Putin der Woche (XXI)

putin der woche krim chruschtschow

Gesehen: Auf dem Flohmarkt in Ismailowo.

Begleitung: Nikita Sergejewitsch Chruschtschow

Text: „Er gab die Krim ab. Er holte die Krim zurück.“

Subtext: Letzte Woche Stalin, diese Woche Chruschtschow, der olle Krim-der-Ukraine-Zuschlager. Bin gespant, ob hier nächste Woche was mit mir und Breschnew steht. Und bis dahin philosophier ich jetzt noch ein bisschen über den Maiskolben auf seiner und die Säule auf meiner Seite dieses Bildes.

Oben-Ohne-Punkte: -1/10 fürs Käppi.

Putin der Woche (XX)

putin der woche stalin

Gesehen: Bei Twitter – und ursprünglich in Wladikawkas, via Natalia Antonova und Yaroslava Pulinovich.

Begleitung: Josef Wissarionowitsch Stalin.

Text: Keiner.

Subtext: Auge in Auge. Ein Händedruck von Mann zu Mann. Ich hab mir mal das Standard-Werk „Krim“ in zwei Bänden unter den Arm geklemmt. Und du, immer noch mit Schnäuz? Wär mir ja zu fusselig. Aber gut, Du willst so aussehen, wie sie dich in Erinnerung haben. Wobei das mit der Erinnerung eine recht selektive Sache ist, sonst hätten wir ja wohl kaum so eine Pro-Stalin-Stimmung hier. Forderungen nach einem Museum zu Deinen Ehren, dafür wird das Gulag-Museum weichgespült. Inzwischen halten bei Umfragen 16 Prozent der Russen Deinen Einfluss für „eindeutig positiv“, 36 Prozent für „eher positiv als negativ“. In dem Klima kann ich auch gut mal den Hitler-Stalin-Pakt verteidigen. Nichts zu danken. Aber das mit dem Schnäuz überleg Dir noch mal.

Oben-Ohne-Punkte: 0/10

Erklär mir einer Russland

Dieses Video kann ich alle paar Wochen angucken, und immer erkenne ich etwas Neues wieder. Die marianengrabentiefe Überzeugung, dass ein Stück Papier durch jeden weiteren Stempel an Zauberkraft gewinnt. Der Wahnsinn, der folgt, wenn man glaubt, sich hier auf anderswo übliche Zeiten und Fristen verlassen zu können. Dass in komplett dienstlichen Situationen und bei hellichtem Tage plötzlich Alkohol ausgeschenkt wird.

Eine russische Beratungsfirma steckt hinter dem Clip, der zur Sensibilisierung westlicher Geschäftsleute für russische Eigenheiten gedacht ist. Sogar die Szene am Schluss, wo die pseudobegeisterten Mitarbeiter schmerzhaft lange in die Kamera winken müssen, fühlt sich komplett stimmig an.

Und ich kann mich bis heute nicht entscheiden, ob das gelegentlich holperige Englisch Absicht ist oder nicht.

(Danke an Polly für den Link, irgendwann damals.)

It’s complicated

georgsband chor ipad

Der 9. Mai mag vorbei sein, aber das Nachdenken über das Kriegsende und wie man es in Russland feiert noch nicht. Denn am 19. hat mein Chor hier sein erstes Konzert der Saison, und seit Probenbeginn im Januar bedeutet das: viel Textübersetzen, viel Nachdenken und manchmal auch ganz schön schlucken müssen.

Denn in der zweiten Hälfte (erste Hälfte allerlei Rachmaninow, kannte ich vorher als Chorkomponist gar nicht, dabei ist „W Molitwach neussypajuschtschuju“ wirklich schön und auch erfreulich komplex) singen wir Lieder über den Zweiten Weltkrieg. Siegeslieder, Partisanenlieder, Lieder von der Sehnsucht, der Krieg möge endlich aufhören.

