Allein, allein

20131111-225314.jpg

Wir sind zu zweit, Olga und ich. Mini-Gruppe war gebucht in der Sprachschule, um aus fünf Tagen Bildungsurlaub möglichst viel rauszuholen. Also sitzen wir beide hier, um 9 Uhr, am Anfang von fünf Zeitstunden. Olga ist die Lehrerin. Ich bin ihre Gruppe. Mini, in der Tat. „Einsteiger mit Spuren von Vorkenntnissen“ ist im Moment wohl keine allzu populäre Kategorie bei Sprachschülern.

Keine Ahnung, ob Olga darum zum Einstieg eine Lektion zu Singular und Plural ausgesucht hat. Fragen geht nicht, auf Deutsch ist es gegen die Schülerehre, auf Russisch fehlen noch ein paar Worte, also: alle außer „warum“. Aber das ist ohnehin nicht das größte Rätsel an diesem Tag.

Dass es manche Worte nur als Plural gibt, lernen die meisten im Englischunterricht: scissors, trousers, glasses. Auf Russisch ist das genau so, Hosen, Jeans, Shorts. Auch das umgekehrte Prinzip – nur Singular, kein Plural – ist für Deutsche nichts Neues: Polizei. Eis. Die Regeln dafür sind im Russsischen allerdings so wundervoll absurd wie das Gefühl, plötzlich allein eine ganze Lerngruppe stellen zu müssen. Denn ausschließlich Singular sind:

1. Abstrakte Begriffe wie Freude, Trauer, Neid, Kosmos. Klar.
2. Sammelbegriffe wie Geschirr, Kleidung, Waffen, Kunst. Leuchtet ein.
3. Alle Lebensmittel, die man gießen kann. Oder schneiden. Oder streuen. Tee und Milch, Brot und Käse, Salz und Zucker. Bisschen speziell, aber okay.
4. Gemüse. Im Prinzip. Bis auf fünf Ausnahmen, die man halt auswendig lernen muss: Die Gurke hat dann doch einen Plural, die Zucchini, die Aubergine. Und, eh hier einer glaubt, ein Muster zu erkennen: die Tomate. Ach ja, und der Pilz. Soso.
5. Obst, aber nur kleines. Erdbeere, Himbeere, Weintraube. Alles Einzelgänger. Aber sonst geht’s noch?

Vielleicht trau ich mich morgen nach dem Unterricht mal in den kleinen Lebensmittelladen. Im Gegensatz zum Supermarkt muss man dort mit Menschen reden, wenn man was kaufen will. Was kostet die Erdbeere, werde ich sagen. Oder, als gute Dortmunderin: Gib mich die Kirsche. Dann nehme ich sie mit heim. Und wir unterhalten uns darüber, wie es ist, allein zu sein, wo andere eine Gruppe haben.

Ein Gedanke zu „Allein, allein“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert