Moskauer Leitungswasser – kann man das trinken? (Teil 1)

Wer in Moskau lebt, geht mit Wasser anders um. Kein Schluck aus der Leitung mehr nach dem Zähneputzen. Den Lieferanten für unser Wasser – stilles in Fünf-Liter-Kanistern, Mineralwasser in Flaschen – haben wir samt Kundennummer direkt von den Vormietern übernommen.

Bei Reisen in der Region stehen selbstverständlich Flaschen mit Trinkwasser auf dem Zimmer, selbst in günstigen Hotels. In der Redaktion kümmern sich die Putzfrauen darum, dass regelmäßig die leeren Wasserbehälter an den Zapfstellen gegen volle ausgetauscht werden.

Warmwasser Moskau
Foto: Anna Stollenwerk

Von warmem Wasser wollen wir hier gar nicht erst anfangen. Das kommt gerne mal so wie auf dem Foto aus der Leitung; da stirbt der Impuls, es zu sich zu nehmen, einen abrupten Tod. Aussagen zur Qualität des kalten Wassers klingen unterdessen seit Jahrzehnten nach Radio Eriwan. Im Prinzip kann man das schon trinken, aber…

 

Zeit für einen Versuch. Dazu morgen mehr.

Einleben in Moskau – sieben Links für Neuankömmlinge

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Moskau ist wie Uni, im September kommen die Neuen. Job, Wohnung, Registrierung, Internet, Handy – es ist ziemlich viel, was man sich hier in den ersten Wochen organisieren muss. Als kleine Hilfestellung für die Neuzugänge aus Deutschland und anderswo hier also eine Ladung Links. Manche, die mir beim Einleben geholfen haben – und manche, von denen ich wünschte, ich hätte sie damals™ schon gekannt.

A Girl and Her Travels: Meine Moskauer Lieblings-Bloggerin Polly ist vor kurzem hier weggezogen. Seitdem hat sie sich aber die Zeit genommen, all ihre Einblicke in das Leben in Moskau nach Themen zu sortieren und zu bündeln. Das Schöne an Pollys Posts ist, dass sie durch ihren Mann und die Schwiegerfamilie viel russischen Alltag erlebt und beschreibt. Besonders empfehlenswert also für Leute, die nicht des Jobs, sondern der Liebe wegen hierher kommen. Hier geht es zur „Moscow Master-List“, und hier zu einem meiner persönlichen Favoriten: „Russia, I love you, but you’re bringing me down.“

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App-Sammlung: Eine Reihe nützliche Russland-Apps habe ich Anfang des Jahres mal zusammengestellt. Zusätzlich muss man seitdem noch Yandex Transport erwähnen, das man inzwischen auch aus dem deutschen App-Store runterladen kann. Die russischsprachige ÖPNV-App zeigt live, wie weit der nächste Bus noch von eurer Haltestelle entfernt ist. Sehr nützlich in einer Stadt, in der die ausgehängten Fahrzeiten eher selten stimmen.

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Einkaufszettel: Gerade am Anfang, wenn man viel um die Ohren hat, fehlt oft die Zeit fürs Vokabellernen. Um trotzdem ein bisschen Übung zu bekommen, bietet sich der Einkauf im Laden oder auf dem Markt an, da geht man schließlich sowieso regelmäßig hin. Jennifer Eremeeva, Bloggerin und Moskauer Expat-Instanz, hat sich darum nützlich gemacht und Einkaufsvokabelzettel zusammengestellt, als PDFs, nach Lebensmittelgruppen. Damit euch sowas hier nicht passiert.

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Moscow Expats: Alles, worüber ihr als Neuankömmlinge euch gerade Gedanken macht, hat sich vorher schon mal jemand anderes gefragt, von „Funktionieren Amazon-Lieferungen nach Moskau“ bis „Wo steht ein Geldautomat, an dem ich mehr als nur 7500 Rubel auf einmal abheben kann?“ In dieser Facebook-Gruppe teilen Moskau-Immis ihre Erfahrungen miteinander, außerdem gibt es Wohnungs-, Sprachkurs- und Flohmarkt-Untergruppen. Wichtige Netikette: Vor dem Posten bitte mit der Suchfunktion schauen, ob eure Frage schon einmal gestellt wurde.

