Russball, Folge 56: Das Gute am frühen WM-Aus für Deutschland

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Das ist ja nun schon ein bisschen her, dass Deutschland bei der WM rausgeflogen ist. Aber erst in den letzten Tagen ist mir aufgefallen, was daran der eine, große Vorteil ist: Man hat Zeit, Lust und Energie, alle möglichen anderen Teams anzufeuern – ganz ohne nervige strategische Hintergedanken wie „Oh Mann, die spielen echt gut, hoffentlich werfen die dann nicht in der nächsten Runde meine Mannschaft raus.“

Mit einer englischen Freundin in einer Fußballkneipe für England jubeln gegen Kolumbien. In einer Bar immer wieder auf die Stelle im Fenster gucken, wo sich der Fernseher um die Ecke spiegelt, während Belgien Brasilien rauswirft. Auf der Abschiedsfeier eines Freundes, der Moskau verlassen wird, um den Fernseher rumsitzen, den der Vermieter netterweise partytauglich an der Küchenwand angebracht hat, und den einen russischen Partygast herbeibrüllen, weil der genau in dem Moment eine rauchen ist, als Russland sein erstes Tor schießt. Ich find’s ganz schön, das alles tun zu können, ohne mich zu fragen: Könnte die deutsche Mannschaft denn auch gegen den Sieger bestehen? Diesmal ist von vorne herein klar: Nein, könnte sie nicht. Da guckt man gleich viel entspannter.

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⚽ Oh Mann, Russland! Wie schade, dass das jetzt alles vorbei ist – dieser Jubel, bei dem du am Anfang auch noch nicht so richtig wusstest, wie das eigentlich geht und ob das alles erlaubt ist, und dem du dich dann innerhalb weniger Tage so richtig hingegeben hast, einschließlich alberner Outfits und Schminke.

Als Rheinländerin muss ich voller Respekt sagen: Da waren Kostüme und großflächig aufgetragene Schminke zu sehen, mit denen man sich auch im Kölner Karneval nicht hätte schämen müssen. Und dann diese Lautstärke! Ich wollte Jubelfotos aus dem Fenster machen nach dem Spiel gegen Kroatien, stattdessen waren die Straßen leer. Auf dem Heimweg saßen zwei Frauen, in Flaggen gewickelt, vor einem Supermarkt und trösteten einander. Und ich dachte: Das kann ja wohl nicht alles sein.

War’s ja dann auch nicht, am Tag drauf, nachdem Russlands Medien schon Bilanz gezogen hatten, hat sich die Nationalmannschaft auf dem Fan-Fest bejubeln lassen. Es muss, wenn man dieses Video hier guckt, ein ziemlich beeindruckender Moment gewesen sein. Der Auftritt in den Sperlingsbergen wurde schnell zum Trending Topic bei Twitter, den Spielern auf der Bühne sieht man an, wie sehr sie am Tag nach der Niederlage diesen Zuspruch genießen. Vielleicht am besten gefallen hat mir aber dieses Geschenk eines Fans an den russischen Kapitän, Igor Akinfejew: statt der goldenen Ananas gab es einen Blumenstrauß aus Tomaten.

Klugerweise setzt das Kommunikationsteam der russischen Nationalmannschaft aber nicht nur auf Jubelbilder. Bei Twitter wurde ein Foto veröffentlicht, das den Fuß von Spieler Ilja Kutepow zeigt – als „weiterer Beweis, dass die Mannschaft alles getan hat, was möglich war, und noch mehr. Die Verletzung stammt aus der ersten Halbzeit, da lagen noch 100 Minuten vor uns…“

⚽ Was das russische WM-Aus auch bedeutet: Keine Ablenkung mehr, während der man die geplante Rentenreform durchdrücken könnte. Na, immerhin gilt weiterhin das Demonstrationsverbot in allen Gastgeberstädten, der Protest ist also weniger sichtbar als sonst.

⚽ Wir müssen dann auch noch über Artjom Dsjuba sprechen. Nicht so sehr wegen seiner wirklich schönen Instagram-Aktion, bei der er nach dem Ausscheiden Doppel-Selfies mit jedem einzelnen seiner Mannschaftskollegen gepostet hat mit der Bildunterschrift „Meine Kämpfer! Mein Stolz!“. Auch nicht wegen der Sache mit dem Salutieren. Der Grund, weshalb wir über Dsjuba reden müssen, ist das Einstichloch in seiner Ellenbeuge.

artjom dsjuba instagram

Die Süddeutsche Zeitung hat sehr sorgfältig aufgedröselt, was dieser Einstich an dieser Stelle bedeuten kann und was eher nicht – das russische Argument, es sei Venenblut abgezapft worden zwecks Gesundheitskontrolle, ist demnach wohl wenig glaubwürdig. Und die ganze Nummer mit der Ammoniakschnüffelei, von der man ja rund um die russische Mannschaft mehrfach gehört hat, ist dort auch erklärt. Tatsächlich ist Ammoniak – viele kennen vielleicht eher den Begriff Riechsalz – hier in Russland recht weit verbreitet. Einer Freundin, die hier beim Arzt nach einer Spritze umgekippt ist, hat man auch so ein Stinkefläschchen unter die Nase gehalten, damit sie wieder zu sich kommt. Wozu die Anwendung im Sport gut sein soll, ist hier erklärt.

⚽ Diese Boulevardgeschichte aus Nischni Nowgorod hatte einfach alles: Eine Apothekerin, die das Wort „Austragungsort“ wohl zu wörtlich genommen hatte und Kondome verkauft, in die sie Löcher gepiekst hatte. Zitate der Apothekerin, in denen sie ihr Tun damit rechtfertigte, den russischen Genpool durch ein paar, sagen wir mal… Beiträge ausländischer Fans bereichern zu wollen: „Haben Sie gesehen, was da für Jungs zu uns gekommen sind? Einer schöner als der andere, schlank, klug, sportlich.“ Sogar ein Foto der Frau hatte Bloknot.ru veröffentlicht.

Nur echt scheint die Geschichte halt nicht gewesen zu sein. Inzwischen ist sie von der Website verschwunden, nur an der URL erkennt man noch die Überschrift des früheren Artikels. Da bin ich ja regelrecht froh, vorher noch einen Screenshot gemacht zu haben von der Umfrage, die sich irgendein Redakteur dazu passend ausgedacht hatte: „Muss der russische Genpool verbessert werden?“: Eine leichte Mehrheit der Leser hat das mit „ja“. beantwortet.

bloknot.ru nischni nowgorod apothekerin ente

⚽ Für Themen rund um Sprache und Fremdsprachen bin ich bekanntlich ja immer zu haben (hier, hier oder hier zum Beispiel). Entsprechend angetan war ich von einem Artikel der BBC, der mir neulich in die Hände fiel. Er erklärt, wie sich die belgischen Spieler auf dem Platz verständigen – schließlich haben sie ja keine einheitliche Muttersprache. Mehr will ich hier gar nicht vorweg nehmen, sondern scheibe einfach in bester Buzzfeed-Manier: Die Antwort wird euch überraschen. Oder so.

⚽  Wie großartig ist denn bitte „8 Bit Football“? Und warum begegnet mit dieser Account erst jetzt, wo die WM auf der Zielgeraden ist?

⚽ Was für eine schöne, traurige Idee für eine Reportage: AFP hat eine Reporterin in den Donbass geschickt, also in die Ostukraine. Kriegsgebiet. Das Fußballstadion von Donezk wird nicht mehr als solches gebraucht, aber ein Café im Gebäude zeigt die WM-Spiele. Die Einwohner der Stadt, für die sonst eine abendliche Ausgangssperre gilt, dürfen an den Spieltagen länger nach draußen. Über dem Eingang des Cafés hängt ein Schild, „Zutritt nur ohne Waffen“. Eine Geschichte über die Liebe zum Fußball an einem Ort, wo für Liebe derzeit wenig Raum ist. (Foto hier.)

⚽ Viele haben sich gewundert, damals, als über die russischen WM-Austragungsorte entschieden wurde und Krasnodar nicht dabei war. Saransk, wirklich? Dieses Kaff mit kaum 300.000 Einwohnern? Und dann hat Krasnodar ja auch noch dieses unfassbare Stadion mit der riesigen Videowand! Wie es sich anfühlt in diesen Tagen, Fußballfan in Krasnodar zu sein und die WM-Spiele nur im TV sehen zu können? Ivan Nechepurenko hat sich mit vor den Fernseher gesetzt.

⚽ Ich bin ja aus Nordrhein-Westfalen und habe, als ich da noch gelebt habe, keine allzu guten Erfahrungen mit CDU-Ministerpräsidenten gemacht. Jürgen Rüttgers, Kinder statt Inder, unzuverlässige Rumänen, ihr erinnert euch. Das nur vorneweg, weil ich dennoch hier einen Tweet vom aktuellen NRW-Ministerpräsidenten einbetten will. Denn dazu war ich nun auch lange genug Journalistin in NRW, um Armin Laschet abzunehmen, dass ihm Integration und der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit ein Anliegen sind.

Dass Mesut Özil sich mit Erdogan fotografieren lassen hat, empfinde ich weiterhin als Zeichen von – mindestens – fehlendem Urteilsvermögen und politischer Naivität. Aber dieser PR-Spin, wonach das nun also ein entscheidender Faktor beim deutschen WM-Aus gewesen sein soll, und wobei Forderungen nach einem Statement von Özil als Ablenkung von anderen Kritikpunkten herhalten müssen – da nehmen Menschen sehr bewusst in Kauf, Nazis Argumentationsmaterial zu liefern. Wenn also nun der DFB im Allgemeinen und Oliver Bierhoff im Besonderen zeigen, zu wie viel Opportunismus sie in der Lage sind, wenn sie unter Druck geraten, ist es wichtig, so deutlich dagegenzuhalten, wie Laschet das hier tut.

⚽ Noch ein politisches Thema, es ist ein bisschen kompliziert, darum hier ganz chronologisch: 1. haben nach dem Sieg Kroatiens über Russland ein kroatischer Spieler und einer aus dem Trainerstab ein Video gepostet, in dem sie „Slawa Ukraini“ rufen, Ehre der Ukraine. Dafür ist 2. Domagoj Vida, der Spieler, von der FIFA verwarnt worden und 3. Ognjen Vukojevic aus dem kroatischen Trainerstab rausgeworfen worden. („Slawa Ukraini“ war hier in Russland tagelang trendig topic bei Twitter.)

