Elf Polizisten müsst ihr sein

Es gibt so Geschichten, bei denen kann man gar nicht fassen, dass man sie erlebt. So eine habe ich gerade hinter mir, und eigentlich müsste man danach mit einem Kräutertee aufs Sofa und von da nahtlos ins Bett, es ist ja auch schon halb eins. Geht aber nicht, ich muss ja gleich noch Albrecht anrufen. Da kann ich sie auch aufschreiben: Die Geschichte, wie ich mal einen Abend mit elf Polizisten verbrachte.

***

Alles fängt damit an, dass R. in der Stadt ist. Zum Arbeiten, als Journalist bei der WM. Am Vortag gelandet, akkreditiert und im Hotel eingecheckt, heute wollen wir zum Abendessen beim Lieblingsgeorgier. Wird nur leider nichts, weil sein Pass weg ist. Gemerkt hat er das am Schlagbaum zu unserem Wohngelände, wo die Wachmänner die Papiere kontrollieren, verloren gegangen sein muss das Ding in der Metro, die kleine Tasche an seinem Rucksack, deren Reißverschluss er geschlossen hatte, stand offen. R. geht den Weg zurück zur Haltestelle, ich telefoniere diverse Hotlines ab, beides erfolglos. Dann geht er an der Metro auf einen Polizisten zu, spricht ihn auf Englisch an, was der Polizist nicht versteht. Der will nun aber von R. erst mal den Pass sehen. Und so beginnt es.

Kurz nach 19 Uhr, herbeitelefoniert stoße ich zu R. hinzu in die kleine Polizeikammer in der Metrohaltestelle. Er und vier Polizisten stehen da, in unterschiedlichen Uniformen, mit Jacke oder nur im Hemd, gelegentlich kommt ein Neuer hinzu und ein Alter verabschiedet sich. R. erzählt auf Englisch, was passiert ist, ich übersetze mir einen zurecht, die Polizisten fragen, einer schreibt langsam und in Handschrift alles auf, was R. heute getan hat. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass das Albrecht ist. Er wird uns heute noch öfter begegnen, erst aber verbringen wir ein Stündchen mit Protokoll, Rumstehen, Rumstehen, Protokoll, zwischendurch kurz in den Supermarkt.

Inzwischen sind eine ganze Reihe Polizisten hinzugekommen. Einer in Zivil, in einem weißen Blouson, der wissen will, ob um den verlorenen Pass eine Hülle war. Einer im Anzug, der R.s Metrokarte ausliest und so erfährt, dass er um 17.03 Uhr in die Metro gestiegen ist. Einer in blauem Tarnfleck, mit Schutzweste und Schäferhund. Einer mit einer Kamera, der Bilder von R. mit seinem Rucksack macht und sie zu Leuten schickt, die die Kameraufnahmen aus der Metro nach ihm durchsuchen sollen. Eine Frau in Rock und Bluse, mit Pistole im Halfter und Ministeriumswappen am Ärmel. Die Atmosphäre ist routiniert bis sonntäglich, mit gelegentlich aufblitzender Freundlichkeit.

Warum zieht sich das hier alles so? Auf Nachfrage kommt raus, dass R. leichtfertigerweise die Grenzen zwischen mehreren Polizeibezirken überschritten hat: In einem Bezirk in die Metro gestiegen. In einem Bezirk gemerkt, dass der Pass weg ist. In einem Bezirk einen Polizisten um Hilfe gebeten. Darum dürfen hier so viele Leute mitspielen, darum müssen wir nun alle noch mal zu uns nach Hause fahren, ans Schrankenwärterhäuschen, um auch diesen Bezirk abzuhaken. Erste Fahrt im Leben mit einem russischen Polizeiauto? Check! Für uns alle reicht der Wagen natürlich nicht, darum fährt der Rest in einem Kleinbus hinterher. Am Schrankenwärterhäuschen zähle ich durch: zehn. Es sind zehn Polizeikräfte, die uns hier betreuen, für einen verlorenen Pass.

Enlight277R. muss vor dem Wärterhäuschen posieren, wird zusammen mit ihm fotografiert – Beweisaufnahme. Ein Nachbar, der uns gesehen hat, kommt und bietet Hilfe an. Ein Polizist raucht. Der Schäferhund setzt sich. Das hier wird wohl noch länger dauern. Ob R. vielleicht inzwischen in sein Hotel fahren könnte, da im Zimmer noch mal gründlich gucken? Nein, erst muss die Anzeige aufgenommen werden. In neuer Besetzung, diesmal zu fünft, steigen wir ins Polizeiauto, der Beifahrer ist sicher wichtig, er trägt Zivil. Zur WM sei R. also das? England gegen Russland habe er mal in Wembley gesehen, sagt der Zivilist, er selber sei ja Fan von Spartak, was wir denn zu der Sache mit Leicesters Meisterschaft 2016 sagen, und dass ja leider dieser deutsche Torwart Liverpool den Sieg in der Champions League verbockt hat. Wir nicken und hmmmmmen, um ihn möglichst wohlwollend zu stimmen.

„Gucken Sie nicht so genau hin, das Gebäude ist schon alt, von 1935“, sagt der Zivilmann, als wir an der Wache angekommen sind. Was wir betreten, fühlt sich an wie die sowjetische Interpretation eines Gebäudes aus einem Harry-Potter-Band: Die Wache ist rund, man läuft in der Kurve den Gang entlang, hier mal eine Gittertür, rissige Farbe an den Wänden. Nachfrage ergibt: Das Ding ist rund, weil die Polizeiwache ringförmig in die Metrostation „Smolenskaja“ eingebaut ist, einmal rund um die Kuppel der Eingangshalle. R. und ich werden in einen Aufenthaltsraum gebracht, der, natürlich, auch gerundet ist. An der Wand Fotos der Mitarbeiter beim gemeinsamen Skifahren und beim Tauziehen im Schnee. Rechts an der Wand Bilder von Kollegen, die im Dienst gestorben sind. „Guck mal, da ist einer von unseren“, sagt R. und zeigt auf die Pinnwand, über der „Die Besten ihres Berufs“ steht. Ach schau, da hängt er – der Mann, der später Albrecht sein wird.

Enlight275

Dann holt man uns auch schon wieder ab, in einen winzigen, zugestellten Raum mit zwei Schreibtischen „Ich hab eine Übersetzerin, die Englisch kann“, verkündet der Zivilist dem Kollegen, der dort sitzt und tippt – Nummer elf des heutigen Tages. Der ist durchaus attraktiv und es ist nicht ganz ohne, von so jemandem angesehen zu werden, als sei man die Antwort auf all seine Fragen. Ob ich vielleicht diesem jungen Mann hier aus Ägypten mal seine Aussage vorlesen und übersetzen könnte, ob man sich richtig verstanden habe? Sein Portemonnaie ist weg, er ist seit zwei Tagen auf der Wache, hat dort übernachtet. Zu Gast in Moskau, ohne Geld, ohne Freunde. Der Polizist will, dass das Protokoll unterschrieben wird. Dem Ägypter ist das Protokoll egal, er weiß nicht, wie er ohne Geld zurück nach Tambow kommen soll, wo er studiert und übermorgen seine letzte Prüfung hat. „Das tut uns leid, aber wir sind ja nur die Polizei, keine Bank“, sagt einer. An der Wand lehnt ein Bügelbrett mit buntem Stoffbezug. Fische schwimmen in einem winzigen Aquarium, der Zivilist erklärt, dass das seine sind und wie stolz er auf sie ist.

Munteres Übersetzen mit viel Geholper, mal für den Beamten, der R.s Fall in den Rechner tippt, mal für den anderen. Ich wundere mich, was für Vokabeln man sich alle erschließen kann, wenn einen ein Polizist erwartungsvoll anguckt. Vielleicht ein Thema für Didaktiker. Dazwischen reden wir über Ägyptens Chancen bei der WM, der Zivilist klinkt sich ein, das mit Salah, was der Ramos da gemacht hat, war eine ganz dreckige Sache. Ich denke daran, wie ich vor zwei, drei Stunden noch geglaubt habe, mit einem russischen Polizeiauto zu fahren sei sicherlich das Verrückteste, was mir diese Woche passieren würde. „Wir erleben hier gerade eine Kurzgeschichte“, sage ich zu R. „Ist aber nicht besonders kurz“, antwortet er.

Enlight278

Der Ägypter, den die drei Beamten alle beim Vornamen nennen und nahezu väterlich behandeln, wischt durch die Fotos auf seinem Handy und zeigt seine Zeichnungen: Eine junge Frau mit hochgesteckten Haaren, eine ältere Frau mit Kopftuch. „Der ist ein echter Künstler“, sagt einer der Polizisten, „Komm, zeig denen doch mal deinen Putin.“ Der Ägypter zeigt ein YouTube-Video, in dem er einen Leinwand bemalt. Man erkennt nur seltsame Formen, bis er das fertige Bild auf den Kopf stellt und es plötzlich unverkennbar Putin ist. „Damit hab ich einen Wettbewerb gewonnen, ‚Tambov’s got talent‘,“ sagt er stolz. Ich kann und kann und kann das hier alles überhaupt nicht fassen.

Der Ägypter findet, dass wir doch jetzt alle mal Freunde bei Facebook werden sollten. R. und ich vereinbaren in einer stillen Minute, dass wir ihm gleich jeder 1000 Rubel geben, dann kann er sich ein Zugticket nach Tambow kaufen. Dann wollen die Beamten wissen, ob R. während der WM noch andere russische Städte sehen wird. Was, echt, Saransk? Ist ja ein Ding, da ist doch der Polizist her, der gerade R. s Protokoll schreibt! „Der ist nämlich kein Russe, der ist Tatar“, frotzelt der Zivilist. Großes Hallo, der Tatar holt das Handy raus, zeigt Fotos von sich vorm Saransker Stadion, von seinen Kindern, der Sohn in Eishockeymontur. Der Zivilist geht mit, er war auch schon mal in Saransk, bitte mal gerade für R. übersetzen: Es gebe dort eine Kirche an einem Platz, und ein Denkmal für einen berühmten russischen Admiral. Es geht auf Mitternacht zu, wir sitzen in einem ranzigen alten Büro auf einer Polizeiwache und bekommen Tipps zur Freizeitgestaltung in Saransk. Das Maskottchen der Stadt, sagt der Zivilist,sei übrigens das Eichhörnchen.

Enlight276

Irgendwann sind die Protokolle fertig. R. muss unter seins auf Englisch schreiben, dass seine Aussage richtig aufgeschrieben und ihm vorgelesen wurde. Darunter schreibt der Polizist denselben Satz auf Russisch und daneben: Beglaubigt von der Übersetzerin, Frau Katrin Scheib. Gleiches Prozedere beim Ägypter, dann werden die Unterlagen abgeheftet, in einen Safe gelegt und ich denke mir, dass es bei der Moskauer Polizei jetzt auf ewig oder zumindest bis zur endgültigen Digitalisierung zwei Protokolle gibt, auf denen steht: „Übersetzerin: Frau Katrin Scheib“. Wäre ich nicht komplett ausgelastet mit dem Gedanken, wie unglaublich das hier alles ist, ich wäre stolz.

So, sagt der Zivilist, „übersetzen Sie bitte dem jungen Mann, dass wir ihm jetzt ein Ticket kaufen für den Bus nach Tambow.“ Der Ägpter strahlt. „Nicht wir, die Polizei, sondern wir als Menschen.“ Der Ägypter nickt. „Fragen Sie ihn mal, ob er am Fenster sitzen will oder am Gang.“ Wo der Bus denn losfährt, will der Ägypter wissen, und der Zivilist sagt: „Wir haben hier einen Auszubildenden, der steigt morgen mit dir in die Metro, fährt mit dir bis zum Busbahnhof und setzt dich in den Bus, auf den richtigen Platz.“ R und ich gucken uns an und sehen im Blick des anderen die Frage, was wohl für ein Gefühl kommt, wenn „komplett fassungslos“ nicht mehr reicht.

„Bitte übersetzen Sie ihm, dass er sein Portemonnaie in Zukunft in die Hosentasche steckt oder in die Innentasche der Jacke, nie außen“, sagt der Zivilist noch. Der Ägypter bedankt sich, strahlt noch ein bisschen mehr, als wir ihm die 2000 Rubel geben, und verabschiedet sich, es gibt im Untergeschoss einen Schlafplatz für ihn. Der Polizist, der R.s Fall getippt hat, sagt, dass er Albrecht heißt, dass er und ich jetzt mal Telefonnummern austauschen, und dass R. dann mit dem Taxi in sein Hotel fahren soll, irgendwo in der Nähe des DFB-Mannschaftsquartiers. „Und wenn er gut angekommen ist und geguckt hat, ob da sein Pass liegt, dann ruft er Sie an, Katrin, und Sie rufen mich an und sagen es mir. Auf Wiedersehen.“

***

Fünf Minuten später stehen wir auf der Straße vor der Polizeiwache, R. und ich, umarmen uns und vergewissern uns, was wir da gerade erlebt haben. Fünf Stunden mit elf verschiedenen Moskauer Polizisten, mit viel Warterei, viel Protokollschreiben und viel Übersetzen. Eine Stunde später wird R. sein Hotelzimmer betreten und feststellen, dass der Pass dort nirgends ist, morgen muss er also mit seinem Polizeiprotokoll zur Botschaft. Doch was immer er dort erlebt – den heutigen Tag wird es nicht übertreffen.

Mehr über den Alltag in Russland während der WM hier.

Russball, Folge 51: Ein russischer Verein lockt Ronaldo

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Zum Start muss ich kurz etwas richtigstellen: In der letzten Russball-Folge sind mir bei einem verlinkten Text Spartak und ZSKA durcheinandergeraten – das kommt davon, wenn man parallel mit zu vielen offenen Tabs hantiert. Netterweise hat sich Witali Leonow, der den Artikel über ZSKA geschrieben hat, gemeldet und auf meinen Fehler hingewiesen. In der Blog-Version ist er bereits korrigiert, ich wollte aber heute auch noch alle Newsletter-Leser darauf hinweisen – sorry!

⚽⚽⚽

⚽ Nun steht also auch der russische WM-Kader, weder Konstantin Rausch noch Roman Neustädter haben es reingeschafft. Die 23 Namen, die man bis zum Turnierbeginn kennen sollte, hier also im Überblick. Und nein, natürlich gibt es solch eine Entscheidung nicht ohne Kritik – die Mehrheit der Leser von Bombardir.ru zum Beispiel ist unzufrieden, wie die Umfrage unter diesem Artikel hier zeigt. Ähnlich klingen die Kommentare, die Championat.com gesammelt hat. Tenor: „Die Titanic ist auf Kurs.“

⚽ Wie teuer ist die russische Nationalmannschaft, und wieviel Geld bringt sie ein? Sport Express beantwortet diese Fragen in zwei separaten Artikeln und geht dort jeweils die großen Turniere der vergangenen Jahre durch. Aussagekräftiger wäre das ja, wenn man Ausgaben und Einnahmen pro Jahr jeweils auf einen Blick sähe, ohne von einem Text zum anderen springen zu müssen.

Darum hier zum Vergleich: Für die WM 2014 in Brasilien kommt Sport Express auf Kosten von rund 17 Millionen Euro, wovon das Gehalt von Trainer Fabio Capello allein 7 Millionen ausmachte. Eingenommen habe die Mannschaft im Gegenzug etwas über 8 Millionen Euro, der Artikel nennt die Zahlen in Dollar: 1,5 Millionen für die geschaffte WM-Quali, weitere 8 Millionen für die Teilnahme an der Gruppenphase. Wer sich noch weiter in das Thema reinlesen will: Hier gibt es die Ausgaben seit 2011, hier die Einnahmen ab 2002.

⚽ Christiano Ronaldo will ja wechseln, hört man, weg von Real Madrid. Der FK Jenissei Krasnojarsk ist jetzt kein russischer Spitzenclub im klassischen Sinne, hebt aber schon mal die Hand und macht mit einem Tweet auf sich aufmerksam, in dem er sich als Alternative zu Madrid und Manchester positioniert:

Die Botschaft der Bilder kann man vielleicht so zusammenfassen: Ja, okay, bei den Top-Vereinen gibt es große Stadien, du gewinnst Trophäen, kannst dir schicke Autos und ne Villa leisten. Bei uns fährt man Lada (man beachte das Nummernschild), wohnt in einfachen Häuschen – aber dafür zahlt du hier auch weniger Steuern! Tatsächlich liegt der Steuersatz in Russland bei gerade mal 13 Prozent, und wir wissen ja alle, wie wichtig das Thema für Christiano Ronaldo ist.

⚽ Langweilige Überblicke über die WM-Stadien haben wir inzwischen ja alle genug gesehen und gelesen. Bei diesem hier hat der Autor hingegen mal so richtig auf die Sahne gehauen. Schon der Einstiegssatz gibt die Richtung vor: „Es ist eine wenig bekannte Tatsache, dass Fußballfans zu den intelligentensten Menschen auf dem Planeten gehören.“

Im selben Stil dann auch die Einzelkritik, so blumig, dass man sie im englischen Original wiedergeben muss: „a bit of a stinker“ ist das Stadion in Jekaterinburg, „your classic Allianz Arena knock-off“ das in Saransk und die Arena in Rostow ganz einfach „booooooooring“. Okay, beim Fischt-Stadion liegt er mit seiner Einschätzung komplett falsch – das sage ich mal so als Fußballfan, also als einer der intelligentesten Menschen auf diesem Planeten.

⚽ Die Stuttgarter Kinderzeitung wollte ihren Lesern kurz vor der WM mal erzählen, wie ein Tag eines russischen Schülers aussieht. Also war ich an der Moskauer Schule Nummer 1955 und habe dort Dmitrij durch seinen Schultag begleitet. Er ist Spartak-Fan, lernt Deutsch, diskutiert gerne – wir mussten also nicht lange nach Gesprächsthemen suchen.

kscheib russball dmitri

Wenn es gut klappt, entstehen beim Schreiben für Kinder manchmal Texte, die klarer sind als die für Erwachsene. Ich bin bestimmt nicht die einzige, die schon mal in einer Redaktionskonferenz gesessen hat, wo vorgetragen wird, was welche Agentur zu einem Thema berichtet – und am Ende jemand sagt: „Also, die beste Meldung ist eigentlich die vom dpa-Kinderdienst.“) Wenn’s schief geht allerdings, dann sind Journalistentexte für Kinder albern, betulich, von oben herab und irgendwie dutzidutzidutzi.

Ich hab also an Patenkind 1 und 2 gedacht, was die wohl gerne lesen würden und auch gut selber lesen können. In kurzen Sätzen, anschaulich, das war der Anspruch. Ob’s geklappt hat, könnt ihr hier nachlesen. Ich freu mich über Feedback, von euch oder von euren Kindern.

⚽ Was man nicht unterschätzen darf, ist übrigens, wie sehr sich die Moskauer Metro in die WM-Vorbereitungen stürzt. Durchsagen, Schilder, Personal, alles wird da auf Englisch getrimmt, die Mitarbeiter sollen außerdem lernen, höflich zu sein und auch mal zu lächeln. Englisch, höflich, wer fällt einem dazu ein? Genau, Kanada. Journalisten von CBC waren es also, die sich mal genauer angesehen haben, wie dieses Training für Metromitarbeiter funktioniert.

Ergebnis: eine Reportage und ein Foto vom Lehrmaterial, zum Genießen. Denn da werden die englischen Floskeln kyrillisch verlautschriftlicht. (Danke an Pascal Dumont, dass ich das Bild hier verwenden darf.) Wenn euch in der Moskauer U-Bahn demnächst also jemand ein fröhliches „Ju a welkem“ entgegenschleudert, ein leises „Ekskju mi“ oder ein hellwaches „Gud moning“, wisst ihr, woher das kommt!

#5

⚽ Anderes Verkehrsmittel, gleicher Ansatz: Moskaus Taxifahrer werden auch geschult in Sachen Englisch. Jedenfalls diejenigen, die eine besondere Lizenz bekommen wollen, mit der sie nah ans Stadion heranfahren dürfen, um dort Passagiere abzusetzen oder aufzusammeln. Knapp 5000 Fahrer sollen sich darum beworben haben.

Hübsch in der Reportage aus diesem Kurs: Die These eines Fahrers, dass man eigentlich nur eine Floskel beherrschen müsse: „One thousand“, Rubel nämlich, das sind 14 Euro. Für Fahrten in der Innenstadt ein ziemlich hoch angesetzter Preis, die Reporterin fragt also nach, ob das keine Abzocke sei und somit schlecht für das Image der Stadt. Einer der Fahrer hält dagegen: „Wenn ein Mensch zur Arbeit geht, worum geht es ihm dann – um Moskaus Image oder ums Geldverdienen?“

⚽ Fragen, von denen ich auch nicht dachte, dass sie hier mal gestellt werden: Wie sieht eigentlich ein Fallrückzieher in der Schwerelosigkeit aus? Die Antwort kommt von der russischen Raumfahrtbehörde Roscosmos. Der Ball, mit dem in dem Video auf der ISS gespielt wird, ist inzwischen wieder auf der Erde, rechtzeitig zum WM-Beginn. Er soll nämlich beim Eröffnungsspiel zwischen Russland und Saudi-Arabien verwendet werden.

⚽ Panama ist dieses Jahr zum ersten Mal für die WM qualifiziert. Der Präsident hat daraufhin den Trainingsanzug der Nationalmannschaft angezogen und ein Gesetz unterschrieben, wobei dieses Ereignis ab sofort mit einem eigenen Feiertag gewürdigt wird. Ich stell mir das jetzt mal kurz mit Angela Merkel vor – die hätte in ihrer Amtszeit schon so einiges zu unterschreiben gehabt, und wir ein paar Feiertage mehr. Die Panama-Anekdote stammt aus einem Projekt von 120 Minuten, das zu jedem WM-Teilnehmerland eine Geschichte gesammelt hat.

Wie Schweizer Fußballer gegen Chiracs Atomtests protestiert haben, wie italienischstämmige Austalier zu ihrer Fußball-Nationalmannschaft stehen, dass der Iran seinen bisher einzigen Sieg bei einer WM ausgerechnet gegen die USA holte – hab ich alles vorher nicht gewusst und mir bei 120 Minuten mit viel Spaß erlesen. Egal, welches Team ihr bei der WM unterstützt – hier gibt es eine hintergründige Geschichte zu ihm.

⚽ Vom schwarzen Humor, mit dem russische Fußballfans ihrer Nationalmannschaft gegenüberstehen, war hier ja schon öfter die Rede, wir erinnern uns an die Sache mit dem Slogan für den Bus. Daraus kann man ableiten, dass es kein ganz einfacher Job ist, Social-Media-Mensch der Sbornaja zu sein. Ab und zu gelingt es einem vielleicht, zu vermeiden, dass man eine ungewollte Vorlage liefert. Aber dann gibt es halt doch immer wieder mal ein Bild, wo es unvermeidbar ist.

„Die Puppen spielen sicher auch nicht schlechter“ – „Gesprächspartner gefunden“ – „Was? Gegen die habt ihr auch verloren?“ – „Da ist die Verstärkung.“ Es war eine Vorlage, und die Fans haben sie verwandelt.

⚽ Thielko Grieß war für den Deutschlandfunk draußen in Watutinki, sich das WM-Quartier der deutschen Nationalmannschaft ansehen. Geht natürlich nicht, alles abgesperrt, oder Baustelle, oder abgesperrte Baustelle. Trotzdem ist es ein anschauliches Stimmungsbild geworden über Moskau, ganz kurz vor der WM: „Bauunternehmen verdienen viel an dieser WM. Und für viele andere ist Fußball nicht die größte Leidenschaft, aber wenn das Turnier schon mal im eigenen Land stattfindet, kann man es sich ja auch anschauen. Wer weiß, vielleicht wird es ja doch ganz interessant, diese Sache mit dem Ball und den Stadien und den Spielern und Fans von überall her.“

⚽ Ihr erinnert euch an die Studenten der Lomonossow-Universität, die gegen die Fanzone direkt vor ihrer Haustür protestieren? Sie haben Angst, vor vollgepinkelten Grünflächen, vor betrunkenen Fans, vor allem aber vor dem Lärm an allen Spieltagen, mitten in der Prüfungsphase. Wie nah an der Uni das Party-Areal hochgezogen wird, zeigt diese Fotostrecke hier ganz gut.

Drei Studierenden droht nun ein Prozess. Sie sollen auf eine Litfaßsäule nahe der Uni den Slogan „Keine Fanzone!“ geschrieben haben. Das fällt unter Vandalismus, das Strafmaß reicht laut Vedomosti von einer Geldstrafe bis hin zu drei Jahren Haft. Aktuell sind die drei nach ihrer Festnahme vorläufig wieder auf freiem Fuß.