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Moskau-Tipps für Einsteiger: Die Broschüre der Deutschen Gruppe Moskau beantwortet Alltagsfragen von „Wie funktionieren hier öffentliche Verkehrsmittel“ über „Wo finde ich einen Tierarzt“ bis „In welchen Stadtteil ziehe ich am besten.“ Eine echte Fleißarbeit, diese Sammlung an Tipps, und rundum hilfreich. Gerade wird sie aktualisiert,  hier gibt es das aktuelle Heft als PDF.

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Russland letzte Woche: Diese wöchentliche Kollektion an Russland-Meldungen von Pavel Lokshin ist pointiert, komplett subjektiv und gerade darum so unterhaltsam. Halb Newsletter, halb Kolumne, mit aktuellen Links und Pavels Einordnung in die größeren Zusammenhänge. Hier kann man das Ganze abonnieren, um es regelmäßig gemailt zu bekommen.

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Sprachkolumne: Michele Berdy lebt seit Jahrzehnten in Moskau und schreibt eine wöchentliche Kolumne über die russische Sprache – anekdotenreich, anschaulich und meist mit aktuellem Aufhänger. Zuletzt hat sie zum Beispiel über Sanktionen und Gegensanktionen geschrieben. Oder über Warenje, was im Prinzip so eine Art russische Marmelade ist, nur eben mit anderer Konsistenz, anderem Konsumverhalten und anderem, speziellem Geschirr. It’s complicated. Gut, dass Michele das alles aufdröselt.

Der Moskauer Warenkorb nach einem Jahr Lebensmittel-Importverbot

Ein Jahr lang gilt nun der russische Einfuhrstopp für eine ganze Reihe westlicher Lebensmittel. Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch, Milchprodukte – das großflächige Verbot hat nur kleine Lücken. Für den eigenen Verbrauch zum Beispiel darf man quasi mundgerechte Mengen der sanktionierten Lebensmittel weiterhin nach Russland importieren. In den Supermärkten aber sucht man den guten lettischen Joghurt, die finnische Milch oder die irische Butter erfolglos.

Ja, das ist lettischer Joghurt. Nein, den bekommt man in Moskau nicht mehr.
Ja, das ist lettischer Joghurt. Nein, den bekommt man in Moskau nicht mehr.

Teilweise hat Russland sich im vergangenen Jahr bemüht, andere Lieferanten für diese Lebensmittel zu finden, teilweise soll die russische Agrarwirtschaft selbst in die Bresche springen. Das klappt nicht von jetzt auf gleich, also sind die Preise gestiegen. Vor allem in den Monaten unmittelbar nach dem Einfuhrstopp war der Trend unverkennbar: Selbst Gemüse wie Weißkohl, ein Klassiker der russischen Küche, entpuppte sich als Importgut.

Ein Jahr danach lohnt sich der Vergleich also doppelt: Wie sind die Moskauer Lebensmittelpreise heute im Vergleich zum August 2014? Und wie war der Weg dorthin? Hier erst mal der Jahresvergleich, angefangen mit dem Perekrestok-Supermarkt bei uns um die Ecke:

Möhren für 39,90 Rubel/Kilo (August 2014: 29)
Tomaten für 62 Rubel/Kilo (August 2014: 39)
Weißkohl für 10,91 Rubel/Kilo (August 2014: 10)
Äpfel für 49,90 Rubel/Kilo (August 2014: 44,50)
Birnen für 125 Rubel/Kilo (August 2014: 69)

Milch (2,5%) für 67,74 Rubel/Liter (August 2014: 63,44)
Naturjoghurt (bio) für 17,81 Rubel/100g (August 2014: 37,60)
Butter für 37,50 Rubel/100g (August 2014: 46,50)
Brie für 127 Rubel/100g (August 2014: 97,50)

Hähnchenbrust (aus der Fleischtheke) für 249 Rubel/Kilo (August 2014: 185)
Schweinekotelett (aus der Fleischtheke) für 419 Rubel/Kilo (August 2014: 406)

Und so sind die Preise heute bei Utkonos, dem Online-Lebensmittelhändler.