Damit ist die Geschichte noch nicht vorbei. Manche Russen finden 4., dass das eine zu milde Strafe ist, wogegen 5. manche Ukrainer finden, es hätte überhaupt nicht bestraft werden sollen. Was sie, 6., auf der FIFA-Facebookseite mit lauter Ein-Stern-Bewertungen unterstreichen. Außerdem hat nun der ukrainische Fußballverband angeboten, Vidas Strafe zu zahlen – eine Ankündigung, zu der sich der Verbandschef extra ein kroatisches Leibchen angezogen hat. Ich habe keine Zweifel, dass es in den nächsten Tagen weitere Drehs zu dem Thema geben wird.

⚽  „In Deutschland hat eine Frau die WM kommentiert. Jetzt wird sie gehasst.“Unter dieser Überschrift versucht Sports.ru, seinen Lesern zu erklären, was Claudia Neumann in den letzten Tagen für einen Dreck abbekommen hat und warum: „Die deutschen Zuschauer waren dafür (also für eine kommentierende Frau) nicht bereit“, heißt es in dem Text als Erklärungsversuch – und das, obwohl doch die Mehrheit der Deutschen es Umfragen zufolge gut finde, wenn Frauen als Kommentatorinnen arbeiten.

⚽ Zum Schluss noch eine Transfermeldung. Nein, kein Ronaldo – der ist ja, hüstel, schon recht früh hier aus Russland abgereist und passt darum in diesen Newsletter nicht hinein. Stattdessen geht es um Bryan Idowu. Von ihm war hier vor ein paar Wochen schon mal die Rede: nigerianischer Nationalspieler, aufgewachsen in Russland, schwarz. Was das für seinen Alltag bedeutet und wie oft oder wie selten ihm Rassismus begegnet, hat er schon mal in einem Interview erzählt. Nun hat sich der amtierende russische Meister Idowu geschnappt: In der neuen Saison wird er für Lokomotive Moskau spielen.

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So, wenn ihr bis hierhin gelesen habt, ist es ja auch nicht mehr lange bis zum zweiten Halbfinale, #itscominghome und so. Diese beiden Russen hier sind jedenfalls ganz klar für England – egal, wie die politischen Beziehungen zwischen ihren Ländern sind:

Bis nächste Woche – das ist dann schon die erste Russball-Ausgabe nach der WM, Mannmannmann. Aber erst mal euch allen viel Spaß mit den restlichen drei Spielen!



Sluzki als WM-Experte: Hat da etwa jemand „Nawalny“ gesagt?

sluzki nawalny

Mit Alexej Nawalny geht das russische Staatsfernsehen normalerweise nach dem Voldemort-Prinzip um. „He who must not be named,“ der Oppositionspolitiker findet nicht oder kaum statt, und wenn, dann selten unter seinem Namen. Wenn dich keiner kennt, kann dich auch keiner unterstützen – so einfach ist die Logik, an die sich selbst Präsident Putin hält: Muss er, zum Beispiel bei einer direkten Frage, sich zu Nawalny äußern, vermeidet er trotzdem jegliche Namensnennung.

Aus dem Eifer der Behörden, Nawalny aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden zu lassen, entstand im letzten Winter hier in Moskau sogar ein Trick: Menschen, vor deren Häusern oder in deren Innenhöfen der Schnee nicht geräumt wurden, gingen dazu über, Nawalnys Namen in den Schnee zu schreiben und schwupps – schon sorgte jemand dafür, dass der Schnee verschwand. Zauberei!

Und dann plötzlich das: Leonid Sluzki, früher mal Trainer der russischen Fußball-Nationalmannschaft, ist während der Fußball-Weltmeisterschaft als Experte beim Perwy Kanal im Einsatz, dem Sender, den regelmäßig die meisten russischen Fernsehzuschauer einschalten. Während des Spiels zwischen Deutschland und Mexiko zählte Sportjournalist Kyrill Dementjew gerade auf, welche Alternativen der deutsche Kader noch so hergeben würde (Marco Reus, Mario Gomez), wenn man „nawalnij futbol“ spielen wollte, also alles auf Angriff setzen. Da warf Sluzki ein: „Ob Nawalny wohl Fußball spielt? Na, das wäre doch mal interessant zu sehen.“

Seitdem feiern einige Fernsehzuschauer Sluzki für seinen unverhofften Bruch mit der Voldemort-Regel. „Am besten bei der WM sind bisher Russland, Belgien, Mexiko und Sluzki“, wird er gefeiert, und die Journalistin Tania Felgengauer schreibt: „Der Moment ist gekommen, in dem auf dem Perwy Kanal der Name Nawalny in einem positiven Zusammenhang genannt wurde. Danke, Leonid Sluzki, so ein guter Mann! Ich bin begeistert! Das war sehr lustig!“

Damit nicht genug: Sluzkis Spruch hat etwas ausgelöst. Vor allem bei Twitter wird nun laut überlegt, welche anderen Themen, die sonst im Staatsfernsehen praktisch nicht thematisiert werden, Sluzki als nächstes ansprechen könnte. Das klingt dann so:

Kyrill Dementjew: „Englands 3-4-3-System sieht zweifelhaft aus.“
Leonid Sluzki: „Zweifelhaft sieht (auch) das Referendum auf der Krim aus.“

Kyrill Dementjew: „Ich glaube, das war gar kein Elfmeter.“
Leonid Sluzki: „Genau, es waren ja auch keine russischen Soldaten in der Ukraine.“

Kyrill Dementjew: „Das war ein sehr spätes Abspiel auf Kane.“
Leonid Sluzki: „So spät wie wir jetzt in Rente gehen werden.“

Kyrill Dementjew: „Ein Wechsel bei der tunesischen Mannschaft.“
Leonid Sluzki: „Und bei uns schon 18 Jahre ohne (Macht)wechsel.“

Kyrill Dementjew: „Das werden heute schwierige 90 Minuten für Russland.“
Leonid Sluzki: „So wie die nächsten sechs Jahre.“

Hab ich schon gesagt, wie sehr ich den Humor hier mag?

Foto: Дмитрий Голубович, CSKA-MC (5), Bildschnitt von kscheib.de, CC BY-SA 3.0

„Ich habe ja nichts gegen Fußball, aber…“

Es wäre ja auch zu schön gewesen. Schön, wenn sie einfach mal gestimmt hätten, diese Erklärungen im Vorfeld der WM, wonach schwule Fans, lesbische Fans, überhaupt LGBTQ-Fans unbesorgt nach Russland kommen können. Die Realität sieht anders aus: Als Security eingesetzte Kosaken-Gruppen kündigen an, jedes gleichgeschlechtliche Paar, das sich in der Öffentlichkeit küsst, der Polizei zu melden. Der Aktivist Peter Tachell wird festgenommen, als er in der Nähe vom Roten Platz gegen die Verfolgung von Homosexuellen in Tschetschenien protestiert.

Dem „Diversity House“ in St. Petersburg wurde kurz vor der Eröffnung der Mietvertrag gekündigt und der Strom abgedreht. Wer sich gelegentlich damit beschäftigt, wie in Russland mit NGOs umgegangen wird, kennt diese Art von Schikane, sie hat Methode.

Wie gut tat es da, einen Tweet zu lesen, der hier in Russland gerade die Runde macht.

„Ich hab ja nichts gegen Fußball, aber warum muss man das allen unter die Nase reiben? Warum kannst du nicht einfach zuhause sitzen und es still angucken, anstatt irgendwelche Meisterschaften zu veranstalten? Warum sollen euch alle bei eurem Privatvergnügen zusehen? Wie soll ich all diesen Unfug bloß meinen Kindern erklären?“

Ihr merkt, worum es geht. Und viele andere Twitter-Nutzer merkten es auch und stimmten ein.

„Und dann guckt mein Kind plötzlich sowas und will auch Fußballer werden!“

„Wegen dieser Fußballspieler wird die Menscheit in 100 Jahren ausgestorben sein, wollt ihr das?“

„Sowas gab’s hier früher in Russland nicht, damals spielten sie still vor sich hin normale russische Spiele. Dann erfanden die grässlichen Europäer diese Abscheulichkeit, in kurzen Shorts herumzulaufen, das ist doch nicht orthodox…“

„Ich habe auch einen Freund, der Fußballer ist. Aber der ist normal und zieht kein Fußballtrikot an, und der scherzt auch mit und lacht, wenn man Witze über Fußballer macht“

„1. Ein Fußballer zu sein, ist einfach unnatürlich. Wo sieht man das schon jemals in der Wildnis? 2. Die Faschisten waren ursprünglich auch Fußballspieler. 3. Dies ist eine Sünde und eine schwere Krankheit, da helfen nur Fasten und Gebete. Und überhaupt, sollen sie doch irgendwo im Wald spielen, wo ich sie nicht sehen muss.“

„Stimmt! Die gehören in die Fabrik und zur Armee unter normale Männer, das treibt ihnen diese Flausen schon aus“

„All diese Perversionen mit einem Haufen Männer auf einem Spielfeld – das wird ganz klar von der Soros-Stiftung finanziert! Ich habe selber gesehen, wie sie Bälle aufgepumpt haben, und mit diesen Bällen Kinder trainiert haben – sie spielen mit ihnen und werden dann auch zu solchen Leuten. VERSTEHT IHR, WIE ALL DAS ENDEN WIRD?“

Zehn Tweets zum ersten Tag der Fußball-WM

Wer niedrige Erwartungen hat, der kann auch nicht enttäuscht werden. Nach dem Prinzip funktioniert offenbar stellenweise auch das Merchandising rund um die russische Mannschaft bei der Fußball-WM.

Ein Journalistenkollege macht sich verdient und verbreitet das gute Wort von den Freuden georgischer Küche. Die zwei Kollegen von n-tv.de, die derzeit in Moskau sind, habe ich auch sofort zum Georgier geschleppt. Georgisches Essen – dafür kommt man schließlich nach Russland!

