Fürsorgliche Umschreibung

Texte, die mit „Was ich nicht verstehe“ beginnen, sind ja gerne mal Rants. Der hier nicht, denn ich bin ernsthaft perplex und hoffe auf Erklärungen.

Was ich nicht verstehe: Wenn ich hier im Supermarkt mit Karte bezahle, schickt mir die Bank eine SMS mit Infos über den abgebuchten Betrag, eh ich auch nur den Kassenbon in der Hand halte. Bei der Einrichtung des Kontos muss bei der Bank allerdings jemand ein Häkchen bei „zweifelhafte Russischkenntnisse“ oder zumindest bei „Ausländerin“ gemacht haben, denn die SMS sehen so aus:

SMS transliteriert

Kartennummer, Ort des Einkaufs, bezahlter Betrag, Datum, neuer Kontostand. Aber warum sind das lateinische Buchstaben? Das kyrillische Alphabet ist so ziemlich das Leichteste am Russischen – dann erst kommt das Vokabellernen. Trotzdem glaubt die Bank, mir wäre mit einer Nachdichtung in den gewohnten Buchstaben geholfen. Als würde man als Spracheinsteiger das russische Wort für „Kontostand“ kennen, wenn man es nur bloß endlich lesen könnte.

Dass sich die Raiffeisenbank die Mühe macht, für Ausländer russische Infos in lateinische Buchstaben zu transliterieren, ist nicht nur fehlgeleitet, sondern sogar kontraproduktiv: Wäre die SMS in kyrillischer Schrift, könnte man sie mit zwei Handgriffen rauskopieren, zu Google Translate rüberdengeln und dort wenn nicht in gutes Deutsch, dann doch zumindest in ziemlich solides Englisch übersetzen lassen.

Wer die Nachdichtung au lateinischen Buchstaben nicht versteht, hat dagegen nur zwei Möglichkeiten: die russische Originalversion grob daraus rekonstruieren und hoffen, dass Google Translate sie versteht. Oder die Nachricht jemandem vorlesen, der besser Russisch kann.

Das Problem ist nicht meins allein – Kolleginnen, die ebenfalls keine Russisch-Muttersprachlerinnen sind, bekommen solche SMS auch, ungefragt. Selbst diejenigen, die die Sprache jahrelang studiert haben. In Russland ist mir bisher nur die Bank mit dieser Methode aufgefallen. Der Telefonanbieter, der Online-Supermarkt, das Anticafé – alle verwenden das normale, kyrillische Alphabet.

Auf Reisen dagegen begegnet einem das Prinzip immer wieder: armenische SIM-Karte gekauft, mit der Verkäuferin auf Englisch gesprochen – schon kommen alle SMS vom Anbieter auf Armenisch-in-lateinischen-Buchstaben. Doppelt unnütz, denn ohne Armenisch-Kenntnisse ist Rekonstruieren ja keine Option mehr, und auf der Straße wen ansprechen, der es sich durchliest und übersetzt… nun ja. Alles könnte so einfach sein, mit der normalen armenischen Schrift und Google Translate, aber nein. Und, natürlich: in Georgien genau dasselbe.

sms beeline georgien armenien

Warum also ist das so? Hat sich jemand gedacht, naja, unsere Schrift ist schwer, da kommen wir den Ausländern mal einen Schritt entgegen? Oder glauben die Absender, dass es unter ihren Kunden mehr Leute gibt, die Russisch (Armenisch, Georgisch) verstünden, wenn sie nur in der Lage wären, es sich selbst laut vorzulesen? Ich hab, ehrlich gesagt, keine Ahnung. Aber vielleicht ja jemand, der das hier liest.

Ceci n’est pas un U

armenisches alphabet-monument

„Das armenische Alphabet schaffst Du Dir in einer Woche drauf“, sagt F. Hat sie neulich erst selbst gemacht, aber gut, F. lernt auch gerade drei Fremdsprache gleichzeitig, aus Spaß, als Experiment. Jedenfalls: Dank Memrise hab ich bis zum Abflug nach Eriwan tatsächlich ein Drittel des ABC im Kopf. Das A nämlich, also: das kleine a – oder auf Armenisch: ա.