⚽ Das hier hat die eine oder der andere von euch vielleicht schon gesehen, ein paar deutsche Websites hatten das Video ja auch. Aber es ist so cool und mit seinen simplen physikalischen Gesetzen so Sendung-mit-der-Maus-würdig, dass es auch hier noch mal mit rein darf. Frage: Was passiert, wenn man einen fußballrunden Wasserkanister entwirft? Antwort: das hier.

Wasser, das ein Feuer entfacht. Vielleicht sollten wir uns bei WM-Gimmicks doch auf die fußballrunde Fleischwurst beschränken.

⚽ Wer die Fußball-WM im Fernsehen verfolgen will, kann sich schon mal auf ziemlich viel Bandenwerbung chinesischer Sponsoren einstellen. Klingt jetzt erst mal unspektakulär, wenn da plötzlich „Wanda“, „Mengniu“ oder „Yadea“ steht, aber dahinter steckt eine spannende Geschichte. Über einen Weltfußballverband, der so korrupt ist, dass viele westliche Marken nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden wollen. Über Chinas Hoffnung, eine Fußball-Supermacht zu werden und dann bitte auch gerne direkt Weltmeister. Und über die Kalkulation chinesischer Firmen, sich auf dem Weltmarkt zu etablieren: China Won’t Play in This World Cup. It Still Hopes to Profit.

⚽ Steve Rosenberg ist BBC-Korrespondent in Moskau, der ein oder andere kennt ihn vielleicht, weil er rund um den Eurovision Song Contest bei Social Media immer ziemlich aufdreht. 2016 hat er mal ganz groß aufgedreht und bei einem Facebook-Live auf Zuruf alle Eurovision-Titel am Klavier gespielt, die die Zuschauer sich gewünscht haben. „Peter wünscht sich den Siegertitel von Dänemark aus dem Jahr 1964. Peter, du meinst sicherlich 1963.“ Sprachs und spielt los. Ganz großes Tennis.

Zur WM hat Rosenberg nun einen kleinen Clip bei Twitter veröffentlicht, in dem er typisch russisches Essen empfiehlt. Das ist nicht nur super, weil er die langweiligen Klassiker von Borscht bis Kaviar ignoriert, sondern weil wir offenbar beide große Fans von Syrok sind, einem zuckersüßen Quarkriegel. Die Liebe zu Buchweizen hingegen – Steve, Steve, Steve. Ich weiß ja nicht.

⚽ Seit Wochen warte ich darauf, dass das Calvert Journal endlich mal mit seinem WM-Guide in die Pötte kommt. Weil das eben eine Redaktion ist, die anders auf Russland und die Region blickt: Mit einem speziellen Fokus auf Kultur, Architektur, Zeitgeschichte und Alternatives. Nun ist das Ding online, am besten stöbert ihr mal selbst darin rum.

Was mir beim ersten Durchgucken aufgefallen ist: Ein Stadtrundgang durch die Moskauer Fußballgeschichte (der allerdings deutlich leichter zu lesen wäre, wenn man anstelle der ganzen ausformulierten Wegbeschreibungen einfach eine Karte integriert hätte), und ein Rückblick in die Geschichte des Stadions von Jekaterinburg, einschließlich Baueinsätzen deutscher Zwangsarbeiter. Für einige WM-Städte sind die Texte schon online, die restlichen folgen im Laufe der Woche nach und nach.

⚽⚽⚽

Zum Schluss noch was in eigener Sache: Im März habe ich angefangen, für n-tv.de einen täglichen WM-Countdown zu bloggen. Nun sind nur noch wenige Tage über, aber es gibt immer noch viele Fragen rund um den Alltag hier in Russland und die WM. Wenn ihr also Lust habt: Morgen, am Donnerstag, übernehme ich ab 15 Uhr den Twitter-Account der Sportredaktion.

Wenn ihr wissen wollt, ob man für Russland einen Adapter braucht, warum in der Bahn Aufkleber mit Hasen an der Wand kleben oder ob ihr es riskieren könnt, für russische Freunde trotz Sanktionen ein bisschen Parmesan ins Land zu bringen – dann twittert das doch. Der Hashtag heißt #WMFragen und ich werde morgen versuchen, so viele wie möglich davon zu beantworten. Bis dann!



 

So viel Hass auf den Bart von Karl Marx

Der Bart von Karl Marx im Jahr 1867 (Wikicommons)
Der Bart von Karl Marx im Jahr 1867 (Wikicommons)

Lange nicht mehr übers Lesen gebloggt, aber heute muss es dringend mal sein. Vor ein paar Wochen waren wir mit Freunden in St. Petersburg, bei einem Stadtrundgang standen wir igendwann vor einem Haus, und unser Tourguide erzählte, dass dort lange Maxim Gorki gewohnt hat und auch mal Besuch von H.G. Wells hatte. Ja, genau, der mit „Krieg der Welten“, was dann als Hörspiel mit Orson Welles 1938 reihenweise amerikanische Radiohörer in Panik versetzte.

Ein paar Wochen später, und ich habe die Reportagensammlung vor mir liegen, die H.G. Wells über seine Russlandreise im Jahr 1920 geschrieben hat. Sein Besuch, bei dem er tatsächlich bei Gorki wohnte, fiel in eine Zeit, in der in Russland Chaos herrschte: Zwei Jahre nach der Ermordung der Zarenfamilie, die Bolschewiken an der Macht, mit der sie laut Wells‘ Bericht oft kaum wussten, was sie anfangen sollten.

Hier zum Beispiel beschreibt er, wie die Kommunisten, die ja nun so gut wie allen Privatbesitz verboten haben, mit dem umgehen, was vor der Revolution einmal Privatbesitz war: Sie sammeln alles, was irgendwie wertvoll sein könnte, an einem Ort. Wozu? Unklar.

„Der Palast, in dem einst die britische Botschaft untergebracht war, ist nun wie ein vollgestopfter Kunstladen in der Brompton Road. Wir gingen durch Zimmer um Zimmer, in dem sich das schöne Gerümpel des früheren russischen Gesellschaftssystems stapelte. Es gibt dort große Räume, vollgestopft mit Skulpturen; niemals habe ich so viele marmorne Venusse und Nymphen an einem Ort gesehen, nicht einmal im Museum von Neapel. Es gibt Stapel von Bildern jeder Art, Duchgänge, in denen sich Schränkchen mit Intarsienarbeit bis zur Decke türmen, ein Zimmer voller Kisten mit alter Spitze, stapelweise grandiose Möbel. Diese Anhäufung ist gezählt und katalogisiert worden. Und da ist sie nun. Ich konnte nicht herausfinden, dass irgendjemand eine Idee gehabt hätte, was letztlich mit all diesem herrlichen, eleganten Müll geschehen sollte. Das Zeug scheint auf keine Art und Weise in diese neue Welt zu passen, die die russischen Kommunisten organisieren. Sie hatten nie damit gerechnet, dass sie sich einmal um solche Dinge würden kümmern müssen.“

Maxim Gorki in dem von Wells beschriebenen Depot in der früheren britischen Botschaft
Maxim Gorki in dem von Wells beschriebenen Depot in der früheren britischen Botschaft

Den Bolschewisten steht Wells durchaus wohlwollend gegenüber. Vieles, was in Russland derzeit im Argen liege, habe seine Wurzeln in der Zarenzeit, argumentiert er. Mit Karl Marx kann er dagegen gar nichts anfangen, und wie er auf ihm und seinem Bart rumhasst, ist meine bisherige Lieblinsgpassage in dem Buch – schon beim Übersetzen musste ich so lachen, dass ich kleine Pausen einlegen musste:

„Ehe ich zu dieser letzten Reise nach Russland aufbrach, empfand ich keine aktive Feindseligkeit gegenüber Marx. Ich mied seine Werke, und wenn ich Marxisten begegnete, wurde ich sie wieder los, indem ich sie bat, mir zu erklären, welche Menschen genau zum Proletariat gehören. Kein Marxist weiß das. (…) Ich muss gestehen, dass in Russland aus meiner passiven Ablehnung von Marx eine sehr aktive Feindseligkeit wurde. Wo immer wir auch hinkamen, trafen wir auf Büsten, Statuen und Bilder von Marx. Zwei Drittel von Marx‘ Gesicht besteht aus Bart, einem riesigen, ernsten, wolligen, ereignislosen Bart, der jegliche normale Bewegung unmöglich gemacht haben muss. Es ist nicht die Art von Bart, die einem Mann einfach so passiert, es ist ein Bart, der kultiviert, gehegt und patriarchisch der Welt entgegengestreckt wird. Er ist in seiner hirnverbrannten Fülle genau wie „Das Kapital“, und der menschliche Teil des Gesichts blickt eulenhaft darüber, als wolle es sehen, wie der Wuchs die Menschheit beeindruckt. Ich fand die allgegenwärtigen Bildnisse dieses Bartes zunehmend nervtötend. In mir wuchs ein nagendes Bedürfnis, Karl Marx rasiert zu sehen. Irgendwann, wenn ich diesen Tag noch erlebe, werde ich Schere und Rasierer erheben gegen „Das Kapital“, ich werde „Die Rasur des Karl Marx“ schreiben.“

(Aus: H.G. Wells, Russia in the Shadows, Hodder and Stoughton, London, 1921. Mehr Fotos aus dem Buch gibt es hier.)

Russball, Folge 50: Lass die Finger von der Vuvuzela

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

***Update: Beim Schreiben dieser Folge bin ich mit den Moskauer Vereinen durcheinandergekommen. Natürlich geht es in dem Text von Witali Leonow um ZSKA Moskau, nicht um Spartak. Sorry an Witali und alle Leser! Ich hab’s korrigiert und weise in der nächsten Folge auch noch mal darauf hin.***

Das geht jetzt auf der Zielgeraden Richtung Weltmeisterschaft doch ziemlich schnell: Ich hab mal wieder mit Max vom Rasenfunk über Fußball und WM-Vorbereitungen hier in Russland gesprochen, und uns beiden fiel auf: Das ist vermutlich unser letztes Gespräch vor Turnierbeginn! Also haben wir schnell noch ein bisschen übers Warmduschen, Bierbannmeilen und gute Journalisten in Russland, denen man bei Twitter folgen sollte, gesprochen. Hier könnt ihr das Gespräch anhören.

Dass die WM näher rückt, heißt auch: Der Countdown, den ich für n-tv.de schreibe, neigt sich dem Ende zu. Ich glaube, der wird mir ziemlich fehlen – immer, wenn ich denke: Okay, das Thema ist jetzt definitiv zu abwegig, die Herangehensweise zu bekloppt, kommt als Antwort: Super, bitte genau so lassen, ist gekauft! Selbst, wenn man sich anmaßt, russische Kunstwerke so umzudeuten, dass sie plötzlich alle mit Fußball zu tun haben. Ein großer Spaß!

⚽⚽⚽

⚽  So viele Zahlen, die sich seit der letzten Russball-Folge angesammelt haben und nun drüben bei Pocket rumquengeln, dass sie hier verbloggt werden wollen. Okay, dann machen wir das direkt als erstes: Während der WM wird es in Moskau 72 geführte Touren in der Metro geben, gleichzeitig werden dort gut 800 englischsprachige Mitarbeiter eingesetzt – das sind über den Daumen vier pro Station. In Jekaterinburg haben mehrere Restaurants gemeinsam eine Tonne Jalapenos gekauft, um WM-Gäste aus Lateinamerika angemessen bekochen zu können.

Drei Milliarden Fernsehzuschauer werden sich voraussichtlich die Fußball-Weltmeisterschaft ansehen, 196 Sender in 212 Ländern zeigen die Spiele. Zehn Prozent Rabatt bekommen alle, die eine Fan-ID haben, für Kaffee, Kuchen und andere Snacks in einigen Moskauer Parks – Gorki, Museon und Sarjadje, alle liegen in der Nähe des Luschniki-Stadions. Neun Millionen Rubel Bußgelder (124.000 Euro) sind insgesamt gegen Hotels verhängt worden, die ihre Zimmerpreise für den Zeitraum der WM extrem erhöht haben. Ein Stück Landeskunde zum Abschluss: Jeden Tag essen die Moskauer rund 200 Tonnen Eiscreme. Ein gutes Indiz, dass sich das Probieren auch für Gäste in der Stadt lohnt.