Wie war das vor dem Turnier? Schwule und lesbische Fans sind willkommen und müssen sich keine Sorgen machen?

Dann beginnt die Eröffnungsfeier und ist irgendwie…retro?

Ein Mann, der aussieht wie der etwas ältere, etwas weniger lässige Bruder von Robbie Williams, singt und zeigt einen Stinkefinger in die Kamera, was eine ukrainische Website zum Trollen nutzt: „Robbie, wird Russland Weltmeister?“

Ich lachte:

Manche Leute müssen während des Eröffnungsspiels der Fußball-WM zwischen Russland und Saudi-Arabien von A nach B. Einige von ihnen posten Bilder, wie sie das Spiel in der Metro gucken.

Nach dem 5:0 dann: Gefeier an der Fan-Zone, am Hang über dem Luschniki-Stadion:

Irgendwelche Idioten machen sowas hier:

Und die russische Nationalmannschaft bekommt nach dem Abendessen noch eine kleine Süßigkeit.

Russball, Folge 51: Ein russischer Verein lockt Ronaldo

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Zum Start muss ich kurz etwas richtigstellen: In der letzten Russball-Folge sind mir bei einem verlinkten Text Spartak und ZSKA durcheinandergeraten – das kommt davon, wenn man parallel mit zu vielen offenen Tabs hantiert. Netterweise hat sich Witali Leonow, der den Artikel über ZSKA geschrieben hat, gemeldet und auf meinen Fehler hingewiesen. In der Blog-Version ist er bereits korrigiert, ich wollte aber heute auch noch alle Newsletter-Leser darauf hinweisen – sorry!

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⚽ Nun steht also auch der russische WM-Kader, weder Konstantin Rausch noch Roman Neustädter haben es reingeschafft. Die 23 Namen, die man bis zum Turnierbeginn kennen sollte, hier also im Überblick. Und nein, natürlich gibt es solch eine Entscheidung nicht ohne Kritik – die Mehrheit der Leser von Bombardir.ru zum Beispiel ist unzufrieden, wie die Umfrage unter diesem Artikel hier zeigt. Ähnlich klingen die Kommentare, die Championat.com gesammelt hat. Tenor: „Die Titanic ist auf Kurs.“

⚽ Wie teuer ist die russische Nationalmannschaft, und wieviel Geld bringt sie ein? Sport Express beantwortet diese Fragen in zwei separaten Artikeln und geht dort jeweils die großen Turniere der vergangenen Jahre durch. Aussagekräftiger wäre das ja, wenn man Ausgaben und Einnahmen pro Jahr jeweils auf einen Blick sähe, ohne von einem Text zum anderen springen zu müssen.

Darum hier zum Vergleich: Für die WM 2014 in Brasilien kommt Sport Express auf Kosten von rund 17 Millionen Euro, wovon das Gehalt von Trainer Fabio Capello allein 7 Millionen ausmachte. Eingenommen habe die Mannschaft im Gegenzug etwas über 8 Millionen Euro, der Artikel nennt die Zahlen in Dollar: 1,5 Millionen für die geschaffte WM-Quali, weitere 8 Millionen für die Teilnahme an der Gruppenphase. Wer sich noch weiter in das Thema reinlesen will: Hier gibt es die Ausgaben seit 2011, hier die Einnahmen ab 2002.

⚽ Christiano Ronaldo will ja wechseln, hört man, weg von Real Madrid. Der FK Jenissei Krasnojarsk ist jetzt kein russischer Spitzenclub im klassischen Sinne, hebt aber schon mal die Hand und macht mit einem Tweet auf sich aufmerksam, in dem er sich als Alternative zu Madrid und Manchester positioniert:

Die Botschaft der Bilder kann man vielleicht so zusammenfassen: Ja, okay, bei den Top-Vereinen gibt es große Stadien, du gewinnst Trophäen, kannst dir schicke Autos und ne Villa leisten. Bei uns fährt man Lada (man beachte das Nummernschild), wohnt in einfachen Häuschen – aber dafür zahlt du hier auch weniger Steuern! Tatsächlich liegt der Steuersatz in Russland bei gerade mal 13 Prozent, und wir wissen ja alle, wie wichtig das Thema für Christiano Ronaldo ist.

⚽ Langweilige Überblicke über die WM-Stadien haben wir inzwischen ja alle genug gesehen und gelesen. Bei diesem hier hat der Autor hingegen mal so richtig auf die Sahne gehauen. Schon der Einstiegssatz gibt die Richtung vor: „Es ist eine wenig bekannte Tatsache, dass Fußballfans zu den intelligentensten Menschen auf dem Planeten gehören.“

Im selben Stil dann auch die Einzelkritik, so blumig, dass man sie im englischen Original wiedergeben muss: „a bit of a stinker“ ist das Stadion in Jekaterinburg, „your classic Allianz Arena knock-off“ das in Saransk und die Arena in Rostow ganz einfach „booooooooring“. Okay, beim Fischt-Stadion liegt er mit seiner Einschätzung komplett falsch – das sage ich mal so als Fußballfan, also als einer der intelligentesten Menschen auf diesem Planeten.

⚽ Die Stuttgarter Kinderzeitung wollte ihren Lesern kurz vor der WM mal erzählen, wie ein Tag eines russischen Schülers aussieht. Also war ich an der Moskauer Schule Nummer 1955 und habe dort Dmitrij durch seinen Schultag begleitet. Er ist Spartak-Fan, lernt Deutsch, diskutiert gerne – wir mussten also nicht lange nach Gesprächsthemen suchen.

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Wenn es gut klappt, entstehen beim Schreiben für Kinder manchmal Texte, die klarer sind als die für Erwachsene. Ich bin bestimmt nicht die einzige, die schon mal in einer Redaktionskonferenz gesessen hat, wo vorgetragen wird, was welche Agentur zu einem Thema berichtet – und am Ende jemand sagt: „Also, die beste Meldung ist eigentlich die vom dpa-Kinderdienst.“) Wenn’s schief geht allerdings, dann sind Journalistentexte für Kinder albern, betulich, von oben herab und irgendwie dutzidutzidutzi.

Ich hab also an Patenkind 1 und 2 gedacht, was die wohl gerne lesen würden und auch gut selber lesen können. In kurzen Sätzen, anschaulich, das war der Anspruch. Ob’s geklappt hat, könnt ihr hier nachlesen. Ich freu mich über Feedback, von euch oder von euren Kindern.

⚽ Was man nicht unterschätzen darf, ist übrigens, wie sehr sich die Moskauer Metro in die WM-Vorbereitungen stürzt. Durchsagen, Schilder, Personal, alles wird da auf Englisch getrimmt, die Mitarbeiter sollen außerdem lernen, höflich zu sein und auch mal zu lächeln. Englisch, höflich, wer fällt einem dazu ein? Genau, Kanada. Journalisten von CBC waren es also, die sich mal genauer angesehen haben, wie dieses Training für Metromitarbeiter funktioniert.

Ergebnis: eine Reportage und ein Foto vom Lehrmaterial, zum Genießen. Denn da werden die englischen Floskeln kyrillisch verlautschriftlicht. (Danke an Pascal Dumont, dass ich das Bild hier verwenden darf.) Wenn euch in der Moskauer U-Bahn demnächst also jemand ein fröhliches „Ju a welkem“ entgegenschleudert, ein leises „Ekskju mi“ oder ein hellwaches „Gud moning“, wisst ihr, woher das kommt!

#5

⚽ Anderes Verkehrsmittel, gleicher Ansatz: Moskaus Taxifahrer werden auch geschult in Sachen Englisch. Jedenfalls diejenigen, die eine besondere Lizenz bekommen wollen, mit der sie nah ans Stadion heranfahren dürfen, um dort Passagiere abzusetzen oder aufzusammeln. Knapp 5000 Fahrer sollen sich darum beworben haben.

Hübsch in der Reportage aus diesem Kurs: Die These eines Fahrers, dass man eigentlich nur eine Floskel beherrschen müsse: „One thousand“, Rubel nämlich, das sind 14 Euro. Für Fahrten in der Innenstadt ein ziemlich hoch angesetzter Preis, die Reporterin fragt also nach, ob das keine Abzocke sei und somit schlecht für das Image der Stadt. Einer der Fahrer hält dagegen: „Wenn ein Mensch zur Arbeit geht, worum geht es ihm dann – um Moskaus Image oder ums Geldverdienen?“

⚽ Fragen, von denen ich auch nicht dachte, dass sie hier mal gestellt werden: Wie sieht eigentlich ein Fallrückzieher in der Schwerelosigkeit aus? Die Antwort kommt von der russischen Raumfahrtbehörde Roscosmos. Der Ball, mit dem in dem Video auf der ISS gespielt wird, ist inzwischen wieder auf der Erde, rechtzeitig zum WM-Beginn. Er soll nämlich beim Eröffnungsspiel zwischen Russland und Saudi-Arabien verwendet werden.

⚽ Panama ist dieses Jahr zum ersten Mal für die WM qualifiziert. Der Präsident hat daraufhin den Trainingsanzug der Nationalmannschaft angezogen und ein Gesetz unterschrieben, wobei dieses Ereignis ab sofort mit einem eigenen Feiertag gewürdigt wird. Ich stell mir das jetzt mal kurz mit Angela Merkel vor – die hätte in ihrer Amtszeit schon so einiges zu unterschreiben gehabt, und wir ein paar Feiertage mehr. Die Panama-Anekdote stammt aus einem Projekt von 120 Minuten, das zu jedem WM-Teilnehmerland eine Geschichte gesammelt hat.

Wie Schweizer Fußballer gegen Chiracs Atomtests protestiert haben, wie italienischstämmige Austalier zu ihrer Fußball-Nationalmannschaft stehen, dass der Iran seinen bisher einzigen Sieg bei einer WM ausgerechnet gegen die USA holte – hab ich alles vorher nicht gewusst und mir bei 120 Minuten mit viel Spaß erlesen. Egal, welches Team ihr bei der WM unterstützt – hier gibt es eine hintergründige Geschichte zu ihm.