„Das sollen nicht nur russischen Lieder sein, wir sind ja ein internationaler Chor,“ hatte unser Dirigent Anfang des Jahres gesagt, „also bringt mal alle was mit, was da zu der Zeit in eurem Land populär war – auch Katrin.“ Wir kennen uns jetzt ein gutes Jahr, und ich weiß, das ist sein Humor, seine Art zu zeigen: Du bist hier nicht „die Anderen“, egal, woher Du kommst.

„Eure Hitler-Attentäter, was haben die denn so gesungen?“

Überhaupt hört man hier Russen sehr viel öfter von „den Faschisten“ reden oder von „Nazi-Deutschland“, wenn das Gespräch auf den Krieg kommt. Immer schön mit Präfix. Das habe ich, zum Beispiel in England, oft ganz anders erlebt. Und sicherheitshalber kommen in der Probenpause auch noch ein paar Mitsängerinnen vorbei und sagen: „Versteh ihn nicht falsch, das war ein Scherz, ihr hattet ja sicher auch Lieder gegen die Nazis.“ – „Genau, eure Hitler-Attentäter, was haben die denn so gesungen? Bringste halt ein Lied von denen mit.“ Ich möchte sie alle umarmen.

Dass das Ganze dann doch nicht so flauschig und einfach ist, wird klar, als mehr Lieder zusammenkommen. „Wetscher na Rejdje“ singen ist einfach, „Zhuravli“ auch. Schwieriger wird es schon bei „Swjaschtschennaja wojna„, dem Lied vom „Heiligen Krieg“, mit drastischen Sprachbildern und viel Heldenpathos. Das Lied, bei dessen Titel Google Translate der Einfachheit halber schlicht „Dschihad“ ausspuckt.

“Wir können doch Lili Marleen nicht auf Deutsch singen.“

Und parallel das Hin und Her über den Chor-Mailverteiler, von „Wir können doch Lili Marleen nicht auf Deutsch singen, ich weiß, dass das auch SS-Männer gesungen haben“ – „Aber im Text geht es um Kriegsmüdigkeit, Marlene Dietrich hat es für die alliierten Truppen gesungen“ bis zu „Konzertkleidung: schwarz und lang, im zweiten Teil wäre es schön, wenn alle ein Georgsband anstecken“. Oh.

Das Georgsband, schwarz und orange, ist aus einem Militärorden entstanden. Es war lange Zeit ein Symbol für die Leistung der sowjetischen Armee im Zweiten Weltkrieg und für den Sieg allgemein. Dann kam der Krieg in der Ukraine, und plötzlich trugen es die putintreuen Politiker, die Separatisten in der Ostukraine, die Krimnaschisten, ganz demonstrativ. Letzten Mai hat eine Cafékette jedem Kassenbon einen halben Meter Bändel beigelegt. Wodkaflaschen bekommen es um den Hals geknotet, damit sie sich besser verkaufen. Es weht auf dem offiziellen Kalender, den der Kreml an Journalisten verteilt. Viele Gründe für Unbehagen. Ich möchte das nicht tragen.

„Willst Du die Veteranen nicht ehren?“

Es folgen Gespräche, in zwei Varianten. Die mit anderen Ausländern sind kurz: „Ich möchte das nicht tragen.“ – „Klar, würde ich auch nicht.“ Die mit Russen sind meist länger: „Ich möchte das nicht tragen.“ – „Aber bist Du nicht froh, dass Du nicht im Faschismus aufwachsen musstest? Willst Du die Veteranen nicht ehren? Ist das nicht schöner, wenn’s einheitlich aussieht? Ist doch egal, wer es sonst noch trägt, solange wir das Richtige damit meinen.“ Doch. Gerne. Weiß nicht. Nein.

Dass Uniformität etwas Erstrebenswertes ist – der Glaube endet bei mir kurz nach Chorkleidung. Die kann ich mir noch herleiten aus „liebes Publikum, ihr sollt nicht gucken, ihr sollt hören.“ Aber schon das britische Klima, bei dem sich rechtfertigen muss, wer keine Mohnblume ans Revers (oder Trikot) steckt, ist mir suspekt. Genau wie „wir feiern den Sieg über ein totalitäres Regime mit einer Runde Gruppenzwang“, schon vor Ukraine, Krim und Putin-Propaganda.