⚽  Ach so, noch ein Zahl: 51 Rubel, das sind so um die 70 Cent, habe ich für eine neue ÖPNV-Karte in Moskau bezahlt. Sie funktioniert in der Metro, im Bus, in der Straßenbahn, vor allem aber sieht sie so aus, dass man sie nach dem Aufladen und Leerfahren gut als Andenken aufbewahren kann. Und wir merken uns auch: Nicht alles, was hier so zur WM auf den Markt gebracht wird, muss zwingend das von der FIFA vorgegebene Corporate Design haben.

kscheib russball troika⚽  Die meisten Fußball-Texte, die derzeit in Russland veröffentlicht werden, haben mit der Weltmeisterschaft zu tun – welcher Trainer beruft wen in seinen Kader, was gibt es an Begleitprogramm, auf welche Straßensperrungen müssen sich die Anwohner einstellen. Da hat es mich gefreut, immerhin einen interessanten Text zum russischen Ligafußball zu lesen: Witali Leonow analysiert, was ZSKA Moskau tun kann, um trotz leerer Kassen auch in der nächsten Liga-Saison oben mitzuspielen.Dazu erläutert er zunächst, warum ZSKA im Vergleich zur Konkurrenz sehr viel größere Geldsorgen hat: kein großes Staatsunternehmen als Sponsor, auch kein Mensch, der weit oben auf der Forbes-Liste steht. Dazu ein neues Stadion, das noch nicht abbezahlt ist, und die Lage der russischen Wirtschaft an sich. Leonows Fazit: „Wenn nicht ein Wunder geschieht und Geld vom Himmel fällt, muss sich der Club auf den Nachwuchs, ausgeliehene Spieler und free agents verlassen, um seine Mannschaft zu verstärken.“

⚽  Hier kommt dann aber auch schon wieder die Brücke vom Liga- zum WM-Fußball: eine Liste ausländischer Spieler, die bei russischen Vereinen unter Vertrag sind und bei der WM für ihr Heimatland antreten. Mit anderen Worten: Die, die sich im Gastgeberland gut auskennen und – wären da nicht diese ganzen Trainingslager – eine kürzere WM-Anreise hätten als ihre Teamkameraden. Der Pole Maciej Rybus zum Beispiel (Lokomotive Moskau), Schwedens Andreas Granqvist (FK Krasnodar) oder Milad Mohammadi aus dem Iran (Achmat Grosny).

Eine spezielle Situation findet sich beim FK Rostov. Der Club, dessen Heimatstadt ja zu den WM-Austragungsorten gehört, hat in seinen Reihen ein ganzes Nest an isländischen Nationalspielern – Ragnar Sigurðsson, Sverrir Ingi Ingason und Björn Bergmann Sigurðarson. Insgesamt kommt die Nachrichtenagentur TASS auf 15 Legionäre in der russischen Liga, die bei der Weltmeisterschaft dabei sein dürfen.

⚽  Neues Wort gelernt: Footbonaut. Das ist so eine Art Käfig, in der Mitte steht ein Fußballspieler und bekommt nun aus allen möglichen Richtungen Bälle zugespielt und muss sie weiterpassen. Begegnet ist mir der Begriff bei Twitter, offenbar hat der FK Krasnodar – immerhin Russlands Tabellenvierter der gerade abgeschlossenen Saison – jetzt so ein Ding bei sich stehen.

Wie so ein Ding in Aktion aussieht, kann man sich in diesem Video von Borussia Dortmund ansehen. Und der DFB hat dann noch eine Anregung, wie man sich selbst eine Billigvariante baut, mit Menschen- statt Maschinenkraft.

⚽ Vor ein paar Wochen habe ich mich recht laut aufgeregt über den dumm-gefährlichen WM-Slogan der deutschen Nationalmannschaft. Auch andere Leute haben „Best never rest“ kritisiert, sei es nun wegen der Sportwissenschaft oder aus ganz grundsätzlichen Gesundheitsgründen.

Womit wir beim Thema sind: Russlands Nationalmannschaft hat mit einem WM-Sponsor zusammen ein neues Motto für auf den Mannschaftsbus gesucht und gefunden: „Spiel mit offenem Herzen“. Das klingt, jedenfalls unter den Gesundheitsaspekt, noch sehr viel riskanter als der deutsche Spruch. Und es wirft die Frage auf, warum man sich nicht für eine der vielen Alternativen entschieden hat, die russische Fans fleißig bei Twitter gesammelt haben. Die waren wohl zu böse.⚽ „Russlands seltsamster Trainer“ titelt Bombardir und meint damit Wadim Skriptschenko. Der Mann ist Weißrusse, seit 2013 trainiert er russische Vereine, wobei er sich bisher bei keinem besonders lange gehalten hat: Ob Kuban, Ural oder Anschi, seine Trainerbiografie liest sich wie eine Sammlung von Pechsträhnen, garniert mit einem Abgang im Streit hier und Gerüchten über ein absichtlich verlorenes Spiel dort. Beißendes Fazit des Artikels: „Wenn Sie wollen, dass bei Ihren Mannschaft in den ersten fünf bis sieben Spielen alles schief geht, dann ist Skriptschenko eine gute Wahl.“

⚽ Die Ankündigung dazu hatte ich vor ein paar Wochen gelesen, konnte mir aber nicht so recht vorstellen, dass sie ernst gemeint war. Nun stellt sich raus: Dochdoch, alles echt – im Sokolniki-Park in Moskau steht zur WM eine riesige Vuvuzela. Der Stoff, aus dem Hörschäden und lange, laute Alpträume sind. Das Ding ist neun Meter lang und soll, wenn Russland spielt, die Radioübertragung des Matches in die Welt rauströten. Kannste dir nicht ausdenken.

⚽ Was erhofft sich Tschetschenien davon, dass Grosny diesen Sommer WM-Standort der ägyptischen Nationalmannschaft ist? Amie Ferris-Rotman dröselt das in der Washington Post sehr anschaulich auf: Herrscher Ramsan Kadyrow wolle seine Position in der islamischen Welt festigen, schließt sie, gleichzeitig habe er in den letzten Jahren seine Rolle als Anführer und Fürsprecher der russischen Muslime gefestigt. Den ganzen Text gibt es hier.⚽ Neulich hab ich drüben bei n-v.de noch empfohlen, meiner früheren Moscow-Times-Kollegin Gabrielle Tétrault-Faber bei Twitter zu folgen, jetzt haut sie diesen Scoop hier raus: Eine ganze Reihe von Fußballfans, die auf Russlands schwarzer Liste stehen, haben es dennoch immer wieder in russische Stadien geschafft. Einen von ihnen hat Reuters im Video-Interview, er hat, obwohl er offiziell gesperrt ist, sogar eine Fan-ID für die Weltmeisterschaft bekommen.

Das ist nicht nur in sich ein großes, wichtiges Thema, erst recht so kurz vor der WM. Die Tatsache, dass Pawel Tscherkas‘ Fan-ID erst eingezogen wurde, nachdem Reuters beim russischen Außenministerium nachgehört hatte, zeigt, was für einige Rolle diese Nachrichtenagentur mit ihrem investigativen, hartnäckigen Journalismus hier in Russland inzwischen spielt: Bei den Wahlen ist es hier zum Beispiel inzwischen üblich, dass Reuters-Leute als Quasi-Wahlbeobachter unterwegs sind, jedes Mal decken sie dabei Betrugsversuche auf. Ob Fan-ID oder Stimmzettel: Wo Russlands Behörden versagen, füllt Journalismus die Lücke. Respekt, Kollegen!

⚽⚽⚽

Zum Schluss noch ein GIF. Scott Rose hat es gemacht, dem könnt ihr eh mal folgen – der Mann ist für Bloomberg in Moskau, kennt Russland intensiv, entsprechend interessant sind seine Tweets. Der hier allerdings ist einfach nur herrlich absurd. Es zeigt den Tag, an den sich ein Reporter des Fernsehsenders Rossija 1 möglicherweise fragte, ob der Zeitpunkt für einen Berufswechsel gekommen ist. Oder es ist eine Metapher dafür, wie sich das Journalistenleben diesen Sommer in Russland anfühlen wird.

Die nächste Russball-Folge gibt es am 6. Juni- acht Tage vor dem Eröffnungsspiel. Bis dahin, macht’s gut!



Was für ein Moskau erwartet die WM-Besucher diesen Sommer?

kscheib moskau künstliche Kirschbäume leute

Kann eine Stadt zu sauber sein? Seit ein paar Tagen denke ich herum auf einem Kommentar, den Ilja Klischin, Digitaldirektor des Fernsehsenders RTVi, für die Zeitung Wedomosti geschrieben hat. Er kritisiert, vor der Weltmeisterschaft werde Moskau so sehr gesäubert und auf Hochglanz poliert, dass in der Stadt inzwischen „leblose Sterilität“ herrsche: „Kein Müll liegt herum, die Sockel der Gebäude sind nicht beschmiert, keine zerbrochenen Fenster, keine oder kaum Obdachlose. (…) Auf den ersten Blick wäre es töricht, darin etwas Schlechtes zu sehen. Sauberkeit ist besser als Schmutz, aber es gibt eine Sauberkeit, die ungesund und sogar schmerzhaft ist, wie in einem Krankenhausflur.“

Tatsächlich beschäftigt mich dieses Gefühl, dass hier in Moskau ein bisschen arg viel Wert auf Oberfläche gelegt wird, auch immer mal wieder. Wenn man sich zum Beispiel fragt, warum man im Stadtzentrum (also da, wo die Geld bringenden Touristen sich aufhalten) so gut wie keine Spuren von Armut sieht, keine Bettler oder Obdachlose. Oder wenn mit dem Ende des Winters in der ganzen Innenstadt Plastik-Kirschbäume mit rosa Blüten aufgestellt werden – kein Duft, keine Natur, keine lang herbeigesehnten Frühlingsboten. Nur für teures Geld gekaufte Fakes, weil’s gut aussieht bei Instagram. Ein autoritär regiertes Land, in dem gleichzeitig Arbeitskraft billig ist – kein Wunder, dass Putzen und Dekorieren da so verbreitet sind. Sekundärtugenden.

Ich frage mich dann manchmal, was Leute, die zur WM zum ersten Mal nach Russland kommen, von hier wohl für Eindrücke mitnehmen. Versteht mich nicht falsch: Ich bin froh über jede und jeden, der überhaupt hierher kommt, das tun viel zu wenige. Sich selbst ein Bild zu machen ist immer erst mal eine gute Idee. Das Problem ist nur, dass dieses Bild halt auch täuschen kann – wenn es in einem Aspekt dem Bekannten gleicht und man daraufhin auf alle anderen Aspekte verallgemeinert.

Konkret: Wie oft habe ich mich mit Leuten unterhalten, die gerade frisch in Moskau gelandet waren und überrascht, wie modern, wohlhabend, lebendig diese Stadt ist. Kein Sowjetgrau, keine verhärmten Gesichter – na sowas. Und dann folgt oft der Schluss: Na, wenn die hier Porsche-Autohäuser, ausreichend Obst im Supermarkt und Straßen mit Radwegen haben, dann wird ja der Rest hier sicher auch so sein, wie ich es aus meiner westlichen, demokratisch regierten Heimat kenne. Schließlich sehen die Menschen hier auf der Straße ja auch überhaupt nicht so aus, wie man aussehen müsste, wenn man in einem Land lebt, das seine Bürger nur so lange in Ruhe lässt, wie sie nicht gegen die Politik der Regierung protestieren.

Das sind so Trugschlüsse, die ich ein paar Mal zu oft gehört habe in den vergangenen Jahren. Und es hilft sicher auch nicht, wenn der, der da anreist, kein Fußballfan oder regulärer Tourist ist. Sondern ein Journalist, der zu einem G20-Gipfel, einem Sportturnier oder einem Staatsbesuch kommt. Natürlich wohnt man dann in einem schicken Hotel, natürlich ist jedes Essen und jede Taxifahrt tiptop organisiert und natürlich wird man selber keine Probleme bekommen, wenn man seine Meinung zur Annektion der Krim oder zur Korruption in der Politik äußert.

Zurück zu Ilja Klischin und seinem Kommentar über Moskaus Hochglanzoberfläche. Er schlägt den Bogen von der von oben verordneten Sauberkeit zu anderen Dingen, die ebenfalls von oben verfügt werden: „Wir sind hier nicht in Singapur, aber noch weniger sind wir in der Schweiz im Sinne autoritärer oder demokratischer Reinheit.“ Stattdessen spiegle die Säuberung im öffentlichen Raum die zunehmende Reglementierung des öffentlichen Lebens wieder: „Man darf nicht einfach ein Unternehmen gründen, man darf nicht einfach zu einer Demo gehen, man darf nicht einfach etwas retweeten, man darf keinen Schritt machen ohne vorherige Rücksprache.“

Was für ein Moskau werden die Menschen, die zur Fußball-WM anreisen, also erleben? Mein Blick auf die Stadt ist nicht so düster wie der von Klischin, aber ich kann nachvollziehen, wie er zu seinem Fazit kommt: „Leer und sauber. Kein Ausdruck des Lebens ist authentisch und nicht bloßes Imitat, keinem liegt ein unabhängiger Gedanke (…) zugrunde. In diesem sterilen Paradies der Reinheit muss alles angemeldet und genehmigt sein, und alles atmet eine tödliche Kälte. Das ist das Moskau, das Ausländer diesen Sommer während der Fußball-WM sehen werden.“

Putin der Woche (LI)

Putin der Woche

Gesehen: Bei Avito.ru, einer russischen Mischung aus Dawanda und Ebay-Kleinanzeigen.

Begleitung: ein kryptischer Schriftzug

Text: Der Verkäufer preist sein Werk so an: „Eine Platte mit Wladimir Wladimirowitsch Putin, gewidmet der Fußball-Weltmeisterschaft 2018. Handgemacht, aus natürlichen Materialien, mit Rahmen und Passepartout. Auf dem Foto ist das Gesicht verwischt, in echt sieht es besser aus. Ein perfektes Geschenk für Fußballfans. Bringt Glück!“

Viel Bemerkenswerter ist aber der Text auf dem Bild selber: Da hat jemand sehr lange überlegt, wie er diesen Schriftzug platziert. Und sich dann doch für die Variante entschieden, bei der man kaum erkennt, was das da links heißen soll. Aissur? Aissur? Hm…

Subtext: Alles wird besser, wenn man einen Putin draufmacht. Auch, wenn er nicht als Putin zu erkennen ist. Auch, wenn bisher niemand wusste, dass die Fußball-WM dieses Jahr in Aissur stattfindet.

Oben-Ohne-Punkte: 0/10.

Russball, Folge 49: Diese Restaurants sollte man bei der WM nicht besuchen

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Neue Woche, neuer Russball, und wir beginnen mit einer Frage: Sind Star-Trek-Fans anwesend? Wenn ja, erinnert sich jemand an die Folge, in der eine Art Parasitenwesen nach und nach Crewmitglieder der Enterprise befällt? Man merkt das daran, dass ihnen ein kleiner Stöpsel hinten aus dem Hals rausguckt – und daran, dass sie mit Hingabe lebende Würmer oder Maden essen, wie Commander Riker hier:

An diese Szene muste ich denken, als ich auf dem offiziellen FIFA-Vorfreude-Twitteraccount für die Fußball-WM las, dass für Fußballfans in Kasan ein 1300 Kilo schwerer Tschaktschak gebacken werden soll. Das ist eine tatarische Süßigkeit aus frittierten Teigröllchen, die mit Honig zu einem Klotz zusammengeklebt werden. Wenn man Glück hat, entsteht so eine süße Knabberei, wenn man Pech hat, eine Art klebriger Dämmstoff. Das wirkliche Problem aber ist, dass Tschaktschak eben aussieht wie das, was sich bei Riker in der Essensschale windet. Also: Wer während der WM nach Kasan kommt und dort den Megatschaktschak probieren will, sollte vielleicht in den Tagen davor keine alten Star-Trek-Folgen gucken.

⚽⚽⚽

⚽ Viele russische Fußballspielerinnen hoffen, dass die Weltmeisterschaft dem Frauenfußball in ihrem Land einen Schub geben wird. Das hat Dmitry Zaks erfahren, als er sich beim Training der Frauenmannschaft des SchK Tschertanowo Moskwa umgehört hat. Frauenfußball hat es in Russland schwer, Vorurteile, dass Fußball nichts für Frauen sei, halten sich beharrlich.

Interessant fand ich vor allem die Frage, warum sich in der eigentlich doch so betont egalitären Sowjetunion der Frauenfußball nicht durchgesetzt hat, ganz im Gegensatz zum männlichen Gegenstück. Eine These aus Zaks‘ Artikel ist, dass Fußball zu Sowjetzeiten sehr oft mit Patriotismus und Militär in Verbindung gebracht wurde – da passten Frauen nicht ins Bild. Andererseits frage ich mich dann: Es gab doch nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus auch gefeierte Soldatinnen, vor allem Scharfschützinnen. Wie passt das dann ins Bild? So oder so: lesenswerter Text.

⚽ Souvenirs rund um die Weltmeisterschaft rausbringen kann jeder, aber WM-Banknoten, das kann hier in Russland dann doch nur eine: die Zentralbank. 20 Millionen Stück werden in Umlauf gebracht, zu einem Wert von je 100 Rubel, also etwa 1,40 Euro. Anders gesagt: Der Wert ist so niedrig, dass es sich jeder leisten kann, den Schein als Souvenir aufzubewahren, statt ihn wieder auszugeben.

Processed with MOLDIV

Auf der Vorderseite des Geldscheins sieht man einen kleinen Jungen mit Ball unterm Arm, der bewundernd der sowjetischen Torwart-Legende Lew Jaschin zusieht. Auf der Rückseite bildet die Silhouette einer Gruppe jubelnder Fans die russische Fahne, außerdem sieht man die Namen der Gastgeberstädte. Ansonsten kann man auf der Seite der Zentralbank in verdammt großer Detailtiefe nachlesen, was diese Gedenkbanknote alles an Sicherheitsmerkmalen hat. Oder ihr schaut einfach mal hier: Unter Infrarotlicht verschwindet Jaschin und man sieht nur noch den Nachwuchsfußballer, unter UV-Licht werden plötzlich in Knallfarben Schriftzug und Logo des Turniers sichtbar. So viel Spaß für wenig Geld! Und noch ein Souvenir, das nicht jeder herausgeben kann, aber jeder sich leisten: In der Moskauer Metro soll es Fahrkarten im WM-Design geben.

Processed with MOLDIV

⚽ Die Allgemeine Hotel- und Gastronomiezeitung (Wie, ihr lest die nicht regelmäßig? Na, dann ist ja gut, dass ich für euch sichte 😀) hat Tipps gesammelt, wie Kneipen und Restaurants während der WM möglichst viel Geld verdienen können. Manches leuchtet sofort ein (gerade Beträge bei den Preisen, damit man bei großem Andrang keine Zeit mit Wechselgeld verschwendet), anderes ist eher dröge, weil halt für Fachpublikum gedacht („mobiles Funkbonieren“, soso).

Für die brachiale Variante haben sich offenbar einige Wirte in Russland entschieden. Eine Agentur hat dort gefälschte Bewertungen bei Tripadvisor angeboten, in allerlei Sprachen und natürlich immer nur positiv. 480 Euro sollte das die Restaurants kosten, Verkaufsargument aus der Agenturbroschüre: “Was tun, wenn noch nie ein Serbe oder ein Schwede bei Ihnen war und eine Bewertung hinterlassen hat? Sie schreiben sie selbst!“ Na, das hat ja super geklappt: Reuters hat die Geschichte recherchiert und ist dabei auf einige Restaurants gestoßen, die diesen Service offenbar genutzt haben. Die Pizzeria „Peperonchino“ in Kaliningrad zum Beispiel soll plötzlich auf einen Schlag 45 neue Bewertungen bekommen haben, zuvor war es eine pro Woche.

kscheib russball restaurants peperonchino

Das Management versichert, die Bewertungen seien auf legalem Weg zustande gekommen – man habe eine App mit Prämien für Kunden, das zahle sich aus. Tripadvisor scheint das anders zu sehen: Aktuell findet, wer den Eintrag zu Peperonchino aufruft, nur noch eine Handvoll Bewertungen, da wurde wohl großflächig ausgemistet. Einfache Faustregel also für WM-Reisende: Besser nicht in Restaurants gehen, die in den Monaten vor der WM ungewöhnlich viele Bewertungen bekommen haben. Oder man guckt einfach nur auf das Feedback aus dem Jahr 2017 und entscheidet danach.

⚽ Was verdient Russlands Fußball-Liga an den Fernsehübertragungsrechten für ihre Spiele? Die Summe ist im europäischen Vergleich nicht allzu groß, hat Sports.ru ausgerechnet, „selbst Dänemark und Griechenland bekommen mehr als Russland“. Aufhänger für die Geschichte sind die laufenden Verhandlungen zwischen der Premjer-Liga und dem russischen Fernsehsender Match TV über die Rechte für die kommende Saison. Die Grafik zum Artikel sieht Russlands Liga gerade mal auf Platz zwölf, die Bundesliga dagegen landet auf Platz vier und muss damit nur England, Italien und Spanien den Vortritt lassen.

⚽ Noch ein Ranking, diesmal ein offizielles: Dass Russland auf der FIFA-Liste nicht allzu gut dasteht, war hier ja schon öfter Thema – aktuell muss man runterscrollen bis Platz 66, um Russland zu finden. So ganz fair sind die Regeln nicht – als WM-Gastgeberland muss Russland sich zum Beispiel nicht für das Turnier qualifizieren, verpasst damit also eine ganze Reihe von potentiell Punkte bringenden Länderspielen. Nochmals Sports.ru: „unser Team stünde statt auf Platz 66 dann auf 32, zwischen Irland und Rumänien.“ Lösungsvorschläge hier.

⚽ Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, jaja, blabla. Aber noch schöner ist es doch, wenn sich jemand die Mühe macht und zu einem Bild eine möglicht kreative Unterzeile erfindet. So wie Fußballkommentator Wassili Utkin, der zu diesem Bild hier textete: „Stanislaw Tschertschessow erklärt Witali Mutko, wie Brustschwimmen funktioniert.“ Sehr hübsch!

⚽ Spiegel Online hat einen guten Zusammenschrieb dazu, wie deutsche Firmen an der WM beteiligt sind. Als Zulieferer von Rollrasen zum Beispiel, rangekarrt im Kühllaster. Oder, anderer Temperaturbereich: mit Rasenheizungen. Gerade der Absatz, in dem es um die Bürokratie geht, die in Russland ja schon um einiges anders funktioniert als in Deutschland, kam mir sehr bekannt vor.

⚽ Dann macht die Moscow Times gerade eine Serie, in der sie allerlei Alltagsfragen für WM-Reisende beantwortet. „Darf ich in Russland auf der Straße rauchen“ zum Beispiel, „Wie funktioniert das mit den öffentlichen Verkehrsmitteln“ oder „Registrierung? Was für eine Registrierung?“. Alle Fragen und Antworten findet man am einfachsten auf dem speziellen WM-Account, @TMTWorldcup.

⚽ Konstantin Krinsky ist da was aufgefallen. Er war in der WM-Gastgeberstadt Wolgograd, um von dort über die Vorbereitungen zu berichten. Und wie das halt so ist, man verbringt viel Zeit am Flughafen mit Warten. Im neuen Terminal, das extra zur WM eröffnet wurde, sah Krinsky dann diese Landkarte hier. Sie soll zeigen, wohin man von Wolgograd aus alles fliegen kann.

Nun muss nicht jeder aus dem Stand wissen, wo Heraklion, Simferopol oder Tscheljabinsk ganz genau liegen. Wer aber solch eine Riesenkarte anfertigen lässt, um sie dann gut sichtbar aufzuhängen, könnte vielleicht jemanden fragen, der sich mit sowas auskennt. Jemanden, der weiß, dass Heraklion nicht in Bulgarien liegt, Simferopol nicht in der Republik Moldau und Tscheljabinsk auch eher nicht in Kasachstan.

Besonders ärgerlich ist die Karte für Sotschi und Samara. Eigentlich waren sie ebenfalls als WM-Austragungsorte vorgesehen. Nun liegt Sotschi in der Türkei, Samara in Kasachstan – das wird dann wohl nichts, schadeschade. Wir merken uns: Ja, man kann vom Flughafen Wolgograd an sehr viele Orte fliegen. Die liegen dann nur nicht unbedingt dort, wo man sie erwartet.

⚽  Wo wir gerade in Sotschi sind: Das kann auch ganz schön lästig sein, wenn man in einer WM-Gastgeberstadt lebt und es allmählich ernst wird mit dem Turnier. Baustellen, Straßensperren, Umleitungen – und jetzt auch noch das: In Sotschi kann man im Moment zwischen 9 Uhr morgens und 18 Uhr abends nicht fernsehen. Da wird nämlich am örtlichen Fernsehturm gewerkelt; er wird von außen mit LEDs bestückt.

Wenn alles klappt, wird so der Turm durch die vielen kleinen Lämpchen während der Weltmeisterschaft selber zum Bildschirm, weil auf seiner Fassade Spiele gezeigt werden. Muss halt nur noch genehmigt werden, sagt der Verantwortliche. Aber gut, Hauptsache, erst mal den Leuten den Empfang abdrehen und loslegen, ohne zu wissen, wozu es nutzt. Gut, dass es Streamingdienste gibt. Sotschi – aktuelle Hauptstadt von „Netflix and chill“?

⚽⚽⚽

Ein kleiner Rausschmeißer noch, der gut zu der ganzen Kadernominiererei in diesen Tagen passt. Okay, der Artikel ist schon ein bisschen älter – eine irische Satireseite hat ihn vor der WM in Brasilien veröffentlicht. Aber die Zeile, und alles, was sie über Englands Abschneiden bei internationalen Fußballturnieren aussagt, ist einfach zeitlos schön: England Name 23 Men To Blame For World Cup Failure. Bis nächste Woche!



 

Russball, Folge 48: Bau mir ein Stadion, du kriegst auch was zu Essen!

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Übers Wochenende war ich ein mit Freunden in St. Petersburg und habe, klar, zwischen Eremitage und Kneipentour auch die Augen offen gehalten in Sachen WM-Vorbereitungen. Zwei Dinge sind mir aufgefallen: Am Kiosk gibt es, erstens, inzwischen Unmengen an Süßigkeiten, die mit dem Maskottchen Sabiwaka bedruckt sind – Pfefferminztabletten, Weingummis, Tictacs, Kaugummis, Bonbons.

Zweitens sind die Wegweiser auf Russisch und Englisch nicht nur aufgestellt, sondern auch bereits mit Tags verziert, will sagen: Sie fügen sich harmonisch ein in das Stadtbild dieser Metropole, die im Vergleich zu Moskau weniger geleckt, weniger hochglanzig ist und dafür ein bisschen schmuddeliger und ein bisschen unkonventioneller. Ich mag das ja.

Ein Wegweiser zu einer Metrostation

⚽⚽⚽

⚽  So kann’s gehen: Zwischen „Ich fange mal an, an der neuen Russball-Folge zu arbeiten“ und „Heute muss die neue Folge aber endlich fertig werden“ hat sich die komplette Geschichte rund um Hajo Seppelt abgespielt. Russland verweigert ihm das Visum, weil er nach seiner Doping-Berichterstattung auf einer „Persona non grata“-Liste steht. Die ARD protestiert, die Bundesregierung protestiert. Russlands berühmtester Fußballkommentator kritisiert die Entscheidung, man spiele damit Menschen in die Hände, die von Skandalen lebten. Der Vorsitzende des russischen Journalistenverbands sagt, Seppelts Arbeit sei reine Propaganda, aber man solle ihm dennoch ein Visum geben. Sport Express veröffentlich eine lange Kritik an Seppelt und seiner Berichterstattung unter der ziemlich unfassbaren Überschrift: „Man hat die WM von Seppelt erlöst, das ist eine Hygienemaßnahme“.

Inzwischen hat sich rausgestellt, dass Seppelt nun doch ein Visum bekommen wird. Reist er allerdings nach Russland ein, will ihn das Staatliche Ermittlungskomitee zu seinen Doping-Recherchen vernehmen. Ob Seppelt das tut, kann man – Stichwort Informantenschutz – bezweifeln. Wer weiß, vielleicht gibt es zwischen Dienstag Abend, wo ich hier sitze und diese Zeilen tippe, und Mittwoch früh, wenn der Newsletter in eure Inbox plumpst, ja schon die nächste Entwicklung, zum Beispiel: Seppelt sagt Russland-Reise ab.

⚽ Wie eventuell der ein oder andere mitbekommen hat, steht ja seit gestern der vorläufige deutsche WM-Kader fest. Ich hab mir mal die Mühe gemacht und alle Nationalspieler russlandtauglich gemacht, indem ich ihnen einen Vatersnamen verpasst habe. Nur einer fehlt – falls jemand weiß, wie der Vater von Kevin Trapp mit Vornamen heißt, sagt doch bitte Bescheid! Anschließend hatte sich der DFB noch was ausgedacht: Ein Interview mit Russlands Nationaltrainer Tschertschessow, der als Hologramm mit auf der Bühne saß. Doch, wirklich:

Tschertschessow hat gerade erst selbst seine vorläufige WM-Auswahl präsentiert, wobei zu der sehr viel mehr Spieler gehören als zur deutschen. Eindampfen müssen beide bis Anfang Juni, Russlands schönster Schnäuz und der Bundesjogi. Warum es sich Tschertschessow so viel schwerer gemacht hat, und was er in den paar Tagen noch über seine Spieler rausfinden will, was er bisher noch nicht weiß – keine Ahnung. Hier ist jedenfalls seine Liste, außerdem gibt es noch sieben potenzielle Nachrücker.

⚽ Stell dir vor, die WM rückt näher und dein Stadion ist immer noch nicht fertig. In Nischni Nowgorod haben sie im April offenbar versucht, dieses Problem kreativ zu lösen: Einem Reuters-Bericht zufolge verschickte der städtische Sportminister einen Brief, in dem er Menschen zum kostenlosen Arbeitseinsatz auf der Stadionbaustelle aufrief. Immerhin: Drei warme Mahlzeiten am Tag und eine Unterkunft sollte es geben, Werkzeug, heißt es in dem Schreiben, werde gestellt. Na immerhin.

⚽ „Was Bayern zur Feier seines sechsten Meistertitels verkauft“ ist ein Artikel von Sports.ru überschrieben. Es folgen das Bayern-Grillset, Bayern-Weingummi, eine Bayern-Tasse mit dem Kommentar, seltsamerweise gebe es kein Bayern-Bierglas. Alles eher unspektakulär, warum also erwähne ich es hier? Wegen des Kommentars, den ein Leser unter dem Artikel hinterlassen hat, und den die anderen Leser zum besten Kommentar gewählt haben: „Und was verkauft ZSKA nach der Meisterschaft? Seine besten Spieler.“ Sehr hübsch.

⚽ Was kommt bei Zenit nach Roberto Mancini? In Russland wird in diesen Tagen viel über eine Liste spekuliert, die die Vereinsbosse angeblich zusammengestellt haben. Auslöser dafür war ein Tweet von Georgi Tscherdanzew, einem bekannten Fußballkommentator. Der Mann hat fast 500.000 Follower bei Twitter – kein Wunder also, dass ein Tweet wie dieser hier schnell die Runde macht:

„Hundertprozentiges Insiderwissen von @zenit_spb: Es gibt schon eine Liste mit fünf Trainern, die auf Mancini folgen könnten. Fortsetzung folgt 😉“. Auch in der Redaktion von Championat.com haben sie den Tweet gesehen und brav ihr Handwwerk gemacht, indem sie beim Verein nachgefragt haben, ob das denn auch alles so stimmt. Antwort von Pressesprecher Anton Makarenko: „Ja.“ Wer sind also die fünf Kandidaten? Championat nennt Sergei Semak, Siniša Mihajlović, Miodrag Boschowitsch, Maurizio Sarri und Dick Advocaat, aber kaum ist die Geschichte veröffentlicht, haut Kommentator Tscherdanzew seinen nächsten Tweet raus:

„Hundertprozentiges Insiderwissen von @zenit_spb: Auf der Liste mit fünf Trainern, die auf Mancini folgen könnten, stehen russische Spezialisten. Dick Advocaat steht nicht auf der Liste. Fortsetzung folgt 🔥“.

⚽ Eine Meldung aus der Reihe „Offensichtliches“: Kreml-Sprecher Peskow hat bestätigt, dass Wladimir Putin sich das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Russland und Saudi-Arabien ansehen wird, Ria Nowosti ist das eine eigene Meldung wert. Mit angehaltenem Atem warten wir nun auf weitere Peskow-Statements: „In Russland wird während der WM mit Rubeln bezahlt“, „Nawalny wird bei der nächsten Demo verhaftet“ und „Im Winter rechnen wir mit Schnee, vor allem in Sibirien.“

⚽ Ihn hier wollte ich schon öfter mal erwähnen, hatte aber nie einen guten Text zur Hand. Nun hab ich dieses Porträt gefunden: „Jacob Gardiner-Smith: The Englishman who plays for Zenit“. Aufgefallen war er mir nicht nur durch seine Tweets, sondern auch, weil der Nachname „Gardiner“ bei mir sofort allerlei urenglische Assoziationen weckt, von Jane Austen bis Proms.

Im Fall von Jacob Gardiner-Smith sind die passenderen Asoziationen aber dann doch sein Opa John, ein erfolgreicher Fußballer, der 1936 in Berlin für Großbritannien spielte und sein Vater Barry, ein Labour-Abgeordneter. Interessant jedenfalls, wie Jacob mit 17 schon nach Russland gegangen ist, und warum er anderen zu einem ähnlichen Schritt raten würde – auch, wenn das bedeutet, das vertraute, einfache Leben daheim hinter sich zu lassen.

⚽ Fehlt noch der Hinweis auf ein Medium, das ich hier bisher noch nie verlinkt habe. Doch wenn WM im eigenen Land ist, dann heben selbst Frauenzeitschriften plötzlich Fußballer aufs Cover. So geschehen bei der russischen Vogue, deren Heft zum Thema „Fußball und Mode“ ab heute verkauft wird. Auf dem Titel: Nationalspieler Fjodor Smolow, der als leichte Trainingseinheit das Model Natalja Wodjanowa huckepack durchs Bild trägt. Kann man einfach mal auf sich wirken lassen.

Beim Shooting war Smolow übrigens nicht der einzige Fußballprofi: Auch Julian Draxler machte mit, das sieht dann so aus:

Вперёд, Россия!🇷🇺 Встречайте нашу июньскую обложку, приуроченную к Чемпионату мира по футболу, который пройдёт в России в июне: русская супермодель Наталья Водянова вместе с футболистами Фёдором Смоловым, Юлианом Дракслером и Даниэлом Алвес да Силва предстала в объективе звездного дуэта фотографов Луиджи Мурену и Янго Хенци – в продаже с 16 мая!/ As FIFA World Cup in Moscow approaches, meet our June cover starring @natasupernova @smolovfedor_10 @draxlerofficial @danialves. Photo: @luigiandiango Style: @patrickmackieinsta Hair: @luigimurenu Makeup: @mariaduhart

Ein Beitrag geteilt von Vogue Russia (@voguerussia) am

⚽⚽⚽

Zum Schluss noch ein kleiner Nachtrag zur letzten Russball-Folge. Da hatte ich einen Artikel verlinkt, in dem es darum ging, warum Nachwuchsfußballer, die im Dezember geboren sind, es in Russland schwer haben. Schon da war erwähnt, dass es in Deutschland ein ähnliches Problem gibt. Seitdem haben mir mehrere Leute diesen Artikel hier erreicht, der dem Phänomen auf den Grund geht: Dezemberkinder werden selten Fußballstars. Danke für den Hinweis – und bis nächste Woche!



 

Russball, Folge 47: Ein neuer Job für Witali Mutko

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Zwei Dinge sind geschehen zwischen der letzten Russball-Folge und dieser hier. Erst mal war re:publica in Berlin, eine gute Gelegenheit, den Horizont ein bisschen zu erweitern, Freunde und frühere Kollegen zu treffen. Es gab einen kleinen Talk darüber, wie Podcasts den Sportjournalismus verändern, das fand ich ganz interessant – könnt ihr euch hier ansehen oder anhören.

Außerdem ist eine DFB-Delegation nach Russland gereist, um organisatorische, aber auch sehr viel komplexere Themen anzugehen: Fair Play, Menschenrechte, Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Nach dem, was Präsident Reinhard Grindel dazu am Montag hier in Moskau erzählt hat, nehme ich dem DFB ab, dass er sich ernsthaft bemüht, diesen Themen gerecht zu werden. Warum mich die Haltung zu Russland und Menschenrechten trotzdem nicht überzeugt, habe ich hier aufgeschrieben.

⚽⚽⚽

⚽ Was bedeuten diese vier Emojis? 🚂🏅🔥🙏 Ganz klar: Lokomotive Moskau ist russischer Fußballmeister, und der Mann, der diese Symbole aneinanderreihte, ist deshalb begeistert und dankbar: Ilja Gerkus, Präsident des Vereins, postete kurz nach der Entscheidung diesen Jubeltweet: „Wir sind Meister! Das ist fantastisch, kosmisch, unwirklich. Unglaublich! Aber wir haben es geschafft! Zusammen! Vom allerersten Anfang bis zum Moment des Sieges! Danke an alle, die zu uns gehalten und an uns geglaubt haben. Begreifen werden wir das erst später. Lasst uns uns bis dahin einfach freuen! Lokomotive ist Meister!“ (Bereut schon jemand, dass man bei Twitter heutzutage 280 statt 140 Zeichen hat?)