⚽ Vom schwarzen Humor, mit dem russische Fußballfans ihrer Nationalmannschaft gegenüberstehen, war hier ja schon öfter die Rede, wir erinnern uns an die Sache mit dem Slogan für den Bus. Daraus kann man ableiten, dass es kein ganz einfacher Job ist, Social-Media-Mensch der Sbornaja zu sein. Ab und zu gelingt es einem vielleicht, zu vermeiden, dass man eine ungewollte Vorlage liefert. Aber dann gibt es halt doch immer wieder mal ein Bild, wo es unvermeidbar ist.

„Die Puppen spielen sicher auch nicht schlechter“ – „Gesprächspartner gefunden“ – „Was? Gegen die habt ihr auch verloren?“ – „Da ist die Verstärkung.“ Es war eine Vorlage, und die Fans haben sie verwandelt.

⚽ Thielko Grieß war für den Deutschlandfunk draußen in Watutinki, sich das WM-Quartier der deutschen Nationalmannschaft ansehen. Geht natürlich nicht, alles abgesperrt, oder Baustelle, oder abgesperrte Baustelle. Trotzdem ist es ein anschauliches Stimmungsbild geworden über Moskau, ganz kurz vor der WM: „Bauunternehmen verdienen viel an dieser WM. Und für viele andere ist Fußball nicht die größte Leidenschaft, aber wenn das Turnier schon mal im eigenen Land stattfindet, kann man es sich ja auch anschauen. Wer weiß, vielleicht wird es ja doch ganz interessant, diese Sache mit dem Ball und den Stadien und den Spielern und Fans von überall her.“

⚽ Ihr erinnert euch an die Studenten der Lomonossow-Universität, die gegen die Fanzone direkt vor ihrer Haustür protestieren? Sie haben Angst, vor vollgepinkelten Grünflächen, vor betrunkenen Fans, vor allem aber vor dem Lärm an allen Spieltagen, mitten in der Prüfungsphase. Wie nah an der Uni das Party-Areal hochgezogen wird, zeigt diese Fotostrecke hier ganz gut.

Drei Studierenden droht nun ein Prozess. Sie sollen auf eine Litfaßsäule nahe der Uni den Slogan „Keine Fanzone!“ geschrieben haben. Das fällt unter Vandalismus, das Strafmaß reicht laut Vedomosti von einer Geldstrafe bis hin zu drei Jahren Haft. Aktuell sind die drei nach ihrer Festnahme vorläufig wieder auf freiem Fuß.

⚽ Das hier hat die eine oder der andere von euch vielleicht schon gesehen, ein paar deutsche Websites hatten das Video ja auch. Aber es ist so cool und mit seinen simplen physikalischen Gesetzen so Sendung-mit-der-Maus-würdig, dass es auch hier noch mal mit rein darf. Frage: Was passiert, wenn man einen fußballrunden Wasserkanister entwirft? Antwort: das hier.

Wasser, das ein Feuer entfacht. Vielleicht sollten wir uns bei WM-Gimmicks doch auf die fußballrunde Fleischwurst beschränken.

⚽ Wer die Fußball-WM im Fernsehen verfolgen will, kann sich schon mal auf ziemlich viel Bandenwerbung chinesischer Sponsoren einstellen. Klingt jetzt erst mal unspektakulär, wenn da plötzlich „Wanda“, „Mengniu“ oder „Yadea“ steht, aber dahinter steckt eine spannende Geschichte. Über einen Weltfußballverband, der so korrupt ist, dass viele westliche Marken nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden wollen. Über Chinas Hoffnung, eine Fußball-Supermacht zu werden und dann bitte auch gerne direkt Weltmeister. Und über die Kalkulation chinesischer Firmen, sich auf dem Weltmarkt zu etablieren: China Won’t Play in This World Cup. It Still Hopes to Profit.

⚽ Steve Rosenberg ist BBC-Korrespondent in Moskau, der ein oder andere kennt ihn vielleicht, weil er rund um den Eurovision Song Contest bei Social Media immer ziemlich aufdreht. 2016 hat er mal ganz groß aufgedreht und bei einem Facebook-Live auf Zuruf alle Eurovision-Titel am Klavier gespielt, die die Zuschauer sich gewünscht haben. „Peter wünscht sich den Siegertitel von Dänemark aus dem Jahr 1964. Peter, du meinst sicherlich 1963.“ Sprachs und spielt los. Ganz großes Tennis.

Zur WM hat Rosenberg nun einen kleinen Clip bei Twitter veröffentlicht, in dem er typisch russisches Essen empfiehlt. Das ist nicht nur super, weil er die langweiligen Klassiker von Borscht bis Kaviar ignoriert, sondern weil wir offenbar beide große Fans von Syrok sind, einem zuckersüßen Quarkriegel. Die Liebe zu Buchweizen hingegen – Steve, Steve, Steve. Ich weiß ja nicht.

⚽ Seit Wochen warte ich darauf, dass das Calvert Journal endlich mal mit seinem WM-Guide in die Pötte kommt. Weil das eben eine Redaktion ist, die anders auf Russland und die Region blickt: Mit einem speziellen Fokus auf Kultur, Architektur, Zeitgeschichte und Alternatives. Nun ist das Ding online, am besten stöbert ihr mal selbst darin rum.

Was mir beim ersten Durchgucken aufgefallen ist: Ein Stadtrundgang durch die Moskauer Fußballgeschichte (der allerdings deutlich leichter zu lesen wäre, wenn man anstelle der ganzen ausformulierten Wegbeschreibungen einfach eine Karte integriert hätte), und ein Rückblick in die Geschichte des Stadions von Jekaterinburg, einschließlich Baueinsätzen deutscher Zwangsarbeiter. Für einige WM-Städte sind die Texte schon online, die restlichen folgen im Laufe der Woche nach und nach.

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Zum Schluss noch was in eigener Sache: Im März habe ich angefangen, für n-tv.de einen täglichen WM-Countdown zu bloggen. Nun sind nur noch wenige Tage über, aber es gibt immer noch viele Fragen rund um den Alltag hier in Russland und die WM. Wenn ihr also Lust habt: Morgen, am Donnerstag, übernehme ich ab 15 Uhr den Twitter-Account der Sportredaktion.

Wenn ihr wissen wollt, ob man für Russland einen Adapter braucht, warum in der Bahn Aufkleber mit Hasen an der Wand kleben oder ob ihr es riskieren könnt, für russische Freunde trotz Sanktionen ein bisschen Parmesan ins Land zu bringen – dann twittert das doch. Der Hashtag heißt #WMFragen und ich werde morgen versuchen, so viele wie möglich davon zu beantworten. Bis dann!



 

Und täglich grüßt der @pleasecaption-Bot

Ein Screenshot des @pleasecaption-Accounts

Seit ein paar Wochen lasse ich mich regelmäßig ermahnen. Die Hinweise kommen immer dann, wenn ich sie am wenigsten brauchen kann – viel um die Ohren, kurz vorm Einschlafen, gerade kommt die Metro. Die Nachrichten klingen dann so: „Dein Tweet ist ziemlich cool, aber weißt du, was noch cooler ist? Alt-Text.“ – „Hilf mit, Twitter barrierefrei zu machen, indem du Bildbeschreibungen hinzufügst.“ – „Menschen mit Sehbehinderungen könnten Probleme haben, diesen Tweet zu sehen, bitte füge Bildbeschreibungen hinzu!“

An den Ermahnungen bin ich selbst schuld, ich bin dem Twitteraccount @pleasecaption schließlich freiwillig gefolgt. Vor allem aber ist Liz Frost schuld, denn sie hat den Bot hinter dem Account gebaut. Liz beim Bot-Bauen, ich beim Bot-Folgen, beide wollten wir dasselbe: uns antrainieren, immer den Alt-Text auszufüllen, wenn wir ein Bild twittern – damit Menschen, die das Bild nicht oder schlecht sehen können, trotzdem erfahren, was es zeigt. Wer will, kann sich dann z.B. von seinem Screenreader den Alt-Text laut vorlesen lassen.

Dass man bei Twitter überhaupt Alt-Text für ein Foto oder eine Grafik vergeben kann, war mir lange nicht klar. Dabei ist das kein bisschen kompliziert, in der offiziellen Twitter-App geht es zum Beispiel so: Bild zum Tweet hinzufügen, darunter auf „Add description“ klicken, Textfeld ausfüllen, fertig.

Der Twitter-Menüpunkt, um Alt-text auszufüllen

Ein Fototweet mit ausgefülltem Alt-Text

Alles sehr schön, aber man muss halt auch dran denken, und das hat bei mir halt nur dann geklappt, wenn ich gerade konzentriert war und Zeit hatte. In anderen Situationen – siehe oben – fehlte dann doch wieder der Alt-Text. Seitdem lasse ich mich von @pleasecaption daran erinnern. Wenn man dem Account folgt, folgt er dir zurück, guckt sich ab dann jeden deiner Tweets an und schickt bei fehlenden Alt-Texten sofort einen seiner Hinweise. Das nervt, natürlich, aber das soll es ja auch. Und falls ihr nun ebenfalls erwägt, euch für eine sinnvolle Sache regelmäßig nerven zu lassen: Liz Frost war so nett, ein paar Fragen zu ihrem Bot zu beantworten.

Was war für dich der Impuls, den @pleasecaption-Bot zu bauen?

Twitter hatte damals gerade recht neu den Alt-Text eingeführt, und mir fiel auf, dass ich ständig vergaß, ihn zu meinen Tweets hinzuzufügen. Ich bin immer auf der Suche nach kleinen Nebenprojekten, die mir Spaß machen. Also dachte ich, das wäre doch nützlich, so etwas zu bauen. Das hat vielleicht so ein, zwei Wochenenden gedauert, bis alles lief.

Wenn dein Bot mich nun also gut erzieht und ich Alt-Text hinzufüge, wie ist das dann für den Leser? Wie verbessert es die Timeline von jemandem mit einer Sehbehinderung?

Leider kenne ich nicht viele Leute mit Sehbehinderung, darum kann ich deren Erfahrung nicht beschreiben. Aber ich habe den Eindruck, dass es deshalb hilft, weil Bilder sonst einfach komplett nutzlos sind.

Was macht denn einen guten Alt-Text aus? Soll man besser beschreiben („ein Gemälde, das eine Gruppe Männer rund um einen Tisch zeigt“) oder erklären („ein Foto von Leonardo da Vinci’s ‚Das letzte Abendmahl'“)?