„kleinstmögliches Zeichen von Opposition“

Das Ganze ist nicht gelöst. Die Diskussion geht weiter, vor kurzem hat zum ersten Mal eine Russin aus dem Sopran diplomatisch-vorsichtig gemailt, dass das Bändel vielleicht negative Reaktionen im Publikum auslösen könnte aufgrund dessen, wie es in jüngster Zeit verwendet wurde.

Eine Bekannte, ebenfalls Russin, erzählt, dass sie und ihre Freunde aus Prinzip kein Georgsband tragen, „als kleinstmögliches Zeichen von Opposition“. Und ich erinnere mich regelmäßig daran, dass auch das hier schon ein Wert an sich ist: Dass wir diese Debatte führen, und dass wir, mit Bändel oder ohne, im Jahr 2015 alle zusammen da vorne stehen können und zusammen Musik machen.

Putin der Woche (XIX)

putin der woche siegespark

Gesehen: Im Moskauer Siegespark.

Begleitung: Ein Bär. Wechselnde Menschen, die für ein Foto posieren – so viele, dass man keine Gelegenheit hat, Putin und den Bären mal allein zu fotografieren.

Text: “Ich bin ein Freund von Putin” und „T-Shirts mit dem Präsidenten“, dazu ein Hashtag, der sich als „Herzen von Russland“ übersetzen lässt.

Subtext: Weißt Du, Bär, ich selber bin ja total gegen diese Vermarkterei. Aber hey, wenn es wirklich einer schafft, den Leute für ein Shirt mit mir drauf 999 Rubel abzunehmen – Respekt. Da kann ich dann auch mal ein Auge zudrücken. Verstehste, Bär? Lustig, ne, „Auge zudrücken“, wie wir zwei auf dem Bild? Und jetzt hör endlich auf „Nichts geht über Bärenmarke“ zu summen. Die Marke hier bin immer noch ich.

Oben-Ohne-Punkte: 0/10.

Das ultimative Ballett-in-Moskau-Besuchsprogramm

Reisen bildet selbst dann, wenn es andere manchen. Gerade war zum zweiten Mal eine Freundin zu Besuch hier in Moskau, die sich Ballett nicht nur anschaut, sondern auch selber tanzt. Eine Chance, sich mitreißen zu lassen und Fragen zu stellen.

Okay, ein bisschen Ballettwissen sammelt sich in Russland ohnehin an, einfach weil das hier als Kunstform viel präsenter ist als anderswo. Seit dem Umzug nach Moskau habe ich mehr Tanzaufführungen gesehen als im kompletten Leben vorher zusammen. Zusammen mit dem erklärbegabten Besuch (Danke, Katharina!) reicht es inzwischen schon für Party Small-Talk („..die russischen Tänzer springen ja auch viel höher“)  – und eben für diese Liste, mit der man ballettbegeisterte Moskaugäste glücklich macht.

1. Eine Führung durchs Bolschoi-Theater

Ja, das Bolschoi ist die Ballett-Institution in Russland. Das weiß man dort auch sehr genau und kann darum Besuchern eine Mischung aus Kommunismus und Kapitalismus antun: Karten vorher kaufen oder zumindest reservieren geht nicht, also schön draußen anstehen wie zu Sowjetzeiten. Da selbst im Winter mehr Leute Interesse haben als die Führung Plätze, steht man ein Stündchen und bibbert.

Drinnen greift dann der Kapitalismus: Weil jedem klar ist, dass Touristen wahrscheinlich nur diese eine Chance für einen Besuch haben, kostet die englischsprachige Führung geschmeidige 1300 Rubel pro Kopf – im Vergleich zu 500 Rubeln für die russische.

