie hat die populärsten Suchbegriffe im Jahr 2018 veröffentlicht, es lohnt vor allem ein Blick uf die Menschen, nach denen am häufigsten gesucht wurde: Erstens Igor Akinfejew, Russlands Heldentorwart, drittens Artjom Dsjuba (mehr zu ihm gleich), außerdem Denis Tscheryschew auf der Acht und Lionel Messi auf der Neun. Was zeigt: Wer am Jahresende zurückblickt, mag die WM bereits ein wenig aus den Augen verloren haben. Beim Suchvolumen hingegen sind ihre Auswirkungen immer noch gut zu sehen.

⚽  „Wurde ja auch Zeit“ – „Na endlich“ – „Dazu gratulieren wir uns allen“. So klingen sie, die Kommentare unter dem Tweet, mit dem der russische Fußballverband am 19. Dezember verkündete: Witali Mutko gibt sein Amt als Verbandspräsident ab – und das, wo es doch zuletzt eher so ausgesehen hatte, als wollte er den Job wiederaufleben lassen.

Ruhen lässt er das Amt ja bereits seit rund einem Jahr, nachdem ihn das Internationale Olympische Komitee wegen seiner Rolle im russischen Staatsdoping lebenslang gesperrt hatte. Sorgen um seine Zukunft muss sich Mutko auch ohne Präsidententitel nicht machen: Er ist weiterhin Vize-Ministerpräsident mit Zuständigkeit für Bauangelegenheiten und regionale Entwicklung.

⚽ Weil es im Fußball ja noch nicht genug Dinge gibt, die von Gazprom gesponsert werden, heißt das Krestowski-Stadion in St. Petersburg seit ein paar Tagen „Gazprom-Arena“. Damit passt der Name endlich zum Verein: Zenit St. Petersburg, das dort seine Heimspiele austrägt, hat ja ebenfalls den Gazpromschriftzug auf den Spielertrikots – mit dem lateinischen Buchstaben G, der mich samt Flamme immer an ein aufgeschnapptes Klappfeuerzeug erinnert.

gazprom

⚽ Wenn jetzt zum Jahresende die Finanzchefs diverser russischer Fußballclubs vor ihren Exceltabellen sitzen, dürfte sich ein Lächeln auf das ein oder andere Gesicht stehlen – jedenfalls bei den Vereinen, die an europäischen Turnieren teilgenommen haben. Lokomotive Moskau zum Beispiel hat – so rechnet es Sport Express vor – in der Gruppenphase der Champions League knapp 18 Millionen Euro eingenommen. Nicht so schlecht, als Gruppenletzter.

Am lukrativsten war der Einsatz in der Champions League dem Bericht zufolge für ZSKA: 21,55 Millionen Euro, zusammengesetzt aus 15.25 Millionen fürs Erreichen der Gruppenphase, 900.000 für das Unentschieden gegen Viktoria Pilsen und 2,7 Millionen für die beiden Siege gegen Real Madrid. Die einstelligen Millionenerträge für Zenit, Krasnodar, Spartak und Ufa kann man hier nachlesen.

⚽  Allein für dieses Fitzelchen nutzloses Wissen hat es sich schon gelohnt, dem Twitter-Account „Russian Non-League Football“ zu folgen: In Wolgograd – auch das eine der WM-Städte des vergangenen Sommers – spielt demnach Russlands ältester aktiver Fußballer (gemeint ist vermutlich: ältester Spieler mit Profi-Karriere). Seit 2011 ist Sergej Nataluschko nicht nur Trainer des FK Dynamo Nikolajewsk. Der Mann, dessen Frisur entfernt an „Zurück in die Zukunft“ erinnert, stellt sich auch immer wieder selber auf:

⚽ Wer in diesen Tagen nach Leonid Slutsky googelt, der bekommt – immer vorausgesetzt, die Suche war auf Russisch – höchstwahrscheinlich mindestens einen Link zu Sport Express als Ergebnis, vielleicht auch mehrere. Denn das lange Interview (Teil 1, Teil 2) , das Igor Rabiner mit dem früheren russischen Nationaltrainer geführt hat, wollte seine Redaktion nicht nur einmal als Gesamtwerk veröffentlichen.

Stattdessen gibt es also reihenweise einzelne Aspekte noch mal als Single-Auskopplungen, jedes Mal ein separater Artikel: Dass ZSKA sein Titelfavorit ist. Dass er bei seinem aktuellen Job in Arnheim die russische Banja vermisst. Dass sein 13-jähriger Sohn ja jetzt rappt. Ist das jetzt noch eine SEO-Strategie oder schon Spam?

Interessant fand ich jedenfalls Slutskys Reaktion, als er darauf angesprochen wird, dass seine TV-Expertenkarriere während der WM plötzlich beendet war, nachdem er im russischen TV den Namen „Nawalny“ in den Mund nahm. Slutsky bleibt dabei: Nein, er sei nicht dafür abgestraft worden, es sei nie etwas anderes anderes geplant gewesen als ein Kurzeinsatz.

⚽ Bei der Auslosung zur Europa League Mitte des Monats ist ja unter anderem rausgekommen, dass der FK Krasnodar gegen Bayer Leverkusen spielen wird. Krasnodar ist keine kleine Nummer, in die Winterpause ist der Verein auf Platz zwei der Premjer-Liga gegangen. Zum Vergleich: Leverkusen überwintert auf Platz neun.

Gefreut hat mich die Auslosung vor allem, weil dann endlich mal ein Stadion Aufmerksamkeit bekommt, das bei der Weltmeisterschaft aus unerfindlichen Gründen vernachlässigt wurde. Ein Quasi-Kolosseum mit riesiger Videowand, einmal rund um den Innenraum. Das „schönste Stadion Russlands„? Vielleicht, wobei… Sotschi… jedenfalls: Hier ein Vorgeschmack.

⚽  Offenbar war ich nicht die einzige, die diesen Sommer im WM-Austragungsort Kasan an ein paar überaus nette, gastfreundliche Einheimische geraten ist. Meine haben mich zwar nicht aufs Trainingsgelände von Rubin Kasan mitgenommen, aber gut, ein bisschen Luft nach oben muss ja noch sein für den nächsten Besuch.

⚽ Diesen Sommer bei der WM war Artjom Dsjuba der Star der russischen Nationalmannschaft. Zum Jahresende blickt Russian Football News (in einer Detailtiefe, die wohl vor allem was für Hardcore-Fans ist) zurück auf eine Karriere, in der er sich mit jedem Vereins- und jedem Trainerwechsel wieder neu beweisen wurde. Selbstverständlich als Spitzenspieler anerkannt war er selten, auch seinen WM-Einsatz hat er unter anderem dem Verletzungspech seines Konkurrenten Aleksandr Kokorin zu verdanken. Mehr, auch zu Dsjubas vielen Spitznamen, hier: The Evolution Of Artem Dzyuba.

Auch die spanische Sportzeitung Marca würdigt Dsjuba: Sie hat ihn, „einen der großen Schützen der Weltmeisterschaft“, unter die Top 100 Fußballspieler des Jahres 2018 gewählt. Platz 97 mag jetzt keinen Top-Position sein, andererseits würdigt die Redaktion ausdrücklich Dsjubas Tor, das für Russland im Spiel gegen Spanien die Verlängerung und das anschließende Elfmeterschießen ermöglichte. Wie das für Spanien endete, das ist sicher nicht nur spanischen Fußballjournalisten bis heute präsent:

⚽ Was bringt es den rusischen Fußballclubs, dass ihre Spieler bei der WM dabei waren? Klar, mehr Erfahrung, vielleicht auch bei Gelegenheit eine höhere Ablöse, wenn jemand verkauft wird, der sich bei der Weltmeisterschaft profilieren konnte. Aber so lange müssen die Clubs gar nicht warten: Die FIFA zahlt ihnen scbon jetzt etwas: Aus den Einnahmen des Turnier gehen rund zehn Millioenn US-Dollar an russische Vereine. Das Spektrum reicht von 1.815.445 Dollar für Zenit bis runter zu Anschi Machatschkala, die immerhin noch 38.205 bekommen. Die ganze Liste, auch mit den Summen der deutschen Vereine, gibt es hier.