Kartoffeln für 22,50 Rubel/Kilo (August 2014: 28)
Zwiebeln für 27,50 Rubel/Kilo (August 2014: 34)
Gurken für 40,50 Rubel/Kilo (August 2014: 109)
Zucchini für 28,90 Rubel/Kilo (August 2014: 26)
Auberginen für 48 Rubel/Kilo (August 2014: 145)
Rote Bete für 21,50 Rubel/Kilo (August 2014: 17)
Kohlrabi für 208 Rubel/Kilo (August 2014: 85)

Nektarinen für 194 Rubel/Kilo (August 2014: 117)
Zitronen für 169 Rubel/Kilo (August 2014: 139)
Mango für 329 Rubel/Kilo (August 2014: 330)
Bananen für 52,90 Rubel/Kilo (August 2014: 47)
Orangen für 123 Rubel/Kilo (August 2014: 85)
Grapefruit für 114 Rubel/Kilo (August 2014: 82)
Kiwi für 214 Rubel/Kilo (August 2014: 229)

Milch für 53,05 Rubel/Liter (August 2014: 66,10)
Butter für 53,78 Rubel/100 g (August 2014: 49,88)

Graubrot, geschnitten, für 82,50 Rubel/Kilo (August 2014: 76,56)
Toastbrot für 90,60 Rubel/Kilo (August 2014: 79,80)

Rinderhack für 400 Rubel/Kilo (August 2014: 412)
Ganzes Hähnchen für 170 Rubel/Kilo (August 2014: 150)
Durchwachsener Speck für 822,50 Rubel/Kilo (August 2014: 650)

Lachssteak (TK) für 832 Rubel/Kilo (August 2014: 576)

In dem Jahr von August 2014 bis August 2015 sind die Preise im Schnitt also um 14,4 Prozent gestiegen – im Supermarkt etwas mehr (18,3 Prozent), online etwas weniger (10,5). Zu den Preistreibern bei der Supermarkt-Bilanz gehören zum Beispiel Birnen – heute 81,2 Prozent teurer als vor einem Jahr – und Tomaten. Die kommen inzwischen eben nicht mehr aus den Niederlanden, sondern meist aus Aserbaidschan, kosten dafür aber eben auch 59 Prozent mehr. Auch beim Online-Einkauf sind die Veränderungen bei frischem Gemüse bemerkenswert: Kohlrabi kosten, das ist dann allerdings auch der Spitzenwert, inzwischen fast 145 Prozent mehr als vor dem Einfuhrverbot.

Andererseits fallen einige Lebensmittel auf, die heute nicht oder kaum teurer sind als vor einem Jahr: Die Supermarktmilch kostet nur knapp 7 Prozent mehr, bei Butter und Graubrot ist es ähnlich. Einige Lebensmittel gibt es heute sogar günstiger zu kaufen als vor einem Jahr – anderes Herkunftsland, anderer Anbieter, andere Produktionsstandards, andere Preispolitik.

 

Auberginen gehören zu den Gemüsen mit heftigen Preisschwankungen
Auberginen gehören zu den Gemüsen mit heftigen Preisschwankungen

In einigen Fällen versteckt der Vergleich zwischen August 2014 und 2015 die krassen Preissprünge in den Monaten dazwischen. Die Kartoffeln von Utkonos mögen mit 22,50 Rubel/Kilo heute sogar ein wenig unter dem Vorjahrespreis liegen – Anfang des Jahres musste man noch mehr als das Doppelte (46,90) fürs Kilo zahlen. 229 Rubel für ein Kilo Gurken – das war der Dezember. 494 Rubel fürs Rinderhack? Hallo, Januar. Und im Februar dann 283 Rubel für ein Kilo Auberginen – die Liste der Preisausreißer nach oben lässt sich beliebig fortschreiben. Was bleibt, ist genug Material für ein Proseminar in Angebot, Nachfrage und Substitution.

Als jemand, der diese Lebensmittel nicht nur bezahlt, sondern auch zubereitet und isst, würde mich aber bei aller Theorie ganz praktisch vor allem eines interessieren: Wie hat sich mit den Preisen wohl die Qualität entwickelt?