Bolschoi-Theater Führung Probe

Drinnen ist es dann genau so, wie man es sich vorstellt: opulent, majestätisch, historisch, plüschig. Viel Gold, viel Rot, Freitreppen, Samtvorhänge, Parkettböden und die Chance, vielleicht auch kurz eine Probe mitzuerleben. Hauptsache pssst, und na gut, ein Foto ist erlaubt, wenn man es leise hinbekommt.

2. Stöbern und Shoppen bei Grishko

Als Uneingeweihte wusste ich das vorher nicht, aber Grishko ist so ein Wort, bei dem Tänzer Sternchen in den Augen bekommen. Die Spitzenschuhe sind berühmt, die Unternehmengeschichte lesenswert und die Läden auch für Nicht-Tänzer schon wegen der Inszenierung den Besuch wert: auf der einen Seite gestapelte Kartons voller Schuhe, wild mit Edding beschriftet. Auf der anderen ein einzelnes Paar in einer Vitrine, sanft ausgeleuchtet, so dass der Satin glänzt. Und dann erst die Kostüme! 

Grishko Ballettkleidung

Die Hauptfiliale an der Metro-Haltestelle Proletarskaja hat auch eine Ballettstange mit Spiegel, für die Spitzenschuh-Anprobe. Wer nicht so weit rausgondeln will, findet aber auch im Laden an der Smolenskaja ein gutes Sortiment.

3. Eine Ballett-Stunde

Das muss ein bisschen wie die erste Probe mit einem neuen Chor sein: Haben die interessantere Einsingübungen als ich sie kenne? Wie ist der Umgang miteinander? Worauf achtet der Dirigent und was lässt er durchgehen? Was können die so und wie pass ich da rein – oberes Drittel, unteres, irgendwo in der Mitte?

Mein Besuch war zum Tanzen zweimal bei „Dance Secret“ und beide Male zufrieden. Auf dem Stundenplan stehen dort regelmäßig offene Klassen in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, das Video gibt so ab Minute 2.30 eine ganz gute Vorstellung:

Interessant fand ich vor allem, dass Ballett-Übungen und -Begriffe so international sind, dass man solch eine Stunde auch ohne große Russischkenntnisse mittanzen kann. Wie das im Detail abläuft, dazu hier mehr.

4. Ein Besuch in der Wohnung von Galina Ulanowa

„Museum? Hier ist kein Museum.“ Zwei unwirsche Pförtnerinnen, irgendwo zwischen Zerberus und Xanthippe, hüten den Eingangsbereich des Hochhauses. Es ist eines von Stalins Sieben Schwestern, zu Sowjetzeiten wohnten hier diverse Berühmtheiten und an der Fassade hängt, ach guck, eine Gedenktafel für die Ulanowa, die immerhin zwei Jahrzehnte am Bolschoi getanzt hat.

Mit aller Russland-Erfahrung hilft da nur, sich nicht abschrecken zu lassen und, ganz deutsch, darauf zu vertrauen, dass ein am Telefon verabredeter Besichtigungstermin auch gilt. Und tatsächlich: Bis zwölf Uhr sind noch mehr Besucher da, dann kommt ein Mensch aus dem Aufzug und holt uns ab. Die Augen der Pförtnerinnen schwenken mit.

galina ulanowa

Oben sind die meisten Zimmer noch heute so, wie die Ulanowa sie bis in die Neunziger bewohnt hat, nur in einem Zimmer stehen Vitrinen mit ihren Kostümen, Schuhen, Tiaras. Dokumente einer internationalen Ballettkarriere, dazwischen Rokoko-Möbel, Kitsch und Nippes.

Man bekommt ein Gefühl dafür, wie es war, in der Sowjetunion zur Elite zur gehören, reisen zu dürfen und mehr als hundert Quadratmeter zu bewohnen. Die Tour ist auf Russisch, aber auch hier gilt wieder: Viele Begriffe sind eh international, und der Rest erschließt sich auch ganz gut aus dem Kontext.

