Grotesk

20130605-202650.jpg

– „Was ist das denn für eine Schrifttype, die Sie da verwenden?“
– „Das ist einfach gefettet.“
– „Nein, ich meine die Schriftart, den Font.“
– „Also wenn Sie Microsoft Word öffnen, ist da oben so ein Menü…“

(Zehn Google-Minuten später)

– „Kann es sein, dass das Akzidenz-Grotesk ist?“
– „Ah, jetzt wo Sie’s sagen – das erkenn ich wieder, stimmt.“

Schreiben für Print

Wie man eine Print-Kolumne von 1400 Zeichen schreibt.

Variante A: Kolumne schreiben. 600 Zeichen. Alles ist gesagt. Tee kochen. Kolumne mit Beispielen anfüttern. Den Rest mit Absätzen und Wörtern, die möglichst raumgreifend umbrechen, füllen. Kolumne mailen.

Variante B: Kolumne schreiben. 1800 Zeichen. Zwei zwingend notwendige Aspekte sind noch nicht erwähnt. Unter Schmerzen einkürzen. 1600 Zeichen. Einer strengen Kollegin geben. 1500 Zeichen. Nach kürzeren Wörtern für „ist“ und „und“ suchen. Kolumne schließlich mit Überlänge mailen und um Layoutanpassung winseln. Schokolade versprechen.

Variante C: Kolumne schreiben. 1350 bis 1450 Zeichen. Kernargumente sind drin, Beispiele passen. Musik aufdrehen. Letzte 50 Zeichen nachjustieren. Kolumne mailen.

Statistische Verteilung:
Variante A – 30 Prozent.
Variante B – 70 Prozent.
Variante C – Rest.

Niemals aufgeben, niemals kapitulieren

Anfang Mai ist mir ein Tweet aufgefallen, den ich reichlich doof fand. Bemüht, unangebracht, zurechtgebogen.

Gesehen über Dominic Rzepka vom ZDF, der hatte ihn aber nur weitergereicht. Ursprünglich kam der Tweet von Justus Wilhelm, Volontär bei Radio Bremen, der gerade seine ersten Schritte bei Twitter machte und Stimmen für eine Sendung sammeln wollte. Der Rücklauf bestand weitgehend aus mehr oder weniger subtilen „fail!“-Rufen – auf die er unbeirrt und sachlich geantwortet hat. Nach einem kurzen Austausch via Twitter – kann man hier nachlesen – war klar: Ja, da war was doof. Aber der Tweet war es nicht, und auch nicht der Absender. Das lässt, ganz kommunikationstheoretisch, nicht mehr allzu viele Möglichkeiten offen.

Wer sehen will, was ich in meinem Volo alles ungeschickt formuliert habe, der wäre damit ein paar Tage ausgelastet. Aber erst muss er sich Arbeit machen. Er kann meine Eltern fragen, ob er mal auf den Speicher rauf darf. Er kann rausfinden, wo die alten Zeitungs-Bände einer inzwischen geschlossenen NRZ-Lokalredaktion lagern (bei Erfolg bitte Bescheid sagen!), oder nach Dortmund ins Institut für Zeitungsforschung fahren. Mehr geht nicht, nichts mit Digitalisierung, kein online durchsuchbares Archiv. Stattdessen Papier, oder vielleicht, im Institut, Mikrofiche?

Wer heute volontiert, kommt früher weiter aus der Deckung. Weniger Welpenschutz, kaum Chancen auf „behütetes Blamieren„, wie das beim „Zimmer frei“ heißt. Und wer was probiert, dem muss man schneller, als es schön ist, Dinge sagen wie „Solche Kommentare muss man abkönnen, ärger dich nicht.“ Haters gonna hate.

Während ich mich also geschämt habe, einem, der lernt, doof gekommen zu sein, war Justus sehr entspannt. Wir schrieben ein bisschen hin und her – er ist Anfang 30, Berliner in Bremen, und hat demnächst seine erste Ausgabe der Sendung „Glauben und Wissen“ bei Radio Bremen. Auf dem Weg dahin hat er inzwischen statt Eierkopp ein Profilfoto bei Twitter – und die Frage noch mal gestellt. Das Gegenteil von Kapitulation. Wer mag, kann ja mit einem Retweet oder einer Antwort helfen.