Im Gegensatz zum Georgischen, das aussieht wie eine ausgeschüttete Tüte Erdnussflips, besteht das Armenische in großen Teilen aus Us, Us mit kleinen Schwänzchen und U-Bögen, die jemand gekippt, gedreht oder vervielfacht hat. Was kein U ist, erinnert gerne mal an lateinische Schrift oder auch ans Kyrillische, aber das heißt nichts.

Die Erfinder der Schrift waren zu kreativ, als dass es große Überlappungen gäbe. (Dass wirklich mal ein Buchstabe übereinstimmt, ist – siehe unten – extrem selten.) Darum hat man ihnen auch auf einer Brache vor den Toren der Hauptstadt Jerewan ein Denkmal gestiftet: alle 39 armenischen Schriftzeichen, in Tuff gemeißelt.

Busseweise kommen Schulkinder her für ein Selfie mit dem eigenen Anfangsbuchstaben, als Ausländer kann man nur mutmaßen, welche Namen da wohl gerade posieren. Das U mit dem Haken unten rechts jedenfalls ist besonders populär – schließlich ist es das armenische A. Das große.

(Danke an die äußerst frankophone Anke für ihre Hilfe bei der Überschrift. Das mit dem Geschlecht der Buchstaben ist im Französischen ganz wunderbar komplex.)

Grotesk

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– „Was ist das denn für eine Schrifttype, die Sie da verwenden?“
– „Das ist einfach gefettet.“
– „Nein, ich meine die Schriftart, den Font.“
– „Also wenn Sie Microsoft Word öffnen, ist da oben so ein Menü…“

(Zehn Google-Minuten später)

– „Kann es sein, dass das Akzidenz-Grotesk ist?“
– „Ah, jetzt wo Sie’s sagen – das erkenn ich wieder, stimmt.“

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Wer Schrift und Typografie liebt, kann sicher sein: In chinesischen Papierfabriken sitzen verwandte Seelen. Menschen, die Texte als Gestaltungselemente zu schätzen wissen. Zusammengeklaubt, irgendwoher. Gerne mit westlichem Bezug, um die ganzen Union Jacks und Freiheitsstatuen zu ergänzen, die hier auf Blöcke, Hefte, Ordner gedruckt werden.

Drei Beispiele, gekauft im Tian-Yi-Markt:

Heft 1: „Following the success of „Go Slow England“, this new edition delves into the pleasures of Slow food, Slow travel and Slow living – from Land’s End to Llandenny.“ Kommt aus dem Klappentext für ein Buch über Slow Food in Großbritannien aus dem Jahr 2010. Hier bei Amazon.

Heft 2: Da hat „W. Willirm Shakesperre“ wohl ein Stück namens „The Hamlet“ geschrieben. Der Text ist schmerzhaft schlicht à la „Hamlet has fascinated audiences and readers for centuries, and the first thing to point out about him is that he is enigmatic.“  Mehr bei SparkNotes, einer Seite mit, naja, nennen wir es mal Lernhilfen für Schüler.

Heft 3: „Dumbledore said to Harry,Youth,live with more fun“ – J.K. Rowling hat viel geschrieben, aber das dann doch nicht. Dennoch gibt es allerlei Google-Fundstellen für diesen Satz. Fanfiction? Dummytext? Schwer zu sagen.

Mein allerliebster Lieblingsliebling überhaupt in Sachen Text als Ornament ist aber diese Kladde. Blindtext als Deko. Ein Journalistentraum.

PS: Ja, in Deutschland laufen dafür Menschen rum, die sinnlose chinesische Schriftzeichen auf Shirts, Jacken oder Taschen mit sich tragen. Vielleicht haben sie sogar, wie Penny aus The Big Bang Theory, das Zeichen für „Suppe“ auf den Hintern tätowiert.