⚽  Das letzte Wort hat heute der FK Ural. Dort hat man gehört, dass José Mourinho – dem Kritiker ja gerne vorwerfen, er würde am liebsten den ganzen Mannschaftsbus vor dem eigenen Tor parken – bei Manchester United rausgeflogen ist. In Jekaterinburg hatten sie daraufhin eine Idee, und aus der Idee wurde ein Tweet:

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Das war’s für heute, die nächste Russball-Folge soll Ende Januar bei euch ins Postfach plumpsen. Jedenfalls stelle ich mir das so vor, auch wenn zur selben Zeit der Umzug nach Berlin ansteht. Raus aus Russland, aber weiter über den russischen Fußball schreiben – mal sehen, wie das wird. Eins steht jedenfalls fest: Die ersten beiden Monate des neues Jahres müssen wir noch komplett ohne russischen Erstligafußball auskommen.



 

Russball, Folge 50: Lass die Finger von der Vuvuzela

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***Update: Beim Schreiben dieser Folge bin ich mit den Moskauer Vereinen durcheinandergekommen. Natürlich geht es in dem Text von Witali Leonow um ZSKA Moskau, nicht um Spartak. Sorry an Witali und alle Leser! Ich hab’s korrigiert und weise in der nächsten Folge auch noch mal darauf hin.***

Das geht jetzt auf der Zielgeraden Richtung Weltmeisterschaft doch ziemlich schnell: Ich hab mal wieder mit Max vom Rasenfunk über Fußball und WM-Vorbereitungen hier in Russland gesprochen, und uns beiden fiel auf: Das ist vermutlich unser letztes Gespräch vor Turnierbeginn! Also haben wir schnell noch ein bisschen übers Warmduschen, Bierbannmeilen und gute Journalisten in Russland, denen man bei Twitter folgen sollte, gesprochen. Hier könnt ihr das Gespräch anhören.

Dass die WM näher rückt, heißt auch: Der Countdown, den ich für n-tv.de schreibe, neigt sich dem Ende zu. Ich glaube, der wird mir ziemlich fehlen – immer, wenn ich denke: Okay, das Thema ist jetzt definitiv zu abwegig, die Herangehensweise zu bekloppt, kommt als Antwort: Super, bitte genau so lassen, ist gekauft! Selbst, wenn man sich anmaßt, russische Kunstwerke so umzudeuten, dass sie plötzlich alle mit Fußball zu tun haben. Ein großer Spaß!

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⚽  So viele Zahlen, die sich seit der letzten Russball-Folge angesammelt haben und nun drüben bei Pocket rumquengeln, dass sie hier verbloggt werden wollen. Okay, dann machen wir das direkt als erstes: Während der WM wird es in Moskau 72 geführte Touren in der Metro geben, gleichzeitig werden dort gut 800 englischsprachige Mitarbeiter eingesetzt – das sind über den Daumen vier pro Station. In Jekaterinburg haben mehrere Restaurants gemeinsam eine Tonne Jalapenos gekauft, um WM-Gäste aus Lateinamerika angemessen bekochen zu können.

Drei Milliarden Fernsehzuschauer werden sich voraussichtlich die Fußball-Weltmeisterschaft ansehen, 196 Sender in 212 Ländern zeigen die Spiele. Zehn Prozent Rabatt bekommen alle, die eine Fan-ID haben, für Kaffee, Kuchen und andere Snacks in einigen Moskauer Parks – Gorki, Museon und Sarjadje, alle liegen in der Nähe des Luschniki-Stadions. Neun Millionen Rubel Bußgelder (124.000 Euro) sind insgesamt gegen Hotels verhängt worden, die ihre Zimmerpreise für den Zeitraum der WM extrem erhöht haben. Ein Stück Landeskunde zum Abschluss: Jeden Tag essen die Moskauer rund 200 Tonnen Eiscreme. Ein gutes Indiz, dass sich das Probieren auch für Gäste in der Stadt lohnt.

⚽  Ach so, noch ein Zahl: 51 Rubel, das sind so um die 70 Cent, habe ich für eine neue ÖPNV-Karte in Moskau bezahlt. Sie funktioniert in der Metro, im Bus, in der Straßenbahn, vor allem aber sieht sie so aus, dass man sie nach dem Aufladen und Leerfahren gut als Andenken aufbewahren kann. Und wir merken uns auch: Nicht alles, was hier so zur WM auf den Markt gebracht wird, muss zwingend das von der FIFA vorgegebene Corporate Design haben.

kscheib russball troika⚽  Die meisten Fußball-Texte, die derzeit in Russland veröffentlicht werden, haben mit der Weltmeisterschaft zu tun – welcher Trainer beruft wen in seinen Kader, was gibt es an Begleitprogramm, auf welche Straßensperrungen müssen sich die Anwohner einstellen. Da hat es mich gefreut, immerhin einen interessanten Text zum russischen Ligafußball zu lesen: Witali Leonow analysiert, was ZSKA Moskau tun kann, um trotz leerer Kassen auch in der nächsten Liga-Saison oben mitzuspielen.Dazu erläutert er zunächst, warum ZSKA im Vergleich zur Konkurrenz sehr viel größere Geldsorgen hat: kein großes Staatsunternehmen als Sponsor, auch kein Mensch, der weit oben auf der Forbes-Liste steht. Dazu ein neues Stadion, das noch nicht abbezahlt ist, und die Lage der russischen Wirtschaft an sich. Leonows Fazit: „Wenn nicht ein Wunder geschieht und Geld vom Himmel fällt, muss sich der Club auf den Nachwuchs, ausgeliehene Spieler und free agents verlassen, um seine Mannschaft zu verstärken.“

⚽  Hier kommt dann aber auch schon wieder die Brücke vom Liga- zum WM-Fußball: eine Liste ausländischer Spieler, die bei russischen Vereinen unter Vertrag sind und bei der WM für ihr Heimatland antreten. Mit anderen Worten: Die, die sich im Gastgeberland gut auskennen und – wären da nicht diese ganzen Trainingslager – eine kürzere WM-Anreise hätten als ihre Teamkameraden. Der Pole Maciej Rybus zum Beispiel (Lokomotive Moskau), Schwedens Andreas Granqvist (FK Krasnodar) oder Milad Mohammadi aus dem Iran (Achmat Grosny).

Eine spezielle Situation findet sich beim FK Rostov. Der Club, dessen Heimatstadt ja zu den WM-Austragungsorten gehört, hat in seinen Reihen ein ganzes Nest an isländischen Nationalspielern – Ragnar Sigurðsson, Sverrir Ingi Ingason und Björn Bergmann Sigurðarson. Insgesamt kommt die Nachrichtenagentur TASS auf 15 Legionäre in der russischen Liga, die bei der Weltmeisterschaft dabei sein dürfen.

⚽  Neues Wort gelernt: Footbonaut. Das ist so eine Art Käfig, in der Mitte steht ein Fußballspieler und bekommt nun aus allen möglichen Richtungen Bälle zugespielt und muss sie weiterpassen. Begegnet ist mir der Begriff bei Twitter, offenbar hat der FK Krasnodar – immerhin Russlands Tabellenvierter der gerade abgeschlossenen Saison – jetzt so ein Ding bei sich stehen.

Wie so ein Ding in Aktion aussieht, kann man sich in diesem Video von Borussia Dortmund ansehen. Und der DFB hat dann noch eine Anregung, wie man sich selbst eine Billigvariante baut, mit Menschen- statt Maschinenkraft.

⚽ Vor ein paar Wochen habe ich mich recht laut aufgeregt über den dumm-gefährlichen WM-Slogan der deutschen Nationalmannschaft. Auch andere Leute haben „Best never rest“ kritisiert, sei es nun wegen der Sportwissenschaft oder aus ganz grundsätzlichen Gesundheitsgründen.

Womit wir beim Thema sind: Russlands Nationalmannschaft hat mit einem WM-Sponsor zusammen ein neues Motto für auf den Mannschaftsbus gesucht und gefunden: „Spiel mit offenem Herzen“. Das klingt, jedenfalls unter den Gesundheitsaspekt, noch sehr viel riskanter als der deutsche Spruch. Und es wirft die Frage auf, warum man sich nicht für eine der vielen Alternativen entschieden hat, die russische Fans fleißig bei Twitter gesammelt haben. Die waren wohl zu böse.⚽ „Russlands seltsamster Trainer“ titelt Bombardir und meint damit Wadim Skriptschenko. Der Mann ist Weißrusse, seit 2013 trainiert er russische Vereine, wobei er sich bisher bei keinem besonders lange gehalten hat: Ob Kuban, Ural oder Anschi, seine Trainerbiografie liest sich wie eine Sammlung von Pechsträhnen, garniert mit einem Abgang im Streit hier und Gerüchten über ein absichtlich verlorenes Spiel dort. Beißendes Fazit des Artikels: „Wenn Sie wollen, dass bei Ihren Mannschaft in den ersten fünf bis sieben Spielen alles schief geht, dann ist Skriptschenko eine gute Wahl.“

⚽ Die Ankündigung dazu hatte ich vor ein paar Wochen gelesen, konnte mir aber nicht so recht vorstellen, dass sie ernst gemeint war. Nun stellt sich raus: Dochdoch, alles echt – im Sokolniki-Park in Moskau steht zur WM eine riesige Vuvuzela. Der Stoff, aus dem Hörschäden und lange, laute Alpträume sind. Das Ding ist neun Meter lang und soll, wenn Russland spielt, die Radioübertragung des Matches in die Welt rauströten. Kannste dir nicht ausdenken.

⚽ Was erhofft sich Tschetschenien davon, dass Grosny diesen Sommer WM-Standort der ägyptischen Nationalmannschaft ist? Amie Ferris-Rotman dröselt das in der Washington Post sehr anschaulich auf: Herrscher Ramsan Kadyrow wolle seine Position in der islamischen Welt festigen, schließt sie, gleichzeitig habe er in den letzten Jahren seine Rolle als Anführer und Fürsprecher der russischen Muslime gefestigt. Den ganzen Text gibt es hier.⚽ Neulich hab ich drüben bei n-v.de noch empfohlen, meiner früheren Moscow-Times-Kollegin Gabrielle Tétrault-Faber bei Twitter zu folgen, jetzt haut sie diesen Scoop hier raus: Eine ganze Reihe von Fußballfans, die auf Russlands schwarzer Liste stehen, haben es dennoch immer wieder in russische Stadien geschafft. Einen von ihnen hat Reuters im Video-Interview, er hat, obwohl er offiziell gesperrt ist, sogar eine Fan-ID für die Weltmeisterschaft bekommen.

Das ist nicht nur in sich ein großes, wichtiges Thema, erst recht so kurz vor der WM. Die Tatsache, dass Pawel Tscherkas‘ Fan-ID erst eingezogen wurde, nachdem Reuters beim russischen Außenministerium nachgehört hatte, zeigt, was für einige Rolle diese Nachrichtenagentur mit ihrem investigativen, hartnäckigen Journalismus hier in Russland inzwischen spielt: Bei den Wahlen ist es hier zum Beispiel inzwischen üblich, dass Reuters-Leute als Quasi-Wahlbeobachter unterwegs sind, jedes Mal decken sie dabei Betrugsversuche auf. Ob Fan-ID oder Stimmzettel: Wo Russlands Behörden versagen, füllt Journalismus die Lücke. Respekt, Kollegen!

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Zum Schluss noch ein GIF. Scott Rose hat es gemacht, dem könnt ihr eh mal folgen – der Mann ist für Bloomberg in Moskau, kennt Russland intensiv, entsprechend interessant sind seine Tweets. Der hier allerdings ist einfach nur herrlich absurd. Es zeigt den Tag, an den sich ein Reporter des Fernsehsenders Rossija 1 möglicherweise fragte, ob der Zeitpunkt für einen Berufswechsel gekommen ist. Oder es ist eine Metapher dafür, wie sich das Journalistenleben diesen Sommer in Russland anfühlen wird.

Die nächste Russball-Folge gibt es am 6. Juni- acht Tage vor dem Eröffnungsspiel. Bis dahin, macht’s gut!



Russball, Folge 44: Die Mutter aller WM-Reiseführer

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Diese Russball-Ausgabe ist etwas anders als sonst. Ich treibe mich mal wieder rum in der Welt, außerhalb von Russland und meist offline. Aktuelles aus dem russischen Fußball gibt es hier also diesmal nicht, dafür aber etwas, das ich seit langem schon mal zusammenstellen wollte.

So viele Leute und Redaktionen haben inzwischen ihre Reiseführer zu den russischen WM-Gastgeberstädten veröffentlicht, unterschiedlich erhellend und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Hinzu kommen die Infos, die abseits der WM schön länger existieren. Aus all dem zusammen habe ich hier, Stadt für Stadt, das Beste rausdestilliert. Die Mutter aller WM-Reiseführer, damit ihr euch nicht selbst durch den Wust an Angeboten lesen müsst. Also: Willkommen auf der Metaebene und viel Spaß bei der Reiseplanung!

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⚽ Nischni Nowgorod. „The city with the best commute“ hat der Guardian Nischni Nowgorod mal genannt, die Stadt mit dem besten Weg zur Arbeit. Denn den legen einige Menschen hier inzwischen mit der Seilbahn zurück, wenn ihr Privatleben auf der einen Seite der Wolga stattfindet und ihr berufliches auf der anderen. Bei Wikitravel sind sie in Sachen Sehenswürdigkeiten nicht unnötig überschwänglich: „Im Kreml gibt es eine Kirche, ein Kriegsdenkmal mit ewiger Flamme, ein annehmbares Kunstmuseum“, der Lonely Planet warnt vor einem „Mangel an guten Hotels“, weist aber immerhin auf schöne Restaurants in Kremlnähe hin (konkrete Restauranttipps hier). Was auch interessant klingt: diese Liste von Herrenhäusern, in einem von ihnen soll Peter der Große übernachtet haben.

Was muss man übers Stadion von Nischni Nowgorod wissen? 45.000 Sitze, die Architektur soll an die Wellen der Wolga erinnern. Nach der WM soll hier der örtliche Zweitligaverein Olimpjets Nischni Nowgorod seine Heimspiele austragen.

⚽ Jekaterinburg. Das Stadion in der östlichsten WM-Stadt ist vor alle für seine Tribüne bekannt, die aus dem Gebäude seitlich herausragt – das sorgt für spektakuläre Bilder. Fußballerisch ist Jekaterinburg allerdings keine Heldenstadt, aber immerhin hat Nationalspieler Fjodor Smolow mal beim FK Ural gespielt.

In Jekaterinburg wurde einst die russische Zarenfamilie ermordet, das Kulturmagazin „Calvert Journal“ weist auf den Weißen Turm hin, einen Wasserturm, der typisch ist für die Architektur des russischen Konstruktivismus (der Fernsehturm musste ja neulich dran glauben). Wer es lieber etwas nerdiger mag, schaut sich das QWERTY-Denkmal an oder sucht in der Stadt nach Spuren des alljährlichen Straßenkunst-Festivals „Stenograffia“. Oh, und ein Igel-Orakel haben sie in Jekaterinburg auch. Weiter geht’s von der östlichen zur westlichsten WM-Stadt.

QWERTY-denkmal

⚽ Kaliningrad. Geopolitisch wichtig, historisch interessant – über das frühere Königsberg gibt es viel zu erzählen. Das Stadion sollte eigentlich Ende März eröffnet werden, Schalke hatte sich, Gazprom sei Dank, angesagt. Das Spiel fiel aus, offiziell wegen Kälte. Während der WM finden hier mehrere Gruppenspiele statt, danach wird das Stadion „Baltika-Arena“ heißen – nicht nach dem Bier, sondern nach dem örtlichen Fußballclub. Apropos Bier: Von den Bars, in denen man in Kaliningrad Fußball gucken kann, kann ich das „Hmel“ (Hopfen) aus eigener Erfahrung empfehlen.

An jeder Ecke kann man in Kaliningrad Bernstein kaufen, oder noch besser: Man fährt aus der Stadt raus nach Jantarny, in den Ort, der nach dem russischen Wort für Bernstein benannt wurde. 95 Prozent der weltweiten Bernsteinmenge kommt hierher. Die offizielle FIFA-Seite empfiehlt, wenn auch in arg holprigem Deutsch, eine ganze Reihe Museen, von denen viele einen Deutschland-Bezug haben. Am Wichtigsten ist aber, dass in Kaliningrad Immanuel Kant geboren wurde und dort auch beerdigt ist. Fußball und Kant – die Verbindung liegt auf der Hand:

⚽ Rostow am Don. Ich bin ja arg versucht, die Liste der Rostower Sehenswürdigkeiten mit dem „Haus, das auf dem Kopf steht“ zu beginnen. Aber vielleicht fangen wir erst mal mit dem Stadion hier an: Es ist eine von mehreren WM-Arenen, die letztlich bescheidener ausfallen als die ursprünglichen grandiosen Pläne es vorsahen. Nach der WM wird die Zahl der Plätze von 45.000 auf 40.000 reduziert, und selbst die zu füllen dürfte schon eine Herausforderung werden für den FC Rostow.