Dass da nach Jahren ganz plötzlich das Einfuhrverbot für chinesisches Schweinefleisch fällt, das vorher mit Gesundheitsbedenken begründet wurde – ich wäre gern so naiv und sähe darin etwas anderes als nur den Wunsch, Ersatz für gestoppte Westimporte zu finden. Das russische Käse-Angebot „zwischen eingetrocknetem Tippex und Turnhallenmief“ hat der Guardian in all seiner Trostlosigkeit hier beschrieben. Und jedes Mal, wenn jemand in Deutschland bei Facebook irgendwelche Na-da-wiehert-aber-der-Amtsschimmel-Sprüche postet, bekomme ich in Moskau Sehnsucht nach so einer richtig nickeligen, paragraphenreiterischen, unnachgiebigen Lebensmittelaufsicht.

Das Kleingedruckte: Der Moskauer Warenkorb ist nicht repräsentativ – nur zwei Stichproben, ziemlich willkürliche Produkte, nicht danach gewichtet, was der Durchschnittsrusse so konsumiert. Hinzu kommt, dass manche Produkte (Papajas etwa) aus dem Jahresvergleich komplett rausfallen, weil es sie heute schlicht nicht mehr gibt (oder nur für so viel Geld, dass der Durchschnittshändler sie nicht mehr im Sortiment hat).

Der freundliche Schrankenmann

„Sie sind… Sie sind eine… eine…“ Eine Hand greift in die Jackentasche, holt einen Zettel hervor und faltet ihn auf. Dann, langsam vorgelesen, jede Silbe betont: „Sie sind eine sehr attraktive deutsche Dame.“

***

Wenn Menschen in Russland mitkriegen, dass man aus Deutschland kommt, ist das Repertoire an Reaktionen nicht sehr groß. Taxifahrer fangen an, laut Musik von Rammstein zu spielen und mitzusprechen: „Du… Du hast… Du hasst mich… Du hast mich gefragt.“ Manche Leute reden von der Bundesliga, wollen wissen, was ein Visum kostet oder erzählen, dass sie selber ein bisschen Deutsch können. Es folgt ein kurzer Moment des Hoffens, dass es nicht wieder „Heil Hitler“ sein möge, sondern, wie neulich: „Komm an die Tafel! Schlagt die Bücher auf!“

Der freundliche Schrankenmann ist eine mehrfache Ausnahme. Erstens, weil er aus dem Team an Schrankenmännern – unser Eingang wird immer von mindestens dreien gehütet – der einzige ist, der zurückgrüßt oder auch nur Blickkontakt aufnimmt. Silvester waren wir um Mitternacht auf der Straße und haben dem Wärter, der diese Schicht erwischt hatte, eine Schachtel Pralinen gebracht. Keine Regung, nur eine Handbewegung, um den Karton anzunehmen.

Der freundliche Schrankenmann winkt, lacht, und er lernt Deutsch. Schon sein Vater hat sich für die Sprache interessiert, hat er mal erzählt, jetzt hört er selber deutsches Radio, zum Üben. Und manchmal hat er Fragen: Wie sagt man auf Deutsch „Die Sonne scheint wie auf Jamaika“? Was heißt das „fröhlich“ in „fröhliche Weihnachten“? „Lieben Sie den Sommer oder den Herbst?“ Und könnte man ihm vielleicht aus dem Urlaub zuhause was mitbringen, „einen kleinen deutschen Schnaps“? Einen Killepitsch hat er bekommen, auch manche Nachbarn haben ihm schon was zu Trinken mitgebracht.

***

Neulich kam der erste Wiederholungs-Besuch aus Deutschland extra mit Schokolade im Gepäck, „für euren Schrankenmann.“ Er ist ein Stückchen Zuhause, ein lieb gewonnenes Gesicht, eine Institution. Der man es dann auch verzeiht, dass sie den Spickzettel aus der Jackentasche schon für mehrere „attraktive deutsche Damen“ recycelt hat.