Seinen Jahresvorrat an Ausrufezeichen hat Gerkus damit aufgebraucht – aber wann denn bitte auch sonst, wenn nicht in diesem Moment? Endlich wieder Meister, nach 14 Jahren Durststrecke, und dann auch noch unter Juri Sjomin, der Jahrzehnte seines Lebens investiert hat, um Lokomotive zu dem Verein zu machen, der er heute ist. Der Mann ist, in den Worten von „Sowetski Sport“, der „letzte russische Toptrainer“. Demnächst wird Sjomin 71. Gerade hat er seinen Vertrag bei Lokomotive verlängert.

⚽ Auch eine Liga weiter unten wird gefeiert: In der WM-Stadt Samara ist der örtliche Klub soeben in die Premjer-Liga aufgestiegen, vor vollem Haus. Und ich möchte dazu gerne mehr lesen und mich mitfreuen und euch hier im Newsletter erzählen, wie begeistert die Fans gefeiert haben. Aber je mehr ich bei Twitter rumsuche, desto lauter plärrt mein pubertierendes Unterbewusstsein dazwischen: „Ziemlich unglücklichen Twitternamen hat der Verein, was? @fckssamara, wer denkt sich denn sowas aus?“ Ich kann so nicht arbeiten.

⚽  Ihr erinnert euch an Witali Mutko und seine vielen, vielen Ämter? In der Politik, als Fußballfunktionär, bei der WM-Vorbereitung? Und wie diese Ämter nach und nach immer weniger wurden, je mehr über das systematische Doping zu seiner Zeit als Sportminister berichtet wurde? Seit dieser Woche hat Mutko nun auch kein Regierungsamt mehr, das irgendwie mit Sport zu tun hat. Bisher war er ja noch Vize-Premierminister mit Zuständigkeit für den Sport.

Witali Mutko bei einem Treffen mit Präsident Putin. Als dieses Bild entstand, war Mutko noch Sportminister.  (Foto: Kremlin.ru)
Witali Mutko bei einem Treffen mit Präsident Putin. Als dieses Bild entstand, war Mutko noch Sportminister.
(Foto: Kremlin.ru)

Nun wurde Wladimir Putin ins Präsidentenamt wiedereingeführt, sein Premierminister Medwedjew stellte die Pläne fürs neue Kabinett vor, und siehe da: Mutko bleibt zwar Vize, muss die Zuständigkeit für den Sport aber abgeben und soll sich stattdessen um Bauprojekte und regionale Entwicklung kümmern. Wenn selbst die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtet, dass die Mutko-Personalie für Unruhe unter den anwesenden Abgeordneten geführt hat, merkt man, wie klar auch den russischen Politprofis ist: Hier wird wieder einmal demonstrativ die Regel bestätigt: Putin ist loyal zu seinen Leuten und sorgt dafür, dass sie versorgt sind.

⚽  Manchmal habe ich das Gefühl, die Berichterstattung über Diskriminierung im russischen Fußball läuft immer in denselben Phasen ab. Erst gibt es einen Vorfall – Affenrufe, beiläufig rassistische Kommentare. Jemand meldet es, gerne Journalisten. Unterdessen Empörungswelle in Russland, das ist ja wohl kein Rassismus, muss man ja wohl noch sagen dürfen, und überhaupt, ich hab nichts gehört. Es folgt meist eine Strafe, die dann recht milde ausfällt. Dann warten alle auf die nächste Runde.

Wer einen tieferen Einblick gewinnen möchte, wie es hier im Land mit Rassismus im Fußball aussieht, der sollte lesen, was Bryan Idowu (Oder Brian? Auch das war ein Aha-Moment) dazu zu sagen hat. Er ist Profifußballer, Sohn eines Nigerianers, in Russland geboren und aufgewachsen, und hat vieles selbst erlebt: Beschimpfungen auf der Straße, Racial Profiling in der Metro, Beleidigungen auf dem Platz. Aber er sieht auch Fortschritt. Faszinierender Mann, das Porträt kann man hier nachlesen.

⚽  Mit dem Wort „Diskriminierung“ fasst auch Sport Express einen Sachverhalt zusammen, von dem ich noch nie gehört hatte. Wer es im russischen Profifußball zu etwas bringen will, der sollte am besten im Januar oder Februar geboren werden, lieber nicht im November oder Dezember. Ich dachte erst, das soll eine Glosse werden – eine statistische Anomalie benennen, dann ein bisschen weiterspinnen, ein oder zwei Pointen finden. Aber nein, Autor Gosha Chernov hat seine statistischen Hausaufgaben gemacht, hat möglicher Verzerrungen durch die Geburtenrate rausgerechnet, es bleibt dabei: Schau dir die besten Spieler beim russischen Fußballnachwuchs an, egal in welcher Altersklasse – sie sind zu Beginn des Jahres geboren.

Warum? Die Auflösung hat mit dem System zu tun, wie Nachwuchsförderung in Russland funktioniert: Vielversprechende Talente werden immer jahrgangsweise gesichtet – und da haben die Januarkinder den Dezemberkindern nun mal ein ganzes Jahr an körperlicher Entwicklung voraus. „Stellen Sie sich das mal vor“, schreibt Chernov, „Sie bringen ihren Sechsjährigen zu einer der besten (Sport)schulen des Landes. Die Trainer schauen sich aufmerksam hundert oder mehr Kinder an, aber Ihr Kind wird nicht angenommen mit den Worten: ‚Kommen Sie nächstes Jahr wieder, der Kleine muss noch wachsen.‘… Und das geschieht dann jedes Jahr.“

Wozu das führt, zeigt eine Grafik, für die Chernov alle Spieler der beiden obersten russischen Ligen nach Geburtsmonat sortiert hat: Der Januar schlägt sie alle, um Längen. Offenbar lässt sich das sogar teilweise auf den deutschen Fußballnachwuchs übertragen, von der Schalker U17 zum Beispiel sind nur vier Spieler in der zweiten Jahreshälfte geboren. Ich hab das dann spaßeshalber auch mal schnell bei der deutschen Nationalmannschaft durchgezählt, am Beispiel des Kaders für das Länderspiel am 27. März. Was soll ich sagen: 26 Mann, die Hälfte davon feiert zwischen Januar und April Geburtstag. Ein Phänomen, von dem ich noch nie gehört hatte, und das mich jetzt ziemlich fasziniert.

⚽ Von den riesigen Entfernungen, die russische Ligafußballer zu ihren Auswärtsspielen zurücklegen müssen, war hier ja schon öfter die Rede. Dass das selbst bei einem Derby gelten kann, zeigt aktuell dieser Tweet:

⚽ Dann hat noch Andrei Arschawin das Ende seiner Spielerkarriere angekündigt, was man vielleicht ein enig einordnen muss. Ja, okay, der Mann spielt aktuell irgendwo in Kasachstan. Aber zu seinen besten Zeiten hat er nicht nur mit Zenit St. Petersburg einen Erfolg nach dem anderen eingefahren, er war auch einer der wenigen russischen Spieler in jüngerer Zeit, die den Durchbruch im internationalen Spitzenfußball geschafft haben.

Als Arschawin 2009 zu Arsenal nach London ging, war er der teuerste Spieler im gesamten Team. Was nun kommt, nach dem Ende der aktiven Karriere? Normalerweise würde man ein Statement erwarten wie „Mehr Zeit mit der Familie“, allerdings scheint Arschawins Frau einen ziemlichen Vollschuss zu haben. Da klingt es ganz plausibel, dass er direkt von möglichen anderen Aufgaben im Profifußball spricht, die er sich vorstellen kann.

⚽ An dieser Überschrift konnte ich einfach nicht vorbeiscrollen: „Wie geht es dem ältesten Fußballclub in Russland – der offiziell schlechtesten Mannschaft des Landes?“ Der Autor verspricht eine Geschichte darüber, „wie eine große Vergangenheit unter dem Druck der harten Gegenwart bröckelt.“ Das ist dann aber auch genug Lyrik, es geht ab nach Orechowo-Sujewo. In Deutschland wäre das eine Großstadt, hier ist es halt irgendein Provinzort, eine Stunde Autofahrt von Moskau. Zehn Jahre vor der Russischen Revolution gründeten Fußballfans hier den Verein „Snamja Truda“, übersetzt heißt das „Das Banner der Arbeit“.

Heute weht das Banner auf Halbmast, bestenfalls: Wer den Verein in einer Tabelle finden will, der muss schon im drittklassigen Bereich gucken – und dann am besten unten anfangen. Die Spieler, berichtet Bombardir, bekommen hier so niedrige Gehälter, dass sie sich anderswo etwas hinzuverdienen müssen – aber immerhin, sie werden pünktlich bezahlt, das ist im russischen Profifußball keineswegs garantiert. Trotzdem ist das hier keine Reportage aus dem Tal der Tränen. Die Fans haben mit ihrem Verein Tragödien überstanden, gegen die die aktuelle Saison mit einer Tordifferenz von -50 kaum erwähnenswert ist. Es ist auch eine Geschichte über Tradition und über Stolz, die sich zu lesen lohnt.

⚽ Zenit St. Petersburg verdient sich ganz gut was dazu, indem es die Spieler, die gerade nicht erste Garnitur sind, an andere Vereine verleiht. So weit, so bekannt. Ein Mitarbeiter von Championat.com hat jetzt mal nachgezählt, und siehe da: In diesem Sommer kommt gleich eine komplette Fußballmannschaft aus der Ausleihe zurück zu Zenit – elf Spieler, die bisher in Frankreich, Griechenland, der Türkei oder anderswo in Russland im Einsatz waren. Das Timing ist auch deshalb interessant, wiel alles danach aussieht, dass Trainer Roberto Mancini bei Zenit aufhört, um die italienische Nationalmannschaft zu übernehmen. Der neue Trainer kann dann also aus dem Vollen schöpfen.

⚽⚽⚽

Zum Schluss verlassen wir noch kurz Russland und blicken über die Grenze rüber, in die Ukraine. Ihr erinnert euch an die vielen russischen Hotels, die dabei erwischt wurden, wie sie rechtzeitig zur Weltmeisterschaft ihre Preise drastisch erhöhten? In Kiew sieht es ganz ähnlich aus: Die ukrainische Hauptstadt ist Ende des Monats Gastgeber für das Champions-League-Finale, auch hier wollen sich Hoteliers damit eine goldene Nase verdienen.

Doch ukrainische Fußballfans halten dagegen, sie wollen die Abzocke verhindern. „Gratis-Unterkunft für Fans“ nennen sie ihren Service, den sie über Facebook organisieren. Anreisenden Fußballfans können sich dort melden und sollen dann einen Schlafplatz bei Fans vor Ort finden. Fußball-Couchsurfing, als Solidaritätsaktion. „Los jetzt“, heißt es auf der Facebookseite unter einer Suchanfrage von vier Liverpool-Fans aus Malta, „zeigen wir ihnen, dass Kiew eine gastfreundliche Stadt ist!“

Nächste Woche mehr – bis dahin könnt ihr eure Freunde, Kolleginnen und Familie gerne auf den Russball-Newsletter hinweisen. Es ist zwar nur mein kleines Spaßprojekt, aber je mehr Leute mitlesen, desto größer die Motivation. Bis dann, macht’s gut!



 

Russball, Folge 46: Dieser Bär steht jetzt für den russischen Fußball

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Fasst man’s denn? Das WM-Stadion in Samara ist nach unendlich vielen Verzögerungen eröffnet worden, nur sechs Wochen vor Turnierbeginn. Ab sofort rechne ich also täglich mit der Fertigstellung des Flughafens in Berlin! Ansonsten habe ich neulich den möglicherweise absurdesten Text meiner jüngeren journalistischen Karriere verfasst, über ein Festival, das hier in Russland parallel zur Weltmeisterschaft stattfindet und bei dem der gemeinen Gurke in all ihren Inkarnationen gehuldigt wird. Was sonst noch los war:

⚽⚽⚽

⚽ Zeit, mit der Hand durch die Sofaritze zu fahren und zu gucken, ob man noch ein bisschen Kleingeld findet. Mal zählen…ach guck, das sind ja genau 1656 Euro und 6 Cent. Wie praktisch, denn dafür kann man rund um die Spielübertragungen der Fußball-Weltmeisterschaft eine Werbesekunde im russischen Fernsehen kaufen. Gemeint sind damit natürlich nur Werbeplätze bei den Sendern Perwy Kanal, Rossija 1 und Match, die die Spiele übertragen. Die Sekunde für rund 1700 Euro, das entspricht einem Minutenpreis von 7,5 Millionen Rubel.

Ist das nun viel oder wenig? Die Redaktion von RBK zählt auf: Im Vergleich zur WM vor vier Jahren in Brasilien ist der Werbepreis konstant, damals verlangten die russischen Sender mit den Übertragungsrechten 7,538 Millionen pro Minute. Womit ich nicht gerechnet hätte, ist, dass dagegen bei der Europameisterschaft 2012 die Werbepreise der russischen Sender deutlich höher lagen. Warum, erklärt ebenfalls RBK: Damals „galt Russland als der Favorit in seiner Gruppe, die Zuschauer (…) erwarteten mindestens ein Überstehen der Gruppenphase, doch dazu kam es nicht.“

⚽ Wie sagte der zehnjährige Besuch aus dem Rheinland diese Woche: „Ihr habt hier echt überall Springbrunnen!“ Und ja, der Anlass war einer mitten im Einkaufszentrum, direkt neben dem Starbucks, aber die Beobachtung stimmt auch für Freiluftmoskau. Sachen abends schön beleuchten und im Sommer Springbrunnen sprudeln lassen, das sind zwei große Stärken der Stadtplaner hier.

Im vergangenen Sommer waren es 594 Brunnen in Moskau, diesmal kommt mindestens noch einer hinzu: Auf dem Gelände rund ums Luschniki-Stadion soll ein sogenannter „trockener Brunnen“ entstehen, also einer, zu dem kein mit Wasser gefülltes Becken gehört. Nur Wasser, das aus dem Boden schießt, in vielen kleinen Strahlen. Hinter der neuen Tretjakowgalerie gibt es sowas hier schon, und wenn im Sommer 30 Grad und mehr sind, ist das einer der kühlsten, angenehmsten Plätze in der Stadt: Einfach ein paar Schritte durch den Brunnen gehen, von den Fontänen links und rechts nassgemacht werden und sich dann zum Trocknen schön in die Sonne setzen. Das können Fußballfans demnächst also auch tun, wenn sie sich vor dem Stadionbesuch ein wenig abkühlen wollen – oder danach ihre Tränen verbergen. Was, ich, am heulen? Alter, das ist bloß Springbrunnenwasser!

kscheib russball brunnen luschniki moskau

⚽ Interessante Reihe, da bei Sports.ru: Im Blog „Futbol auf Deutsch“ porträtiert Konstantin Andrejew seit einem guten Jahr Nachwuchsfußballer, die außerhalb Russlands leben, aber russischer Abstammung sind und somit möglicherweise mal für die russische Nationalmannschaft spielen könnten. (Der Subtext wird ironisch angedeutet: Wir sind doch hier so großzügig mit russischen Pässen, wenn wir einen ausländischen Spieler sehen, der den Fußball bei uns im Land voranbringen könnte. Und jetzt schaut mal, bei dem Jung hier wäre es so einfach!)

Das sind keine Namen, die ich jemals zuvor gehört hatte, aber die Porträts lesen sich interessant. Maximilan Lebedev zum Beispiel aus dem U17-Kader von Bayern München. Die Brüder Konstantin und Andreas Schiler, die aktuell für den SV Sandhausen in der U19 spielen. Und ganz abgesehen davon, ob es nun für eine Profikarriere reicht, ob die bis zur Nationalelf führt und welche Nationalelf es dann ist – interessant sind auch die Fragen zum Alltag der jungen Männer, von Russisch-Sprachkenntnissen über Familie bis hin zum Lieblingsessen. Lesen lohnt sich!

⚽ Das ist mir letzte Woche komplett durchgegangen: Russlands Premjer-Liga hat ein neues Logo – ein Bärenkopf in den Russlandfarben, mit Augen, die entfernt an den Terminator erinnern. Entworfen vom Studio Art.Lebedev, das hier in Russland schon so einige Großaufträge wegdesignt hat: Der aktuelle Metroplan ist dort entstanden, die Sitzpolster im Bus, selbst Moskaus Gullydeckel. Wer bei der Fußball-WM im Sommer auf dem alten Moskauer Olympiagelände unterwegs ist, orientiert sich an Schildern von Art.Lebedev. Und nun also dieses Logo.

rpl_logo_black

Wie kommt es an? So mittel. Natürlich kursieren allerlei Photoshop-Witzchen – mit der russischen Version von „Pu der Bär“, mit Elch, mit Mutko. Manchen Leuten ist der Bär zu nah am Russlandklischee, sie frotzeln, da fehlten doch noch Balalaika und Wodkaflasche. Nationalspieler Denis Gluschakow wurde nach seiner Meinung gefragt und rettete sich in ein höfliches „interessant“. Und dann war da noch ein Hinweis auf einen hippen Barbershop in Moskau, und ja: Dessen Logo sieht tatsächlich aus, als könnte es das Vorbild fürs Ligalogo gewesen sein. Trotzdem verstehe ich den Backlash nicht so richtig. Im Vergleich zu dem kleinteiligen, unaufgeräumten bisherigen Logo ist der Bär mit den roten Laseraugen ein echter Fortschritt:

kscheib russball liga altes logo

⚽  „Westi“, die Nachrichtensendung des russischen Staatssenders „Rossija 1“, hat durchgerechnet, was russische Fußballfans so investieren müssen, wenn sie alle drei Vorrundenspiele ihrer Mannschaft sehen wollen, also in Moskau, St. Petersburg und Samara. Das Ganze ist nicht immer akkurat gerechnet und ein wenig schief konzipiert (einerseits fehlen die Kosten für die Anreise nach Moskau, als lebe der typische Fan dort, andererseits werden aber auch in Moskau Hotelkosten mit eingepreist), dennoch ist die Liste im Kern ganz anschaulich: Wenn man davon ausgeht, dass Iwan Musterfan jeweils die billigste Ticketkategorie nimmt, dann kommt er für einen WM-Aufenthalt in Moskau auf 29.000 Rubel, in Petersburg auf auf 19.000 und in Samara auf 17.000 Rubel, dazu kommen noch Fahrtkosten.

Zusammen sind das mehr als zwei Durchschnittsgehälter, und man könnte an dieser Stelle des Berichts einen Schlussstrich ziehen. Aber als Staatsmedium ist man nun mal in der Pflicht, man hat für WM-Begeisterung und Hurrapatriotismus zu sorgen. Weshalb der Bericht von „Westi“ nicht mit dem Fazit endet, das sei ja nun recht viel Geld, selbst wenn man sparsam lebe. Nein, hinten wurden schön noch zwei Sätze drangedengelt: „Aber wenn unsere Mannschaft sich gegen alle Gegener gut schlägt und es über die Gruppenphase hinaus schafft, werden unsere positiven Emotionen diese Kosten ganz klar ausgleichen. Wir sind für unser Team!“

⚽  Über den Jahreswechsel 2017/2018 waren wir oben in Murmansk, es war knackig kalt und eine ganz großartige Reise. Nordlicht gesehen, den Eisbrecher Lenin besichtig, Markus hat für den Weltspiegel einen kleinen Film drüber gemacht. Daran musste ich diese Woche wieder denken, als Zenit St. Petersburg diese Bilder twitterte: Die Arbeiter, die gerade an einem neuen Eisbrecher für die russische Flotte bauen, scheinen allesamt Zenit-Fans zu sein:

⚽  Angeklickt und erst mal enttäuscht gewesen: „Das Tschertschessow-Kreuzworträtsel“ hieß es in der Überschrift und ich freute mich schon, allerlei Fragen zu Russlands Nationaltrainer zu beantworten: „Sieben Buchstaben, beginnt mit D: deutsche Stadt, in der Tschertschessow von 1993 bis 1995 als Spieler aktiv war.“ Aber nein, leider kein Rätsel, aber doch ein langes, tiefgehendes Porträt des Glatzenmanns, der die Russen so aufstellen soll, dass sie es vor heimischem Publikum über die Gruppenphase hinaus schaffen.

Ein bisschen sehr chronologisch ist der Artikel, das bremst ihn manchmal. Aber sonst liest er sich gut und anekdotenreich – einschließlich der Begebenheit, wie Tschertschessow 2001 Torwart beim FC Tirol Insbruck war und der Verein einen neuen Trainer bekam, der den gesundheitlich angeschlagenen Tschertschessow erst mal für ein paar Spiele auf die Bank setzte, bis er auskuriert war und sich vor dem Neuen beweisen konnte. Der hieß übrigens Joachim Löw.

⚽ Kennt ihr eigentlich den „Soviet Art Bot“ bei Twitter? Nein? Solltet ihr aber – nicht nur für Fußballbilder wie dieses hier:

⚽ Das ist mal ne Ansage: „Ohne die Fußball-Weltmeisterschaft gäbe es in Russland derzeit kein Wirtschaftswachstum.“ Gesagt hat das Arkadi Dworkowitsch, und der muss es wissen: Dworkowitsch ist Wirtschaftswissenschaftler und seit 2012 einer von Russlands stellvertretenden Premierministern. Mehr zu seiner außergewöhnlichen Rechnung hier.

⚽ Ein paar Woche ist es her, dass ich mich mit Mascha getroffen habe. Sie schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit, liebt das Rumstöbern in Archiven und kann sich für alte Dokumente begeistern. Wir sind rund um die Lomonossow-Universität spazierengegangen und sie hat mir gezeigt: Hier in dem Turm ist mein Wohnheimzimmer, da vorne ist der Haupteingang zum Unigebäude – und da, nicht weit weg, soll die Fanzone gebaut werden. Der zentrale Ort, wo in Moskau all die Fußballfans zusammen feiern können, die keine Karten fürs Stadion bekommen haben.

Mascha und ihre Kommilitonen haben Angst, nicht vor den Fans, sondern vor dem Krach bis spät in die Nacht, mitten in der Prüfungszeit. Wie sie ihren Protest dagegen sichtbar machen, und wie die FIFA, der Uni-Rektor und die Stadt Moskau mit diesem Protest umgehen, habe ich für die Berliner Zeitung aufgeschrieben. Am Tag, nachdem der Artikel im Blatt war, war ich abends mit dem Moskau-Besuch noch mal oben in den Sperlingsbergen, und siehe da: Baustellenlärm, Kipplaster, Bagger, Staubschwaden wehen hoch und verschleiern den Blick aufs Unigebäude. Es sieht nicht gut aus mit den Erfolgschancen für den Studentenprotest.

kscheib russball fanzone bauarbeiten

⚽ Dass Niko Kovac neuer Bayern-Trainer wird, inspiriert nicht nur deutsche Dichter, es beschäftigt auch die russische Fachpresse. Sowetski Sport kritisiert zum Beispiel, Kovac habe keine Champions-League-Erfahrungen und als Trainer noch keinen einzigen Titel geholt, was er wohl auch im DFB-Pokalfinale am 19. Mai nicht schaffen werde.

Bei Sports.ru gbt es sogar eine umfangreiche Analyse all der Gründe, warum der neue Trainer scheitern muss, unter der Überschrift: „Niko Kovac wird neuer Bayern-Trainer – es scheint, als ob das nicht die beste Idee ist.“ Begründung hier: Kovac sei es gewohnt, seinen Kopf duchsetzen zu können – das werde ihm bei Hoeneß und Rumenigge nicht gelingen. Seine Lieblingsaufstellung bei der Eintracht lasse sich nicht auf die Bayern übertragen, und überhaupt habe Kovac den Job ja nur bekommen, weil Tuchel ihn nicht wollte.

⚽ Die tunesische Nationalmannschaft wird während der WM im Moskauer Vorort Seljatino untergebracht, gerade war der Moskauer Sportminister auf Inspektionstour dort. Ein Reporter von Championat.com ist mitgelaufen und berichtet: ein paar schiefe Kacheln und seltsam verlegte Rohre, Rasen im schlechten Zustand, an der Hotelrezeption gibt’s noch keine tunesische Fahne. Alles Sachen, die sich bis Turnierbeginn noch regeln lassen. Besonders hübsch fand ich die Bemerkung des Reporters, eine „Motivation nach deutscher Art“ sei für die Tunesier leider nicht möglich: Die örtliche Bierbar ist derzeit leider geschlossen.

⚽⚽⚽

Zum Abschluss noch ein Text, der nichts mit Russland zu tun hat, dafür aber mit Fußball, mit Familie, mit einem Fan – und einem der noch sucht, ob es eine Mannschaft gibt, deren Fan er sein möchte. Auf die Gefahr hin, dass euch in den letzten Tagen auch andere Leute diesen Text nahegelegt haben – er verdient es auch, mehrfach empfohlen zu werden: „Papsi, ich bin doch gar kein Fan“. Bis nächste Woche!