Jemand, der beruflich mit Bildunterschriften zu tun hat, hat hier einen großartigen Thread darüber geschrieben, was man tun und lassen sollte. Ich glaube, es kommt immer auf die Situation an: Wenn es in deinem Tweet um Da Vinci geht, solltest du erwähnen, dass das Bild ein Gemälde zeigt.

Wie viele verschiedene Nachrichten schickt @pleasecaption so? Ich hab das Gefühl, ein halbes Dutzend hab ich schon gesehen.

Im Moment sind es neun. Wer will, kann mir gerne weitere schicken, aber bisher hat das noch niemand getan.

Hast du eine Vorstellung davon, wie viele Leute deinen Bot nutzen, um sich an den Alt-Text erinnern zu lassen?

Der Bot schickt Erinnerungen an alle Accounts, denen er folgt. Im Moment sind es etwa 3700 Twitterer. Darunter sind sicherlich ein paar Spam-Bots oder Fake-Accounts, aber auch ohne die sind es noch ziemlich viele Menschen!

Hast du mal überlegt, das auch in anderen Sprachen außer Englisch anzubieten?

Leider spreche ich selber nur Englisch, für andere Sprachen bräuchte ich also Leute, die mir helfen. Aber wenn da jemand Lust drauf hätte, mache ich gerne mit!

Und was für Rückmeldungen bekommst du von den Followern und von Leuten, die von den Alt-Texten profitieren?

Viele Leute haben sich bei mir bedankt und gesagt, dass der Account ihnen hilft, an Alt-Texte zu denken. Bei dem Bot ist es halt so: Wenn du es dir erst mal richtig angewöhnt hast, ist er fast völlig unsichtbar für dich. Ich vermute also, die meisten Nutzer bemerken ihn kaum. Aber ich freue mich immer über Rückmeldungen.

Russball, Folge 40: Zenits Trainer pöbelt bei Instagram zurück

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Diese Russball-Folge entsteht, während im Browser-Tab nebenan ein Wartebalken von links nach rechts kriecht. Die letzte Phase des Kartenverkaufs für die Fußball-Weltmeisterschaft hat begonnen, diesmal nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, kauft zuerst“. Spätestens jetzt muss es also klappen – kann doch nicht sein, dass in meiner Stadt WM ist und ich geh nicht hin! Also, falls ihr in diesem Text Tippfehler, unnötige Wiederholugnen oder Tippfehler findet, dann seht es mir nach. Ich bin ein bisschen abgelenkt.

⚽⚽⚽

⚽ Letzte Woche Spekulation, diese Woche Tatsache: Leonid Sluzky wird neuer Trainer bei Vitesse Arnheim. So ein russischer Trainer im europäischen Ausland ist durchaus eine Rarität – um so bemerkenswerter also, dass Sluzky nach Hull nun schon seine zweite solche Station in kurzer Zeit antritt. (Und wie hübsch: Auf Niederländisch schreiben ihn einige Medien dort ‚Sloetski‘.)

⚽ Zenit St. Petersburg steht auf Tabellenplatz 5, das sah schon mal deutlich besser aus. Auch beim Spiel gegen Leipzig neulich kam Zenit nicht wie ein allzu bedrohlicher Gegner rüber, am Ende gewann Leipzig 2:1. Entsprechend sauer sind die Fans derzeit, vor allem Trainer Roberto Mancini steht in der Kritik: „@mrmancini10 Va fa’n’culo!“, schrieb ein wütender Zenit-Fan unter sein Instagram-Foto, was nichts anderes als „Fick dich“ bedeutet.

Nun ist @mrmancini10 der Instagram-Name von Roberto Mancini. Aber der Trainer ist ja Profi, auch im Umgang mit der Öffentlichkeit. Was wird er also tun? Den Post ignorieren? Zur Sachlichkeit aufrufen? Äh, nein. Der Trainer reagierte auf die Pöbelei unter dem Foto höchstselbst, und im selben Ton: „Tu e tua sorella“, antwortete er dem Fan, „Dich und deine Schwester.“ Nun ja.

kscheib zenit mancini instagram

⚽ Russlands Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow hat sich im brasilianischen Fernsehen zu den Themen Rassismus und Hooligans in Russland geäußert. Leider bewegt sich seine Äußerung auf dem Niveau von Franz „Ich hab noch nicht einen einz’gen Sklaven in Katar g’sehn“ Beckenbauer: Das mit dem Rassismus ist gar nicht so schlimm, und das mit den Hooligans ebenfalls alles halb so wild. (Warum ich das anders sehe, steht hier.)

⚽ So, das muss aber jetzt erst mal reichen an Trainer-Geschichten. Reden wir vom Titan: Die Iswestija hat Oliver Kahn ein paar Fragen gestellt, zum Einstieg geht es um Russlands Rolle als WM-Gastgeberland, die Antworten sind alle freundlich-unverbindlich. Interessanter fand ich, was Kahn zum russischen Fußball zu sagen hat, genau genommen zu Igor Akinfejew.

kscheib russball oliver kahn

Der Mann ist, was Kahn auch mal war: Torwart und Kapitän der Nationalmannschaft. Kahn hält, das kommt bei dem Interview gut raus, große Stücke auf Akinfejew und ist selbst verwundert, dass dem der internationale Durchbruch noch nicht gelungen ist. Von einem Torwart zum anderen rät er ihm darum, sein Glück außerhalb des russischen Vereinsfußballs zu suchen: „Er muss sich die Frage stellen, wie weit er im russischen Fußball sein Potenzial realisieren kann. Um sich völlig zu entwickeln, muss er raus aus seiner Komfortzone.“

⚽ Twitter und FOX haben sich zur gemeinsamen WM-Berichterstattung zusammengetan, täglich soll es bei Twitter eine halbstündige Livesendung mit Highlights des Turniers geben. Gedacht ist das Angebot allerdings für Zuschauer in den USA – Twitter-Nutzer in Europa brauchen also vermutlich ein VPN, um mitgucken zu können. Das Studio zur Sendung soll übrigens mitten auf dem Roten Platz stehen – mal sehen, ob das bei den Moskauern auf ähnlich viel Gegenliebe stößt wie vor ein paar Jahren der Louis-Vuitton-Koffer.

⚽ Schlimm: Dass immer noch Leute Überschriften nach dem Prinzip „From Russia with XY“ (oder auf deutsch „XY-Grüße aus Moskau“) machen. Dann doch bitte besser so schmerzhaft kalauernd, aber immerhin originell, wie hier. (Ja, ich musste mir das auch laut vorlesen. Wenn das nicht reicht, hilft dieser Clip euch vielleicht auf die Sprünge.)

⚽ Das „Mannschaft Magazin“ kannte ich bisher nicht, begegnet ist es mir nun durch einen langen Artikel über die Situation schwuler Fußballfans in Russland, der im Gegensatz zu vielen anderen über die bloße Bestandsaufnahme hinausgeht. In der interessantesten Passage des Textes kommt Ale­xander Agapow zu Wort, der Präsident des russischen LGBT-Sportverbandes.

Er berichtet aus der Praxis, wie schwierig es ist, Mitstreiter im Kampf gegen Homophobie zu finden, und wie schwer sich schwule und lesbische Sportfans mobilisieren lassen: „Sie akzeptieren ihre Situation und glauben, sie seien machtlos. Sie sehen nicht, dass ihre Teilnahme etwas bewirken könnte,“ kritisiert Agapow.

⚽ Zwei prominente russische Fußballer haben auf ihren Social-Media-Accounts dazu aufgerufen, am kommenden Wochenende wählen zu gehen – klingt erst mal nicht besonders interessant. Doch Sports.ru hat da etwas beobachtet: Es sind schon ziemlich auffällig ähnliche Bilder, die die beiden Nationalspieler Artjom Rebrow und Alexander Kokorin da gepostet haben, beide mit denselben Hashtags, beide mit abgeschalteter Kommentarfunktion.

Neben den beiden Nationalspielern haben auch andere Promis solche Motive veröffentlicht. Und das, wo jedem klar ist, dass Wladimir Putin die Präsidentschaftswahl ohnehin gewinnen wird – womit die Wahlbeteiligung der eigentliche Gradmesser für seinen Rückhalt in der Bevölkerung ist.

Haben sich die beiden also anwerben lassen für eine Promokampagne, die Putin die erhoffte hohe Wahlbeteiligung bescheren soll? (Schließlich machen die Behörden hier gerade jede Menge Wellen, um Wähler anzulocken – man kann sogar ein Auto gewinnen.) Kokorin hat auf Anrufe von Sports.ru nicht reagiert, und das kurze Interview mit Rebrow ist in all seiner Schlichtheit ziemlich deutlich:

– Ach, lassen Sie uns darüber nicht diskutieren. Das ist doch ein politischer Moment. Kein Kommentar.

– Haben Sie selbst entschieden, das zu posten, oder hat Sie jemand darum gebeten?

– Ich sagte doch: Da reden wir nicht drüber. Das ist doch nicht die Frage. Mit Sport hat das nichts zu tun, stimmt’s? Und über Politik diskutiere ich nicht.

– Aber Sie sind Sportler.

– Aber über Politik rede ich nicht. Zum Thema Sport beantworte ich alle Fragen.

– Sie wollen also überhaupt nichts dazu sagen? Kokorin hat heute einen ähnlichen Post veröffentlicht.

– Genau, da will ich gar nichts zu sagen.

Was Sports.ru noch über die mögliche Kampagne herausgefunden hat, steht hier.

⚽ Schon seit einigen Wochen protestieren Studierende an Moskaus wichtigster Uni gegen Pläne der FIFA, bei ihnen rund ums Gebäude eine Fan-Zone einzurichten. Die Studentinnen und Studenten der Lomonossow-Universität haben Angst, das 40.000 feiernde Fußballfans den Unibetrieb durcheinanderbringen können – das sorgt nicht nur diejenigen, bei denen im Sommer Prüfungen anstehen.