Rostow ist die Partnerstadt von Dortmund und von Gera und liegt nicht weit von der ukrainischen Grenze. Man kann hier viel über die Geschichte der Donkosaken erfahren oder es sich einfach in einem der Fischrestaurants gut gehen lassen. Das Calvert Journal, immer eine gute Anlaufstelle für nicht ganz so mainstreamige Kulturtipps, weist auch auf Rostows Unterführungen hin, in denen man immer wieder Mosaike aus Sowjetzeiten findet, auch ein Bummel über den Markt klingt nach einer entspannten, nicht ganz so touristischen Idee.

⚽ Kasan. Für Kasan, das muss ich vielleicht vorweg schicken, habe ich eine Schwäche. Die freundlichen Menschen, der Kreml in seiner Kombination aus russischer Orthodoxie und Islam, die Uni, an der Lenin studiert hat. Das wird übrigens, vor allem für chinesische Touristen, ganz gezielt vermarktet. Wikitravel weist zusätzlich auf das „Museum des sozialistischen Lebens“ hin, beim Guardian kann man nachlesen, warum Kasan als Sporthauptstadt Russlands gilt.

Was noch? Mit dem Boot kann man sich von Kasan nach Weliki Bolgar schippern lassen und sich dort den „Tadsch Mahal von Russland“ ansehen (offiziell: die Weiße Moschee). Und wer sich eher für das Stadion interessiert als für Ausflüge ins Umland und Kulturprogramm: Der Guardian erklärt, was das Stadion mit einer Wasserlilie zu tun hat und was sein wichtigstes Alleinstellungsmerkmal ist.

Die Weiße Moschee bei Nacht
Die Weiße Moschee bei Nacht

⚽ Samara. Noch eine WM-Gastgeberstadt an der Wolga, der Fluss prägt das Bild der Stadt. Zu Sowjetzeiten durften Ausländer Samara nicht besuchen, weil die Stadt eine entscheidende Rolle im Raumfahrtprogramm der UdSSR spielte – mehr dazu im örtlichen Raumfahrtmuseum. Der Lonely Planet hält den für Stalin gebauten Bunker für die wichtigste Attraktion der Stadt, Wikitravel zählt eine ganze Reihe an Alternativen auf, die nicht so spektakulär, aber teilweise dennoch interessant sind (Bonus: Viele von ihnen kann man sich vorab per virtueller Tour ansehen).

Zum Stadion: Bilder vom Bau der Samara Arena gibt es hier, aktuell ist es das Stadion, das am weitesten hinter dem Zeitplan zur Fertigstellung hinterherhinkt. Wenn es denn mal fertig ist, soll es knapp 45.000 Zuschauer fassen und, in Anspielung an Samaras Geschichte, aussehen, als sei es gerade aus dem Weltraum gelandet.

⚽ Moskau. Dass Moskau die einzige Gastgeberstadt ist, in der WM-Spiele gleich in zwei Stadien ausgetragen werden, hat der eine oder andere vermutlich schon gehört, vielleicht auch, wie sich die Moskauer Begegnungen auf die beiden Spielorte verteilen und warum das Spartak-Stadion ein Chamäleon ist. Russian Football News hat außerdem einen guten Überblick über die vielen Moskauer Fußballvereine: Dynamo, Lokomotive, Spartak, Torpedo und ZSKA.

Kreml, Roter Platz, Basiliuskathedrale – die Klassikeer muss man hier ja kaum noch erwähnen. Der offizielle FIFA-Guide legt Besuchern neben dem Hotel Ukraina und dem Museum „Garage“ auch das Alte Telegrafenamt ans Herz, vergisst zu letzterem allerdings den Profitipp: Wer seitlich in den Gasjetnij Pereulok abbiegt, am Eingang irgendwas von „Coworking Space“ nuschelt und dann forsch in den Aufzug steigt, kann das Gebäude auch von innen besichtigen. Es ist noch Zeit übrig für einen Tagesausflug ins Umland? Außer dem Goldenen Ring bietet sich auch der Kunstpark in Nikola-Leniwets an.

Das Hotel Ukraina, im Hintergrund das Weiße Haus, Sitz der russischen Regierung
Das Hotel Ukraina, im Hintergrund das Weiße Haus, Sitz der russischen Regierung

⚽ Saransk. Die Hauptstadt von Mordwinien, das klingt erst mal nach Herr der Ringe. Tatsächlich liegt die eher kleine Stadt Stadt östlich von Moskau, ihr im Ausland bekanntester Einwohner ist Gérard Depardieu, der sich ja vor einigen Jahren nach Russland hat einbürgern lassen, der Steuern halber. Der Mann hat dort inzwischen sein eigenes Kulturzentrum. Die Liste der örtlichen Sehenswürdigkeiten ist kurz, zu ihnen gehört sicherlich das Museum für mordwinische Nationalkultur. Wenn das jetzt alles eher enttäuschend klingt, dann soll hier das Calvert Journal zitiert sein: „Saransk ist (…) eine Elegie an Billigbauten mit krass präsentierten farbigen Glasplatten und leuchtend buntem Stuck. Hier kann man die Kontraste, den Irrsinn und die Gastfreundschaft der russischen Provinz in ihrer Bestform erleben.“

Was das Stadion angeht, finden sich in diversen Quellen sehr unterschiedliche Einschätzungen. Während die offizielle FIFA-Seite poetisch textet, der Bau solle „Sonne, Wärme, Offenheit und Gastfreundschaft“ symbolisieren, sieht der Guardian die Vorzüge der Mordwinien-Arena eher nüchtern: Sie „liegt nah genug am Bahnhof wie auch am frisch fertiggestellten Flughafen für alle Fußballfans, denen eher nach Großstadtleben ist.“

⚽ Sotschi. Eigentlich müsste man immer vorweg schicken, dass „Sotschi“ hier nur so halb stimmt – wir reden von Adler, jedenfalls wenn es darum geht, wo die WM-Spiele stattfinden. Der Vorort liegt eine gute halbe Stunde von Sotschis Stadtzentrum entfernt, das kann man gut mit dem Bus fahren oder, für kleines Geld, auch mit dem Taxi. Andererseits, und das ist für anreisende Fans dann wieder sehr praktisch, liegt der Flughafen in Adler, das sorgt für kurze Wege zu vielen Hotels und ins Fischt-Stadion, das tagsüber sehenswert ist und bei Nacht erst recht. Wo kann man schon mal in der Halbzeitpause aufs Meer blicken?

Sotschi selbst ist ein seit Jahrzehnten populärer Bade- und Kurort, nach Restaurants und Cafés muss man also nicht lange suchen. Auch sonst ist die Stadt, sagen wir mal: touristisch durchaus entwickelt. Oder, etwas drastischer formuliert: „Sotschi ist ein heruntergekommenes Paradies mit Neonschildern, seltsamen Geschäften und sonderbaren Kuranwendungen, hat sich aber trotzdem einen gewissen Charme erhalten.“ Zwischen all dem Geblinke und der Musikbeschallung empfiehlt sich ein Besuch im Dendrarium, einer Art botanischen Garten, der am Hang mit Blick aufs Wasser liegt. Kühl, schattig, halbwegs leise – der perfekte Ort an einem heißen Sommertag.

Auf dem Weg ins Fischt-Stadion in Adler
Auf dem Weg ins Fischt-Stadion in Adler

⚽ Wolgograd. Das Stadion – 45.000 Plätze, ab 2014 ohne größere Zwischenfälle gebaut – liegt in Sichtweite der wichtigsten Wolgograder Sehenswürdigkeit: Auf dem Mamajew-Hügel erinnern eine riesige Frauenstatue und eine Gedenkhalle mit ewiger Flamme an die Opfer der Schlacht von Stalingrad. Selbst bei den Vorbereitungen für den Stadionbau wurden nicht explodierte Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. An neun Tagen im Jahr heißt die Stadt im Gedenken immer noch „Stalingrad“ statt „Wolgograd“.

