Brötchen von Wikipedia? Fast.

Zwei Wochen in China, zwei Wochen Uni, zwei Wochen großartiges chinesisches Essen. Aber heute früh war es dann doch so weit: Heimweh nach Essen Essensheimweh. Also begann der erste uni-freie Montag im international bestückten Supermarkt, eine Viertelstunde zu Fuß von meiner Hutong-WG. Einkauf: ein Körnerbrötchen und ein kleiner Rohmilchkäse. Beides war den überhöhten Preis komplett wert.

Und eine Erkenntnis gab es noch dazu: Irgendwer in Peking hat sich einen weltbekannten, beliebten Produktnamen für seine Firma geborgt, mit minimaler Änderung.

Die Wekipedia-Brötchentüte
Die Wekipedia-Brötchentüte

Schließlich steht nichts so sehr für Brötchenqualität wie Wikipedia, Anbieter knuspriger Informationen und kerniger Edit-Wars. Wekipedia gab es in China offenbar sogar schon, als Wikipedia für die Menschen hier noch gesperrt war.

Leiderleider hat Wekipedia übrigens noch keinen Wikipedia-Eintrag. Kann das bitte mal jemand ändern? Lässt sich bestimmt schnell reintelefonieren.

Kontaktdaten zu Wekipedia? Aber gerne.
Kontaktdaten zu Wekipedia? Aber gerne.

Die zweite China-Woche in Links

0:4-Heimniederlage für Beijing Guoan
0:4-Heimniederlage für Beijing Guoan

Zum Ende der zweiten Woche in China hier die nächste Runde Links mit Hintergründen, Aktuellem und ein bisschen Fußball zum Einstieg.

Beijing mauled by Changchun – eine kleine Meldung zur großen Pleite von Pekings Fußballteam Beijing Guoan am Samstag Abend. Da haben die ganze interessanten Schlachtrufe im Stadion auch nicht geholfen.

Big spurt in AIDS in Chinese above 50 years age – die Times of India mit recht aktuellen Zahlen zu HIV/AIDS in China. „A growing number of rural women left behind by husbands who sought employment in cities entered the sex trade, targeting mainly older men in rural areas.“

China Announces Plans For Party Congress and Prosecution of Bo Xilai – Austin Ramzy über Bo Xilais Ausschluss aus der Kommunistischen Partei kurz vor deren Kongress. „By announcing Bo’s impending prosecution in nearly the same breath as the date of the party gathering (…) the leadership seems determined to use Bo’s case to strengthen the ruling party rather than weaken it.“

China vows to curb imposed newspaper subscriptions – Wang Yuanyuan über das verordnete Ende der Pflicht-Abos von Parteipresse. „In 2011, 9,849 kinds of periodicals and 1,928 newspapers were printed and distributed in China.“

Sinkholes a Growing Problem in Urban Areas, Say Experts – Cui Zheng, Takehiro Masutomo und Liu Zhiyi über das im Ruhrgebiet auch nicht unbekannte Problem der Tagesbrüche. „Just this year, 99 sinkhole collapses occurred in Beijing between July 21 and August 12, according to statistics from a bridge maintenance company.“

Weibo, China’s Twitter, Abuzz with Sentiment Over Liu Xiang’s Olympic Fail – Eddie Xie analysiert die Gefühle chinesischer Microblogger zu einem olympischen Ereignis. „For the first time we have an ability to quantify and analyze sentiment from such a large population within China; a peek into the sentiment of China’s public sphere.“

Winter For Chinese Media: Why So Many Respected Journalists Are Leaving the Field – Yueran Zhang über chinesische Investigativjournalisten, die ihren Beruf aufgeben. “Good news! Martialist Zhao Jilong agreed to teach self defense skills (course topic: security issues for investigative journalists). Journalists are welcome to come!”

Die erste China-Woche in Links

Die erste Woche mit dem Medienbotschafter-Programm in Peking war eine Uni-Woche. Viel zuhören, viel diskutieren und viel lesen. Hier eine Linkauswahl:

China und der kranke Mann – Eric Gujer über „Chimerica“ und den Fokus der EU auf Wirtschaftsbeziehungen zu China. „Die EU verlässt sich bei ihrem Austausch mit China und dessen Nachbarn allein auf ihre wirtschaftliche Stärke, doch wäre es klüger, mehr als ein Eisen im Feuer zu haben.“

China’s Shades of Grey – Jonathan Fenby ordnet aktuelle Thesen zur chinesischen Entwicklung ein. „Since Confucianism and Communism gave way to materialism, China has become a much more difficult place to govern. “

Cop at centre of China scandal took walk on the wild side. Chris Buckley und Benjamin Kang Lim über den Prozess gegen Ex-Polizeichef Wang Lijun, der den Fall Bo Xilai ins Rollen brachte. „Even by the standards of Chinese police, Wang was known as an aggressive officer. “

Demography and Destiny – Nailene Chou Wiest über die Einkindpolitik und ihre Auswirkungen auf den chinesischen Arbeitsmarkt. „The panic now is that China is growing old before it has gotten rich.“

Liang Qichao – Wikipedia-Artikel über den Mann, der als Vater des Journalismus im heutigen China gilt.

Millionen Blogger machen Jagd auf Partei-Funktionär – Johnny Erling über die chinesische „Menschenfleisch-Suchmaschine“. „Die Schwäche für teure Acessoires bringt inzwischen jede Woche über die virtuellen Suchmaschinen einen andern Beamten zu Fall.“

New York Times launches website in Chinese language – Tania Branigan über ein Angebot, mit dem die NYT die chinesische Mittelklasse erreichen will. „Authorities are more anxious about Chinese-language material than the English equivalent, which cannot reach such a wide audience. “

Of ‚Sanfei,‘ Boxers and a Broken System – Nailene Chou Wiest über Fremdenfeindlichkeit in China. „In the popular imagination, public security authorities must rise to the occasion and protect Chinese womenfolk from loutish foreigners. “

 

Quantified Self Beijing – wenn Menschen sich messen

Zweimal am Tag horcht Polly Yang in sich hinein. Ob sie gerade froh ist oder traurig, vertraut die 17-Jährige aus Peking dann einem kleinen Panda an. „Mood Panda“ heißt das Programm, mit dem Polly ihre Gefühle festhält und sich so einen Überblick verschafft. „Meine Stimmung verändert sich oft“, erzählt sie, zum Beispiel, wenn eine schlechte Schulnote sie runterzieht. „Drei Tage fröhlich am Stück, das war in diesem Monat bisher das längste.“

Polly Yang

Kennengelernt haben wir uns bei „Quantified Self Beijing„, der ersten chinesischem Konferenz nach dem „Quantified Self„-Prinzip. Bei dieser Idee der beiden Wired-Mitarbeiter Gary Wolf und Kevin Kelly geht es darum, dass Menschen ihr Leben protokollieren. Ihre Herzfrequenz, ihre Ernährung, ihre Schlafzeiten, ihre Stimmung wie Polly.

Seth Roberts zum Beispiel – Psychologieprofessor an der Tsinghua-Universität, Diät-Erfinder, Bestsellerautor und Eröffnungsredner bei der Konferenz heute in Peking – hat täglich Leinöl gegessen und parallel festgehalten, wie gut er auf einem Bein die Balance halten kann. Weltbewegend? Vermutlich nicht. Interessant aber allemal, die Akribie, mit der sich „Quantified Self“-Leute selbst zum Forschungsthema machen.

„Wir alle lieben Daten“, sagt Polly über sich und die vier Mitschüler, mit denen sie unter Anleitung ihres Lehrers Wallen Mphepö die Konferenz organisiert hat. Ein Großprojekt, kurz vor dem Schulabschluss. Es soll sich gut auf dem Lebenslauf machen, wenn Polly sich für einen Studienplatz an amerikanischen Unis bewirbt. „Perfekt wäre, wenn ich nach Berkley gehen könnte“, sagt sie. Dann gäbe es bei ihrem „Mood Panda“-Account mehr als nur drei fröhliche Tage in Folge.

Journalistenhumor und Zeitungsapokalypse

„Andeutungen, Witze, Symbole, Ironie. Das bringe ich jungen Journalisten bei. Nicht nur die Recherche, nicht nur das Schreiben.“ Normalerweise kommen nach einem Zitat Name und Funktion des Menschen, der es gesagt hat, vielleicht noch das Alter. Hier nicht, um den Mann zu schützen, der da spricht.

Überrascht hat mich bisher an China, wie offen Menschen hier über kontroverse Themen reden. Wenig überraschend ist, dass man sie damit nicht zitieren sollte.

Tsinghua University School of Journalism and Communication
Rund 500 chinesische Nachwuchs-Journalisten werden derzeit an der Tsinghua University School of Journalism and Communication in Peking ausgebildet.

Andeutungen, Witze, Symbole, Ironie. Um sagen zu können, was gesagt werden muss, aber nicht darf. In der journalistischen Berichterstattung, aber auch im Gespräch unter Kollegen. Gewöhnungsbedürftig, mit Experten zu reden und sich plötzlich in Parabel-Land wiederzufinden. Aber auch einprägsam.

„In Russland funktioniert Wandel so: Da ist ein altes Haus. Das sprengen wir. Dann bauen wir ein neues. In China funktioniert Wandel so: Da ist ein altes Haus, aber da leben ja Leute drin. Also können wir es nicht sprengen. Stattdessen renovieren wir es, Raum für Raum. Manche Leute leben dann schon in neuen, schicken Zimmern, andere in alten, heruntergekommenen. Denen sagen wir: Haltet durch, bald kommen die Handwerker auch zu euch.“

Oder auch:

„Reagan, Gorbatschow und Deng Xiaopin gehen zusammen spazieren und kommen an eine Gabelung. An jedem der beiden Wege steht ein Schild, links „Kapitalisten“, rechts „Kommunisten“. Reagan läuft als erster weiter, ohne zu zögern, den linken Weg entlang. Gorbatschow guckt sich um, ob auch keiner schaut, zieht den Hut tief ins Gesicht und läuft auch links entlang. Auch Deng Xiaopin sieht sich um, ob jemand herguckt. Als die Luft rein ist, tauscht er die Schilder – und geht dann auch links lang.“

Mit der Zukunft der diversen Mediengattungen ist es hier übrigens wie in Deutschland: Viele steile Thesen, keine einheitliche Richtung. Der Kollegenhumor allerdings ist fatalistisch: „Wäre doch jetzt ein guter Zeitpunkt für die Regierung, die Auflagen zur Gründung von Zeitungen abzuschaffen. In zehn Jahren sind sie dann eh alle eingegangen.“

Zahlen, bitte

2 Fliegen, nicht mehr, darf es per Verordnung nur noch auf öffentlichen Toiletten in China geben.

5 von 5 Sternen hat derzeit dieser „Dinge mit Gesicht“-Eintrag zu einem traurigen Mandarin-Schriftzeichen.

10 Glückskekse kosten im Dortmunder Asia-Supermarkt 5,99 Euro. Ein Karton mit 300 Stück kostet 19,99. Marktwirtschaft macht Spaß. Der Ausstand auch.

23 Kilo Gepäck sind wenig. Gerade, wenn man für Winterwetter mit packen muss.

56 Länder kommen vor China, wenn man sie  – wie es die Vereinten Nationen getan haben – danach sortiert, wie einflussreich Frauen in der Gesellschaft sind. Mit einem Gender Empowerment Measure (GEM) von 0,5354 liegt China zwischen Venezuela und El Salvador. Deutschland kommt mit einem GEM von 0,831 auf Rang 9.

240 Gramm sind einfach zu viel für ein einzelnes T-Shirt. Raus damit aus dem Koffer.

250 ist auf Chinesisch ein Schimpfwort.

8000 Karmapunkte (ein ungefährer Wert) bin ich schon vor der Abreise im Defizit. Und immer noch beeindruckt, wie hilfsbereit Leute sein können. Freunde, Bekannte, Fastfremde. Danke an Andreas, Dirk, Guido, Katharina, Martin, Martina, Nina, Sami. Danke, Familie. Danke an die Kollegen, die die Stellung halten. Danke an die, die es nicht mögen, in Blogs erwähnt zu werden.

11.25 Uhr landet der Flieger in Peking.

Dies ist kein China-Blog

Muss man wohl mal sagen, dass es hier nicht nur um China gehen soll. Ja, die Chance, mit dem Medienbotschafter-Programm der Robert-Bosch-Stiftung nach Peking zu gehen, war der Anstoß. Der Impuls, den Hintern hoch zu kriegen und endlich wieder zu bloggen. Nicht mikro- wie bei Twitter, sondern so richtig. Makrobloggen. Lang ist’s her.

Kein Ausnahmesituation-Blog, das nach einem Vierteljahr wieder einschläft. Darum eben auch nicht nur China. Sondern auch: Dortmund, Alltag, Onliniges, Rheinland, Journalismus, Schalke, Anglophiles. Mal sehen. Und heute eben Chor. Hier ein paar Fotos von der Probe vorhin für das Orgelkonzert am Sonntag mit Iveta Apkalna. Schließlich hat das Konzerthaus Dortmund Geburtstag, da kann man auch mal einen raushauen: Mozarts Krönungsmesse. Wer sowas mag, wird es mögen.

 

Lorenz Lorenz-Meyer über Social Media in China

Zur Vorbereitung noch mal dieses Video ausgegraben und geguckt. Den Vortrag hab ich bei der re:publica 11 zwar gesehen, aber nur gewohnt unlerserliche Notizen dazu gemacht. Danach ein kleiner Anfalls von „Man müsste mal“: Man müsste mal diesen Link ausgraben zu dem Chrome-Plugin, mit dem man bei Sina Weibo mitlesen kann, ohne Chinesisch zu können. Überhaupt klingt das, was Lorenz Lorenz-Meyer über Sina Weibo erzählt, als sollte Twitter da mal Ideen klauen. Bei jedem Retweet noch mal 140 Zeichen? Super Sache.

Mit dem Nochmalgucken ist die Vorfreude auf China jedenfalls gestiegen. Und so ein Gras-Schlamm-Pferd wäre doch das perfekte Weihnachtsgeschenk für Patenkind 1, 2 und 3. Mal sehen, ob es das als Nerd-Kuscheltier gibt.