Nachdem von der FIFA niemand auf die Proteste reagiert hat, hoffen sie nun auf Unterstützung von Wissenschaftlern und Studenten aus aller Welt, um endlich Gehör zu finden. Warum sich die FIFA nicht bewegt, dazu haben sie jedenfalls eine simple These: “Vielleicht ignoriert sie das Problem aufgrund ihrer Sponsoren, die ja gute Bilder für ihre Fernsehberichterstattung brauchen.“ Das Unigebäude ist ein Prunkstück der Moskauer Architektur, eignet sich also in der Tat gut als TV-tauglicher Hintergrund für Bilder feiernder Menschen.

⚽ Der Fall Sergei Skripal geht in die zweite Woche, und nein, ich hätte nicht gedacht, dass sich da ein fußballerischer Aspekt dran finden lässt. Aber das Team der BBC-Nachrichtensatireshow „Have I got News For You“ hat sich Mühe gegeben und dann doch einen entdeckt: „England stellt neues Auswärtstrikot für WM in Russland vor“.

⚽ So sehr es sich manchmal anfühlt, als laufe im Fußball im Moment alles nur auf die Weltmeisterschaft hin: Es gibt ein Leben nach der WM, sogar ein fußballerisches. Ja, stimmt, erst mal reist die deutsche Nationalmannschaft im Sommer nach Russland, aus bekannten Gründen. Aber Mitte November gibt es dann einen Gegenbesuch: Russland schickt seine Elf zum Länderspiel nach Deutschland, genau genommen nach Leipzig. Könnt ihr euch ja schon mal in den Kalender eintragen.

⚽ Und dann noch eine Kleinigkeit, die nur indirekt mit Fußball zu tun hat: Seit kurzem bin ich Besitzerin eines Stapels alter Fußballbücher. Design aus der Sowjetzeit, seien es Werbeplakate, Alltagsgegenstände oder Schnittmuster, ist ein Faible von mir.
In dem Bücherstapel ist auch sicher einiges an künftigem Blogmaterial enthalten, aber im Moment bin ich noch perplex und begeistert von drei Fundstücken, die zwischen den Seiten lagen: Olympia-Andenken aus dem Jahr 1980.

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So. Russball ist fertig, bloß der doofe Wartebalken hat es noch nicht mal bis zur Hälfte des Bildschirms geschafft. Vier Stunden lang regelmäßiges Gucken auf diese Info, einschließlich Tippfehler.

kscheib fifa wartebildschirm

Vier Stunden das Gefühl, dass „more than an hour“ mindestens Schönfärberei ist, vielleicht auch einfach Spott. Mal sehen, ob sich in den nächsten vier Stunden was tut, aber so lange müsst ihr ja nicht warten – wir sprechen uns in einer Woche wieder. Bis dann!



 

Immerwährender Moskauer Social-Media-Kalender

So sieht der Frühling als sowjetisches Mosaik im Garage-Museum aus. Wie er bei Facebook, Twitter oder Instagram aussieht, ist leicht vorherzusagen
So sieht der Frühling als sowjetisches Mosaik im Garage-Museum aus. Wie er bei Facebook, Twitter oder Instagram aussieht, ist leicht vorherzusagen

Vier Jahre in Moskau, da ist vieles inzwischen lieb vertraut. Heimat. Routine. Und gleichzeitig immer noch Besonders genug, um darüber zu posten, bei Twitter, Facebook, Instagram oder sonstwo. Neulich fiel mir dazu ein Blogpost ein, den ich vor einigen Jahren mal gelesen hatte. Isabel Bogdan und Maximilian Buddenbohm haben dort die ewig wiederkehrenden Themen gesammelt, zu denen wir alle so Monat für Monat in sozialen Netzwerken posten.

Damals fand ich das lustig und fühlte mich ertappt. Jetzt hatte ich das Gefühl: Für Moskau kann ich das inzwischen auch. Also, als kleines Geschenk zum neuen Jahr: Endlich nie wieder überlegen, was man gerade schreiben oder fotografieren soll! Bedient euch!

Januar

Frohes Neues Jahr!
Hier, ein Foto, wie ich mich bei -22 Grad aus dem Haus gewagt habe.
Frohe orthodoxe Weihnachten!
Hier, ein Foto, wie ich mich bei -26 Grad aus dem Haus gewagt habe.
Frohes Altes Neues Jahr!
Hier, ein Foto, wie ich mich bei -28 Grad aus dem Haus gewagt habe.
Wer kommt mit in die Banja?
Wer hat noch einen Trick, damit der Handyakku nicht so schnell leer geht?
Stollen in gute Hände abzugeben.

Februar

Wer empfiehlt mir eine Powerbank, die auch bei Minustemperaturen funktioniert?
Hier, ein Foto von einem Pfannkuchen mit Pilzen.
Hier, ein Foto von einem Pfannkuchen mit Lachs.
Hier, ein Foto von einem Pfannkuchen mit Äpfeln und Zimt.
Hier, ein Foto von einem Pfannkuchen mit saurer Sahne.
Wer kommt mit in die Banja?
Schaut mal, diese total ironisch gemeinte Karte habe ich zum Tag des Vaterlandsverteidigers verschenkt.

März

Mädels, alles Gute zum Weltfrauentag! Hier, eine Grußkarte aus Sowjetzeiten.
Hier, ein Foto von meiner Badewanne – das Wasser kommt heute mal wieder braun aus dem Hahn.
Hach, Tauwetter, mon amour.
Warum hat diese Stadt eigentlich keine funktionierende Kanalisation?
Ach, schade, sie haben die Winterbeleuchtung abgebaut.

April

Oh, die Cafés bauen ihre Holzterrassen auf.
Wann wird eigentlich das warme Wasser abgedreht? Hat mal wer den Link zur Übersicht?
Es riecht nach Farbe! Frühling!
Hier, ein Foto, wo jemand einen Gitterzaun neu anstreicht.

Mai

Kalt duschen nervt! (Alternativ: Hier, ein Foto vom eigens für diese paar Tage gekauften Boiler im Bad.)
Oh Mann, bei mir vorm Fenster üben Panzer für die Parade.
Oh Mann, bei mir vorm Fenster blockiert ein Müllauto die Zufahrt, damit die Panzer für die Parade üben können.
Oh wow, da üben Kampfjets über meinem Haus.
Wo gucken wir eigentlich dieses Jahr die Parade?
Weiß einer, welche Metrostationen während der Parade dicht sind?
Hier, ein Foto vom Sonnenbrand, den ich mir bei der Parade geholt habe.
Yes, endlich wieder warmes Wasser – ich bin dann mal duschen!

Juni

Draußensitzen mit Gurkenlimonade. Das Leben ist gut.
Mist, schon wieder nicht zur Apfelblüte in den Park von Kolomenskoje geschafft.
Wieso hängen schon wieder überall Fahnen?

Juli

Hier, ein Foto von meiner Badewanne – das Wasser kommt heute mal wieder braun aus dem Hahn.
Ah, toll – man kann abends draußen sitzen, bis es wieder hell wird.
Oh, nerv – man wird morgens viel zu früh wach, weil es wieder hell ist.
Riecht ihr das auch? Brennt da irgendwas?

August

Schön leer in der Stadt, sind wohl alle auf der Datsche.
TGIF! Gleich geht’s raus auf die Datsche!
Dritte Stunde im Stau und noch immer 28 Kilometer bis zur Datsche.
Hier, ein Foto von einem Weinglas auf einem Gartentisch. #dachalife
Wieso hängen schon wieder überall Fahnen?

September

Kreisch, der Sommer kann jeden Tag vorbei sein! #carpediem
Hier, ein Foto vom Schwimmen in der Moskwa.
Hier, ein Foto vom Sonnenuntergang hinter der Erlöserkathedrale, fotografiert von der Dachterrasse der Strelka-Bar.
Hier, ein Foto von Leuten in nassen T-Shirts am Springbrunnen im Gorkipark.
Oh, die Cafés bauen ihre Holzterrassen ab.
Nein, nein, nein! (Screenshot der Wetter-App).
Hello Wintermantel, my old friend.

Oktober

Mist, schon wieder nicht zur Apfelernte in den Park von Kolomenskoje geschafft.
Irgendwas mit Putins Geburtstag.
Ich friere. Ist eure Heizung schon an?
Hurra, meine Heizung ist endlich an!
Mist, die Heizung ist wieder aus – wo muss ich anrufen?
Oh Mann, meine Haut ist so trocken von der Heizung.
Hier, ein Foto vom ersten Schnee. Und ein Video! Und noch eins!
Es ist erst der soundsovielte und im Supermarkt gibt’s schon Weihnachtsdeko zu kaufen.

November

Schon wieder Regen – ich will den Schnee zurück!
Warum hat diese Stadt eigentlich keine funktionierende Kanalisation?
Hier, ein Urlaubsfoto aus einem heißen Land und ein Kommentar à la „Noch mal Wärme tanken“.
Wieso hängen schon wieder überall Fahnen?
Hier, ein Foto von meiner Badewanne – das Wasser kommt heute mal wieder braun aus dem Hahn.
Hier, ein Foto von der Winterbeleuchtung am Gartenring!
Hier, ein Foto von der Winterbeleuchtung an der Twerskaja!
Hier, ein Foto von der Winterbeleuchtung auf dem Roten Platz!
Hier, ein Foto von der Winterbeleuchtung an den Patriarchenteichen!
Wer kommt mit in die Banja?

Dezember

Endlich richtiger, fluffiger Schnee!
Yay, noch mehr Schnee.
Schon wieder Schnee.
Und Eis. Müsste mal einkaufen, will mich aber nicht draußen auf die Nase legen.
Wie machen das die Russinnen bloß: bei der Glätte auf Absätzen, und nie fällt eine hin?
Geil, habt ihr die Schneeräummaschine gesehen?
Wer fliegt in den nächsten Tagen nach Deutschland und kann Stollen mitbringen?
Ist das Feuerwerk heute Abend im Gorkipark echt erst um eins?
Hallo Deutschland – also bei uns ist ja schon das neue Jahr!

Russball, Folge 29: Witali Mutko tut der FIFA einen Gefallen

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Wer Fußball sagt, muss auch Maniküre sagen. Doch, wirklich. Ich wollte diese Russball-Folge sogar damit beginnen, aber dann hat sich Witali Mutko vorgedrängelt. Darum also jetzt: erst Mutko, dann Maniküre, und dann, zum letzten Mal in diesem Jahr, alles, was ihr sonst noch über den Fußball in Russland wissen müsst.