Wer in Wolgograd lecker essen gehen will, orientiert sich am besten am „Foodball“-Blog, das Wolgograder Sprachstudenten auf Deutsch, Englisch und Russisch betreiben. Und biegt danach vielleicht noch Richtung „Alaska Bar“ ab – dort soll es Wassermelonenbier geben. Wenn das kein Alleinstellungsmerkmal ist.

⚽ Sankt Petersburg. Hier hat der russische Fußball seine Wurzeln, hier wurde selbst während der Belagerung im Zweiten Weltkrieg noch Fußball gespielt, um die Moral in der Bevölkerung zu unterstützen. Natürlich schaut man sich hier die Eremitage, den Newski-Prospekt und die Isaakskathedrale und die Admiralität an, dazu die Auferstehungskirche und und und… ihr seht das Problem, es gibt einfach verdammt viel zu sehen. Schließlich war das hier lange Zeit die russische Hauptstadt. Auch eine Fahrt mit der Metro lohnt sich wegen zahlreicher prächtiger Stationen (wie das Metrofahren funktioniert, steht hier). Und wenn man mit der Stadt durch ist, gibt es ja auch noch die ganzen Ziele im Umland wie den Lagodasee.

Am Stadion wurde rund zehn Jahre gebaut, manchmal leckt das Dach. Passend zur Größe der Stadt und des Topvereins Zenits ist die Arena hier auch deutlich größer, sie fasst rund 64.000 Zuschauer. Das ist schon ein ziemlich spektakuläres Bauwerk geworden – jetzt, wo es endlich fertig ist. Und überhaupt, zur Frage, warum das alles so lang gedauert hat, gibt es doch eine ganz leicht nachvollziehbare Antwort:

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Das Foto der Weißen Moschee ist von Ramil Photo360 unter CC BY-SA 4.0, das QWERTY-Foto ist von Kristina Wienand – vielen Dank! Nächste Woche bin ich dann wieder in Moskau und schreibe von da die nächste reguläre Russland-Folge. Bis dahin, macht’s gut!



 

Russball, Folge 32: Anstoßen mit Bier und Doping-Cocktails

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Ein internationales Sportturnier in Russland, im Jahr 2018 – nein, es geht nicht um die Fußball-Weltmeisterschaft, jedenfalls nicht direkt. In diesen Tagen entscheidet sich nämlich in Moskau, wer Europas beste Eiskunstläufer sind.

Diese Woche habe ich also sowohl für sechs Leute Karten für die Eiskunstlauf-EM gekauft (fünf Minuten online, einschließlich einem Anruf direkt beim Veranstalter, weil ich noch eine Frage hatte) und für zwei Leute Interesse an diversen Moskauer WM-Spielen angemeldet (15 Minuten online, einschließlich der Suche nach so Infos wie „welche Passnummer hat Ihre Begleitung“ und einer Extrarunde „Ihre Kreditkarte ist keine Visakarte, und Visa ist doch unser Sponsor, das geht so aber nicht!“). Es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht.

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⚽ Wo wir schon an der Grenze zwischen Eisfläche und Stadionrasen stehen: Jewgeni Pljuschtschenko hat als Eiskunstläufer mehr als ein Jahrzehnt lang Goldmedaillen bei EM, WM und Olympischen Spielen gesammelt. Jetzt meldet er sich mit einer Idee zum Fußball zu Wort, oder vielmehr: zu den Gehältern russischer Fußballspieler.

Dass in Russland besserer Fußball gespielt würde, wenn mehr Spieler auch mal Erfahrungen bei einem ausländischen Verein sammeln würden, ist unbestritten. Das hohe Gehaltsniveau im russischen Vereinsfußball, wo viele Clubs dem Staat oder reichen Staatskonzernen gehören, verhindert das meist. Pljuschtschenko, selber Fußballfan, fordert jetzt, den russischen Spielern deutlich weniger zu zahlen: „Das Existenzminimum sind derzeit 11.000 Rubel. Man muss die Spielergehälter auf 30.000 Rubel festlegen.“ Damit läge laut dieser Übersicht „Profifußballer“ etwas über „Schaffner“ (22.0000), auf einer Höhe mit „Museumsangestellter“, aber deutlich unter „Weihnachtsmanndarsteller“ (55.000).

⚽ Wie schön, wenn man sich mal fünf Minuten nicht mit der Frage „Ist Donald Trump ein Rassist?“ beschäftigt, sondern mit Fußball. Leider bleibt da dann immer noch die Frage: „Ist der Social-Media-Mensch von Spartak Moskau ein Rassist?“ Anlass ist ein inzwischen gelöschter Tweet, in dem schwarze Spartak-Spieler beim Training als „Schokolade, die in der Sonne schmilzt“ bezeichnet wurden. (Nicht der erste Vorfall dieser Art bei Spartak.) Das gab den verdienten Ärger – von der Anti-Rassismus-Initiative „Kick it Out“, von der FIFA und nicht zuletzt auch von der russischen Fan-Gruppe „CSKA Against Racism“.

Die betroffenen Spieler selber haben inzwischen in einem Statement betont, bei Spartak gebe es keinen Rassismus. Was sollen sie auch sonst tun, schließlich ist der Verein ihr Arbeitgeber. Auch die Leser von Sports.ru meinen mehrheitlich: Das war doch nur ein Witz, alles halb so schlimm. Ich persönlich würde trotzdem beide Fragen – die nach Trump und die nach Spartak – mit einem Ja beantworten.

Wer nicht versteht, warum auch ein positiv besetzter Begriff wie „Schokolade“ eine rassistische Bezeichnung sein kann, der liest am besten mal bei Jezebel nach, was die damalige Chefredakteurin Dodai Stewart 2011 über eine ähnlich gelagerte Werbekampagne geschrieben hat: „Einen schwarzen Menschen mit Schokolade zu vergleichen (…) ist nichts anderes als Objektifizierung.“

⚽ Falls übrigens jemand von euch britische Medien liest und dort Artikel findet, in denen kritisch über Russlands WM-Vorbereitungen, die Sicherheit im Lande oder gewalttätige Hooligans berichtet wird: Für Marija Sacharowa, Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, ist das alles Teil einer Kampagne. Sie behauptet, der Staat habe zahlreiche englische Medien angewiesen, vor der WM eine Schmierkampagne gegen Russland zu fahren.

Die Nachrichtenagentur TASS zitiert dazu Waleri Gassajew, der früher die russische Nationalmannschaft trainiert hat. Er sieht das genau so wie die Ministeriumssprecherin. Schmutzige Propaganda. Eine gezielte Kampagne. Alle nur neidisch, die Briten. TASS, das sollte man vielleicht noch kurz erwähnen, gehört übrigens dem russischen Staat.

⚽ Die Zahl der Deutschen in Moskau ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Aber damit ist jetzt Schluss, in diesen Tagen startet ein Gegentrend, und zwar im Rheinland! Konstantin Rausch vom 1. FC Köln steht offenbar vor dem Wechsel zu Dynamo, selbst die Ablösesumme soll schon vereinbart sein: Westi spricht von zwei Millionen Euro. (Dynamo ist im Moment hier auch mit einer anderen Personalie in den Schlagzeilen: Fliegt Stürmer Pawel Pogrebnjak raus, weil er, statt selber auf dem Platz zu stehen, lieber in Italien als Zuschauer im Stadion war? Ganz schön doof, davon dann auch noch Fotos zu posten.)

So oder so: Wahrscheinlich hat sich Rausch, der auch die russische Staatsangehörigkeit hat, überlegt, dass er so seine Chancen steigert, bei der WM zum Kader der russischen Nationalmannschaft zu gehören. Und ich überlege mir schon mal, ob ich den Neuzugang aus Köln unseren Lieblingsnachbarn vorstellen soll. Falls sich die Gelegenheit ergibt, man weiß ja nie.

kscheib russball geissbock

⚽ Wie schaffe ich jetzt den Übergang von „Köln“ zu „Bier“? Doof, dass es da so gar keinen Zusammenhang gibt – das finde selbst ich als Altbiertrinkerin schade. Jedenfalls rechnen Experten damit, dass der Bierverbrauch in Russland dieses Jahr zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder zunehmen wird. Interessante Faustregel eines der Experten, den Wedomosti zum Thema befragt hat: Findet in einem Land eine Fußball-Weltmeisterschaft statt, dann treibt das den Bierkonsum um rund fünf Prozent in die Höhe.