Wie wir im sanktionierten Russland über Käse reden

Irgendwann am Abend öffnet jemand einen Karton, eine Tupperdose oder einfach den Kühlschrank. Manchmal wird die Stimme gesenkt, manchmal begleitet ein gesprochener Tusch die Geste: Tadaaaa!

Wir wissen, in welchen Stufen die Temperatur im Gepäckraum eines Flugzeuges reguliert wird. Wir fachsimpeln über Verpackungsmethoden und wissen, welche Sorten sich gut einfrieren lassen. Auf Parties reden wir mit fremden Menschen darüber, wo die so einkaufen – als gäbe es irgendwo in Moskau diesen einen Marktstand mit direktem Portal zu einer deutschen Käsetheke.

Wir machen Witze über weißrussischen Parmesan und den berühmten weißrussischen Mozzarella. Und schneiden am Ende eines von Gästen importierten Stücks mit dem schärfsten Küchenmesser noch einmal ganz eng innen an der Rinde entlang. Und wir sagen Dinge wie diese:

– „Samstag sind wir bei X. und Y. eingeladen.“
– „Warum?“
– „Käse aus dem Urlaub.“

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„Das ist Heukäse, da musst Du unbedingt den Rand mitessen. Hab ich der Käseverkäuferin in Deutschland versprochen.“

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„Im Koffer war kein Platz mehr, also hab ich den ganzen Käse in meinen neuen Geigenkoffer gepackt. Ging auch alles gut, bis der russische Zoll meine Geige sehen wollte. Ich hab gesagt, da ist gar keine Geige drin – also haben sie den Koffer durchleuchtet. Und mich letztlich dann einfach durchgewunken.“

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„Mein Vater kennt wen, der hat so eine Maschine, mit der man Sachen vakuumverpacken kann!“

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„Und dann war es plötzlich schon so spät, und ich musste los, und beim Check-in ist mir dann eingefallen, dass die sechs Stücke Parmesan noch bei meinen Eltern im Keller liegen.“

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„Mädels, ich hab ein Stück Stilton. Wann sehen wir uns?“

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„Es gibt da diesen Typen, der wohnt irgendwo im Moskauer Umland und macht selber Gouda. Mit Brennesseln drin oder Kürbiskernen, hab ich neulich auf dem Kirchenfest probiert. Irgendwo zuhause hab ich seine Nummer, such ich Dir raus.“

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„Und, wie war’s in Frankreich? Guter Käse? Hast Du welchen mitgebracht? Auch fürs Büro?“

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„Der Brie mit dem Chili ist von Aldi, hat nur 99 Cent gekostet. Unfassbar.“

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„Super Restaurant, an den Sauberen Teichen, müsst ihr unbedingt mal ausprobieren. Deren Ziegenkäse schmeckt echt nach Ziege!“

Moskauer Kreisel

fussball

Was der Haken ist an diesem faszinierenden, nie langweiligen Leben als Fremde in der fremden Stadt: das permanente Abschiednehmen. Gerade in diesen Wochen ist wieder einmal großes Umsortieren; Freunde und Bekannte packen und verlassen die Stadt.

Weil ihre Firma dringend wen in Frankreich braucht. Weil es da dieses Stipendium in Texas gibt. Weil sie die Homophobie leid sind. Weil der russische Arbeitgeber sparen muss und das bei seinen „highly qualified specialists“ tut. Weil die Kinder auf eine deutsche Schule sollen. Weil Rotation bei manchen Berufen einfach dazugehört. Weil nach einem Jahr Moskau „Portugal“ und „Paradies“ wie Synonyme klingen.

Manche Firmen sind gut darin, für nette Leute, die in Moskau vom Platz gehen, andere nette Leute aus Deutschland einzuwechseln. Das ändert aber nichts daran, dass so ein Freundeskreis hier mehr fluktuiert als früher in Deutschland.

Der Sommer verliert an Süße mit jedem Abschiedsbier, jedem „Komm, einmal gehen wir noch an unseren Ort und machen unser Ding.“ Und so froh ich bin, dass es mir halbwegs leicht fällt, auf neue Leute zuzugehen – es gibt Tage, da bin ich dessen einfach nur müde und wünschte, alles wäre ein wenig beständiger und würde sich nicht immer wieder aufs Neue wie erstes Semester anfühlen. Hallo, ich bin Katrin, wer bist Du?

Aber mitten im Hadern passiert dann sowas: Eine der ersten Freundinnen, die ich hier gefunden habe, verlässt das Land. Gerade sind wir in dieser Endspurt-Phase und versuchen, noch ein paar Sachen abzuhaken, die wir zusammen erleben wollen. Noch in dieses eine Restaurant, noch dieses eine gemeinsame Projekt fertigmachen, noch mal ausgiebig über Fußball reden, noch schnell zusammen hoch auf den Turm mit der besonderen Aussicht.

Gestern sprachen wir über Pläne für den weiteren Sommer – meine stehen seit vielen Monaten, sie verreist spontan mit einer Gruppe von Leuten, letzte Woche erst gebucht, das Haus hat jemand anderes ausgesucht.

Unsere beiden Unterkünfte sind 500 Meter voneinander entfernt.

Nachspielzeit.

Fürsorgliche Umschreibung

Texte, die mit „Was ich nicht verstehe“ beginnen, sind ja gerne mal Rants. Der hier nicht, denn ich bin ernsthaft perplex und hoffe auf Erklärungen.

Was ich nicht verstehe: Wenn ich hier im Supermarkt mit Karte bezahle, schickt mir die Bank eine SMS mit Infos über den abgebuchten Betrag, eh ich auch nur den Kassenbon in der Hand halte. Bei der Einrichtung des Kontos muss bei der Bank allerdings jemand ein Häkchen bei „zweifelhafte Russischkenntnisse“ oder zumindest bei „Ausländerin“ gemacht haben, denn die SMS sehen so aus:

SMS transliteriert

Kartennummer, Ort des Einkaufs, bezahlter Betrag, Datum, neuer Kontostand. Aber warum sind das lateinische Buchstaben? Das kyrillische Alphabet ist so ziemlich das Leichteste am Russischen – dann erst kommt das Vokabellernen. Trotzdem glaubt die Bank, mir wäre mit einer Nachdichtung in den gewohnten Buchstaben geholfen. Als würde man als Spracheinsteiger das russische Wort für „Kontostand“ kennen, wenn man es nur bloß endlich lesen könnte.

Dass sich die Raiffeisenbank die Mühe macht, für Ausländer russische Infos in lateinische Buchstaben zu transliterieren, ist nicht nur fehlgeleitet, sondern sogar kontraproduktiv: Wäre die SMS in kyrillischer Schrift, könnte man sie mit zwei Handgriffen rauskopieren, zu Google Translate rüberdengeln und dort wenn nicht in gutes Deutsch, dann doch zumindest in ziemlich solides Englisch übersetzen lassen.

Wer die Nachdichtung au lateinischen Buchstaben nicht versteht, hat dagegen nur zwei Möglichkeiten: die russische Originalversion grob daraus rekonstruieren und hoffen, dass Google Translate sie versteht. Oder die Nachricht jemandem vorlesen, der besser Russisch kann.

Das Problem ist nicht meins allein – Kolleginnen, die ebenfalls keine Russisch-Muttersprachlerinnen sind, bekommen solche SMS auch, ungefragt. Selbst diejenigen, die die Sprache jahrelang studiert haben. In Russland ist mir bisher nur die Bank mit dieser Methode aufgefallen. Der Telefonanbieter, der Online-Supermarkt, das Anticafé – alle verwenden das normale, kyrillische Alphabet.

Auf Reisen dagegen begegnet einem das Prinzip immer wieder: armenische SIM-Karte gekauft, mit der Verkäuferin auf Englisch gesprochen – schon kommen alle SMS vom Anbieter auf Armenisch-in-lateinischen-Buchstaben. Doppelt unnütz, denn ohne Armenisch-Kenntnisse ist Rekonstruieren ja keine Option mehr, und auf der Straße wen ansprechen, der es sich durchliest und übersetzt… nun ja. Alles könnte so einfach sein, mit der normalen armenischen Schrift und Google Translate, aber nein. Und, natürlich: in Georgien genau dasselbe.