⚽⚽⚽

⚽ Die Zeitung „Kommersant“ hatte die Info schon in der vergangenen Woche, am Montag kam die offizielle Bestätigung: Witali Mutko lässt sein Amt als Chef des russischen Fußballverbandes ruhen, sechs Monate lang. Die Entscheidung fiel rund drei Wochen, nachdem das Internationale Olympische Komitee Mutko wegen des russischen Dopingskandals lebenslang gesperrt hatte. Um gegen diese Sperre vorzugehen, lege er den Verbandsvorsitz vorübergehend nieder, so Mutko.

Eine Entwicklung, aus der man einiges herauslesen kann. Erstens, wie froh die FIFA ist, die seit der IOC-Entscheidung herumlaviert und sich um eigene Konsequenzen gedrückt hat. Sie dankte Mutko am Tag danach für seine „verantwortungsvolle Entscheidung“, die auch im Interesse der Fußball-WM sei. So klingt Erleichterung. Zweitens ist bemerkenswert, wie es den Mitarbeitern der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS gelingt, Mutkos zeitweisen Beinahe-Rücktritt zu melden, ohne auch nur ein einziges Mal das böse Wort „Doping“ zu erwähnen. Weder am Tag des Geschehens, noch am Morgen danach. Das muss man erst mal hinkriegen. Ein kleines Weihnachtswunder.

Ein Geschenk ist Mutkos Schritt übrigens für alle, die Spaß an Memes haben. Seit seiner legendären „Let me speak from my heart“-Rede (hier als grandioses Musikvideo) wird Mutkos extrem harter russischer Akzent beim Englischsprechen immer wieder parodiert. „Bat ai em teird, nid tu rest“, frotzelt nun ein Tweet, ein anderer zeigt Mutko als trauriges, kopfschüttelndes GIF: „Wenn du nicht mehr spik from mai hart kannst.“

⚽ Jetzt aber zur Maniküre! Sehr wichtiges Thema hier in Russland – wie konnte ich nur jemals glauben, man müsse Nägel nur gelegentlich schneiden, in Form feilen und ansonsten darauf achten, dass sich kein Dreck unter ihnen sammelt? Hier bin ich umgeben von Frauen mit mindestens lackierten, wenn nicht künstlich verlängerten, gerne auch mit Strass oder Glitter bestäubten Fingernägeln. Neulich erzählte eine Bekannte, sie habe als Kind Klavier gespielt, sei dann in der Pubertät zur Gitarre gewechselt, weil man da zumindest an einer Hand schöne lange Fingernägel haben könne.

Was das mit Fußball zu tun hat? Ist doch klar: In einem Land mit so viel Nagelkreativität ist potentiell alles ein Motiv, auch Fußballspieler, Trainer, die Tore und der Ball. Dank dem Instagram-Account der Moskauer Manikürekette „Nail Sunny“ weiß ich nun also endlich, was mir als Fußballfan für Styling-Optionen offenstehen. (In deren Team scheint es übrigens einige Anhänger von Manchester United zu geben.)

⚽ Immer, wenn in der russischen Öffentlichkeit das große Fußballgejammer ausbricht (Warum nur steht unsere Nationalmannschaft international so schlecht da? Warum nur reißen sich Real Madrid, Arsenal und der FC Bayen München nicht um unsere Spieler? Warum nur, warum?), sagt früher oder später einer: „Legionäre“. Was ausformuliert in etwa heißen soll: Natürlich werden unsere Spieler nicht stärker, wenn wir reihenweise ausländische Spieler einkaufen, die dann bei russischen Vereinen auf prominenter Position spielen und unsere eigenen Leute bestenfalls Torvorlagen für sie liefern dürfen.

Seit dem Confed-Cup hatten wir wieder ein paar Monate lang diese Debatte. Dann hieß es, Russlands Fußballverband werde sich Ende des Jahres mit dem Thema befassen und überprüfen, ob eine neue Regelung nötig ist – aktuell gilt die sogenannte Sechs-plus-fünf-Regel, wonach gleichzeitig pro Mannschaft nie mehr als sechs nichtrussische Spieler auf dem Platz sein dürfen. Jetzt hat der russische Fußballverband also getagt und entschieden: Bleibt alles beim Alten, Sechs-plus-fünf ist weiter der Status quo. Langfristig können man ja mal über Sieben-plus-Achtzehn nachdenken, da wären dann die Auswechselspieler mit einkalkuliert. Aber erst mal ändert sich nichts. Auch nicht das Gejammer.

⚽ Während Mutko sich am Montag auf seine Pressekonferenz vorbereitet hat, war ich ein bisschen im Moskauer Siegespark unterwegs. Seit einigen Jahren gibt es dort im Winter immer eine Eisskulpturen-Ausstellung, aktuell arbeiten dort ein paar Dutzend Leute mit Motorsägen und Meißeln an den Blöcken, aus denen in diesem Jahr die Kunstwerke werden sollen.

Diesmal hat die Ausstellung ein WM-Thema: 40 Statuen sollen die Teilnehmerländer repräsentieren. Seltsamerweise stehen dort dann aber keine berühmten Fußballer als Eisskulpturen, sondern Figuren aus Büchern: kein Eis-Wayne-Rooney, sondern Eis-Sherlock-Holmes. Kein Eis-Zlatan-Ibrahimović, sondern Eis-Karlsson-vom-Dach. Nach demselben Prinzip wird Deutschland also auch nicht durch eine Eisvariante von Thomas Müller vertreten, sondern durch, na? Genau: Baron von Münchhausen.

kscheib russball eisskulpturen

⚽ Was bedeutet Russlands Gesetz gegen sogenannte „homosexuelle Propaganda“ für schwule und lesbische Fußballfans, die zur WM anreisen wollen? Dürfen sie sich zum Beispiel, ganz konkret gefragt, im Stadion küssen?

Mehrere russische Sportseiten zitieren einen FIFA-Sprecher: Gefühlsäußerungen seien natürlicher Bestandteil des Fußballs, das gelte auch für die Fußball-Weltmeisterschaft. Sports.ru nimmt das zum Anlass, sich unter schwulen Fußballfans darüber umzuhören, ob sie zur WM kommen wollen, und ob sie anderen dazu raten. Zu den Interviewten gehört auch der deutsche Fußballfan Sven Kistner, der sich beim Netzwerk der schwul-lesbischen Fußball-Fanclubs Europas engagiert.

⚽ Dieser Text hier ist schon ein paar Wochen alt, lohnt sich aber als Hintergrundlektüre für die Tage zwischen den Jahren: Toke Theilade, Chefredakteur von Russian Football News, blickt auf den WM-Spielplan und analysiert, bei welchen Begegnungen das Risiko von Hooligan-Krawallen besonders groß ist. Das kann am Spielort liegen, an den beteiligten Mannschaften oder am historischen Kontext.

Bemerkenswert ist dabei auch, wie er die Gewaltbereitschaft unter den deutschen WM-Reisenden einschätzt: Polnische und russische Hooligans in derselben Stadt, das sei schon riskant genug. Komme dazu noch „Deutschland als weiteres Land, das für seine Hooligans berüchtigt ist“, dann sei das nichts anderes als „ein Rezept für eine Katastrophe“. Die ganze Analyse gibt es hier.

⚽ Jahresende, das bedeutet auch: Zeit für allerlei Statistiken. So wissen wir nun, dass Alexander Kokorin von Zenit St. Petersburg in diesem Jahr der am häufigsten in den russischen Medien erwähnte Sportler war. Unter den Top Ten in diesem Ranking waren nur zwei Nicht-Fußballer: der Eishockeyspieler Alexander Owetschkin und die Tennisspielerin Marija Scharapowa. Wir wissen, dass Fjodor Smolow vom FK Krasnodar es auf die Liste der 100 weltbesten Fußballer geschafft hat (ja, okay, auf Platz 97, aber drin ist drin).

Bei der Wahl des besten Fußballers in Russland kam Smolow sogar auf Platz drei, Platz eins gehört allerdings Quincy Promes, der für Spartak Moskau und in der niederländischen Nationalmannschaft spielt. Und schließlich haben Sportjournalisten abgestimmt, wen sie aktuell für den besten russischen Sportler, den besten Trainer und die beste Mannschaft halten. In die erste Kategorie hat es kein Fußballer geschafft, aber als Trainer wurde Juri Sjomin ausgezeichnet, dessen Erfolg mit Lokomotive Moskau in der aktuellen Saison viele Fußballfans überrascht hat. Russlands beste Mannschaft wurde der Lokalrivale Spartak.

⚽ Wer übrigens auch zur Fußball-WM kommt: Jelzin. Nein, nicht Boris, der ist ja nun schon länger tot und liegt auf dem Moskauer Neujungfrauenfriedhof unter einem Grabmal, das wie ein ungemachtes Bett aussieht. Nein, der Jelzin, um den es hier geht, reist aus Costa Rica an. Die Neue Zürcher Zeitung hat ihn ausfindig gemacht und erklärt, warum er so einen ungewöhnlichen Namen hat.

⚽ Zum Schluss noch eine kleine Lokalposse aus Saratow. Bevor einer fragt: Nein, das ist kein WM-Austragungsort. Dass im Moment dort das „Avantgarde“ genannte Stadion renoviert wird, hat dennoch mit der Weltmeisterschaft zu tun: Die Stadtverwaltung hofft, dass sich vielleicht eine Nationalmannschaft findet, die hier ihr Trainingslager aufschlagen mag. Damit das möglich wird, scheren sich die Fachkräfte vor Ort nicht um altbackene Traditionen wie die, dass sich frisches Gras und der russische Winter vielleicht nicht so gut vertragen.