Ein paar russische Bier-Fakten für den Hinterkopf: Ja, es stimmt tatsächlich, dass Bier hier rechtlich erst seit dem Jahr 2013 als alkoholisches Getränk gilt – vorher lag die Schwelle bei 10 Prozent Alkoholgehalt. Wer seine Einkäufe bei Russlands großem Online-Supermarkt „Utkonos“ macht, findet dort bis heute die Kategorie „Alkoholische Getränke und Bier“. Ja, man kann russisches Bier sehr gut trinken – auch, wenn in Moskau viele Läden eher Stella, Heineken und Budweiser auf der Karte haben. Bei der russischen Bierkonsumprognose sind übrigens Fußballfans aus Deutschland und England explizit als Hoffnungsträger erwähnt – schließlich kommen sie „aus Ländern mit hoch entwickelter Bierkultur“.

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⚽ Noch mal zum Thema Getränke: Der Preis für den besten Einstiegssatz geht diese Woche an James Ellingworth, der sich im Moskauer Büro von Associated Press um die Sportthemen kümmert. „Würden Sie eine Probe aus dem Doping-Labor von Sotschi trinken?“, beginnt seine Reportage, in der er Absonderliches berichtet: In dem Gebäude, das einst im Mittelpunkt des Dopingskandals bei den Winterspielen 2014 stand, ist nun eine Kneipe mit einem ganz besonderen Humorverständnis. Auf ihrer Cocktailkarte finden sich neben den Klassikern auch diverse Drinks, die Doping-Anspielungen im Namen tragen. Möchte vielleicht jemand ein Glas „Meldonium“? Oder eine „B-Probe“?

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⚽ Dass sich Russlands Fußballvereine schwer damit tun, ihre Stadien vollzukriegen, war hier ja schon mal Thema. Nun gibt es dazu neue Zahlen: Während der Zuschauerschnitt in der Bundesliga 2016/17 bei 40.693 Gästen lag, waren es in Russland bloß 11.415.

Wer den ganzen Bericht liest, findet dort aber auch eine positive Prognose: Nachdem Polen (2012) und Frankreich (2016) die Fußball-Europameisterschaft ausgerichtet hatten, sei in beiden Ländern der Zustrom an Fans gewachsen. Solch eine Entwicklung sei auch in Russland möglich. Und wenn das nicht reicht: In Wladikawkas wollen sie ihren Fußballverein wieder zum Leben erwecken, der 1995 Meister war und 2014 insolvent. Spätestens das wird ja dann wohl der nötige Schub in Richtung Fußballbegeisterung sein!

⚽ Russian Football News hat eine Serie gestartet, die nach und nach alle WM-Austragungsorte vorstellen will. Die erste Folge, in der Moskau präsentiert wird, liegt auf der nach oben offenen Trockenheits-Skala leider irgendwo zwischen Brockhaus und Sägespänen. Immerhin, zwei interessante Facetten finden sich in dem Zehntausend-Zeichen-Riemen: Ein Rückblick auf ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Moskauer Luschniki-Stadions und der Hinweis, dass es unweit der Metro-Haltestelle Taganskaja ein hausgroßes Bild des russischen Supertorwarts Lew Jaschin gibt.

Die ultimative Lew-Jaschin-Mauer bleibt aber weiterhin dieses Exemplar hier, von dem Ende letzten Jahres Fotos im Netz die Runde machten. Schlichter Slogan: „Onkel Lew ist cooler als (Manuel) Neuer“

⚽ Russlands Parlament will verhindern, dass bei der Fußball-WM im Sommer gefälschte Eintrittskarten kursieren. Ein neues Gesetz sieht vor, dass Fälscher hohe Bußgelder zahlen müssen: Zwischen 50.000 und 70.000 Rubel, also pi mal Daumen 700 bis 1000 Euro, wenn ein einzelner Mensch versucht, mit Fake-Tickets Geld zu machen. Ein bis anderthalb Millionen, wenn ein ganzes Unternehmen Karten fälscht.

Im Gesetzesentwurf sind auch die Strafen festgelegt, die für den Schwarzmarkthandel mit WM-Tickets fällig werden: das 20- bis 25-fache des Ticketpreises, mindestens aber 50.000 Rubel – das ist, siehe oben, für viele Russen ein Monatsgehalt. Also durchaus eine Dimension, in der das mit der Abschreckung funktionieren könnte.

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Zum Schluss noch mal ein Blick auf die Themen vom Anfang, also auf die Disziplinen „Eislaufen“ und „Tickets kaufen“. Zu ersterem könnt ihr euch schon mal einen Termin vormerken: Am 28. Januar kommt um kurz nach 18 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur „Künstler auf Kufen – Eiskunstlauf in Russland“. Ein Feature von Gesine Dornblüth, die bis letzem Jahr hier in Moskau Korrespondentin war. Kann also nur gut werden.

Was Fußballfans in Deutschland zum Thema Kartenkauf wissen müssen, hat Markus diese Woche bei Radio Eins erzählt. Und dabei auch direkt ein Thema aufgegriffen, das ich auch schon allerlei Leuten erklären musste: Warum ihr euch nämlich zur WM nicht einfach eine Privatwohnung in Russland mieten könnt, sondern da noch ein bürokratischer Haken dran ist. Wie gesagt: Es könnte alles so einfach sein.



 

Russball, Folge 21: Was ihr bei der Fußball-WM um den Hals hängen habt

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Diese Russball-Folge muss am Anfang kurz mal Dänball sein. Wir waren eine wunderbare Woche lang auf Fanø, vier Große, zwei Kleine – oder anders gesagt, zwei Schalker und vier mehr oder weniger langjährige BVB-Fans. Was tut man nicht alles, um dem Patenkind und seinem Bruder vorzuleben, dass es noch andere Optionen gibt: „Stimmt, das ist cool, dass da jemand einen Drachen steigen lässt, der aussieht wie die BVB-Biene. Aber hast du dir mal den restlichen Himmel angeguckt? Alles blau und weiß!“

Auf der Insel gibt es auch eine Schule, flankiert von einer Bücherei, allerlei Kletter- und Hüpfmöglichkeiten und einer Sportanlage. Nicht nur für Schüler, sondern offen für alle. Beeindruckt hat mich dort der Aushang am Fußballfeld, der vor allem im Herbst und Winter nützlich ist: Schicke eine SMS an diese Nummer, und die Beleuchtung wird für eine Stunde eingeschaltet.

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Sehr einfach, sehr schlau – jetzt wüsste ich nur noch gerne, ob das automatisiert ist oder am anderen Ende ein Mensch sitzt, der einen Lichtschalter drücken muss. So oder so: Falls ihr Fußball spielenden Kindern eine Stunde Strom organisieren oder einfach als Kunstprojekt mitten in der Nacht einen dänischen Bolzplatz beleuchten wollt: Die Ländervorwahl ist +45, der Rest steht auf dem Zettel.

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⚽ Sports Illustrated hat einen Auszug aus dem Buch „Under the Lights and In the Dark: Untold Stories of Women’s Soccer“ veröffentlicht. Es geht um die junge amerikanische Fußballerin Danielle Foxhoven, die 2012 für Energija Woronesch gespielt hat – eine gruselige Erfahrung. Kurzentschlossen hatte sie dem Club zugesagt, nachdem ihr Job bei einem US-Verein weggebrochen war. Der Artikel beginnt mit einer krassen Szene, in der ihr russischer Trainer sie ins Gesicht schlägt, weil sie sich auf den kalten Boden gesetzt hat. Es folgen Sexismus, Beschimpfungen, als Vitamine getarntes Doping.

Man kann das kaum lesen, ohne sich zu fragen, wie leidensfähig man als Profisportlerin eigentlich sein muss – und wie naiv man sein kann: Tabletten einfach schlucken, unerklärte Spritzen einfach akzeptieren. Wer über den Buchauszug hinaus weiterlesen will: Danielle Foxhoven hat über ihre Zeit in Russland gebloggt. Hier etwa über den traurigen Entschluss, mit dem Russischlernen aufzuhören: Sonst, so die Logik, würde sie noch mehr von den Seitenhieben ihrer Mitspielerinnen verstehen.

⚽ Dass Moskaus renoviertes Luschniki-Stadion mit einem Freundschaftsspiel gegen Argentinien wiedereröffnet werden soll, ist ja schon ein paar Tage bekannt. Neu sind aber die Infos, die RBK zu den Kosten für dieses Spiel recherchiert hat. Demnach zahlt Russland rund eine Million Dollar, damit die Argentinier dem Eröffnungsspiel den nötigen fußballerischen Glanz verleihen.

Bemerkenswert sind an dem RBK-Bericht zwei Details. Zum einen zitiert er einen Experten mit den Worten, Argentinien verlange normalerweise eher zwei Millionen pro Spiel. Der Russland-Rabatt entstehe dadurch, dass aktuell „alle Nationalmannschaften froh darüber sind, im Land der nächsten Weltmeisterschaft zu trainieren.“ Derselbe Experte veranschlagt dann auch noch schnell, welcher Anteil der Millionensumme dafür fällig wird, dass Lionel Messi mit anreist: zwischen 35 und 50 Prozent. So fühlt es sich also an, argentinischer Nationalspieler, aber nicht Messi zu sein: Schau mal, der da drüben ist genau so viel wert wie wir restlichen alle zusammen.

⚽ Neuer Tabellenführer in der Premjer Liga: Lokomotive Moskau hat den bisherigen Spitzenreiter Zenit St. Petersburg sowas von geschlagen – 3:0, und das auswärts. Zwei der Tore hat Jefferson Farfán geschossen, das dritte für Alexei Mirantschuk vorbereitet, das sah dann so aus:

Was heißt das nun für die restliche Saison? Einerseits ist der Verlust der Tabellenspitze noch keine Krise. Zenit war im vergangenen Jahrzehnt viermal russischer Meister, Lokomotives letzte Meisterschaft war 2004. Andererseits, das fasst der Chefredakteur von Russian Football News hier gut zusammen, haben die Moskauer eine deutlich leichtere Rückrunde vor sich. Bei Lokomotive jedenfalls ist der Jubel groß – schließlich bedeutet der Spitzenplatz auch, dass man vor den drei Lokalrivalen ZSKA, Spartak und Dynamo liegt.

⚽ Noch 225 Tage bis zur Fußball-WM, dazu machen hier gerade zwei Zahlen die Runde. Zum einen werden die Kosten für das Turnier höher liegen als bisher geplant: 678 Milliarden Rubel statt 643,5 Milliarden – umgerechnet ist das ein Anstieg von rund 500 Millionen Euro. Warum? Die offizielle Verlautbarung nennt keine Gründe. Aber solche Preissteigerungen sind bei Großereignissen nicht unüblich – und in Russland, wir erinnern uns an den Stadionbau in St. Petersburg, erst recht nicht.

Auch Zahl Nummer zwei liegt höher als bisher erwartet, das dürfte allerdings die meisten WM-Teilnehmer freuen. Die FIFA erhöht das Preisgeld, um das die Mannschaften bei der Weltmeisterschaft konkurrieren. 344 Millionen Euro oder, schön rund, 400 Millionen Dollar sind nun im Topf. Wer schon in der Gruppenphase ausscheidet, nimmt 8 Millionen mit heim, dem Weltmeister winken 38 Millionen. Alle Stufen dazwischen hier zum Nachlesen.

⚽ Falls ihr zur Weltmeisterschaft nach Russland kommen wollt, werdet ihr übrigens das hier um den Hals hängen haben – das neue Design wurde gerade vorgestellt:

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Die Fan-ID ist, wie schon beim Confed-Cup diesen Sommer, der Ausweis, ohne den nichts geht. Nur wer ihn vorzeigen kann, darf ins Stadion – die Eintrittskarte allein reicht da nicht. Auch wer ohne Visum einreisen oder einfach nur kostenlos mit der Metro zum Stadion fahren will, braucht die Fan-ID.

Was mich übrigens interessieren würde: Warum ist die ID das einzige, was zwar zur WM gehört, aber nicht im WM-Design gestaltet ist? Dieses Planschbecken-Stadion, aus dem da der Ball raushüpft, hat nichts mit dem Look des Turniers zu tun. Nicht mal die Schrifttype stimmt, das müsste Duscha (Душа) sein. Beim Confed-Cup war das auch schon so – was es nicht leichter macht, wenn man versucht, den Ort zu finden, wo man seinen Ausweis abholt.

⚽ Maslow, Maslow, warum kommt mir der Name noch mal bekannt vor? Ach ja, die Bedürfnispyramide, damals im SoWi-Unterricht. Erfunden hat sie Abraham Maslow, dessen Namensvetter Denis heute Geschäftsführer beim FK Amkar Perm ist. Und es wäre mir ein akutes Bedürfnis, dass der Mann seine schwulenfeindlichen Statements künftig für sich behält – oder ihm zumindest ordentlich Kritik entgegenschlägt, wenn er sowas hier sagt:

„Schwule im russischen Fußball? Gottseidank bin ich noch keinem begegnet und ich hoffe, das bleibt auch so. (…) In der Bibel steht, dass Gott Adam und Eva schuf, nicht Adam und Adam.“ Bei den Spieler von Perm sei er sich jedenfalls sicher, dass alle „eine traditionelle Orientierung“ haben, behauptet Maslow weiter: „Alle Jungs sind entweder verheiratet oder leben mit ihrer Freundin.“ (Was, die leben unverheiratet zusammen? Was sagt denn da die Bibel?)

Lenta.ru protokolliert Maslows Äußerungen und weist zur darauf hin, dass es in Europa durchaus offen schwule Männer im Fußball gibt: Thomas Hitzlsperger als Profifußballer, den Briten Ryan Atkin als Schiedsrichter. Und ich frage mich, ob man da unten auf die Fan-ID vielleicht nicht nur „Say no to racism“ drucken könnte, sondern auch „Say no to homophobia“. Oder, ganz schlicht, „Don’t be an idiot.“

⚽ Zum Runterkommen eine kleine Nachricht von der Rheinland-Russland-Schiene. Normalerweise ist Konstantin Rausch ja immer der FC-Köln-Spieler, der auch zur russischen Nationalmannschaft gehört. Heute also mal andersrum: Der russische Nationalspieler Konstantin Rausch hat seinen Vertrag beim 1. FC Köln verlängert und bleibt nun bis 2021. Soundtrack zur Entscheidung: Wat och passeet, dat Eine es doch klor: Mer blieven, wo mer sin, schon all die lange Johr.

⚽ Begonnen hat diese Russball-Ausgabe mit einer leidensfähigen Fußballerin, enden soll sie also mit zwei nicht minder unerschütterlichen Nachwuchsmannschaften. Am Samstag sollten die Jugendteams des FK Amkar Perm und des FK Ural gegeneinander antreten – in Perm, also fast schon im asiatischen Teil Russlands. Anfangs war das auch ein ganz normales Spiel. Bis zur 35. Minute.

Nein, das ist kein Nebel. Das ist Schnee.

Viel Schnee.

Verdammt viel Schnee.

Wie sagt man noch mal „Abbrechen wegen Unbespielbarkeit“ auf Russisch? Keine Ahnung, und auch egal. Die 90 Minuten wurden ganz normal runtergespielt, nur der schwarzweiße Ball gegen einen bunten ausgetauscht. Am Ende stand es 5:1 für die Gastgeber; die dann vor lauter Glück noch eine endlose Fotostrecke des Schneematches veröffentlicht haben.

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Während ihr das hier gelesen habt, bin ich auf dem Weg nach Tiflis – das Team von Coda Story, zu dem ich als Social Media Editor gehöre, trifft sich dort zur Redaktionsklausur. Mal sehen, vielleicht erzählt ja jemand am Rande eine interessante Geschichte vom georgischen Fußball. Die lest ihr dann nächsten Mittwoch hier – bis dahin, macht’s gut!



 

Russball, Folge 6: Legionäre, Ronaldinho und ein Bananenmikrofon

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Tja, was soll man sagen über den Fußball in Russland in diesen Tagen. Auf dem Stadiongelände in Sankt Petersburg nisten Bachstelzen, die frisch geschlüpften Jungen sind so! flauschig! Die russische Polizei will bei der WM nächstes Jahr streng gegen halbnackte Fans vorgehen. Das neue Ausweichtrikot von Zenit ist violett mit goldenen Sternen und soll von Fabergé (ich vermute mal, von dem Ei hier) inspiriert worden sein.

Ach so, ja gut, und die neue Saison der Premjer-Liga hat halt begonnen.