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Warum also ist das so? Hat sich jemand gedacht, naja, unsere Schrift ist schwer, da kommen wir den Ausländern mal einen Schritt entgegen? Oder glauben die Absender, dass es unter ihren Kunden mehr Leute gibt, die Russisch (Armenisch, Georgisch) verstünden, wenn sie nur in der Lage wären, es sich selbst laut vorzulesen? Ich hab, ehrlich gesagt, keine Ahnung. Aber vielleicht ja jemand, der das hier liest.

Erklär mir einer Russland

Dieses Video kann ich alle paar Wochen angucken, und immer erkenne ich etwas Neues wieder. Die marianengrabentiefe Überzeugung, dass ein Stück Papier durch jeden weiteren Stempel an Zauberkraft gewinnt. Der Wahnsinn, der folgt, wenn man glaubt, sich hier auf anderswo übliche Zeiten und Fristen verlassen zu können. Dass in komplett dienstlichen Situationen und bei hellichtem Tage plötzlich Alkohol ausgeschenkt wird.

Eine russische Beratungsfirma steckt hinter dem Clip, der zur Sensibilisierung westlicher Geschäftsleute für russische Eigenheiten gedacht ist. Sogar die Szene am Schluss, wo die pseudobegeisterten Mitarbeiter schmerzhaft lange in die Kamera winken müssen, fühlt sich komplett stimmig an.

Und ich kann mich bis heute nicht entscheiden, ob das gelegentlich holperige Englisch Absicht ist oder nicht.

(Danke an Polly für den Link, irgendwann damals.)

Putin der Woche (IX)

Putin der Woche Weltfrauentag
Gesehen: Auf dem Titel einer Zeitschrift der „Molodaja Gwardija“ (Junge Garde), Jugendorganisation der Putin-Partei „Einiges Russland“.

Begleitung: Ein begeisterter Bär – das Symboltier Russlands und der Partei sowie ein enger Namensverwandter (Medwed) des russischen Premierministers (Medwedew).

Text: „(Alles Gute) zum 8. März, Mädels!“

Subtext: Flauschiger Putin ist flauschig. Und das ist kein Bär, sondern eine Bärin, sieht man doch an der rosa Gerbera im Haar. Nicht, dass hier noch jemand „homosexuelle Propaganda“ sagt.

Oben-Ohne-Punkte: 0/10.

Moskauer Warenkorb, Februar 2015

"Masleniza" heißt auch "Pfannkuchenwoche". Süße. Herzhafte. Blini. Aladuschki. Alle gut.
Die Masleniza heißt auch „Pfannkuchenwoche“. Süße. Herzhafte. Blini. Aladuschki. Alle gut.

Die fetten Tage sind vorbei. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn nach Masleniza, der Butterwoche, ist nun Fastenzeit. Was in Russland eine ziemlich lange Liste an verbotenen Speisen bedeutet, von Fleisch und Fisch über Eier bis hin zur Butter.

Für Vegetarier (und bloggende Vegetarier-Partnerinnen) hat das erfreuliche Nebenwirkungen: Selbst im schrabbeligsten Restaurant gibt es eine eigene Fastenzeit-Karte; der Wunsch, kein Fleisch zu essen, ruft plötzlich weder Mitleid (hat’s Dir der Arzt verboten?) noch perplexes Kopfschütteln hervor. Beim Stöbern im Online-Supermarkt stoße ich auf Joghurt mit Rote-Bete-Geschmack und auf Tofu, allerdings unter dem Tarnnamen „Sojakäse“. Das ist definitiv neu, Tofu war dort zuletzt im Spätsommer 2014 zu kriegen.

Bemerkenswert ist in diesem Fastenmonat nicht nur, dass die ersten russischen Regionen gerade Lebensmittelmarken eingeführt haben. Oder die Prognose, dass Russen bis Jahresende möglicherweise die Hälfte ihres Gehalts für Lebensmittel ausgeben werden. Unmittelbar auf den Warenkorb wird sich wahrscheinlich die Entscheidung der großen Supermarktketten auswirken, die Preise für 20 Grundnahrungsmittel zu deckeln. Auch Perekrestok, wo die Zahlen für diesen Blogpost herkommen, hat sich dazu verpflichtet.