5. Eine Aufführung des Ballet Moskwa

Damit das Besuchsprogramm vor lauter Geschichte und Tradition nicht zu altmodisch wird, lohnt sich ein Besuch bei einem modernen Ballettabend. Über Freunde ist ein Kontakt zum Ballet Moskwa entstanden, wo ich seitdem schon einige Male war. Plüsch und Rüschen gibt es hier keine, manche der Aufführungsorte haben den Charme von Schul-Aulas. Einerseits.

Foto: Rust2D
Foto: Rust2D

Andererseits sind die Inszenierungen abstrakter und dadurch oft überraschender, der Tanz legt mehr Wert auf Athletik als auf Anmut, die Musikauswahl reicht von modernisiertem Vivaldi bis Techno. Es fühlt sich an wie mehr Risiko, was da auf der Bühne passiert, und das tut der Aufführung gut. „Egopoint“ (siehe Foto) und „Tristan und Isolde“ lohnen sich aus dem aktuellen Programm besonders.

6. Eine Aufführung im Bolschoi

Was für Führungen gilt, gilt auch für Aufführungen: Karten dafür sind hier nicht ganz einfach zu bekommen und auch recht teuer. Außer, man studiert noch – eine Freundin erinnert sich, dass sie während ihres Moskau-Auslandssemesters Bolschoi-Tickets für 100 Rubel hatte.

Wir saßen in der zweiten Loge auf mittelguten Plätzen, hatten also einen Blick auf den Innenraum und seine Architektur, das Publikum, den Orchestergrabens und etwa 85 Prozent der Bühne. Kein Problem bis zu dem Moment, in dem die Kameliendame sich genau in unserem toten Winkel anschickte, zu sterben.

Bolschoi-Theater Saal

Aber wie in der Oper wird auch im Ballett gerne ausgiebig gestorben, in diesem Fall etwa 20 Minuten lang und quer über die ganze Bühne hinweg. Kein Problem also mit den Sitzplätzen – ganz abgesehen davon, dass das Bolschoi-Orchester und seine extrem gute Pianistin mindestens genau so viel zum Abend beigetragen haben wie die Tänzer. Und die Akustik war bei uns wirklich super.

7. Eine Aufführung im Stanislawski-Theater

Moskauer Akademisches Musiktheater Stanislawski und Nemirowitsch-Dantschenko“ ist eventuell ein ganz klein bisschen weniger griffig als „Bolschoi“. Es ist außerdem ein bisschen weniger berühmt, ein bisschen weniger zentral gelegen und ein bisschen weniger teuer. Bei der Qualität der Tänzer hingegen muss man schon sehr genau hinsehen oder viel Ahnung haben, um Unterschiede auszumachen.

stanislawsky esmeralda

Kann sein, dass das Repertoire hier ein bisschen populärer ist. Die „Esmeralda„, die wir hier gesehen haben, war jedenfalls ein großes Schwelgen in Gruppenszenen und Kostümwechseln. Augenzucker, auch tänzerisch. Wer also einfach ein gutes Ballett sehen will und keinen Wert legt auf den Bolschoi-Mythos, der ist im Stanislawski richtig.

9. Mai 2015

Manchmal ist es gut, wenn einem Leute den Blick auf die paradierenden Panzer verstellen. Stattdessen Gespräche mit den anderen Zuschauern, die auch nicht mehr sehen können. Zwei Russen, die frotzeln: „Sie sind Deutsche und verstehen Russisch? Sind Sie eine Spionin?“ Ein Hauch von Stolz, als das Russisch zum Zurückfrotzeln reicht: „Klar, das hier (der Jackenknopf) ist ein kleines Mikrofon.“

Ein Stück weiter steht eine Gruppe junge Männer in blauen Anzügen, angereist aus einer Stadt, deren Namen keiner von uns versteht, auch nicht im zweiten und dritten Anlauf. Egal. Sie haben Schilder mit Fotos ihrer Großväter dabei, die vor 70 Jahren im Krieg gekämpft haben.