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⚽ Ein kleiner Spoiler zum Start: Der nächste russische Fußballmeister wird Zenit Sankt Petersburg. Dessen ist sich jedenfalls Sports.ru so sicher, dass man sich dort die Überschrift „Zenit wird Meister, das garantieren wir“ gönnt. Begründet wird das mit einer klugen Transferpolitik, motivierten Spielern – vor allem aber mit dem neuen Trainer: „Mancini kann einfach nicht schlechter sein als Lucescu,“ unter dem es Zenit nicht in die Champions League geschafft hatte. „Zenit ist den problematischsten Trainer in der jüngeren Geschichte des Vereins losgeworden“, da könne nun der Rasen im Stadion so schlecht sein, wie er mag: Zenit wird Meister!

⚽ Ehe in Russland die neue Liga-Spielzeit beginnt, wird traditionell der Fußball-Supercup zwischen dem Meister und dem Pokalsieger ausgetragen. Dieses Jahr war es ein Lokalderby zwischen Spartak Moskau und Lokomotive Moskau, 2:1, so weit, so alltäglich. Bemerkenswert allerdings ein Fan-Banner, das nichts mit Fußball zu tun hatte, sondern mit einem noch unveröffentlichten Kinofilm. „Für Glaube, Zar und Vaterland“ steht auf dem Transparent, daneben ein Bild des letztes russischen Zaren Nikolaus II. Um dessen Affäre mit der Tänzerin Matilda Kschessinskaja geht es in dem Film „Mathilda“.

Matilda Kschessinskaja
Matilda Kschessinskaja

Kaum jemand hat ihn bisher gesehen, trotzdem empören sich Politiker, Kirchenoffizielle und mehr als 20.000 Unterzeichner einer Petition über den Film. „Russland wird als ein Land von Sauferei und Rumhurerei dargestellt“, heißt es dort, anderswo ist jemand überzeugt, Russland werde untergehen, wenn der Film, der am Zarenidol kratzt, in die Kinos kommt.

Und nun also das Banner – professionell gedruckt, und mit nahezu identischem Gegenstück im Fanblock gegenüber. Ob sich Fans beider Seiten wirklich so sehr für den Ruf eines toten Herrschers interessieren, oder wer sie sonst auf diese Idee gebracht hat – schwer zu sagen. Sports.ru zeigt Bilder, erklärt die Hintergründe des „seltsamsten Banners beim Supercup“ und kann sich ironische Zwischenzeilen wie „Ernsthaft?“ dabei nicht ganz verkneifen. 

⚽ Zum Start der Premjer-Liga-Saison in Russland hat The 18 aus zehn Fakten rund um den russischen Fußball einen kleinen Listicle gebaut. Interessant ist vor allem Punkt 3, wonach alle russischen Nationalspieler derzeit bei russischen Vereinen unter Vertrag sind. „Wladimir Putin sagt, dass sich Russland schwer tut, weil zu viele Ausländer in der Premjer-Liga spielen“, kommentiert der Autor, „aber vielleicht tut sich die Nationalmannschaft auch deshalb schwer, weil nicht genug Russen in ausländischen Ligen spielen?“

⚽ Von Russen im Ausland zu Ausländern in Russland: Bis September sollen Vorschläge auf dem Tisch sein, wie die Zahl ausländischer Spieler bei russischen Vereinen in Zukunft geregelt wird. Bisher dürfen gleichzeitig höchstens sechs Spieler pro Mannschaft auf dem Platz sein, die keine russische Statsangehörigkeit haben. In Zukunft soll stattdessen festgeschrieben werden, wie viele Legionäre es im gesamten Kader geben darf, nicht nur im aktuellen Spiel.    

Dazu passt diese Liste einiger Dann-doch-nicht-Legionäre: Zwölf Spieler, die zwar die Möglichkeit hatten, zu einem russischen Verein zu wechseln, sich aber dagegen entschieden. Martin Montoya zum Beispiel blieb lieber bei Valencia, statt zu Spartak zu kommen. Kostas Manolas sagte in letzter Minute bei Zenit ab und ging stattdessen zu Chelsea. Douglas Kosta wechselte vom FC Bayern zu Juventus, obwohl auch an ihm Zenit interessiert war. 

⚽ Ein neuer Name in Russlands Premjer-Liga: Seit dieser Saison spielt dort der FK Achmat Grosny. Falls jemandem beim Zuschauen der ein oder andere Spieler bekannt vorkommt, liegt er richtig: Neu ist eben nur der Name, nicht der Verein. Der hieß von der Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der vergangenen Spielzeit RFK Terek Grosny; der neue Name soll an Achmat Kadyrow erinnern. 

Der damalige tschetschenische Präsident kam 2004 beim einem Attentat ums Leben, heute erledigt sein Sohn Ramsan Kadyrow das, was hier unter Präsidenten-Amtsgeschäfte fällt: Oppositionellen mit dem Tod drohen, Menschenrechte missachtenschwulenfeindliche Gewalt dulden,  gelegentlich im Reality-TV auftreten, bei Instagram posten. Apropos: Als Stargast war Ronaldinho zum ersten Spiel des Vereins mit dem neuen Namen angereist – und sich leider nicht zu fein, kameratauglich mit Kadyrow zu posieren:  


⚽ ZSKA Moskau hat ein neues Stadion, nun war es erstmals ausverkauft. Auf dem Spielfeld diesmal keine 23 Menschen sondern gleich einige tausend, alle mit Blick zur Bühne (und Plastikplane unter den Füßen, um den Rasen zu schützen. Denn das volle Haus verdankt Spartak keinem Spitzenspiel, sondern „Park Live“, einem eintägigen Musikfestival. Headliner waren diesmal System of a Down.

Artur Petrosan erklärt hier, warum der Ticketverkauf für Fußballspiele bei vielen Vereinen nicht besonders lukrativ ist. Und er zitiert den Finanzdirektor von ZSKA: „Wenn wir solch ein Festival mit einem durchschnittlichen Erstligaspiel vergleichen, bringt ersteres dem Verein mehr Geld ein.“ Darum sollen weitere Veranstaltungen dieser Art folgen, wenn die Spielansetzungen es möglich machen.

⚽ Witali Mutko, russischer Vize-Premier, hat in einem Interview zu Protokoll gegeben, dass sich die ukrainische Fußball-Nationalmannschaft wegen der WM 2018 keine Sorgen machen soll. In Kasan war Mutko auf einen möglichen Boykott des Turniers angesprochen worden. „Ich kann sagen, wenn sich die ukrainische Mannschaft qualifiziert, wird es für sie in Russland keinerlei Probleme geben, nicht ein Problem“, zitiert Interfax Mutkos Antwort.

Das Verhältnis zwischen den beiden Ländern ist seit der russischen Annexion der Krim gespannt. Dass das auch Konsequenzen abseits der politischen Sphäre haben kann, hat ja zuletzt der Eurovision Song Contest gezeigt

⚽ Leonid Sluzki hat mal die russische Nationalmannschaft trainiert, inzwischen ist er Trainer bei Hull City und unterhält seine Spieler dort mit russischem Liedgut: Sport Express zeigt ein Snapchat-Video, in dem Sluzki auf einem Stuhl steht und seinen Spielern Katjuscha vorsingt. In seinem Mikrofon-Ersatz meint Sport Express, eine Banane erkannt zu haben. Wer das überprüfen möchte, kann hier gucken:

⚽ Von den Nordkoreanern, die beim Stadionbau in Sankt Petersburg ausgebeutet wurden, war hier ja vor ein paar Wochen schon mal die Rede. Die New York Times wirft jetzt über die Fußball-Infrastruktur hinaus einen Blick auf ein Regime, das seine Bürger ins Ausland verleiht, damit sie dort wie Sklaven arbeiten. Russische Firmen bewerben ihre nordkoreanischen Mitarbeiter als „hart arbeitend und ordentlich. Sie machen keine langen Arbeits- oder Zigarettenpausen und drücken sich nicht um ihre Pflichten.“ Ihr Gehalt geht zu großen Teilen in den nordkoreanischen Staatshaushalt.

 

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Zum Schluss noch ein Link, den mir eine Moskauer Bekannte diese Woche geschickt hat, „…weil es die einzige Fußball-Art ist, in der wir Russen die Besten sind!“ Es geht – natürlich – um Sumpf-Fußball; die aktuelle WM wurde gerade in Hyrynsalmi ausgetragen, was – natürlich – in Finnland liegt. Sieben Kategorien gibt es, in dreien kommt die Siegermannschaft 2017 aus Russland. Sauber! Oder eher: Glückwunsch!