Supermarktpreise:

Möhren für 65 Rubel/Kilo (Januar: 59,90)
Tomaten für 129 Rubel/Kilo (Januar: 269,00)
Weißkohl für 45 Rubel/Kilo (Januar: 46,90)
Äpfel für 71 Rubel/Kilo (Januar: 69,90)
Birnen für 119 Rubel/Kilo (Januar: 119,00)

Milch (2,5%) für 72 Rubel/Liter (Januar: 60)
Butter für 25 Rubel/100g (Januar: 45)
Brie für 339 Rubel/100g (Januar: 142)

Hähnchenbrust für 209 Rubel/Kilo (Januar: 199)
Schweinekotelett für 469 Rubel/Kilo (Januar: 379)

Utkonos, der Online-Händler, hat sich nicht dazu verpflichtet, irgendwelche Preise einzufrieren. Das wird also im kommenden Monat interessant, ob sich da bei Ladenlokal- vs Browsereinkauf Preise für manche Lebensmittel auseinander entwickeln. Bisher sieht es jedenfalls so aus:

Onlinehändlerpreise:

Kartoffeln für 46,90 Rubel/Kilo (Januar: 43,90)
Zwiebeln für 53 Rubel/Kilo (Januar: 42,50)
Gurken für 299 Rubel/Kilo (Januar: 237,00)
Zucchini für 236 Rubel/Kilo (Januar: 349,00)
Auberginen für 283 Rubel/Kilo (Januar: 499,00)
Rote Bete für 35,50 Rubel/Kilo (Januar: 39,00)
Eisbergsalat für 138 Rubel/Stück (Januar: 148,00)
Kohlrabi für 299 Rubel/Kilo (Januar: 349,00)

Zitronen für 139 Rubel/Kilo (Januar: 147)
Mango für 385 Rubel/Kilo (Januar: 389)
Bananen für 125 Rubel/Kilo (Januar: 89)
Orangen für 108 Rubel/Kilo (Januar: 105)
Grapefruit für 112 Rubel/Kilo (Januar: 99)
Kiwi für 175 Rubel/Kilo (Januar: 189)

Milch für 70,53 Rubel/Liter (Januar: 64,21)
Butter für 52,22 Rubel/100 g (Januar: 52,22)
Graubrot, geschnitten, für 82,5 Rubel/Kilo (Januar: 82,5)
Toastbrot für 90,60 Rubel/Kilo (Januar: 90,60)

Rinderhack für 446 Rubel/Kilo (Januar: 494)
Ganzes Hähnchen 150,00 für Rubel/Kilo (Januar: 150,00)
Durchwachsener Speck für 556,00 Rubel/Kilo (Januar: 556,00)

Kabeljau (TK) für 236 Rubel/Kilo (Januar: 236,00)
Lachssteak (TK) für 746,67 Rubel/Kilo (Januar: 640)

Wie man sieht, bleibt Brie der Haupt-Preistreiber beim Supermarkt-Einkauf. Ein einsames Stück aus der Schweiz lag da noch in der Käsetheke, 138,7 Prozent teurer als im Januar, sogar 247,7 Prozent im Vergleich zum August, als das Importverbot erlassen wurde. Deutlich preiswerter als im Vormonat sind Tomaten (-52 Prozent) und Butter (-44 Prozent). Auf den Gesamtzeitraum gerechnet legt allerdings der Weißkohl den steilsten Preisanstieg hin: von 10 Rubel im August auf heute 45, das sind 350 Prozent. Insgesamt ist der Supermarkt-Einkauf 7,3 Prozent teurer geworden.

Online ist der durchschnittliche Preisanstieg mit nur 0,5 Prozent gering, trotz Ausreißern wie Bananen (40,4 Prozent), darum diesmal ein Blick auf die Lebensmittel, deren Preis von Januar auf Februar konstant war: Butter, Grau- und Toastbrot, Hähnchen, Speck und Kabeljau. Sollte da jemand, ganz ohne öffentliches Verkünden, auch ein paar Preise gedeckelt haben?

Das Kleingedruckte: Der Moskauer Warenkorb ist nicht repräsentativ.