„Wir sind kein Militär, wir sind Ingenieure“, betont einer von ihnen. Sie sind extra angereist zur Parade, die inzwischen fast vorbei ist. Zeit, gemeinsam nach oben zu gucken.

Opa Günter

Opa Günter

Vieles an der Art, wie Moskau derzeit an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert, fühlt sich seltsam an. Das Säbelrasseln, oder was immer da heute so rasselt, wenn tagelang Panzer und Raketen durch die Straßen rollen, damit am Samstag bei der Parade alles klappt. Das Branding, bei dem wirklich alles mit St.-Georgs-Bändern verziert und beworben wird, bis hin zur Wodkaflasche im Supermarkt.

Das Stalin-Revival, das hier parallel betrieben wird und zu dem kritische Stimmen selten sind. Die Militarisierung von Kleidung, wenn Kindergartenkinder sich von ihren Eltern erfolgreich eine Soldatenmütze vom Straßenhändler erquengeln. Der gar nicht so latente Druck, dass das die einzig wahre Art des Gedenkens ist und man da mitzumachen hat (dazu die Tage noch ein eigener Blogpost.)

Wir haben uns in der Redaktion einen anderen Ansatz ausgesucht, und ich finde, er passt zu einem Team aus einem halben Dutzend Nationalitäten in dieser Generation und noch deutlich mehr, wenn wir ein, zwei Generationen zurückgehen.

Ich wusste nicht, dass Matt aus dem Wirtschaftsressort polnische Vorfahren hatte (die später als Italiener getarnt über Venezuela in die USA ausgewandert sind und dort dann Angst vor McCarthys Hexenjagd hatten). Ich wusste nicht, dass der Opa unseres Chefredakteurs einen Backstein aus der Reichstagsmauer mit zurück nach Dagestan genommen hat. Und auch die Geschichte meines Kollegen Sam, dessen Urgroßvater als einer der letzten Amerikaner im Mai 1945 in Deutschland starb, kannte ich vorher nicht. Wieso eigentlich nicht? Wenn wir schon das Privileg haben in einem Team aus Menschen zu arbeiten, die von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs stammen und aus Ländern, die im Zweiten Weltkrieg gegeneinander gekämpft haben – warum reden wir so wenig darüber?

Opa Günter, der Vater meines Vaters, ist ein paar Tage nach meiner Konfirmation gestorben. Dass seine Enkelin mal für eine russische Zeitung auf Englisch ein Stück seiner Lebensgeschichte aufschreiben würde – ich glaube, das hätte ihn in seiner Unwahrscheinlichkeit genau so zum Lachen gebracht wie ein Zeitungsbericht im Lokalteil, in dem irgendwann in den Achtzigern mal stand, die Nazis hätten ihn erschossen. Nicht, dass sie es nicht versucht hätten – aber diese Folgen konnten sie ja auch nicht absehen.

Putin der Woche (XVIII)

putin der Woche maniküre

Gesehen: Beim Instagram-Account „ekbnails„, der in Jekaterinburg für seine Maniküren wirbt. Allein ist der mit seinem Putin-Nagelangebot aber nicht.

Begleitung: Zwei blaue Fingernägel. Zwei rote Fingernägel. Ein weiterer weißer Fingernagel. Russlands Nationalfarben.

Text: „Go hard“ und, einen Fingernagel weiter, „Ich ♥ Russland“.

Subtext: Politik, Mode – die Grenzen sind bei uns fließend, gerade jetzt, kurz vor dem 9. Mai. Und dass ich von allen Fingernägeln hier gerade den Daumen bekommen habe, ist meiner Position natürlich völlig angemessen. Schließlich entscheidet mein Daumen-hoch und Daumen-runter Russlands große politische Fragen. Apropos, das mit „Go hard“ (or go home) bezieht sich ja wohl hoffentlich nicht auf die Krim? Ach, ich wollte dieses Nagelstudio eh mal anrufen. Ich hab da nämlich eine Frage.

Oben-Ohne-Punkte: -3/10 für Krönchen auf dem Kopf.