Kleiner Philipp-Rösler-umarmt-Kai-Diekmann-Roundup

Am Tag danach muss noch schnell gebloggt werden – über das Foto von Philipp Rösler beim Kontaktsport mit Kai Diekmann. Das Bild, zu dem Ulf Poschardt schreibt:

Nun gibt es nichts Verwerfliches, einem so angenehmen Kollegen wie Kai Diekmann derart nahezukommen und ihn zu herzen. Die Körpersprache dieses Bildes, das am Tag danach auf nahezu allen Nachrichtenseiten des Landes gezeigt wird, dokumentiert allerdings eine Übernähe und eine emotionale Übertreibung, die viele Fragen aufwirft.

Nett, dass sich Leute die Mühe machen, von diesen Fragen die ein oder andere zu beantworten. Zum Beispiel, wen Rösler noch so alles umarmt hat. Da ist flott ein Tumblr entstanden, mit Montgomery Burns, mit Hannibal Lecter, mit Kim Jong Un: „Philipp Roesler Worshipping Evil„.

Bei Extra3 versuchen sie es mit einer Visa-Werbung, dabei sieht das Foto mehr nach einem Fall für AXE aus. Auch das Bildblog hat sammeln lassen. Und Thomas Pfeiffer, der nebenbei kluge Bücher über Kinder und Facebook schreibt, hat das hier gebaut: Einen Generator, in dem den zwei Nahkämpfern Sprechblasen in den Mund gelegt werden können.

Bleibt, angesichts der ersten Blasen-Sammlung, nur die Frage: Steht auf der „Ich umarme Chefredakteure“-Liste des FDP-Chefs als nächstes die Chefin von Wiwo.de? Oder was sonst heißt „Ich will durch zu Franzi„?

Nachtrag: Jetzt gibt es auch noch einen Kai-Diekmann-umarmt-andere-Leute-Tumblr. (Danke für den Link, Sabrina!)

Folo 2013 – bitte mehr Handwerk

Kontrastreicher Monat, der Mai. Erst die re:publica, wo man als Onliner hinfährt, weil da viele sind wie man selber. Dann das Forum Lokaljournalismus, wo man als Onliner hinfährt, weil nicht. Die Bilanz zur #rp:13 gibt es hier, fehlt noch die zum #folo2013.

Der Auftakt war gut gewählt. Es macht Spaß, dem Phänomen Giovanni di Lorenzo zuzuhören (und sich nebenbei zu fragen, ob das Phänomen ein anderes wäre, wenn er „unumkehrbar“ sagen würde statt „irreversibel“, „vorwegnehmen“ statt „antizipieren“ und „Bräuche“ statt „Usancen“). Aber wenn zu den Machern von tagesaktuellem Lokaljournalismus jemand von einer überregionalen Wochenzeitung spricht, dann ist das Ergebnis zwar eine Motivationsrede, nach der man etwas aufrechter auf dem Stuhl sitzt. Es erinnert aber auch an reihenweise zu oft gehörte Verallgemeinerungen und schiefe Analogien.

An „Dass die Paywall funktioniert, zeigt ja die New York Times“. An „Diese animierte Infografik heute bei Spon, Rundgang durchs Weiße Haus – sowas brauchen wir auch, das bauen wir nach!“ An „…und dann machen wir das wie der Guardian“. Das sind alles tolle Medienhäuser. Aber deren Kerngeschäft ist, ohne eins von beiden auf- oder abzuwerten, nicht unseres. Das war bei der Diskussion nach dem di-Lorenzo-Vortrag ja dann zumindest kurz auch Thema: Wo informieren sich meine Leser noch außer bei mir? Muss ich der nächste sein, der auch noch mal die große Afghanistan-Reportage macht? Konzentrier ich mich ganz aufs Lokale? Oder riskiere ich dann, ins Provinzielle zu rutschen?

Davon hätte das Folo mehr brauchen können – anstelle einer Reihung von Versuchen, vom Überregionalen aufs Lokale zu schließen. „Ich wundere mich, dass ich zum Thema Lokaljournalismus eingeladen wurde“, gestand Karl-Heinz Ruch (taz).

Gerade von einem Forum Lokaljournalismus wünsche ich mir also fürs nächste Mal: Best Practice, aus dem Lokalredaktionsalltag. Erfolgreiche Neuerungen vorstellen, kleinteilig: Das haben wir gemacht, mit diesen Leuten, so sah der Alltag aus. Da hat es gehakt, das hat es gekostet – und so fanden es die Leser. Projekte im Porträt, gerne mit Steckbrief. Weniger Schlagwörter, mehr Werkstatt.

Ach so, und das beiläufige Online-Bashing, das Ich-spotte-aufs-Netz-und-krieg-Applaus, das lassen wir 2014 dann ganz hinter uns, ne? War diesmal schon besser als 2012, aber Sätze wie „Die Wächterfunktion lässt sich nicht an Twitter delegieren“ hinterfragen wir nächstes Jahr bitte auch genauer, und zwar zweifach: 1.: Hat das denn irgendwer behauptet? Und 2.: Können wir, anstatt einen Kanal (Twitter) und ein Handwerk (Journalismus) zu vergleichen, vielleicht einfach mal entspannt zugeben, dass die sich gut ergänzen? Spätestens seit #aufschrei hat ja jetzt jeder mindestens einmal mitbekommen, wie ein Missstand bei Twitter thematisiert wurde – und erst daraufhin sich auch Journalisten des Themas angenommen haben. Wächterfunktion, anyone?

Dankenswert: das Foto hat Sandra Schink gemacht, die kann sowas.
Lesenswert: die Folo-Bilanz von Thomas Schroeter

Der bisher schönste Tweet des Tages (II)

Tweets, die für mindestens einen Tag gute Laune machen: Der hier von Smudo gehört dazu.

Um die Freude nicht zu mindern wird jetzt auch nicht genauer hingeguckt, ob da tatsächlich ein E vor dem Y reingerutscht ist. Stattdessen weiterlesen bei „That’s Not My Name, Starbucks“ (viele verschiedene Namen) oder bei „Starbucks Thinks My Name is„. Da dokumentiert eine Frau, die mit Vornamen Carson heißt, was Starbucks-Mitarbeiter daraus so machen: Caesar, Kristen, Parson.

Danke, Smudo! Zuletzt so viel Spaß an einem Tweet hatte ich letzten November in China. Galileo!

Bieberfieber! Bieberbashing! Biebergate!

Das ZDF hat sich mit einem kleinen Tweet heute Nachmittag viel Aufmerksamkeit beschert – und, wenn man so die Reaktionen liest, wahrscheinlich mehr neue Freunde als Feinde. Und das kam so:

Kurz darauf kam schon der (leicht frankophone? Oups?) Korrekturtweet

Natürlich war das alles ein bedauerliches Versehen. Schließlich sind wie hier beim ZDF und nicht bei ProSieben. Und ich fürchte fast, auf freudianisch-unterbewusstem Level haben wir das den Mainzer Kollegen eingebrockt – mit diesem Tweet hier, ein paar Stunden früher:

Wer leidensfähig genug ist für eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Mann, der neulich in Dortmund alle warten ließ, und seinem nun wohl Ex-Affen, kann das mit diesem Text von Anna Lampert für KStA.de. Und plusminus ein paar Pöbler hat das ZDF anständig Rücklauf auf die Panne und die Korrektur bekommen – das zeigt der getwitterte Screenshot:

Biebergate? Shitstorm? Aufschrei? Sonst irgendwas mit !!!111einself? Leider nein. Aber unterhaltsam war’s. Vielen Dank, lieber Bieber.

Genickt, geärgert, gestaunt, gelitten – die re:publica 2013

Kaum drei Tage nach der re:publica und schon ist das Fazit fertig. Heißer Scheiß, dieser Echtzeit-Journalismus.

Am meisten genickt: wenn es um Freiräume fürs Ausprobieren ging. Bei der Session zu „Stimmt das„, dem #ZDFcheck zur Bundestagswahl, gab es viele Detailfragen. Und immer wieder hat Sonja Schünemann dann sowas gesagt wie: Wissen wir noch nicht. Mal sehen. Wir machen das jetzt erst mal. Und dann gucken wir. Experimente haben das so an sich, das muss man gar nicht groß philosophisch überhöhen (kann man aber). Das haben später die „Digital Natives der Herzen“ Jochen Wegner, Katharina Borchert und Stefan Ploechinger später auch noch mal angesprochen (geht kurz nach 19′ los).

Am meisten geärgert: Bei „Citizen Desk: Rewarding Reporting“, einem Vortrag zu einem CMS für Bürgerjournalismus. Adam Thomas hat von Verdade erzählt, einem Zeitungsprojekt in Mosambik. Von einer Bürgerjournalismus-Redaktion, die eine starke Fangemeinde bei Facebook hat, andererseits aber auch viele Leser ohne Internet-Zugang. Darum werden jeden Tag die besten Facebook-Kommentare mit Kreide an eine Wand geschrieben, wo sie jeder offline lesen kann. Und mit Kreide drunterkommentieren – was dann wiederum abgetippt und auf Facebook gepostet wird. Dazu hätte ich gern mehr gehört. Ging aber nicht, weil Thomas an einem Stand in der großen Halle präsentieren musste. Zu viel Lärm, zu viel Gewusel, zu viel Ablenkung. Sollte man nicht mit Referenten machen, wenn man sie ernst nimmt. Nächstes Mal bitte jedem Vortrag seinen Raum.

Am meisten gefreut: beim „Saisonrückblick Social-Media-Recht“. Über die Bestätigung, mit dem Faktenwissen auf Stand zu sein. Und über die vielen neuen Fällen, Dönekes und zwei außergewöhnlichen Referenten. Juristen nämlich, die nicht drumrum reden.

Am meisten beneidet: Linus Neumann für die Trolldrossel in Fefes Blog. Eine geschickte Programmierung, die grob besagt: Wenn Vokabular des Nutzerkommentars auf einen Troll deutet, dann sag ihm bitte: „Sorry, Du hast das Captcha falsch ausgefüllt. Bitte noch mal.“ Auch, wenn es richtig war. Schlicht, schlau, schön böse. Sollte es als WordPress-Plugin geben.

Am meisten geschwitzt: Zwanzig Minuten mit jemandem unterhalten. Netzthemen, Wetter, alles. Auch danach immer noch keine Ahnung gehabt, wer das ist und woher wir uns kennen.

Am meisten gestaunt: bei „How to become a Cyborg“. Den Vortrag von Neil Harbisson und Moon Ribas hab ich seitdem schon mehrfach nacherzählt. Die beiden rüsten ihre Körper technisch auf, um mehr Sinneseindrücke wahrzunehmen als andere Menschen. Und ein Kleid, das „Moon River“ in Farben darstellt, möchte ich bitte auch.

Am meisten gelitten: an der Unterkunft. The Weinmeister ist ein Designhotel. Leider ist die Evolution noch nicht so weit, dass wir mickrigen Menschen den Anforderungen dieser Hotelzimmer gewachsen sind. Vier Nächte in einem Bett mit Schwarzlicht, aber ohne Möglichkeit, die Brille irgendwo hinzulegen. Vier Morgende hellwach dank kaltem Duschwasser. Ist vielleicht noch mal einen eigenen Blogpost wert.

Am meisten genossen: Drei Tage ausgezeichntes WLAN. Respekt.

Am meisten gewundert: Wie wenig die Piraten Thema waren. Günter Dueck hat in seinem Vortrag pauschal angenommen, dass eh alle Anwesenden die Grünen wählen. War kein Protest zu hören. Marina Weisband, die bei den Piraten keine so ganz kleine Nummer war, suchte an Tag 3 vergeblich nach bekannten Gesichtern.

Da könnte man jetzt schön drüber frotzeln, hätte es nicht parallel reichlich Pausen- und Flurgespräche darüber gegeben, wen man als Onliner im September bloß wählen soll. Nicht, weil nun zwingend die Piraten jedermanns erste Wahl gewesen wäre. Aber eben auch nicht, weil es so viele attraktive Kandidaten gäbe, zwischen denen man sich kaum entscheiden könnte. Stattdessen Ratlosigkeit und ein Motto-Vorschlag für die re:publica 2014: #postpiracy.