Dieser Tage wurde deshalb, bei gerade mal einem Grad plus, im Stadion von Saratow der neue Rollrasen verlegt – direkt auf einer Schneeschicht, von Arbeitern in dicken Winterstiefeln. Ob das denn so sinnvoll sei, fragte eine Reporterin der Nowaja Gaseta, und bekam als Antwort: „Das ist sogar gut so, dann bleibt der Rasen länger frisch„. Im Frühjahr, wenn der Schnee weg sei, wolle man ihn dann mit einer besonderen Methode „aktivieren“. Süffisantes Fazit der Reporterin: Okay, die nächsten WM-Austragungsorte Samara und Wolgograd mögen 400 Kilometer entfernt sein – aber wieso sollte man sich deshalb die Chance entgehen lassen, mit staatlichen Fördergeldern das eigene Stadion zu renovieren?

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Letzte Woche gab es hier keine Weihnachtsgrüße, weil die Russen erst im Januar Weihnachten feiern. Silvester hingegen liegt in Russland und in Deutschland praktischerweise am selben Tag; hier in Moskau bekommen wir das neue Jahr sogar schon zwei Stunden vor euch geliefert. Wenn ihr dann die nächste Russball-Folge lest, sind wir schon im WM-Jahr. Also, macht keinen Quatsch mit den Böllern, kommt gut rüber und с новым годом!



 

Russball, Folge 28: Homophobie unter russischen Fußballfans

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Willkommen zu Russball, wo euch versprochenerweise diese Woche niemand frohe Weihnachten wünschen wird – schließlich ist das kommende Wochenende hier in Russland ein ganz normales und Weihnachten erst im Januar. Stattdessen eine Quizfrage: Was dauert in Spanien zehn Tage, in Frankreich 14, in Italien 16, in Deutschland 22 und in Russland 80 Tage? Könnt ihr ja beim Lesen mal im Hinterkopf draufrumdenken.

⚽⚽⚽

⚽ Watutinki – ein Name, den man sich merken muss, und dessen Herkunft die Süddeutsche hier erklärt. In Watutinki also wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr WM-Quartier haben. Kein Strandleben in Sotschi, leiderleider, stattdessen ein Hotelkomplex in einem Moskauer Vorort mit rund zehntausend Einwohnern. Rund zwei Monate vor WM-Anpfiff soll dort ein neuer Gebäudetrakt fertig werden und, wenn man sich die DFB-Bilder anschaut, ziemlich schick aussehen.

Aktuell hat der „Watutinki Hotel Spa Complex“ noch einen, sagen wir mal, eher traditionellen Charme: dunkles Holz, Blumenmuster, bodenlange Gardinen, hier und da glänzt mal ein Kofferständer oder eine Stehlampe aus Metall. Gelsenkirchener Barock trifft Neunzigerjahre-Jugendzimmer.

kscheib russbal watutinki einzelzimmer

Die Fifa zeigt in ihrer Übersicht auch noch diesen weitgehend tageslichtfreien Besprechungsraum. Aber wie gesagt, das ist der Ist-Zustand – nicht die Hotelvision, die da ab April hoffentlich wahr wird. Ob im neuen Flügel dann wohl dieselben Preise gelten wie im alten? Dann können sich die Fußballspieler schon mal auf taschengeldtaugliche Behandlungen freuen: Laut Hotelpreisliste gibt es im Spa- und Therapiebereich ein EKG schon für 500 Rubel (7 Euro), zehn Minuten Whirlpoolbad für die Beine kosten sogar nur 250 Rubel, und wer sich mal richtig was gönnt, bekommt für 1000 Rubel eine halbe Stunde den Rücken massiert, „vom siebten Halswirbel bis zum Steißbein“. Ist das auch geklärt.

⚽  Apropos DFB und Hotels: Letzte Woche hatte ich ja hier erwähnt, dass die Werbung für das Fan-Camp am Nordrand von Moskau mit einer sehr viel besseren ÖPNV-Anbindung lockt, als tatsächlich existiert. Das scheint allerdings die Fans nicht vom Buchen abzuhalten: Eines von vier möglichen Paketen ist bereits komplett ausverkauft.

⚽  Und wenn hier eh gerade so eine Art DFB-Themenschwerpunkt entsteht, dann noch eine Information, die zwar nichts mit Russland zu tun hat, mir aber am Herzen liegt: Nachdem ein Unterstützer der Initiative „Sleeping Giants“ bei Twitter darauf hingewiesen hat, wirbt der DFB seit ein paar Tagen nicht mehr auf der Hetzseite Breitbart. Eine höfliche Beschwerde, und schon wieder ein Werbekunde weniger für Rassisten. Es geht voran.

⚽ Die Fußball-App „Forza Football“ hat sich mit Stonewall UK zusammengetan, um Fußballfans zu ihrer Haltung zu Schwulen und Bisexuellen zu befragen. „Would you feel comfortable if a player in your national team came out as gay or bisexual?“, heißt die Hauptfrage, auf die weltweit 76 Prozent aller Befragten mit „ja“ geantwortet haben. Für Russland liegt die Zahl der Umfrage zufolge bei 47 Prozent, das sei eine deutlich höhere Akzeptanz als noch vor drei Jahren (21 Prozent).

Klingt gut, aber hält es dem Realitätstest stand? Gerne hätte ich mal einen Blick auf die Methodik der Homophobie-Umfrage geworfen – wie viele der insgesamt „mehr als 50.000 Befragten auf fünf Kontinenten“ kamen denn aus Russland? Leider stand niemand für eine Stellungnahme zur Verfügung.

Aus dem Bauch heraus kommt mir so viel Akzeptanz unter russischen Fußballfans eher unwahrscheinlich vor, und siehe da: Sports.ru hat seinen Lesern dieselbe Frage gestellt. Ergebnis bei knapp 45.000 Stimmabgaben russischer Leser: Rund 70 Prozent würden negativ auf das Coming-Out eines schwulen oder bisexuellen Spielers in der russischen Nationalmannschaft reagieren.

kscheib russball homophobie

⚽ Rechtlich gehört die Krim zur Ukraine, faktisch hat Russland sie annektiert. Nun berichtet ein Newsportal mit Sitz auf der Krim, dass man von dort aus keine Karten für die Fußball-Weltmeisterschaft im Internet kaufen könne – egal, ob man angibt, in Russland oder in der Ukraine zu leben.

Die FIFA erklärt,sie habe keine geographischen Beschränkungen einbauen lassen, wollen nun aber schnell dafür sorgen, dass das Problem gelöst wird. Menschen auf der Krim, die dennoch Probleme beim Buchen haben, können unterdessen tricksen: Wer mobil und mit russischer SIM-Karte auf die Seite geht, kann ganz normal seine Karten aussuchen.

⚽ Moskau macht seinen Taxiunternehmen Auflagen, wenn sie eine Lizenz für die Dauer der WM bekommen wollen. Dazu gehört nicht nur, dass die Fahrer keine ausstehenden Knöllchen haben dürfen. Sie bekommen auch alle eine Broschüre ausgehändigt, um ihr Englisch zu verbessern.

Maxim Lixutow, Moskaus stellvertretender Bürgermeister und Transportchef, zählt auf: „Sie sollten zum Beispiel ausländischen Touristen die Tarife erklären können, (….) die Fahrtdauer oder die beste Route zum Ziel benennen.“ Das Wichtigste sei, dass niemand vom Taxifahrer übers Ohr gehauen werde (im Gegensatz zu damals beim Confed-Cup.

⚽ In der großen Tradition von Paul dem Oktopus wirft die BBC einen Blick auf die russischen WM-Orakeltiere. Was soll ich sagen, es ist ein Erdmännchen dabei, und das ist exakt so niedlich, wie ihr es euch gerade vorstellt. Hier geht’s zum Video.

kscheib russball erdmännchen

⚽ Was man halt so an Ideen hat, wenn ein neues Jahr vor der Türe steht: Leonid Fedun möchte den russischen Fußball revolutionieren. Der Mann hat durchaus ein eigenes Interesse an Russlands Fußballzukunft, immerhin gehört ihm Spartak Moskau. Nun schlägt er beispielsweise vor, die Begegnungen in der Liga nicht mehr komplett auszulosen. Stattdessen sollen einige Vereine gesetzt werden, so dass die Spiele im November und März in den milderen Regionen des Landes ausgetragen werden statt im Schneegestöber.

Auch zur Zahl der Teams in Russlands höchster Liga hat Fedun eine klare Vorstellung: In der RFPL sollen künftiger nur noch Mannschaften spielen, die mindestens 15.000 Fans ins Stadion locken, alles andere rechne sich einfach nicht. (Interessanter Nebenaspekt: Spartak nimmt Fedun zufolge pro Spiel zwischen 50 und 60 Millionen Rubel ein, also unter einer Million Euro.) Nach dieser Regel gäbe es also weniger Klubs als bisher in der Liga, sie sollten dafür aber öfter spielen, um eben mehr Geld reinzuholen. Feduns ganzen Revolutionsplan, auch zum russischen Pokal und zum Umgang mit Nachwuchsspielern, dokumentiert Sport Express.

⚽ Zwei Monate ist es her, dass Lokomotive Moskau einen englischsprachigen Twitteraccount gestartet hat. Alles mit Hilfe von Google Translate, witzelte der Verein in seinem ersten Tweet. Knapp 300 Tweets später, und was als Witz gedacht war, scheint wie eine plausible Alternative zu dem Sprachmurks, der da regelmäßig rausgehauen wird.

Was lernen wir daraus? Erstens: Muttersprachler engagieren lohnt sich. Und zweitens: Solange das so wenige Russen glauben, wird es bei der Fußball-WM garantiert genau so viele unterhaltsame Fehlübersetzungen geben wie 2014 bei den Winterspielen in Sotschi.

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Zum Schluss noch ein kleiner Servicehinweis für alle, die erwägen, sich während der WM in Russland mit dem Zug fortzubewegen. РЖД, Russlands Eisenbahn-Staatskonzern, hat eine Frage beantwortet, die regelmäßig für Streit zwischen Passagieren führt: Wer im Langstrecken-Liegewagen die obere Liege gebucht hat, darf nicht einfach auf die untere umziehen. Auch der Stauraum unter der unteren Liege und das Tischchen, an das man sich zum Essen setzen kann, gehören dem Passagier, der die untere Liege gebucht hat. Also, ihr seid gewarnt.

Ach so, und das mit den 22 Tagen in Deutschland und 80 in Russland? Ist natürlich die Winterpause der obersten Fußball-Liga. Macht’s gut, bis nächste Woche – und keine frohe Weihnachten!